Daphne und Chloe

[118] Daphne.


Schwül ists noch, neigt sich gleich die Sonne schon; noch schmachten alle Gewächse: Laß uns hier ans Ufer heruntergehn, wo kleine Wellen das Bord schlagen. Kühl ists da im überhangenden Gesträuche.


Chloe.


Geh Mädgen, ich folge dir; geh weiter voraus, sonst schlagen die Ranken mir ins Gesicht.


Daphne.


Wie klar dies Wasser hier ist! Jedes Steingen[118] siehst du am Grunde; wie sanft, wie sanft es fließt! Ha, bey den Nymphen! Ich werfe mein Gewand hier ans Ufer, und laufe bis an den Busen in diese angenehme Kühlung.


Chloe.


Wenn jemand kömmt, wenn jemand uns sieht!


Daphne.


Kein Fußsteig führt hier zum Ufer, ganz umschließt uns dichtes Gesträuch; und der Apfelbaum, der vom Ufer über das Wasser hängt, deckt uns mit seinem grünen Gewölbe; in einer grünen Höle sind wir hier eingeschlossen, jedem Auge verborgen. Sieh, nur hier und da öffnet die Belaubung sich einem kleinen Sonnenstral, und schließt sich plötzlich wieder.


Chloe.


Seys denn, Daphne! Was du wagest, das wag ich auch.

Jetzt legten die Mädgen ihr Gewand ans Ufer, und mit sanftem Schauern traten sie in die kalte Flut; hüpfende Wellen umschlangen ihre runden Kniee, und jetzt ihre weissen Hüften; denn sie setzten auf Steine sich, die unter den Wellen am Ufer lagen.


Daphne.


Munter und neubelebt bin ich. Was fangen wir an, wollen wir ein Liedgen singen?


Chloe.


Einfältiges Kind! Singen, daß man uns vom Ufer hört.


Daphne.


So wollen wir flüstern. Weissest du was? Erzähle mir ein Geschichtgen.


Chloe.


Ein Geschichtgen?


Daphne.


Ja, ein geheimes artiges Geschichtgen; du erzählest mir zuerst, und dann erzähl ich dir.


Chloe.


Ich weiß wol eins, artig genug, aber – – –


Daphne.


Verschwiegen bin ich, wie diese Gebüsche.


Chloe.


Seys denn. Jüngst trieb ich meine Heerde den Hügel hinunter in die Trift, deren Ufer das Meer spült. Ein grosser Kirschbaum steht, du weissest es, mitten auf dem Hügel. Als ich – – – Doch, bin ich nicht närrisch? Mein Geheimstes erzähl ich dir[.]


Daphne.


Aus dem Geheimsten meines Busens erzähl ich dir dann wieder.


[119] Chloe.


Nun: Als ich den Pfad einsam hinuntergieng, mit einmal hört ich eine liebliche Stimme, die ein süsses Lied sang. Schüchtern stand ich stille, sah rings um mich her, und niemand, niemand konnt ich sehn. Ich gieng, und immer kam ich der Stimme näher. Ich gieng, und jetzt war sie hinter mir; denn ich war den Kirschbaum vorbey, in dessen Wipfel die süsse Stimme sang: Aber was sie sang, das darf ich nicht sagen, weiss ich gleich jede Silbe noch.


Daphne.


Du must es mir sagen: Hier in diesen verschwiegenen Schatten haben wir keine Geheimnisse; besonders sind Mädgen im Bade vertraut.


Chloe.


