An Frau von H–s, in Magdeburg

[171] 1789.


Darf der noch vor dein Antlitz kommen,

Der deine Liederchen, Mimi,

So lang behielt, als hätt' er sie

Mit sich hinab ins Grab genommen?

Zum wenigsten, als hätt' er schon,

Zu seinem wohlverdienten Lohn',

In einem Zitadellgewölbe,

Wie Schubert, längst nach Luft geschnappt,

Und für die Freundin an der Elbe

Nicht Feder und Papier gehabt?

Ich lebe, war auch nicht gefangen,

Gesund, trotz einem Tagedieb'!

Noch mehr: Kein Tag ist mir vergangen,[172]

An dem ich nicht fünf Stunden schrieb.

Um desto minder, wirst du sagen,

Ist solch ein Aufschub zu verzeihn!

So scheint es freilich wohl; allein

Sey gütig, laß mein Leid dir klagen.

Die Lust und Fähigkeit, zu reimen,

Steht mir nicht zu Gebot wie Gleimen,

Der Verse, wie die Tauben, lockt.

Mag ich nach ihr mich zierend sehnen,

Die Muse, gegen mich verstockt,

Scheint mich noch obenein zu höhnen.

Sie öffnet meine Stubenthür,

Blickt spöttisch auf die Aktenfächer,

Spricht achselzuckend: »Armer Schächer!

Leb' wohl! da hast du viel Papier!

Was brauchst du mich und Amors Köcher? –«

Und husch! verschwindet sie vor mir.

Ich, der der Freundschaft und der Minne,

Nicht Fürsten, ihre Lieder sang,[173]

Noch lieber jetzt ein Herz gewinne,

Als einer Hoheit reichsten Dank;

Womit verdient' ich wohl die Strafe,

Daß sie mir kalt den Rücken dreht,

Ja! nicht einmal, wie sonst, im Schlafe

Mir heitre Träum' aufs Lager weht?

Dem Winzer gibt sie unter Reben,

Der Harkerin, auf ihrem Grummt

Am Abend singend, neues Leben,

Ich, ich allein bin nur verstummt.

Vielleicht indeß zu meinem Glücke!

Sie mochte wohl zum voraus schaun,

Mir sey, bei meines Dämons Tücke,

Kein Saitenspiel mehr zu vertraun.

Und wahrlich! Wer gleich Juvenalen,

Die hohen Thoren seiner Zeit

In ihrer Häßlichkeit will mahlen,

Der gehe ja, eh' sie bezahlen,

Dahin, wo kein Zensuredikt[174]

Die Wahrheit in der Wieg' erstickt,

Sonst wart' er, bis er dahin rückt,

Wo Lucian mit Juvenalen

Sejanen dreist ins Auge blickt.

Dank denn, o gute Muse! dir,

Daß du seit Jahren hast geschwiegen,

Noch nöthiger ist Ruhe mir,

Als Geist zu Liedern und Vergnügen.

Du, die Gelehrte streiten läßt,

Und unverblendet von dem Schimmer

Des Ruhmes, sich nicht Lob erpreßt,

Wohl aber oft ein frohes Fest

Den Musen gibt in ihrem Zimmer,

Indeß der Mann das Wespennest

Vom Aber- und vom Wunderglauben,

Und von geheimen Orden stört:

Sing' in versteckten Rebenlauben,

Von deinen Freunden nur gehört,

Das seltne Glück zufriedner Ehe,[175]

(Ein Sohn, wie Amor, sey dein Lohn!)

Und weh' dem Kritikaster, wehe!

Der einen falschen Semiton

Dir aufzumutzen wagen könnte,

Wenn alle Freund' ihn gern verzeihn.

Das allerschönste der Talente

Ist doch: der Freunde Herz erfreun!

Quelle:
Leopold Friedrich Günther von Goeckingk: Gedichte. Teil 1–4, Teil 2, Frankfurt a.M. 1821, S. 171-176.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hume, David

Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes

Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes

Hume hielt diesen Text für die einzig adäquate Darstellung seiner theoretischen Philosophie.

122 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon