Das erste Blut.

[27] Entzückend schön, über die Beschreibung der Feder, über die irdischen Farben des Malers erhaben ist der Sonnenaufgang im Golf von Smyrna!

Der »Egytto« hatte während der Nacht auf Chios angelegt und eine Menge neuer Passagiere an Bord genommen. Erst als das Tagesgrauen über die fernen Berge Anatoliens herauf dämmerte, erhoben sich die Reisenden vom Verdeck, wo sie ihr improvisirtes Lager gefunden, oder kamen langsam aus den Cajüten und Sabinen zum Vorschein. Das Verdeck eines Levante-Dampfers bietet, nachdem er von Athen abgefahren, ein eigenthümlich seltsames Schauspiel, dessen bunte Conturen von Insel zu Insel an Mannigfaltigkeit gewinnen. Der Capitain läßt das Deck der Schanze mit einer vorbereiteten Bretterlage überziehen, um es vor den Spuren des Kochens, Bratens und Schlafens säuberlich zu bewahren. Eine besondere Abtheilung für die Frauen und Kinder wird abgegränzt; mit Teppichen und Ballen aller Art und Form nehmen die Ankömmlinge den kleinen ihnen gestatteten Raum ein; Kreise bilden sich um den Dreifuß, auf dem alsbald der Granatapfel schmort oder die Zwiebel und das Hammelstückchen zischt; die Frauen bereiten den Kaffee oder holen ihn in kleinen Schälchen von dem alten Moslem, der mitten auf dem Verdeck seine Bude gleich den Schilderhäuschen unserer Obsthöker aufgeschlagen hat. Überall strecken sich lange Pfeifen quer über den schmalen, von dem hochaufgethürmten Gepäck gelassenen Gang; um die Küche drängt sich eine lärmende Menge, vom Koch glühende Kohlen zum Anzünden ihrer Nargilehs oder Schibucks zu betteln; zwischen den Haufen[28] der plappernden, lachenden, gestikulirenden Griechen sitzt auf seinen Kissen in ernster Gravität der Muselmann, von seinem schwarzen Sclaven bedient; Weiber mit dem wundervoll zarten Teint und den unzierlichen Gestalten der Frauen der Cycladen schlürfen in ihren klappernden Holzpantoffeln umher. Das dunkle brennende Auge zwischen den gefärbten Wimpern, durch die eigenthümliche Schwärzung des untern Augenlides noch flammender gemacht, mißt frei und offen den Fremden, oder blickt neugierig unter dem Yaschmak hervor, dem Mousselinschleier, welcher die orientalischen Schönheiten verhüllt, und den die Bekennerin des Propheten nur in den vertrauten Gemächern des Harems ablegt. Dazwischen bewegt sich das Volk der Matrosen, meist sehnige, sonnverbrannte Figuren von den Küsten der obern Adria, hin und wieder ein Italiener aus dem Golf von Tarent, stößt ohne Unterschied der Person, wer ihm im Wege steht oder liegt bei Seite: den Armenier, der auf dem Hühnerkorb sein Gold zählt und mit einem Andern um den leichten venetianischen Dukaten oder den beschnittenen Ghazi feilscht, ebenso wie den türkischen Juden, der in seinem blauen Tuchtalar geschmeidig durch die Menge schlüpft. Für den europäischen Reisenden hört mit dem Schritt über Athen hinaus jede Bequemlichkeit und Gewohnheit der nördlichen Civilisation auf; der Platz auf dem Hühnerkasten, auf dem Bogspriet oder den Bänken des großen Decks, von dem aus behaglich hingestreckt er unterm Schutz des Zeltpavillons die Oliventerrassen der ionischen Inseln, die dunklen Felsenwände von Tschernagora und Albanien, den zauberhaften Golf von Lepanto betrachtet hat, ist besetzt, kaum findet er einen Raum an der Brustwehr frei, von dem aus er hinaus das trunkene Auge tauchen kann in die unermeßliche Fläche der Wässer, deren Lazurbläue mit dem im Licht zitternden Dome des Himmels wetteifert. Das widrige Schauspiel anderer Meere und Seereisen, die Seekranken, verderben ihm das Bild nicht. Dieses Volk lebt und stirbt am Strande, das blaue Meer ist sein Element, wie die Luft, – die Fahrt von einer der prächtigen Cycladen zur andern seine Lebensgewohnheit. Gern opfert der Reisende sein eignes dolce farniente, um diese Kinder des Südens das ihre verträumen zu sehen.

