Muckerlied

[130] Tagtäglich zehn Mal beten,

Und Bibelsprüch' im Maul,

Sonst hab' ich Nichts vonnöthen,

Bin ganz erschrecklich faul.

Ich war ein armer Schlucker,

Hatt' kaum das liebe Brot,

Da wurde ich ein Mucker:

Nun hat es keine Noth!


Bei jeder neuen Sitzung,

Die unsre Bande hält,[131]

Da wird mir Unterstützung

Durch baares, blankes Geld.

Daß ich bin fromm geworden,

Hat mir doch sehr gefrommt!

Vielleicht daß noch ein Orden

Mir in das Knopfloch kommt.


Den Kopf gesenkt zur Erde

Geh' ich des Morgens aus;

Mit heuchelnder Geberde

Tret' ich in's Kaffeehaus,

Trink' Wasser dort mit Zucker

Und werbe Fromme an:

Kein Mensch ahnt, was ein Mucker

Zu Hause saufen kann!


Zu hohem Zins verleih' ich,

Was ich beim Muckern spar',[132]

Und meine Seele weih' ich

Herrn Jesu immerdar,

Und den Gewinn notir' ich

Im frommen Liederheft,

Auf diese Weise führ' ich

In Frieden mein Geschäft.


Des Abends im Theater

Sitz' ich mit gierem Sinn,

Und schmunzle wie ein Kater

Nach jeder Tänzerin;

Mit meinem Operngucker

Schau' ich nach Wad' und Brust;

Ach lieber Gott! ein Mucker

Hat auch so seine Lust!


Dann schleich' ich still zur Klause,

Da, wo mich Niemand sieht,

Und nach dem Abendschmause

Sing' ich ein frommes Lied,

Recht laut: von heil'ger Stätte,[133]

Von Jesu, Glanz und Thron!

Daweile macht mein Bette

Die kleine Köchin schon.


Ich preise die Regierung,

Ich finde Alles gut;

Ich fluche der Verführung

Durch jetz'ge Freiheitsbrut;

So leb' ich armer Schlucker

Ganz heiter, Gott sei Dank!

Und das Geschäft als Mucker

Treib' ich mein Lebenlang.

Quelle:
Adolf Glassbrenner: Verbotene Lieder, Bern 1844, S. 130-134.
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