Erster Brief.

[4] Freyberg.


Freuen Sie sich! wieder ein schönes Buch mehr; und noch schätzbarer wegen des vortreflichen Inhaltes, als wegen der originalen Schreibart seines Verfassers. Goldene Aepfel in silbernen Schaalen. Oder kennen Sie schon des Hrn. Prof. Abbtes Werk vom Verdienste? Aber eine Kritik darüber müssen Sie nicht von mir erwarten. Denn die würde mich mehrere Selbstüberwältigung kosten, als ich jemals um einer Kritik willen von mir zu fodern verpflichtet seyn kann. So sehr vergißt man bey diesem Buche jeden andern Vorsatz, außer demjenigen, den der Verfasser Selbst rege machen, oder befestigen will: Und so sehr ist man Freund des Mannes, dessen Gedanken allesamt aus der lautern Quelle gesunder Vernunft und eines von Wahrheitseifer und Menschenliebe durchdrungenen Herzens hergeflossen kommen.

»Nur Ein richtiges Urtheil,« sagt er in seiner Vorrede, »das diese Schrift lehret; nur Eine rechtschaffene Empfindung zum Wohlwollen, die sie erreget; nur Eine Wallung des guten Herzens, die sie hervorbringt; nur Ein Gefühl der innern Stärke, zu dem sie verhilft, muß sie von dem Verwerfungsurtheile eines ganz unnützen Buches befreyen.«

Hoffentlich enthält diese bescheidene Erwartung keine vollständige Geschichte der künftigen Wirkungen seines Buches. Und da es nur noch erst seit wenigen Jahren einem französischen Originalphilosophen, zum Theil durch den fast attischen Vortrag seiner oftmals ziemlich troglodytischen so Gedanken gelungen ist, die Autorität eines Papstes zu erhalten über eine nicht kleine Anzahl derjenigen, deren Denkungsart in die Wohlfahrt ganzer Nationen keinen geringen Einfluß hat: So würd ich der schuldigen Achtung für mein Vaterland zu nah treten, wenn ich nicht hoffen wollte,[4] daß ein Deutscher, der über ein eben so wichtiges Thema nicht allein vortrefflich schreibt, sondern auch (welches ihm billig einen kleinen Vorzug geben sollte,) richtig denkt, die Aufmerksamkeit, wenigstens seiner Landesleute, an sich ziehen werde, auch ohne die Taschenspielerkünste paradoxer Einfälle etc.

Eine Beantwortung Ihres gewöhnlichen Was hat der Verfasser Neues? mögen Sie auf ein anderes Buch bey mir zu Gute haben. Denn diesesmal muth ich Ihnen aus Pflicht und Gewissen zu, sich die Antwort aus dem Werke selber zu erfragen. Bis dahin mag Ihnen statt einer vorläufigen Nachricht folgende hieher nicht ungehörige Stelle dienen, wo er beym Uebergange in ein anderes Kapitel auf der 147sten S. sagt: »Es ist so viel davon geschrieben, daß eine philosophische Verläugnung dazu gehört, sich darüber herauszulassen. Denn man kann in solchen Fällen den Argwohn, andere ausgeschrieben zu haben, nicht leicht vermeiden. Es mag hier aber das innere Zeugniß gegen die äussern Urtheile trösten.« Hiezu setzt er noch das ehrliche Geständniß: »Wobey doch die Beobachtung nicht verschwinden darf, zur Demüthigung der Eigenliebe, daß man oft glaubt, etwas selbst gedacht zu haben, was man doch bey andern gelesen hat. Denn unsere Seele stiehlt Gedanken mit solcher Geschicklichkeit, daß sie nichts weiter thut, als gleichsam ihr Wapen darauf schlagen, um sie die ihrigen zu nennen

Immerhin!

Wenn zwar mancher glorreiche Fürst, aus landesväterlicher Milde, gutes Geld in schlechtes ummünzet, so gewinnet freylich sein hoher Nachruhm nicht viel neuen Glanz durch die holde Kupfer- oder Eisenfarbe des allergnädigsten Antlitzes auf dem geringhaltigen Geldstücke. Allein, wer hat etwas dagegen, wenn er Geld einschmelzt, um es nach einem noch bessern Fuße auszuprägen? Auf die letztere Weise ist, meines Erachtens, der V. mit bekanten Wahrheiten in seinem Buche umgegangen.