Aus den blauen Tiefen des Meeres wachsen Felsen empor, Felsen mit Rosen und Myrthen, mit dem dunklen Grün des Lorbeers und der Olive, mit dem schlanken Stamm der Cypresse und der[29] Platane. Smaragden sind es in ihrem dunklen Grün, Diamanten in dem gelben Strahl ihres Lichts, schaukelnd wie Schmuck auf dem üppigen Busen einer Lais! Edelsteine sind es, die die tobende Gluth des Vulkans aus dem innern Gewerk der Erde emporgeworfen an die Oberfläche des Tages, daß sie Kunde geben von den Zaubern der Tiefe; die Götterwelt der Alten bevölkert sie in der Erinnerung, – weiße Segel auf leichten Barken, mächtige Handelsschiffe und die Flaggen aller Nationen ziehen gleich Tauben und Schwänen durch ihre Buchten und Labyrinthe. –

Der erste rosige Strahl der Sonne tauchte am Horizonte empor und zitterte über die Fläche des Golfs. Glänzend stieg die Königin unserer irdischen Welt über die in den fernen Nebeln noch unsichtbare Königin der Städte Anatoliens empor. Neben dem ernsten etwa vier bis fünfunddreißigjährigen Mann in einfacher aber moderner europäischer Kleidung mit dem grauen breiträndrigen Filzhut, der schon seit einer Stunde an dem Bollwerk des Vorderschiffes lehnte, um das herrliche Schauspiel mit allen seinen hier so wunderbaren Farbenwechseln nicht zu verlieren, breitete ein Türke seinen Teppich aus und knieete mit dem Antlitz gen Mekka nieder, sein Gebet zu verrichten. Was an Moslems auf dem Verdeck war, folgte dem Beispiel; der große Haufe der Griechen und Franken kümmerte sich aber wenig um die Andacht der Ungläubigen und unterbrach keinen Augenblick seine Unterhaltung, ja viele der erstern spuckten verächtlich und mit grimmigen Seitenblicken nach dem Erbfeind ihres Glaubens in's Wasser. – Eine Hand legte sich auf die Achsel jenes Mannes, der die ihm fremde Andacht beobachtete; als er sich umwandte, blickte er in ein Gesicht, das ihm wohl bekannt schien, doch ließ die fremdartige Kleidung, der das Haupt bedeckende griechische Fez ihn im ersten Moment den Andern nicht gleich erkennen. Es ging ihm wie so häufig im Leben, man findet unter veränderten Umständen ein Gesicht, von dem man weiß, daß es uns bekannt und befreundet gewesen, ohne sich doch gleich zu erinnern, wo der Besitzer hinzuthun ist, wie zu benennen.

»Erinnert sich Doctor Welland wirklich nicht mehr des Comilitonen,« frug der Grieche, »mit dem er vor Jahren die Kollegien unter Dieffenbach gehört, oder haben die acht Jahre, die seitdem vergangen, Gregor Caraiskakis so ganz aus dem Gedächtnisse der Freunde seiner schönen Jugendtage verdrängt?«

Welland warf sich in die geöffneten Arme. »Die Schulbank[30] des Knaben, die Aula des Jünglings schlingt ein Band gemeinschaftlicher Erinnerungen, das wahrlich auch im Männerleben sich nicht vergißt. Verzeihen Sie mir, Caraiskakis, daß ich 500 Meilen von dem Orte, wo wir zusammen gelebt, und in der veränderten Tracht Sie nicht wiedererkannte. Glauben Sie mir, ich habe, während der Dampfer mich an den Küsten Ihrer klassischen Heimath vorübertrug, gar oft Ihrer gedacht, und nur die Kürze unseres Aufenthalts in Athen verhinderte mich, nach dem lieben Comilitonen alter Zeit zu forschen. – Aber,« fuhr er fort und sah aufmerksam in das Antlitz des Universitätsfreundes, – »warum die Wahrheit verhehlen, gewiß, Sie haben sich auch sehr verändert, Gregor, und diese Falten, diese Blässe, stimmen wenig mit Ihren Jahren und dem frischen, kecken Lebensmuth, den der Sohn des Helden vom Pyräus sonst in jeder Bewegung, in jedem Worte zeigte.«

