Zurück

[79] Auf so wunderbare Weise nun verehlichet, ging ich

Vorschriftsmäßig angekleidet zu dem Sultan. Er emfing mich

Nicht mit jener Ehrerbietung, welche Dem geziemt und nett steht,

Der als erster Bürger-Diener obenan in dem Budget steht.


Nein, als er mich sah, begann er, statt sich fürstlich zu betragen,

Ein so allerhöchst abscheulich, toll Gelächter aufzuschlagen,

Daß sein Thron, ein goldner Rollstuhl, ohne daß es Pampel wollte,

Rundherum ihn, bald nach dieser, bald nach jener Ecke rollte.
[79]

»Deine Uhr,« so rief er lachend, »die bei mir versetzt, versetzt mich

In Entzücken. Hi, hi, hi, hi! Nie hat Etwas so ergötzt mich!

Diese Uhr – Ihr Kammerherren hört es! – ist ein Meisterstück!

Sie geht – ach, mein Bauch! Hi, hi, hi! Sie geht vorwärts statt zurück!«


»Vorwärts?« schrie'n die Kammerherren. »Vorwärts? Eine Uhr!« und lachten,

Daß des Zimmers Palmensäulen alle zitterten und krachten.

Und noch stärker ward dies Lachen, als die Edlen sich nun beugten

Ueber meine Uhr hin und von ihrem Gang sich überzeugten.


»Still!« gebot der Sultan endlich. Und nun mußt ich ihm erklären,

Daß wir auf der Erde Alle solche Vorwärts-Narren wären,[80]

Mußt' ihm schildern, wie wir theilen nach den Licht- und Wärme-Spendern,

Mond und Sonne, unsre Zeit ein; wie wir zählen und kalendern.


»Alles gut bis auf das Vorwärts!« lachte Pumpel-Pampel wieder.

»Steigt ihr denn vom Berg der Kindheit nicht in's Thal des Grabes nieder?

Kehrt Ihr nicht zurück zum Staube? Legt Ihr, gehend, nicht ein Stück

Weges, legt Ihr alle Tage denn nicht einen Tag zurück?


Ist's nicht toll wie Ihr zu leben so hinein in's Nebelgraue!

Ohne Zweck und Ziel und Ende so zu zählen in das Blaue!

Geht die alte Welt der Schöpfung nicht zurück zum jüngsten Tag?!

Tollheit, Tollheit, Euer Vorwärts, wie man's überdenken mag!
[81]

Wir sind dummer; wir gehn rückwärts. Immer Tausend Jahre schenket

Durch der Mufti Hand Gott Ego der Verkehrten Welt und lenket,

Unter Beistand seiner Götter, Mufti's, Sultan's und der Edeln,

Alle, die vor seinem Standbild jammern, winseln, schrei'n und wedeln.


Und am letzten Tag des Jahres I. senkt in der Zeiten Gruft die

Tausend abgelebten Jahre unser zopf'ger Obermufti,

Und wir stehn dann zitternd, bangend, daß vom Himmel niederfalle

Diese Sternwelt und dann plötzlich, wie's das Volk nennt: Allens alle!


Doch der zopf'ge Ober-Mufti und die würd'ge Mufti-Rotte

Fleht dann brünstiglich zu Ego, unserm Zeit- und Ober-Gotte,

Daß er uns noch einmal schenke Tausend Jahre seiner Ehre;

Daß er unsern Stern nicht schmeiße aus dem großen Sternenheere.
[82]

Unsern Stern, auf welchem einzig unter Mill-Trill-Quadrillionen

Seiner ächten Lehre Priester, seine ächten Mufti's wohnen;

Daß er dieses Sandkorn, das er aus der weiten Welten-Masse

Vielfach glorreich ausgezeichnet, nun auch ferner nicht verlasse.


Und zuletzt schrei'n alle Mufti's: ›Willst du Tausend Jahr uns schenken?‹

Und dann sieht man Ego's steinern Haupt sich langsam niedersenken,

Und dann hört man aus dem Munde, der sich öffnet, donnern: ›Ja!‹

Und die Mufti's sagen, daß dies Sieben Mal bis jetzt geschah'.


Und schon schmücket dies Jahrtausend mit dem höchsten Ehrenkranz sich,

Denn wir leben gegenwärtig in dem Jahre Sechs und Zwanzig,[83]

Und kannst Du noch so viel Jahre steuerpflichtig Dich erhalten,

Siehst Du selbst die furchtbar große Katastrophe sich gestalten.


Kurz, so wie die ganze Schöpfung und wir Ego-Kreaturen,

Stirbt auch die geschenkte Zeit ab – gehn auch rückwärts unsre Uhren;

Geht hier Alles in der Faulheit und des Gleichmuths Ruh' und Glück

Täglich einen Schritt zum Grabe, unserm Ziel und Trost, zurück.


Vorwärtsgehn, selbst wenn es möglich, wäre ja nur höchst verderblich;

Machte Sorge, Qual und Eifern und Revolutionssucht erblich;

Wandelte die ruh'gen Bürger um in lauter Weltenstürmer,

Bis ihr Vorwärts – hi, hi, hi, hi! – auffrißt das Geschlecht der Würmer!«
[84]

Und von Neuem brach ein hohes, wieherndes Gelächter los,

Und als ich nach meiner Uhr sah, fand ich selbst es schon curios,

Daß sie, die vom Onkel Hofrath einst in Deutschland ich empfing –

So verwirrt war ich geworden durch den Unsinn – vorwärts ging!


Ja, ich fand dies Vorwärtsgehen meiner Uhr so widersprechend,

Daß ich, in das ausgebrochne Lachen herzlich miteinbrechend,

Sie ergriff und Pumpeln-Pampeln – was man hierorts nicht nur darf

Sondern muß, will man ihn ehren – klirrend vor die Füße warf.


»Danke! Danke!« sprach der Sultan und verlangte dann mit Gier

Nach den Fünfundzwanzig Scudi's, die ich zahlte, und noch Vier[85]

Für die Audienz, die lange, die um Dreizehn Uhr begonnen

Und bis jetzt, bis Fünf Minuten vor halb Zwölf sich ausgesponnen.


Und nachdem auch diese Leistung Pampels honorirt war, riß mich

Ein Lakai, bunt wie ein Stieglitz, zu der Thüre hin und schmiß mich

Einem Andern in die Arme, und der weiter, und so weiter,

Bis ich aus dem Schloß hinausflog auf die Straße, ich, Ernst Heiter!

Quelle:
Adolf Glassbrenner: Die Verkehrte Welt. Berlin 1862, S. 79-86.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Verkehrte Welt
Die Verkehrte Welt: Eine Komisches Gedicht (German Edition)

Buchempfehlung

Christen, Ada

Gedichte. Lieder einer Verlorenen / Aus der Asche / Schatten / Aus der Tiefe

Gedichte. Lieder einer Verlorenen / Aus der Asche / Schatten / Aus der Tiefe

Diese Ausgabe gibt das lyrische Werk der Autorin wieder, die 1868 auf Vermittlung ihres guten Freundes Ferdinand v. Saar ihren ersten Gedichtband »Lieder einer Verlorenen« bei Hoffmann & Campe unterbringen konnte. Über den letzten der vier Bände, »Aus der Tiefe« schrieb Theodor Storm: »Es ist ein sehr ernstes, auch oft bittres Buch; aber es ist kein faselicher Weltschmerz, man fühlt, es steht ein Lebendiges dahinter.«

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon