Das hohe Lied vom Passe

[53] Hinaus in's Freie wollte nun ich wandeln,

Da sang die Gräfin: »Das,

Das geht nicht so! Da gibt's noch viel zu handeln!

Du hast ja keinen Paß!

Du hast ja keinen Paß!


Jedwedes Wesen, das hier promeniret

Im Feld und in der Stadt,

Es wird sofort gesetzlich arretiret,

Wenn keinen Paß es hat!

Wenn keinen Paß es hat!


Der Bürgersmann, so still des Weges ziehet

Mit Weib und Kind am Arm,

Braucht einen Paß, denn eh' er's sich versiehet,

Umarmt ihn ein Gensd'arm!

Umarmt ihn ein Gensd'arm!
[53]

Umarmet ihn und küßt ihn auf die Backe;

Bringt aber gleich nachher

Ihn in Prison, und haut ihm durch die Jacke,

Entbehrt des Passes er!

Entbehrt des Passes er!


Die Dienstmagd, welche geht nach Brod und Käse,

Wurst oder sonst so was,

Sie käm sofort in strenge Haft, vergäße

Sie einmal ihren Paß!

Sie einmal ihren Paß!


Und wenn der Schneider auf dem wilden Stiere

Zufällig unbepaßt

Zur Kundschaft reitet, wird mitsammt dem Thiere

Per fas er abgefaßt!

Per fas er abgefaßt!


Das fromme Weib, das seine Blumenspenden

Zum Göttertempel trägt,

Sieht, wenn sie paßlos, von Gensd'armenhänden

Sich mit Beschlag belegt!

Sich mit Beschlag belegt!
[54]

Der Philosoph, der größte Mann der Lettern,

Kommt, wär' er noch so dumm,

Und wäre er gespickt mit Lorbeerblättern,

Nicht um den Paß herum!

Nicht um den Paß herum!


Der Arzt muß nach dem hohen und hochdummen

Ministerial-Erlaß

Vom 3. Mai 217 brummen,

Besitzt er keinen Paß!

Besitzt er keinen Paß!


Den Volksvertreter selbst thut in den Bann man,

Ihn, der zur Kammerfrist

Doch unantastbar, ihn selbst tastet man an,

Wenn er passiv nicht ist!

Wenn er passiv nicht ist!


Und wer verreis't, zwei Meilen oder weiter,

Ist zwar des Passes quitt,

Kriegt aber zwei Gensd'armen als Begleiter

Auf seine Kosten mit!

Auf seine Kosten mit!
[55]

Ganz ungestört, noch von des Volkes Liebe

Bejubelt, zieh'n durch's Land

Einzig nur die Betrüger und die Diebe

Und was damit verwandt!

Und was damit verwandt!


Heil, Heil, dem Paß! Heil unseren Gensd'armen!

Heil den Gesetzen, Heil!

Heil unserm Herrn zum Schrecken und Erbarmen,

Heil Pumpeln-Pampeln, Heil!

Heil Pumpeln-Pampeln, Heil!«

Quelle:
Adolf Glassbrenner: Die Verkehrte Welt. Berlin 1862, S. 53-56.
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