Daphne

[113] Daphne war schön und arm; fromm erzogen, von einer Mutter die ihr zu frühe starb. Jetzt war sie die Dienstmagd des Mycon: Er baute das Landgut eines reichen Bürgers aus Mitylene, und Daphne weidete seine Heerde. Einst gieng sie mit Thränen in ihren Augen zum stillen Grabe der Mutter, goß eine Schale voll Wasser aus, und hieng Kränze an die Ranken der Stauden, die sie drüber her gepflanzt hatte. Da setzte sie neben dem Grabe sich hin, weinte und sprach: O theures Anden[k]en deiner Tugend, deiner Frömmigkeit, o geliebteste Mutter! Du, du hast meine Unschuld gerettet. Sollt' ich je deine Ermahnungen vergessen, die du mit ruhigem Lächeln mir gabst, und da an meinen Busen hinsankest und starbst; sollt ich je vergessen, wie tugendhaft du warest, dann, o dann mögen die gütigen Götter mich vergessen; dann mög' ich im Elend sterben, und dein heiliger Schatte möge mich fliehn! Du Geliebte, du hast meine Unschuld gerettet. Alles, ach alles, will ich deinem Schatten erzählen: Hab ich doch, ich Verlassene, hab ich doch sonst niemand, dem ich mit frommem Vertrauen mein Herz öffnen dürfte. Nicias, der Herr des Mycon, dessen Heerde ich weide, kam auf sein Gut, des Herbstes Freuden zu sehn. Er sah mich, that freundlich mit mir; er lobte meine Heerde, daß ich so gut sie pflege; sagte ich wär' ein süsses Mädgen, und gab mir Geschenke. Götter! Ich einfältiges Mädgen, was wissen wir doch auf dem Lande! Gütig, dacht ich, ist unser Herr; ihn mögen die Götter darfür segnen; zu ihnen will ich für ihn beten, das ist alles, was ich kann. Glücklich sind die Reichen und von den Göttern geliebt;[113] doch sie verdienens ja wol, sind sie gütig wie er. So dacht ich, und ich litt es, wenn er meine Hand in die seine schloß, und erröthete und durfte nicht aufblicken, da er einen Ring von Gold an meinen Finger steckte! Sieh, auf diesem Steingen dies Kind mit Flügeln, das soll dich glücklich machen; so sprach er, und streichelte meine erröthenden Wangen. Ist er doch wie ein Vater gütig mit dir! Wie verdienst du so viel Gnade von einem so reichen und mächtigen Herrn: So dacht ich einfältiges Kind, aber ach, wie war ich betrogen! Heute früh fand er im Garten mich; da faßt er mich freundlich unter dem Kinne: Bringe, sprach er, mir frische Blumen, ich möchte an ihrem Geruch mich erquiken, dort in die Laube von Myrthen. Geschäftig und freudig sucht' ich die schönsten aus, und lief mit froher Eile nach der Laube. Leicht bist du wie ein Zephir, und schöner als die Göttin der Blumen; so sagt er, und – – Götter, Götter! Noch beb ich durch alle Gebeine, er riß mich auf seinen Schooß hin, drückt' an seinen Busen mich, und alle Verheissungen die verführen, und alles was Liebe reitzendes sagen kann, das floß von seinen Lippen. Ich weinte, ich bebte und wäre der Verführung zu schwach, ach! jetzt unglücklich, jetzt nicht mehr dein unschuldiges Kind. Hätte, so dacht ich, deine fromme Mutter dich je unkeusche Umarmungen niederträchtig dulden gesehn! Ich dachts, und bebte zurück und entfloh. Jetzt komm ich, Geliebte! Ich komm auf deinem Grabe zu weinen. Ach, daß ich, junges armes Kind, so früh dich verlor. Eine zu zarte Pflanze bin ich, die den Stab verlor, an den sie sich schmiegte. Diese Schale voll Wasser gieß ich deinem frommen Schatten aus; nimm diese Kränze, nimm meine Thränen! Möchten, o möchten sie bis zu deinen Gebeinen dringen! Und höre, höre geliebte Mutter! Ach, deiner Asche, die hier unter den bethränten Blümgen ruhet, deinem heiligen Schatten wiederhole ich dies Gelübde. Tugend und Unschuld, und die Furcht der Götter sollen das Glück meines Lebens seyn. Sey ich nur arm und froh, und zufrieden, und thue nichts das du nicht mit freundlichem Lächeln gebilliget hättest;[114] dann werd' ich, wie du es warst, von Göttern und den Menschen geliebt, weil ich fromm, redlich und dienstfertig bin; und dann sterb ich einst lächelnd und mit Freudenthränen, wie du starbest.

Und jetzt gieng sie. Frohe Empfindung der Tugend strömte ganz durch sie hin, und glänzte in ihren thränenbenezten Augen. Schön war sie wie ein Frühlingstag, wenn ein sanfter Regen fällt, und doch die Sonne scheint. Froh wollte sie zu ihren Geschäften; aber Nicias kam auf dem Weg ihr entgegen. Mädgen, so sprach er, und Thränen flossen seine Wangen herunter; ich hab auf dem Grabe deiner Mutter dich behorcht: Fürchte dich nicht tugendhaftes Mädgen! Dank sey den Göttern, Dank deiner Tugend, du hast mich von dem Verbrechen gerettet, deine Unschuld verführt zu haben! Verzeihe, keusches Mädgen, verzeihe, und fürchte von mir kein neues Verbrechen: Auch meine Tugend siegt. Sey fromm, sey tugendhaft; aber sey auch glücklich. Jene baumreiche Wiese, bey deiner Mutter Grab, und die Hälfte der Heerde, die du gehütet hast, sey dein. Möge ein würdiger Gatte, tugendhaft wie du, das Glück deines Lebens seyn! Weine nicht, frommes Mädgen! Nimm das Geschenke, das mein redliches Herz dir giebt, und laß mich ferner für dein Glück sorgen; sonst wirds, daß ich deine Tugend beleidigte, mein ganzes Leben mich quälen. Vergiß, vergiß mein Verbrechen! Du hast, wie eine gütige Gottheit, mich vom Verderben gerettet.

Quelle:
Salomon Gessner: Idyllen. Stuttgart 1973, S. 113-115.
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