Empfang und Unterricht

[116] Seine Zopfigkeit, der ernste

Ober-Mufti, mich nach guter,

Alter Sitt' empfangend, küßte

Meines Schlafrocks Saum und nahm dann

Meine rebenblut'ge Spende

Mit der größten Huld entgegen,

Während ich, gleichwie zum Segen,

Mußte meine beiden Hände

Ihm auf Bauch und Gurgel legen.


Und nachdem nun diese Handlung,

Ganz so geistvoll wie erhaben,

Ich vollbracht und seine Diener[116]

Sich entfernt, ergriff der Mufti

Eine goldkrystall'ne Flasche,

Goß aus dieser in ein spitzes,

Goldkrystall'nes, frommes Kelchglas

Köstlich duftende und gold'ne

Feine Kräutertropfen, die er

»Wohlgefäll'gen Bittern« nannte,

Und von denen er betheuernd

Sagte, daß sie ganz so schmackhaft

Und belebend wie zuträglich

Der Gesundheit seien – goß er

Diese edeln Kräutertropfen

Langsam in den Mund und Schlund sich;

Schnalzete und sprach zu mir dann

Freundlich nickend: »Wohl bekomm's Euch!«


Ich erstaunte und sann drüber

Nach, woher es wohl mag kommen,

Daß auf diesem Stern die Menschen

Alle, selbst die hochgestellten,

Stets den Aberglauben hegen:

Das, was sie nur für sich selbst thun,

Anderen gethan zu haben?
[117]

»Ihr seid von mir hergerufen,«

Sprach der Mufti jetzt, nachdem er

Sich auf einen goldbetroddelt-

Sammetrothen Sopha wohlig

In der ganzen Körperlänge

Ausgerecket und gestrecket,

Und ein Gleiches auf dem gleichen

Gegenüberstehnden Sopha

Mich zu thun bedeutet hatte:

»Ihr seid von mir herberufen,

Um die Kenntniß zu empfangen

Unsrer Mytheologie.

Sie ist einfach, und für Geister

Eures Schlages, welche schnell sich

Angeochst- und aufgedrung'nem

Wust entschlagen, leicht erfaßbar.

Gänzlich müßt Ihr Euch, zum Beispiel

Von dem christlich-jüd'schen Denken

(Wenn man dieses captivirte,

Abgezogne, blinde Tappen

Und dies Vorschrifts-Drumherumgehn,

Dies sophist'sche Absichschweißen

In dem Nichtigen und Flachen[118]

Ueberhaupt kann Denken heißen!)

Oder Fühlen frei Euch machen.«


»Wie?« rief ich, erhitzt aufspringend

Von dem Lager, »wollt Ihr Alles,

Was im Geist und gegenständlich

Offenbart ist und als heil'ge

Ueberzeugung unvertilgbar

In Millionen und in mir lebt,

In dem Scheidewasser Eures

Irren, ewig wirren Grübelns

Und Vernünftelns, Eures heidnisch

Sogenannten abso ...«

»Nicht doch!«

Unterbrach der Mufti mich und

Gab Befehl mir, wieder langaus

Auf dem Sopha mich zu strecken.

»Ich will Euch durchaus nicht zwingen,

Unsern Glauben anzunehmen,

Den zu glauben hier Gesetz ist.

Ihr hört ruhig an mich, höret,

Was Ihr denken, fühlen, glauben

(Denn Gedank', Gefühl und Glaube[119]

Ist ja Eines!) sollt, und wenn dann

Noch nach eines Jahr's Verlauf Ihr

Christ seid – denn ich weiß, Ihr seid es,

Seid ein ächter Christ – so werdet

Nach dem Paragraphe Sechszehn

Unsres Toleranz-Ediktes

Ihr, wie's wörtlich heißt, ›aus Unserm

Horizont beseitigt,‹ nämlich,

Wenn Ihr nicht, was ich Euch lehrte

Anerkennt als letztes Wissen:

Aus dem Sterne, die Verkehrte

Welt, sofort hinausgeschmissen.


Hört nun weiter! Wir besitzen

Religion in Eurem Sinne

Gar nicht; wir besitzen Glauben,

Aber jenen äußerst starken,

Der mit Wissen synonym ist.

Was Ich, was der Ober-Mufti

Glaubt, ist Wissen und ist Glaube

Jedes Einzelnen der Icher,

Wie wir, Ego's Volk, uns nennen.

