Predigt am Magdalenentage

[217] Ein Priester predigte am Fest' der Magdalene,

Vom Gräuel ihrer ersten Lebensart,

Doch ward hernach das Lob der Schöne,

Ob ihrer Reu' und Buße, nicht gespart.

»Nun!« fuhr der Redner zu den Damen,

Die vor ihm saßen, eifernd fort,

»Wie viel sind unter euch, die mehr an diesen Ort

Sich zu belustigen, als zu erbauen, kamen!

O sonderlich ist Eine unter euch,

Bei der hilft weder Drohn noch Bitten;

An unverschämten, lüderlichen Sitten[218]

Bleibt sie vielmehr sich immer gleich.

Wie heilig hat sie alle Jahr

Im Beichtstuhl' Besserung versprochen!

Allein wie bald ward dieß Gelübd gebrochen!

Und da sich ihre Frechheit immerdar

Noch gar vermehrt: wer kann uns übel nehmen,

Wenn endlich wir sie öffentlich beschämen?

Denn, sagt die Bibel, wenn dein Bruder fehlt,

Erinnr' ihn Ein- auch zweimal dran,

Doch wenn er dann den Weg der Besserung nicht wählt,

So zeig's nach Pflicht der Kirche an.«

»Das will auch ich itzt thun. Es ist – es ist –

Was meint ihr? Soll ich namentlich sie nennen?

Ich sollte billig wohl; doch wißt –

Allein warum nicht? Gut! ihr sollt sie kennen.

Vielleicht bringt dieß zu ihrer Pflicht

Sie noch zurück, so leid mir's thut, sie zu beschämen.[219]

Es ist – doch ohne Makel könnt' ich nicht

Den Namen nur einmal auf meine Zunge nehmen.

Ich will sie denn auf andre Art der Welt

Kund machen, und einmal an ihr das Strafamt schärfen.

Dort sitzt sie! Wie sie sich nicht stellt!

Gebt Acht! Ich werde mein Gebetbuch nach ihr werfen;

Gebt Acht! Gebt Acht! auf welch' es fällt!«

Indem er nun empor mit seinem Buche fuhr,

War jede bange vor dem Falle,

Und jede bückte sich.

»Verdorbene Natur!

Ich dacht', es wäre Eine nur,

Nun seh' ich wohl, sie sind es alle.«

Quelle:
Leopold Friedrich Günther von Goeckingk: Gedichte. Teil 1–4, Teil 3, Frankfurt a.M. 1821, S. 217-220.
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