Dem menschlichen Geschlechte nicht zum Nachtheile würd'[5] es vermuthlich gereichen, wenn künftige Geschichtschreiber ihren Maasstab zu den verschiedenen Gattungen des Verdienstes mit dem hier gegebnen in etwas nähere Gleichheit, als gewöhnlich, bringen wollten.

Hören Sie die Worte des freyredigen Mannes an einer solchen Stelle:

Nachdem er die Fürsten, denen das Erobern nicht ein Mittel zu bessern Zwecken, sondern der Zweck Selber ist, in drey Arten getheilet hat, so sagt er auf der 299sten S. von der erstern:


»Da der Ritter von Linnée die Löwen unter das Katzengeschlecht, mehrerer Ordnung halber, hat bringen dürfen: So kann es Niemanden wundern, daß wir auch, um des Aufräumens willen, diese erste Art von Eroberern unter das Diebsgeschlecht bringen, und damit den ganzen Streit über ihre Verdienste entscheiden.«


Meynen Sie nicht, daß die Welt einige dergleichen gekrönte Räuber weniger gehabt haben würde, wenn die Genii der Geschichte Ruhm und Schande von je her nach einem solchen Gesetzbuche ausgetheilt hätten? Was Sie mir auch darauf zur Antwort geben mögen, so denk ich doch immer, man dürfe sich, auch ohne Glauben an ein tausendjähriges Reich, die Hoffnung besserer Zeiten erlauben. Warum sollte nicht (was schon vormals geschehen ist;) der beträchtlichste Theil des menschlichen Geschlechtes einige alte Meynungen, zu seinem großen Vortheil, ändern können?

Noch eine einzige Stelle, welche reichen Stoff enthält zu einem ganzen Buche. Er sagt S. 246:


»Ich habe eines von diesen Gütern zurückgesetzt, weil ich seinen Werth nicht genau zu den übrigen abmessen konnte. Er ist groß; und mag also lieber allein stehen; er wird unendlich, wenn wir den Horizont ändern, innerhalb welchem die vorher genannten Güter aufgestellet sind. Dieses Gut ist der Unterricht eines Volkes in den Kenntnissen und in der Tugend, für dieses Leben sowohl, als für ein künftiges. Wer in Europa den Preis dieses Gutes[6] nicht erlernet hat, der gehe nach China, und höre dort vom Confucius sprechen.«


Was dünkt Ihnen davon, daß der V. nicht unnöthig findet, uns solchen Rath auf allen Fall zu geben?

Sie wissen, wie oft ich, nicht ganz ohne Unmuth, meine Verwunderung gegen Sie geäussert, daß sich seit nicht wenigen Jahren noch kein eigentlicher Geschichtschreiber gefunden für einen Fürsten, der, aus vollkommener Kenntniß von dem Wehrte dieses Gutes, sich nichts ernstlicher angelegen seyn ließ, als die Ausbreitung desselben in seinem Lande durch die bestmöglichsten Einrichtungen zu befördern. Zumal, da dieses nur Eines ist von mehrern Verdiensten, bey deren Betrachtung es zweifelhaft werden kann, ob ein Regent in neueren Zeiten mit richtigern Einsichten und grösserm Eifer, als Er, an der Befestigung und Vermehrung des Wohlstandes seiner Unterthanen gearbeitet habe. Gleichwohl fehlt es nicht an berühmten Biographen solcher verdienstlosen Landbeherrscher, die den mit ihnen nach Einem Bilde und in einerley Absicht erschaffenen Menschen, als ein seelenloses nur zu Abgaben und Kriegsdiensten gemachtes Werkzeug handthieren, und ihm von dem heiligen Rechte, seine Glückseligkeit auf selbstbeliebige Weise zu suchen, nichts übrig lassen, als etwa die verwünschte Erlaubniß, den schwachen Ueberrest von Empfindung seines knechtischen Zustandes in starkem Getränke vollends zu ertödten.