»Sie haben Recht,« entgegnete der junge Mann, »ich fühle es selbst. Aber zuerst, – wie kommen Sie hierher nach der Levante, in die sich brauenden, drohenden Gewitter, Sie, den ich in Berlin in der Gewißheit eines brillanten Examens und einer baldigen guten Praxis oder einer Anstellung im Staatsdienst zurückließ? – Lassen Sie mich das erst hören.«

»Der Mentor, der sich Ihnen gegenüber so oft als älter und erfahrener gerirt hat, wußte sich selbst nicht zu leiten. Etwa zwei Jahre, nachdem Sie, lieber Freund, nach München und von dort, wie ich hörte, nach Griechenland zurückgekehrt waren, brach bei uns jene merkwürdige, mir selbst kaum erklärliche Revolte aus, die man die Märztage nennt. Sie kennen sie aus den Zeitungen. Ich war thöricht genug, mich daran zu betheiligen, nachdem ich mir bereits seit einigen Monaten eine kleine Praxis gegründet hatte. In der Zeit ging Alles drunter und drüber, auch meine Existenz. Meine Familie trennte sich im Zorn von mir; so packte ich mein Bündel und zog nach Frankfurt, wo das deutsche Reichsparlament tagte und tobte. Dort blieb ich bis zum Frühjahr 49 und ein eigenthümlicher Zufall, den ich Ihnen wohl später erzähle, führte mich nach der Platz und Baden, als der Prahler Miroslanski dort seine Lorbeeren zu pflücken dachte. Mir war die Sache zuwider, denn ich hatte viel gesehen und erlebt in der Zeit; aber es stand doch mancher eherne Mann mit aufrichtiger Gesinnung, mancher Jüngling mit glühender Phantasie und ehrlichem Herzen unter[31] den Freischaaren, und wenn ich auch nicht an ihrer Seite gegen meine Landsleute focht, so widmete ich ihnen doch meine Kunst und wirkte als Arzt unter den Verwundeten und Sterbenden. Der Fall von Rastatt trieb mich nach Straßburg, von da nach Paris. Ich hätte vielleicht wiederkehren können in meine Heimath, da ich nicht compromittirt genug war, um sie mir für immer versperrt zu sehen; gewiß hätte es nur einer Bitte bedurft; aber theils war ich mit meiner Familie ganz zerfallen und erhielt nur heimlich hin und wieder einen Brief von den Schwestern, theils fesselten mich viele Freundesbande an Paris. Das Flüchtlings-Comitee unterstützte mich und ich gründete mir unter den Verbannten aller Nationen eine Praxis, die wenigstens ihren Mann nährte. – Aber, ich will es Ihnen gestehen, es fehlte mir die Befriedigung, ich sehnte mich fort in die Ferne, auf ein Feld, wo ich mehr wirken und schaffen konnte, aus den erschlaffenden Mauern von Paris mit seinen tausend politischen und socialen Intriguen hinaus in die frische Natur. Schon wollte ich nach Algerien gehen, als ein Auftrag von Freunden mir einen anderen Weg wies. Ich erhielt Empfehlungen nach Constantinopel und an Herrn de Latour, den französischen Gesandten, der mir bei den jetzigen Verhältnissen gewiß leicht eine meinen Absichten entsprechende Stellung verschaffen wird. Vorläufig werde ich eine kurze Zeit in Smyrna verweilen.«

