2. Auf H.M. Balthasar Hilschers von Hirschberg, Diakons zu S. Niklas in Leipzig, seliges Ableben

[655] 1630 Sept. 13.


Trawer', trawer', Gotteshaus,

Deines Ruhmes Ruhm ist aus.[655]

Er ist schon über hin. Da hilft kein Helfen nicht.

Der wol beredte Mund, die schön begabte Seele

Ist aus dem Kerker los, in dem sie sich entbricht

Der dicken Nebelluft vnd finstern Leibeshöle.

Er vnd sein erleuchter Sinn

Sind auf eine Stunde hin.

So geht es mit vns zu; wenn kaum ein Mundvoll Geist

Vns durch den Mund entfährt, so ist die Seel' entleibet.

Das, was so schöne war, ein Häuflein Asche heißt,

Die vns von Hand, von Bein, vnd allem vberbleibet.

Denke, denke wie wir stehn,

Weil wir eh als Schnee zergehn.

Wer hette doch gedacht vor etlich Gestern noch,

Daß der, des Leichen wir nun heute folgen müßen,

Solt eine Leiche sein, noch läuft die Rechnung hoch,

Die wir aus Vnbedacht sehr weit zu setzen wißen.

Aber irre dich ia nicht

Daß dirs nicht an Zeit gebricht.

Die Erndte deiner Zeit wird eh zur Garbe bracht,

Eh sie verschoßt, verkörnt, vnd völlig kan verreiffen.

Ja eh noch mancher selbst hett' an den Tod gedacht

Sieht man den Sensenman schon nach dem Halme greifen.

Eh der Meyschein kan vergehn,

Kan die Garb' in Mandeln stehn,

Wie das genung beglaubt die blaße Leiche hier.

Aus der vorgestern noch der Athem nicht gewichen,

Der heute kehret doch die Füße nach der Thür,

Mit bleichem Todtenblass' vmb Hand vnd Mund bestrichen.

Niemand hette das gedacht

Vnd das Ziel so kurz gemacht.

Wo kurz auch heißen kan, wenn man von schwerer Last

Vnd schwerer Hofsarbeit fein bald sich ab kan fröhnen,

Der kühlen Schatten hat zu seiner sanften Rast,

Wornach wir armen Leut vns billich sollten sehnen,

Weil man hier viel Müh vnd Noth

Hat vmbs liebe Trawerbrot.

Nun wol! er ist zu Rand' vnd sitzt in stiller Ruh,

Tritt alle Sterblichkeit getrost zu seinen Füßen,

Sieht hinter sich mit Lust dem rauhen Strome zu,

Durch den er nunmehr sich hat ritterlich gerißen.[656]

Wol! wer hier auch gleichfalls kan

Vngesträndet länden an.

Die Seinen läßt er zwar in tiefer Trawer Noth,

Mit naßen Augen stehn, weil sie an ihm erleben

Des großen Leids Geburt vnd aller Hoffnung Tod,

Daß ihnen Niemand auch fast Trostes satt kann geben.

Ihrer Zuflucht Aufenthalt

Liegt vor ihnen vnd ist kalt.

Wie neben ihnen auch viel trübe Seelen sein,

Die ihres Trostes Qual mit Threnen wol durchnetzen,

Weil sie in eine Gruft vnd vater einen Stein,

Zugleiche Trost, vnd Mann, vnd Vater sehen setzen.

Aber stellt das Trawren ein,

Ist er nicht, wo ihr wolt sein.

Sein euch vermachter Trost wird euch in aller noth

Ein reicher Vorrat sein, vnd Hülf' vnd Fülle geben.

Zu dem, so ist er ia noch lange nicht gar todt:

Sein Ehrenlob wird ihn noch ewig laßen leben.


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 655-657.
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