Aber freilich ist es leichter, die Wirkungen der Luft in einem Sturme oder in einem Zephyr zu mahlen, und dadurch bey seinem Leser das Vergnügen des suave mari magno etc. zu erregen oder ihm


lenes inducere somnos;


als es ist: die unsichtbaren Eigenschaften derselben zu entdecken, ihre Kraft unter allerley Umständen zu berechnen, ihren mannigfaltigen Nutzen zu erforschen, und dadurch künftigen Genien neue Wege zu gemeinnützigen Erfindungen zu bahnen. Ohne Gleichniß: Nach 999 Schlachtenbeschreibungen noch die tausendste verfertigen, das Flittergold und[7] die Ergötzlichkeiten eines prächtigen oder üppigen Hofes beschreiben, und Jemanden eine allenfalls wahre oder auch erlogene Anekdote nacherzählen, ist leichter, als: die Glückseligkeit ganzer Nationen gegen einander wägen, das Mehr und Minder auf beyden Seiten scharfsichtig bemerken, den oftmals verborgenen Ursachen davon in den mancherley Gesetzen und Einrichtungen, Sitten und Gewohnheiten, Nationalcharakter und Religion, Zeitumständen und Glücksfällen nachspüren, und dadurch künftigen Oberhäuptern der Völker neue Aussichten öffnen in die noch unbekannten Gegenden der Regierungskunst, und ihnen die richtigen Wege bezeichnen zu den lautern Quellen dauerhafter Glückseeligkeit für ihre Nation, und eines unvergänglichen Nachruhms für sich selber.

Ich mache mir, sagen Sie, eine allzulebhafte Vorstellung von dem Einflusse der Bücher in den Weltlauf. Es sey drum; wir wollen darüber itzt nicht streiten. Genug, wenn Sie mir einräumen (worum es mir dießmal vornehmlich zu thun ist;), daß ein Scribent seinen Beytrag zu der allgemeinen Denkart wirklich für so wichtig halten müsse; wofern er nicht geringere Foderungen an sich selbst thun, und folglich auch weniger leisten will, als sonst geschehen seyn würde. Indeß hat Voltäre, der doch die große Welt ziemlich genau kennen muß, oft und deutlich genug an den Tag gelegt, daß er ungefähr eben derselben Meynung sey; und es läßt sich aus guten Ursachen vermuthen, er würde nicht anders denken, wenn sein Schicksal ihn auch zum Schulcollegen, und nicht zum Kammerherrn, gemacht hätte.

Freylich fällt die Sache selber erst alsdann recht deutlich in die Sinne, wenn einmal ein Luther in dem Geiste ganzer Nationen einige Hauptveränderungen hervorbringet. Deswegen aber bleibt es immer wahr, daß auch der größte Strom nichts anders sey, als eine Sammlung kleinerer Gewässer, obgleich der Anwachs seiner Flut den Augen nur da sichtbar wird, wo sich ein Fluß von ausserordentlicher Grösse in dessen Ufer ergiesset.

So viel aber darf ich wol als ausgemacht annehmen,[8] daß schön geschriebene Bücher von der oberwähnten Gattung, unter andern auch sehr geschickt seyn würden, die Gedanken junger Prinzen auf edlere Zwecke zu richten, und schönere Entschliessungen in ihnen zu erzeugen, als der ihnen so oft unbedachtsamer Weise in die Hände gegebene Curtius, nebst andern seines Gleichen. Ja, ich getraue mich sogar, zu behaupten, daß dadurch eine von den Ursachen wegfallen würde, der wir eine vierte in meinem Autor nicht angezeigte Klasse von Erobe rern zu danken haben; nämlich diejenigen, so auf das Kriegführen verfallen aus purer Verlegenheit um eine interessante Beschäftigung. So wie Kinder, weil sie nichts Nützliches vorzunehmen wissen, und doch gern Zeitvertreib haben wollen, vor langer Weile lieber etwas in Stücken schmeissen, als immer fort still sitzen.

In diesem Falle befand sich, ohn es Selber zu wissen, der wackere König von Epirus; und die Geschichte würde vermuthlich noch von manchem andern seines Gleichen ein eben so ehrliches Geständniß aufzuweisen haben, wenn allemal ein Cyneas es ihnen abzulocken gewußt hätte.

Doch ich komme zu weit von meinem Autor ab.

»Ob ich gar nichts bey ihm vermisse? Ob nicht wenigstens« – –

Sie wissen, wie sauer es mir wird, wo so viel Gutes und Schönes anzutreffen ist, dergleichen Fragen an mich zu thun, oder zu beantworten. Damit ich indeß aller Veranlassung zu einigem Zweifel an meiner Unpartheylichkeit, so viel an mir ist, vorbauen möge; so sehen Sie hier meinen, wiewol erzwungenen, guten Willen, auch einige kleine Fehler bey ihm zu finden.

Er definirt S. 15 das Verdienst:


»Handlungen, oder überhaupt Thätigkeit, die andern zum Nutzen aus eigner Entschliessung und reinen Absichten, oder, was einerley ist, aus Wohlwollen zu einem erheblichen Zwecke durch Seelenkräfte, ausgeübt worden.«


Diese Definition leidet, meines Erachtens, Verbesserung.

Der Begrif: aus eigner Entschliessung, liegt[9] noch einmal (und ist also hier überley;) in dem Ausdrucke: aus reinen Absichten; oder richtiger gesagt: er soll darinnen liegen. Denn das Wort Absicht ist nicht das rechte: Und diesem Fehler wollte der V., weil er ihn vermuthlich fühlte, durch obigen Zusatz vielleicht abhelfen. Absicht im eigentlichen Verstande (den es in einer Definition von rechtswegen haben soll, und hier, wegen der nachher ausdrücklich genannten Zwecke, haben muß) ist wol: Die Richtung der Seele auf einen Zweck, und kann in solcher Bedeutung weder rein noch unrein heissen.

Bewegungsgründe mögte vielleicht ein Anderer gesagt haben. Der V. aber mag diesem schlecht erfundenen Worte vermuthlich ebensowenig gut seyn, als ich ihm bin. (Bey einem Grunde pflegt man sich eine Ursache der Unbeweglichkeit, nicht aber der Bewegung, vorzustellen.) Motiven wäre unstreitig das rechte, und ich würde es ohne Bedenken gebraucht haben; ob man sich es gleich in mancher andern Schreibart, so verlegen man auch darum seyn mag, nicht erlauben darf.

Auch der Zusatz: zu einem erheblichen Zwecke, sollte billig weggeblieben seyn. Schon vorher heißt es: Andern zum Nutzen; und das ist allemal ein erheblicher Zweck. Denn obgleich diese Erheblichkeit sehr verschieden ist in ihrem Maasse; so darf doch hier auch nicht der allergeringste Grad derselben ausgeschlossen werden; wenn nicht der V. den Sprachgebrauch gegen sich haben, und sich selber widersprechen will, da er gleich nachher hinzusetzt: Jedem Menschen kömmt daher einiges Verdienst zu etc. Die Richtigkeit meiner Anmerkung erhellet selbst aus dem Exempel, womit er diesen Theil seiner Definition erläutert. Denn das Spitzseyn der Kappe des Fossombrone war etwas schlechterdings Unnützes.

Es bleibt also noch übrig:


»Handlungen oder ThätigkeitAndern zum Nutzen – – aus reinen Motiven – – durch Seelenkräfte ausgeübt


Diese aber sind nichts anders, als Tugenden; nur[10] daß hier blos ihre Beziehung auf die Nebenmenschen in Betrachtung kömmt. Man würde solchergestalt das Verdienst eines Men schen definiren können:

Seine Tugend in Beziehung auf andere Menschen.

Allein, an die Stelle des Wortes Tugend mögt ich gern ein anderes haben, nachdem jenes so vieldeutig geworden, daß es bald einzelne Handlungen, bald diejenige Beschaffenheit derselben, um welcher willen sie tugendhaft heissen, bald eine Neigung zu denselben, und bald gar eine Fertigkeit darinnen, andeuten muß. So wie mir auch das Wort Handlung unbequem scheinet, unter andern deswegen, weil es eigentlich nur diejenigen Wirkungen unserer Thätigkeit bezeichnet, welche als positiv in die Augen fallen.

Endlich soll, dem V. zufolge, das Wort Verdienst auch den Begrif der Thätigkeit enthalten. Denn er sagt gleich zu Anfange seiner Definition, Verdienst sey Thätigkeit oder Handlungen. Gleichwol deutet es nach dem Sprachgebrauche nichts anders an, als eine gewisse Beschaffenheit unserer Handlungen, nämlich diejenige, wodurch sie nützlich sind.

Verdienst wäre also nach einen genauen Definition:

Der Wehrt unserer Tugend in Absicht auf andere Menschen.

Da nun bey jedweder Tugend Kräfte, Moti ven und Zwecke zum Grunde liegen; so steigt und sinket auch ihr Wehrt nach dem Maaße der dazu erfoderlichen Kräfte, nach der mehrern oder mindern Lauterkeit der Motiven, und nach der Erheblichkeit des Zweckes. Das Maas der Kräfte findet sich theils in der Größe ihres Umfanges, theils in der mehr oder minder langwierigen Spannung derselben etc. Und diesen geraden Weg gehet der Verfasser wirklich, ungeachtet seine Definition ihn zu einigen kleinen Umschweifen hätte verleiten können.