»Da ist unser Ziel dasselbe,« sagte freudig der Grieche, dem die etwas zurückhaltende und vorsichtige Erzählung vollkommen genügte. »Auch ich gehe nach Smyrna, mögen die Heiligen geben, mit gutem Erfolg. Selbst in anderer Beziehung ähnelt sich unser Schicksal, auch die Familie Caraiskakis ist ausgewiesen von hellenischem Boden, aus jener Heimath, die ihr Vater mit seinem Blut erkauft hat!«

»Sie sind verwiesen aus Athen?« frug erstaunt der Deutsche. »Aber König Otto hat Sie und Ihre Brüder ja selbst erziehen lassen als eine Dankespflicht für den Heldentod Ihres Vaters.«

»Wir haben auch über den König nicht zu klagen, er ist gut und will das Beste. Aber Sie kennen die Parteiungen nicht, die das arme Griechenland zerreißen und es immer am Emporblühen hindern werden. Nur wenn es galt, das Kreuz gegen unsern alten Erbfeind zu erheben, waren Griechen jedes Stammes einig, und selbst da noch trieben Neid und Ehrgeiz ihr zerstörendes Spiel. Wenn der Wille des Königs auch gut, so ruht die Regierung doch[32] größtentheils in Händen, die nur darauf bedacht sind, zur eigenen Bereicherung oder Unterdrückung der politischen Gegner alle Macht zu verwenden. Die Verwirrung wird gesteigert durch die Einflüsse der mächtigern Staaten Europa's. Wo an anderen Höfen die diplomatische Intrigue ihr verdecktes Ziel zu erreichen strebt, da tritt bei uns die offene drohende Forderung auf. Das arme gedrückte Hellas erliegt unter der Last des europäischen Protektorats. Blicken Sie hin nach Jonien, der proklamirten freien Republik! Der britische Schutz hat es in Fesseln geschlagen, ärger wie die indischen. Ich führe Ihnen nur die einzige Thatsache an, daß auf allen sieben Inseln nur eine einzige Druckerei ist, die englische Regierungsdruckerei, und daß kein anderes Blatt, als das Regierungsorgan, erscheinen darf. Der Gouverneur von Corfu ist mehr Herr in unserem Griechenland als König Otto, und seinem peremtorischen Verlangen und der Forderung des englischen Gesandten verdanke ich die Verweisung vom Festlande, die mich seit zwei Jahren auf den Inseln des Archipel umhertreibt, weil in einigen Artikeln der ›Elpis‹ ich die unterdrückten Brüder auf Corfu in Schutz nahm und die Auflösung des Senats kritisirte.«

»Wenn ich mich recht erinnere,« frug Welland, »so stammen Sie ja wohl ohnehin von den Inseln?«

»Von dem unglücklichen Chios, das trotz seines Märtyrerthums im Befreiungskriege der englische Machtspruch unter den Fesseln des Halbmondes ließ. Meine Mutter flüchtete mit uns aus den Mörderhänden des Kapudan Pascha auf's Festland, wo mein Vater bereits für das Kreuz kämpfte. Die Sehnsucht nach der Geburtsstätte ließ vor zwei Jahren meine Mutter mich begleiten, ich brachte sie nach Chios zu Verwandten und schweifte seitdem umher, von Insel zu Insel, durch die Klöster des Athos, Stambul hinauf und an den Küsten des Pontus. Überall, wo ich weilte, fand ich die Herzen nach Erlösung schlagend, die Faust sich ballend im ohnmächtigen Grimm. Überall mein Volk trotz des Tausimats und aller Fermans vom Moslem unterdrückt und geschlachtet. Glauben Sie mir, Welland, was ich gesehen und erlebt, würde Ihnen das redliche Herz in der Brust umkehren. Nur in Constantinopel und in den Küstenstädten, wo die europäischen Consuln residiren und ihre Anwesenheit die Pascha's im Zaume hält, haben die griechischen Christen geduldete Rechte; im Innern[33] des Landes herrscht der Jahrhunderte alte Druck noch in seiner vollen Willkühr und Barbarei.«