Seys denn. Unverschämt muß ich mein eigen Lob wiederholen – – –Doch, junge Hirten schweifen immer in unserm Lob aus – –Da ich den Hügel hereingieng – – (Ich spüre es, Röthe steigt mir auf die Wangen): Wer ist sie, die in so schlanker Länge den Hügel hereingeht; so hub das Lied an; sagt mirs, [ihr] sanften Winde, die ihr mit ihren Haaren und mit dem flatternden Gewande spielt. Wer ist sie? Ists etwa der Huldgöttinnen eine? Ist es, so muß sie wol die jüngste und die schönste seyn. Wolriechender Quendel und die gelben Sträußgen des Schottenklee schmiegen sich unter ihrem sanften Fußtritte. Wie die Wegwarte und die Feuerblume, und die blauen Glockenblumen am Borde des Weges sich neigen, und ihre kleinen Füsse küssen! Die deine Füsse küßten, die deine Fersen traten, die will ich sammeln; zween Kränze will ich flechten, den einen für mein Haar, den andern will ich dem Amor weihn. Wie sie mit schwarzen Augen umhersieht! O sey nicht schüchtern; ich bin kein Raubvogel, noch einer der Unglück bedeutet: Aber, o mögt ich, um mit süssen Tönen dich zu halten, möcht ich lieblich singen wie die Grasmücke, oder wie die Nachtigallen in der hellen Frühlingsnacht; denn so entzückt die Nachtigall der Frühling nicht, wie deine Schönheit mich. Eile nicht so schüchtern vorüber! Ihr Dornen bieget euch rückwärts, verwundet ihre kleinen Füsse nicht! Bey ihrem Gewand mögt ihr sie wol halten, daß das süsse Mädgen ein wenig[120] verzögre. Aber sie eilt; die kleinen Westwinde, für mich gefällig; sie stemmen sich gegen ihr, aber ihr Gewand nur flattert rückwärts; dich selbst, schüchternes Mädgen, dich selbst, vermögen sie nicht zu halten. Die schönsten Früchte, die dieser Baum mir giebt, die will ich in einem Körbgen beym Mondschein an dein Fenster hängen. Nimmst du sie gütig an, dann bin ich, ach dann bin ich der glücklichste der ganzen Trift. Du eilest! Ach jetzt werden jene Bäume dich meinem Auge verbergen! Noch seh ich die letzte Falte deines Gewandes; aber jetzt, ach jetzt verschwindet sogar das Ende deines Schattens!

So sang er: Mit niedergeschlagenem Auge gieng ich vorüber; doch blickt' ich verstohlen nach des Baumes Wipfel, aber niemand könnt ich in den dichtbelaubten Ästen sehn. Ob ich schlief, sobald es Nacht war? Das dächt ich doch, nicht so? Genug, ich sah, der Mond leuchtet' ihm, ich sah, ein junger Hirt band ein Körbgen an meinem Gitter fest; der Mond schien hell, und warf seinen Schatten neben mir auf mein Beth hin, daß ich erröthete: Und bald, da er weggeschlichen war – – – ich mußte doch wissen, ob's bloß ein Traum war – – – gieng ich ans Fenster, und band das Körbgen los; voll der schönsten Kirschen war's, süsser als ich sie jemals aß; Rosenknospen und Mirthen hatt' er drunter gemischet. Aber wer der Hirt war, vorwitziges Mädchen, das sag ich dir doch jetzt noch nicht.


Daphne.


Verlang ichs doch nicht von dir zu wissen; geheimnißreich bist du. Daß er mein Bruder war, magst du mir ja verschweigen; war doch das Körbgen mein Geschenke, das er ans Gitter hieng. Roth wie die Rosenknospen waren, [wirst] du von da wo die Wellen am Busen spielen, bis in die Locken deiner Stirn, und blickest seitwärts ins Wasser. Umarme mich, und sey, sey meinem Bruder gut und mir.


Chloe.


Würd ich mein geheimstes Geschichtgen dir erzählen, liebt ich dich nicht wie mich?


Daphne.


Daß deine Schwatzhaftigkeit dich nicht unruhig mache, so mach ichs eben so, und erzähle dir, was tief in[121] meinem Busen liegt. Den letzten Neumond opferte mein Vater dem Pan; zum Fest lud er den Menalkas, seinen Freund; und Daphnis, sein Sohn, begleitete ihn. Der blies beym Opfer auf zwo Flöten; und keiner, du weissest es, bläst sie so gut. Goldhelle Locken flossen auf sein schneeweisses Gewand; festlich geschmükt, war er schön wie der junge Apoll. Nach geendetem Opfer giengen wir, den Tag mit Freude zu enden – – – Doch horche – – – es rauscht im Gesträuch, es rauscht zum Ufer herunter.


Chloe.


Horche; immer näher – –näher. Ihr Nymphen, schützet uns! Schnell, das Gewand um unsre Schultern, laß uns fliehn.

Und die schüchternen Mädchen flohen, wie Tauben fliehn, wenn der Geyer aus der Luft sich stürzt. Und doch wars nur ein junges Reh, das durstend an ihr Ufer kam.

Quelle:
Salomon Gessner: Idyllen. Stuttgart 1973, S. 118-122.
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