Ein Sultanchen

[160] Ein fürchterlich Geheul durchtönt die Gasse.

Was schreit, worüber klagt des Volkes Masse?


Was ist's, um das das Weib so fest umklammert

Den Gatten und mit ihren Kindern jammert?


Wie kommt's, daß ich die ernsten Männer sehe

Verzweifelnd stehn, und daß sie rufen: Wehe!?


Was schrein so schmerzlich selbst die Millionäre

Als ob der Zins herabgegangen wäre?
[160]

Welch Schicksal, daß die Mufti's an den Säulen

Des Tempels stehn und mit den Junkern heulen?


»Die Antwort, Fremdling, brüllen vor den Thoren

Kanonen Dir: Ein Prinz ist heut geboren!


Es ist der Fünfunddreißigste des Schlosses,

Des Sultan Pumpel-Pampelschen Gesprosses!


Wir klagen nicht um uns; denn uns ist Segen

Jedweder Prinz! Wir klagen seinetwegen.


Es schmerzt uns, daß schon wieder, ach! ein Wesen

Zum Opfer für das Volkswohl auserlesen!


Ein Wesen, o! auf dem schon in der Wiegen

So schwere Lasten für das Volkswohl liegen!


Ein Wesen, dem das Loos, statt eins zu wählen,

Bestimmt ist, sich für's Volkswohl abzuquälen!
[161]

Das deutet unser Jammern, Heulen, Schreien,

Daß er sein Leben muß dem Volkswohl weihen!«


Ich nickte schmerzlich, ging hinab zur Gasse

Und schrie laut auf und heulte mit der Masse.

Quelle:
Adolf Glassbrenner: Die Verkehrte Welt. Berlin 1862, S. 160-162.
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