»Aber Ihre Geschwister? Sie erzählten mir so oft von ihnen.«

»Mein älterer Bruder steht im griechischen Heer an der Gränze, mein jüngster ist in diesem Augenblick in Zettinge und hielt die Schluchten der Tschernagora mit dem tapferen Bergvolk gegen Omer Pascha's Redif's. Beide sind ihrer Väter würdig und ich nenne sie mit Stolz meine Brüder. Wenn ich sie sehe, werde ich ihnen den Segen ihrer greisen Mutter bringen, denn ich komme von ihrem Sterbebett auf Chios, wo ich sie gestern unter den Platanen begrub, die auf den Trümmern meines väterlichen Hauses wachsen. Möge die blutgetränkte Erde der Heimath ihr leicht sein!«

Welland reichte dem trauernden Freunde die Hand. »Und Ihre Schwester?«

Des Griechen strömende Augen stammten auf. Über sein bleiches Gesicht flog die Zornesröthe heftiger Erregung und er streckte den Arm aus gegen die Stadt, die aus dem Duft von Licht und Wasser emporschwamm, überragt von dem Pagus, an dessen Seiten über die Kuppeln und Minarets der Türkenstadt sich die Cypressenwälder der Friedhöfe hinaufziehen, während hoch von der Spitze die Trümmer des alten genuesischen Kastells sich gegen den Himmel zeichnen.

»Ich gehe, sie zu schützen, oder – zu richten!« sagte er mit tiefer Stimme und wandte sich ab. Die drängende Menge umgab sie und verhinderte jedes weitere Gespräch. –

Ismir, – wie es die Türken nennen, – Smyrna im Munde der Geschichte, das Kind Alexanders des Großen – zehn Mal verwüstet von der Hand mächtiger Feinde, und zehn Mal wieder emporgestiegen aus seinen Trümmern, Smyrna, eine der sieben heiligen Kirchen Kleinasiens, dehnte sich vor den Blicken der Reisenden an seinem prächtigen drei Meilen breiten Golf aus. Wie fast alle Uferstädte Griechenlands und Kleinasiens an der Höhe der Berge terrassenmäßig emporsteigend, bietet es einen prächtigen Anblick. Rechts am türkischen Kastell vorüber mit seinen schläfrigen Schildwachen und unbehülflichen Geschützen fliegt der Dampfer gegen die Stadt, die von Bergen umgeben nur rechts am Ufer hin sich nach der Karavanenstraße öffnet, auf der in[34] langen Reihen die gekoppelten Kameele die köstlichen Früchte und Erzeugnisse des südwestlichen Asiens zum Stapelplatz des levantinischen Handels bringen. Rechts im Vordergrund die neue Kaserne, ihre Höfe in das Meer tauchend; darüber empor die Türkenstadt mit ihren zahlreichen Minarets und Kuppeln, den kleinen zum Terrassenbau so prächtig geeigneten Häusern, dem Grün der Büsche und der Bäume, den mäandrischen Windungen der Straßen; höher am Berge Pagus das armenische Quartier, links die Franken- und Griechenstadt mit den Flaggen der Consulate, den Kaffeehäusern Magazinen auf der Marina, – zur Seite einschneidend die Wässer des Golfs zwischen den Bergen, eine Bucht tief hinein, deren Ufer von den zierlichen Landhäusern des Dorfes Bournabat besetzt sind. Im Hafen und das ist der ganze Golf, ankern Hunderte von Schiffen aller Nationen, Kriegsfahrzeuge auf dem Wege von und nach Constantinopel, Handelsschiffe jeder Art und Größe, von der leichten Küstenschebecke bis zum Fregatten-Dreimaster, der die Erde umkreist und ihre Produkte sammelt. Dampfer kommen und gehen, von Beiruth und Alexandrien, von Malta und Athen, aus dem Bosporus her, – – das Meer ist belebt von den flatternden Wimpeln und Segeln und dem Schlag der Dampfmaschinen.