Was ich glaube, das ist Wahrheit,[120]

Denn in mir ist Ego selber,

Sind die Icher alle, gleichwie

Ich in ihnen. Und da Glauben

Eins mit Fühlen ist und Denken:

Fühl' und denke ich im Grunde

Ganz alleine, denn die Freiheit

Alles Wissens, Fühlens, Denkens

Ist beschränkt im Ober-Mufti.

Oder,« sprach er seufzend weiter,

»Sollte es doch sein, denn leider

Gibt's hier rationale Hetzer,

Die den Denkerplebs bethören;

Giebt's hier, wie Ihr gleich sollt hören

Auch in unserm Reiche Ketzer!


Ego ist, wie Euch bekannt schon,

Gott der Götter und der Zeiten.

Ihm der nächst' an Macht und Herrschaft

Ist Gott Te, der Gott der Prügel.

Nos heißt unser Teufel, Satan,

Und der Gott des Reichthums Natan.

Schtille ist der Gott der Ordnung,

Me, sein Weib, Göttin des Schlafes,[121]

Pruda die der Langenweile,

Tibi, Vater Te's, der Keile

Gott und der gemeinen Hiebe;

Roma endlich Gott der Liebe.


Früher hatten wir noch Andre,

Die jedoch ob ihres Starrsinns,

Den sie den prophet'schen Worten

Unsres Ober-Muftithumes

Gegenüber sich erfrechten,

Bis auf Weit'res suspendirt sind.

Welches Recht, die Götter – Ego

Ausgenommen nur und Tibi

Abzusetzen, der Funktionen

Sie zeitweilig zu entheben,

Wenn sie störrig, eigensinnig,

Jedem Ober-Mufti zusteht.«


»Darf ich mir an Eure Zopfheit

Eine Frage wohl erlauben?«


»Gerne!«


»Wie ist's möglich, daß Ihr

Für so nah verwandte Dinge,[122]

Wie die Prügel sind und Keile,

Zwei der Götter habt statt Eines?«


»Nah' verwandt? Quod non! Ihr irrt Euch,

Und seid nah' daran, den Ketzern

Beizutreten, welche eben

Unsern Te nicht haben wollen

Und als schlechte Egoisten

Nur den Tibi anerkennen;

Weßhalb wir sie Ateisten

Oder Tibianer nennen.«


»Euer Zopfigkeit verzeihen,«

Sprach ich, »doch es wird von Eurer

Mytheologie so dumm mir

Als ob (Göthe'n sehr verbessernd)

Drei mal drei zelot'sche Rabbi's

Und raviate Kirchenväter

Tappten in dem Kopf herum mir.«


»Es soll bald Euch Licht drinn werden,«

Lächelte der Mufti, seine

Ausgestreckte Sophalage[123]

Beibehaltend und sprach also:

»Zwischen Prügel, Freund, und Keile

Ist nach Unserem Begriff hier

Ein tieffrommer Unterschied noch.

Keile, und so fassen sie die

Ateisten-Ketzer auf auch,

Ist das rohe, allgemeine,

Demokratische, profane

Element, sind Püff' und Hiebe,

Welche unter Tibi's Obhut,

Gleichberechtigt, gegenseitig

Sich mit Stöcken, Peitschen, Händen

Mensch und Thier tagtäglich spenden.

Prügel aber ist das göttlich-

Te-aristokrat-spezifisch-

Heil'ge Element, mit Einem

Worte: ist die höhere Keile!

Tibi's Macht erstreckt sich einzig

Ueber die von Uns und Pampeln

Nicht gesetzlich sanctionirten

Kleinen Knecht- und Kinderstrafen;

Ueber Püffe, Ruthenhiebe,

Fußtritte und Katzenköpfe,[124]

Kantschu-, Faust- und Backenschläge,

Oder höchstens über Tabagieen-

Klubb's und Kneipen-Saufereien,

Und Casino's-, Harmonieen-

Oder Volksfest-Raufereien.

Te, Freund, Te ist viel erhab'ner!

Te ist Gott des Ehren-Zweikampfs,

Gott der Schlachten, Ego's Zorn-Gott!

Und so fassen die Teisten,

Unsres Tempels guten Schafe,

Auch die Prügel auf und nehmen

Sie als süße Himmelsstrafe.«


»Also«, fragt' ich, »die Tibianer

Oder Ateisten wollen

Prinzipiell nicht Prügel haben?«


»Nein!« erwiederte der Mufti.

»Diese unfromm-demokrat'schen

Wichte nennen Keile: Keile!

