5. Der Greis und der Tod

[125] Ein Greis von achtundachtzig Jahren,

Ein armer, abgelebter Greis,

Mit wenigen schneeweißen Haaren,

Kam aus dem Walde, trug auf seinem krummen Rücken,

Ein Bündel Reis.


Ach Gott! der arme Greis!

Er mußte wohl sehr oft sich bücken,

Eh' er's zusammen las;

Er hatte keinen Sohn, sonst hätte der's gethan!


Und weil vor Mattigkeit er nun nicht weiter kann,

So setzt er's ab; und als er nun da saß,

Bei seinem Bündel, und bedachte,

Wie viel Beschwerde, Müh und Not

Das Bündel Reis ihm machte,

Wie viel sein bißchen täglich Brot;

Da seufzt' er, Lebens satt, und weint, und ruft den Tod;


Befreie mich, spricht er, von aller meiner Not!

Und bringe mich zur Ruh!


Der Tod kommt an, geht auf den Rufer zu;

Was willst du? fragt er, du![125]

Daß du mich hergerufen hast?

Du trägst auch eine schwere Last!


Ach, lieber Tod, versetzt darauf

Der arme Greis, hilf sie mir auf!

Quelle:
Johann Wilhelm Ludwig Gleim: Ausgewählte Werke, Leipzig 1885, S. 125-126.
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