Auf der Höhe des Golfs lag eine österreichische Brigg vor Anker, der »Hussar«, und von der Gaffel wehte lustig im Morgenwinde der schwarze Doppeladler im gelben Felde. Bollwerk und Wandtaue waren besetzt von dem Schiffsvolk, das zur Begrüßung des Lloyddampfers die Hüte schwenkte; auf dem Hauptdeck standen die Offiziere um eine gedrungene markige Gestalt, den Commandanten Major Schwarz. Kaum daß der Egytto in einiger Entfernung näher der Stadt Anker geworfen, so hörte man auch auf der Brigg den schrillen Ruf der Bootsmannspfeife ertönen und mit der den Kriegsschiffen eigenen Schnelligkeit hob sich ein Boot vom Schiffsrand und wurde bemannt, um zum Dampfer zu rudern. Noch ehe dasselbe jedoch anlangte, umschwärmten zahlreiche Uferbarken das Dampfschiff. Die erste derselben brachte den türkischen Sicherheitsbeamten an Bord, der die Papiere des Schiffes zu prüfen und seine Überkunft aus pestfreien Gegenden zu constatiren hat. Auf seine Erlaubniß erst verschwindet die kleine gelbe Flagge vom Mast und das Schiff tritt in den freien Verkehr.[35]

Während der Beamte noch mit den Papieren beschäftigt war, und sein Khawaß in der malerischen weißen Tracht, den Leibbund mit einem Arsenal von Waffen gespickt, im Boote Wache hielt, daß kein Unberufener die Schiffstreppe besteigen möge, drängten sich die Boote, theils zur Aufnahme der Fremden, theils zum Handel bestimmt, um den Bord, und vielfache Nachfragen und Unterhaltungen in allen Sprachen des Südens wechselten hinauf und hinab. Welland saß auf dem Rande des Bugspriets und seine Blicke schauten mit Neugier auf das malerische Getümmel, in seiner Hand wehte zufällig oder absichtlich ein Taschentuch von hellgrüner Seide. Nach wenigen Augenblicken bemerkte Caraiskakis, der wieder neben dem Freunde stand, daß in einem der um das Schiff kreuzenden Boote zwei Männer scharf auf den Deutschen blickten, und der eine von ihnen nach wenigen eifrig gewechselten Worten ein eben solches Tuch aus der Tasche zog und wehen ließ. Welland erblickte es und machte mit der Hand ein Zeichen, das rasch erwiedert wurde, worauf der Nachen mit den Fremden sich an das Schiff drängte und dabei heftig mit dem Boot der Brigg zusammenstieß, das eben heranfuhr. In diesem Augenblick wandte sich Welland zufällig um und bemerkte, daß die Augen zweier Männer sein Thun scharf beobachteten. Der Eine war der Grieche, der Andere ein Passagier, der schon von Triest aus die Fahrt mitgemacht und mit auffallender Freundlichkeit sich an den Doctor zu drängen versucht hatte. Diesem aber gefiel des Mannes Wesen nicht, auch machte ihn ein zufällig hingeworfenes Wort des Capitains aufmerksam und hatte ihn gewarnt. So hatte er sein Benehmen auf den äußerlichen höflichen Verkehr beschränkt und namentlich den Fragen auszuweichen verstanden, die der Fremde, seiner Aussprache nach ein Wiener, obschon er sich für einen Ungar ausgab, nach Zweck und Ziel seiner Reise geschickt einzuflechten verstand. Eine leichte Röthe überflog Welland's Gesicht, als er sich so beobachtet und ertappt sah, doch wurde seine Aufmerksamkeit alsbald durch einen Streit abgezogen, der sich unten zwischen den beiden Booten erhoben hatte. In dem des Kriegsschiffs saß ein junger schlanker Schiffsoffizier in der österreichischen Midshipman-Uniform, und gebot heftig den beiden Ruderern des andern Bootes, an der Treppe Raum zu geben. Einer der beiden Insitzenden jedoch lachte höhnisch zu dem herrischen Befehl und hieß in italienischer Sprache, die in den Küstenländern des Orients, selbst[36] bis an die Ufer der Donau hinauf überall gesprochen und verstanden wird, seine Fährleute ihren Platz behaupten.