Sondern nicht von der gemeinen

Unsre höhere. Sie schelten

Krieg und Zweikampf: Luxus-Keile,[125]

Oder Keile nur im Großen;

Leugnen Te und opponiren

Gegen unsere dictirte

Balsam-Prügel, die verlor'ner

Ehr' und Tugend Wunden heilet,

Nur Diejen'ge anerkennend,

Die der Mensch kraft angebor'ner

Freiheit selber sich ertheilet.«


»Eine Frage noch erlaubt mir,«

Sprach ich nach erlangter Prügel-

Kenntniß, »Eine noch, betreffend

Euern Gott der Liebe, Roma.

Mir fällt's nämlich auf, daß er dem

Namen nach ist der verkehrte

Liebesgott der Alten: Amor.

Und so möcht' ich gerne wissen,

Ob er anders auch geartet

Als der unmoralisch-lose,

Kleine, flatterhafte Pfeilschütz?

Als der Bringer süßen Schmerzes;

Als der himmlisch-holde Schalk

Jener großen, ernsten Liebe[126]

Die das All schuf und gestaltet,

Der, so klein, als größter Heros

Ueber alle Wesen schaltet?

Als Cupido, Amor, Eros?«


»Roma«, sprach der Ober-Mufti,

»Sohn des Ego und der Pruda,

Hat in unserm Reich mit Alten

Wenig oder Nichts zu schaffen.

Er ist Knabe noch an Jahren

Aber ernster, würd'ger Haltung,

Sittig, anstandsvoll gekleidet;

Eine Peitsche in der Rechten,

Strebt er, Maid- und Jünglingsseele

Stets zur Liebe anzufeuern,

Auf daß nimmer es an Knechten

Unserm theuern Staate fehle

Oder, deutlicher, an Steuern.«


»Also Knabe ist er auch?«

»Ja,

Freilich! Knabe ist und bleibt er,

Muß der Gott der Liebe bleiben![127]

Denn wenn größer er und älter

Würde, könnte er vielleicht ja

Sclave werden, wo er herrschte;

Könnte er ein Mädchen finden,

Dem er weihete sein Leben;

Könnt' sich ehelich verbinden

Und dann sein Geschäft aufgeben!«


»Das heißt: wenn er Eh'mann wäre,

Wär' die Liebe nicht sein Reich mehr?

Ihr habt hier höchst wunderbare«

(Wagte ich hinzuzufügen)

»Ansichten von Eh' und Liebe!

Und noch wunderbarer sind,

Wie ich leider selbst vor Kurzem

Schon erfahren mußte, diese

Ansichten manifestiret.

Denn sich trauen lassen, heißt hier:

Seiner Seele schön're Hälfte

Ach! auf immerdar verlieren;

Heißt: die Herzerkor'ne, statt in

Süßer Eh' mit ihr zu leben

Als – ich will's so nennen – Gattin[128]

Euern Dienern übergeben!«

Währenddem ich diese Worte

Schmerzbewegt, entrüstet sprach,

Hielt der Mufti einen scharfen,

Prüfenden Blick auf mich gerichtet,

Ließ denselben aber fallen,

Als ich ihm mein Haupt zuwandte,

Und gab dann mir diese Antwort:


»Heißt denn, Freund, sich trauen lassen,

Nicht bei Euch und überall auch:

Die Geliebte seines Herzens

Opfern auf der Frau Gemahlin?

Wahre Liebe ist schon Segen,

Himmlischer als irgend einer!

Wahre, gegenseitige Liebe

Ist schon heiligste Verbindung!

Lieb', die Würde, Halt und Glanz sucht

Mehr als sie in sich empfindet,

Retten wir durch schnelle Trennung,

Deren Wunde bald vernarbt ist,

Vor dem grausen Schmerz und Elend

Zwangvereinigten Entzweitseins.
[129]

Aechte, wahre Liebe hütet

Ihre süße Freiheit besser

Als die flücht'ge, die den Titel

Sucht und findet, der ihr Schutz giebt. –

Hier, Freund, schließt die Liebes-Ehen

Wirklich und allein der Himmel,

Wirklich und allein Gott Roma.

Hier bleibt jeder Liebste Liebster!

Hier bleibt der Verbindung Myrthe

Blühend, wie das Haar auch graut!

Hier bleibt von den Liebe-Frauen

Jede eine Himmelsbraut!

Hier, Freund, läßt man sich nicht trauen,

Weil man selber sich hier traut!«

Quelle:
Adolf Glassbrenner: Die Verkehrte Welt. Berlin 1862, S. 116-130.
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