S. 319 sagt er in einer Note:


»Ich mögte wol wissen, ob aus der blossen Vernunft[11] ein Beweis gegen die Anrufung der Heiligen könnte geführet werden?«


Ich sollte denken, wir hätten Beweises genug daran, daß ihre Gegenwart bey uns nicht erwiesen werden kann.

Auf der 158sten S. stieß ich, wenn Sie erlauben, ziemlich hart an den Nervenast an, der, in der dritten Zeile, über den Weg des Lesers herunter hängt. Lieber, was thut der Begrif eines Astes zur Sache? Warum nicht schlechthin: Der kleinste Nerve? wenn ja ein Nerve da seyn muß. Ein fühlender Ast im Deutschen ist ohnedieß ein pures Unding; obschon vielleicht nicht in der Sprache der Völker, welche die αἰσχυνομένην täglich vor Augen haben. Vornehmlich aber hätte die anatomische Nebenidee mir beynah alle Wirkung des ganzen, in süssen, wonnevollen Gemähldes zernichtet; so kalt lief mir's durch alle Glieder, als ich an diese neurologische Zeichnung kam.

Auch das dogmatisch geruhige nämlich, in der ersten Zeile, würde ich gern vermisset haben. Ueberhaupt mögte wol, bey einer neuen Ausgabe des Buches, die sonst vortrefliche Schreibart des Verfassers durch kleine Verbesserungen hier und da noch etwas gewinnen können. Mir wenigstens scheinet er für seine Materie sowol, als für seinen ernsthaften deutschen Charakter, manchmal ein bischen zu rednerisch, und manchmal auch ein bischen zu poetisch.

Endlich wünsch ich auch, daß irgend ein Recensent den Verf. auf einige kleine Sprachunrichtigkeiten aufmerksam machen möge; zumal da er übrigens unserer Sprache so sehr Meister ist, als nur wenige andere Prosascribenten. Die leichte Mühe, solche Kleinigkeiten wegzuwischen, ist er dem vortrefflichen Denkmaale, welches er sich gestiftet hat, um so vielmehr schuldig, da es hoffentlich eines von den Werken ist, die nicht eher, als mit unserer Sprache zugleich, untergehen werden.

So heißt es S. 18: Bewerbung verrichten; S. 58: ein klares Gefühl; S. 59: eines von dem andern erkennen; (wofern das nicht etwa ein Druckfehler ist.)[12]

S. 145: in eine Farbe setzen, und zwar in die Farbe einer Verfassung; S. 158 bezieht sich auf ihr. S. 169 wäre gleichen wol besser, als gleichenden etc.

Ich gesteh Ihnen, daß mir's bey dergleichen Stellen fast eben so in den Kopf fährt, als wie wenn man beym Essen von ungefähr mit den Zähnen auf ein Sandkorn knirscht. Aus dieser Ursache habe ich nur noch neulich mit einem kleinen Buche, dessen Schönheit ich bey nachmaligem Durchlesen recht ungestört empfinden wollte, die sonderbare Vorsicht gebraucht, alle solche kleine Undeutschheiten (wiewol sie feinerer Art sind, als die eben angezeigten;) sorgfältig daraus wegzustreichen. Gleich in der zweyten Zelle z.E. stand das Wort Menschlichkeit anstatt Menschheit und so ferner.

Lachen Sie immerhin, wenn's Ihnen beliebt! Und damit Sie alles wissen, das Buch, von dem ich mir in solcher Geschwindigkeit eine neue Edition machte, waren des Ritter Mengs Gedanken über die Schönheit und über den Geschmack in der Mahlerey; welche mich (beyläufig gesagt,) in ein angenehmes Erstaunen setzten, weil es mir ganz unerwartet war, zu finden, daß der erste Mahler seiner Zeiten vielleicht eben so gut der erste Scribent seiner Nation hätte seyn können. Des höhern Vergnügens itzt unerwähnt, das ich empfand bey einigen Sonnenstralen eines erhabenen Herzens, welche hier und da daraus hervorleuchten.

Quelle:
Heinrich Wilhelm Gerstenberg: Briefe über die Merkwürdigkeiten der Litteratur, Stuttgart 1890, S. 4-13.
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