Der junge Offizier, an Gehorsam gewöhnt und über den Widerstand der Kahnführer erzürnt, erhob sich und ergriff eine neben ihm liegende Speiche, dieselbe zum Schlag halb gegen die feigen griechischen Ruderer, halb gegen den trotzigen Passagier erhebend. Wie ein Blitz flammte das Auge des Bedrohten auf den Österreicher und seine Hand fuhr nach der Brusttasche, aber der Zweite, Besonnenere, derselbe, welcher das Tuch gezeigt, riß ihn zurück und gab den Ruderern ein Zeichen, zu weichen. »Bist Du rasend, Jumagalli?« herrschte er dem Gefährten zu, »Dein Tollkopf wird uns noch verderben.« – Der Offizier bestieg mit dem ziemlich hörbaren Ausdruck »Gesindel!« die Schiffstreppe, ohne sich weiter um die Zurückgewiesenen zu kümmern, denn eben war das Zeichen gegeben worden, daß die Revision beendet und das Schiff in freien Verkehr gesetzt worden und er hörte nicht das. »Cospetto, Bursche, wir treffen uns wieder!« das der Italiener hinter ihm her fluchte. Der Andrang der Kähne von allen Seiten überfluthete jetzt die kleine Zwischenscene und bald war das Verdeck förmlich im Sturm genommen von all den Bootführern, Verkäufern und Agenten, die das Schiff umringt hatten. Während der junge Offizier von dem Schreiber des Schiffs ein Packet mit Briefen in Empfang nahm und von dem Wiener angesprochen wurde, hatten die beiden Männer mit den scharfgeschnittenen südlichen Physiognomieen, die in dem Kahne mit Welland die Zeichen gewechselt, sich diesem genaht und verkehrten an einer weniger beengten Stelle des obern Verdecks lebhaft mit ihm. Bald schienen die Drei sich verständigt zu haben; denn die Fremden winkten ihre; Kahnführer an Bord und diese brachten das wenige Gepäck des Deutschen in ihr Boot.

Ein Jeder hatte genug zu thun, sich in dem Gedräng um seine Habe zu bekümmern und die Zudringlichkeiten der türkischen und griechischen Bootsleute abzuwehren, die mit Gewalt sich der Reisenden zu bemächtigen suchten. Die Geschwätzigkeit und Unverschämtheit der Griechen trug gewöhnlich den Sieg über ihre Rivalen davon und bald flogen Boote mit den Reisenden, die theils in Smyrna bleiben, theils den Tag, während dessen das Dampfschiff auf der Rhede ankerte, dort zubringen wollten, dem Strande zu.

Welland trat zu dem gleichfalls beschäftigten Jugendfreund und[37] reichte ihm mit einiger Verlegenheit die Hand. »Ich habe bereits Leute getroffen, Gregor,« sagte er, »an die ich empfohlen bin und mit denen ich Geschäfte habe. Sagen Sie mir Freund, wo wir uns heute Abend in dem mir fremden Smyrna treffen können, wir haben uns noch so Vieles zu sagen und können dann besser unsere weiteren Pläne besprechen.«

Caraiskakis drückte ihm eifrig die Hand. »Hüten Sie sich vor den fremden Flüchtlingen,« sagte er ihm eilig und leise. »Es sollen in Smyrna deren jetzt mehr als fünfhundert sich befinden und das niedere Gesindel ist zahllos und macht die Stadt und die Gegend unsicher. Mein Weg führt mich nach dem armenischen Quartier, und wenn ich kann, suche ich Sie heute Abend bei Sonnenuntergang auf der Terrasse des englischen Kaffeehauses um Hafen auf, das Ihnen jedes Kind zeigt.«

Damit trennten sich herzlich die Freunde und bald fuhr die Barke der Italiener mit Welland über die im Sonnenschein leuchtende und blitzende Wasserfläche zur Stadt. Ihren Weg kreuzte das Boot der Corvette, in dem der Wiener saß und dem Reisegefährten vertraulich zunickte. Am Quai des österreichischen Generalconsulats sahen sie es landen.


