Daphne. Micon

[91] Daphne.


Sage mir mein Geliebter, was soll dieser kleine Altar hier? Welcher Gottheit ist er wol heilig?


Micon.


Dem Amor, meine Geliebte, dem Amor ist er heilig. Ach wie süß ists mir, an dieser Quelle zu ruhen, wo wir, du weissest es, kleine Kinder waren wir noch, nicht höher als diese Aglaye, manche Stunde in süssen unschuldigen Spielen verkürzten. Ich selbst, ich habe dem Amor diesen Altar geweiht: Denn da, süsses Andenken! da keimte die Liebe schon in unsern Busen.


[91] Daphne.


Weissest du was? Ich will Myrthen und Rosen um diesen Altar pflanzen; dann soll sichs, schützet sie Pan, wie ein kleiner Tempel wölben; denn auch mir auch mir, mein Geliebter, ist jenes Andenken süß.


Micon.


Weissest du noch? Wir machten Schalen von Kürbis, legten Kirschen und Brombeeren drein, und liessen im Bach wie Schiffe sie schwimmen.


Daphne.


Weissest du noch? Kleine Schälgen von Haselnüssen, und Schälgen von Eicheln und der gehölte Samenkopf der Feuerblume waren unser Hausgeräth: Wir tranken Tröpfgen Milch daraus, oder wir assen Brosamen und kleine Rosinen draus. Du warst da spielweise mein Mann, und ich dein Weib.


Micon.


So ist es. Siehst du dieses Gesträuche? Noch wölbt sichs, aber nun ist es verwildert, das war unsre Wohnung; wir wölbtens so hoch wir reichen konnten. So klein wars, eine junge Ziege würde mit dem Hörngen das oberste des Gewölbes zerrissen haben. Von Ästgen und Weidenruthen flochten wir die Wände umher, und vorne schloß ein Gittergen unser Haus. Ach wie süß, wie süß war jede Stunde, die wir rauben konnten, um als Mann und Weib hier zu wohnen?


Daphne.


Ein Gärtgen pflanzt' ich vor dem Haus; weissest du noch? Von Schilf pflanzten wir einen Zaun umher[.] In einem Augenblick würds ein Schaf ganz abgemäht haben, so groß wars.


Micon.


Noch weis ichs; die kleinsten Blümgen der Wiese und der Flur pflanztest du drein.


Daphne.


Erfindsam warest du immer, mein Lieber! Aus der Quelle hast du einen Brunnen geleitet, inner unsern Zaun; durch holen Schilf führtest du das Wasser. In ein Beth fiels, das du von Holz holtest; ganz angefüllt wärs dem Durstigen ein guter Trunk gewesen. Doch sieh, da liegt es noch am Bache.


Micon.


Ungesegnet ist das Haus, wo keine Kinder sind. Ein zerstümmelt Bildgen des Amor hattest du gefunden. Du[92] pflegtest ihn, und zogest ihn, als eine treue Mutter. Eine Nußschale war sein Beth; da schlief er bey deinem Gesang auf Rosenblättern und Blümgen.


Daphne.


Ja, nun wird er uns die gute Pflege belohnen.


Micon.


Einst macht ich von Binsen ein kleines Kefigt; ein Heupferdgen that ich drein, und gab dir das Geschenke. Du nahmst es heraus, mit ihm zu spielen. Du hieltest es; aber gewaltsam wollt' es entfliehen, und ließ ein Beingen in deinen Fingern zurück. Vor Schmerzen zitternd saß es da auf einem Gräsgen. Sieh, o sieh das arme Thiergen! Sieh wie es zittert; es schmerzt dich; ach ich hab, ich habe dir weh gethan. So sagtest du, und weintest voll Mitleid. Ach wie entzückend war es mir, so gütig dich zu sehn.

Daphne.


Noch gütiger warst du wol, mein Geliebter, da als mein Bruder zwey junge Vögelgen aus dem Neste stahl! Gieb mir die Vögelgen, so sagtest du; aber er gab sie nicht. Diesen Stab will ich dir für die Vögelgen geben; sieh, mit Müh und Fleiß hab ich die braune Rinde geschnitten, daß Ästgen mit Laub um den sonst weissen Stab sich winden. Der Tausch war gemacht, die Vögelgen dein. In deine Hirtentasche thatest du sie, klommest schnell den Baum hinauf, und setztest sie in ihr Nest. Freudenthränen, mein Lieber, netzten da meine Wangen. Hätt' ich dich vorher nicht geliebt, so hätt' ich doch von da dich geliebt.


Micon.


So waren die Tage unsrer Kindheit honigsüsse, da zum Spiel ich dein Mann war, du mein Weib.


Daphne.


Auch mein graues Alter wird sie nicht vergessen.


Micon.


Wie glücklich, meine Geliebte, werden unsre Tage seyn, wenn den kommenden Mond, so hat es deine Mutter geordnet, Hymen zum Ernst machet, was bisher nur süsses Kinderspiel war.


Daphne.


Segnen die gütigen Götter uns, dann, mein Geliebter, war Mann und Weib nie glücklicher als wir.

Quelle:
Salomon Gessner: Idyllen. Stuttgart 1973, S. 91-93.
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