Smyrna, das wie viele andere orientalische Städte, aus der Ferne einen so prächtigen Eindruck macht, bietet im Innern dem Fremden den ganzen Typus des türkischen Schmutzes, der gränzenlosen Fahrlässigkeit und Unordnung. Nur das Frankenquartier mit seinen vielen Consulaten und den großen europäischen Handelsmagazinen, deren Durchgänge von der Frankenstraße her sich am Meeresstrande öffnen, und ein Theil der armenischen Stadt sind nach europäischen Begriffen einigermaßen erträglich. Die Straßen aber auch dieser Stadttheile sind krumm, eng und ungepflastert, doch Promenaden im Vergleich zu den Gäßchen und Winkeln der Türkenstadt. Keines der Häuser hat mehr als ein Stockwerk außer dem Erdgeschoß und die meisten sind nach orientalischer Art, also eng und unbequem mit flachen Dachterrassen und mauerumgebenen Höfen gebaut. Ein Quai am Hafen existirt eben so wenig wie in Constantinopel; die Höfe der meisten anliegenden Häuser laufen bis unmittelbar an das Ufer des Meeres und die einzelnen freien Strecken auf der[38] Marina, welche den Spaziergang der Bevölkerung Smyrna's an der See bilden, sind kaum 200 Schritt lang. Das Café anglais, ein Quadrat in die See hinausgebauter mit leichtem Geländer umgebener Vorsprung, liegt an der Südseite derselben.

Welland hatte aus verschiedenen Gründen die Einladung seiner neuen Bekannten nicht angenommen und seine Wohnung bei Madame Giraud aufgeschlagen, der behaglichen freundlichen Französin, die eine weitbekannte Pension – wie man die Kosthäuser im Orient nennt, – in der Frankenstadt hält. Er hatte eben seine Sachen geordnet, als seine beiden neuen Bekannten erschienen und einen Dritten ihm vorstellten, den Ungar Costa. Es war ein Mann von einigen dreißig Jahren, nicht groß, doch schlank gebaut, dabei von breiten Hüften und festen Muskeln. Sein keck geschnittenes Gesicht, von dunklem Bart umgeben, nahmen für ihn ein und Welland fühlte sich von Anfang mehr zu ihm hingezogen als zu den Italienern. »Sie haben, wie ich von meinen Freunden höre, Briefe für mich von Paris,« sagte der Ungar verbindlich; »ich habe so lange der Nachrichten entbehrt, daß ich voll Erwartung bin. Wollen Sie mir dieselben aushändigen?«

»Sie werden selbst wissen, daß einige Bedingungen vorher zu erfüllen sind,« bemerkte Welland und nahm ein sorgfältig verwahrtes Briefpacket aus seiner Brieftasche. Costa beugte sich zu ihm und flüsterte: »Die Flamme ist die Mutter des Lichts. Die Mariannen beten die Flamme an!«

Sie waren zur Seite getreten. »Das sind die Worte des dritten Grabes,« sagte Welland, »ich brauche die Losung des vierten.«

Costa flüsterte noch leiser als zuvor: »Flamme und Eisen machen Asche und Leichen. Asche und Blut düngen den Boden der Freiheit. Die Joseffiten sind die Blätter des Baumes. – Sind Sie befriedigt?«

Welland übergab ihm die Briefe. Der Ungar betrachtete ihn einige Augenblicke scharf, dann zog er ein kleines schwarzes Kreuz von Ebenholz aus der Tasche, das von eigenthümlicher Form dem des Ordens vom heiligen Grabe glich, und in das fünf breite silberne Stifte eingeschlagen waren; »Sie sehen,« sagte er leise, »daß Sie mir zu gehorchen haben, denn ich setze voraus, daß Ihre Mission mit dem vierten Grade endigt?«[39]

Welland verbeugte sich: »Ich stehe zu Ihrer Disposition, Signor Costa.«

Der Ungar winkte die Andern wieder herbei, setzte sich an den Tisch und schickte sich an, das Couvert zu erbrechen. Ehe er dies that, untersuchte er es sorgfältig von allen Seiten und betrachtete namentlich aufmerksam das Siegel, das ein wie oben beschriebenes Kreuz auf guillochirtem Grunde zeigte. Seine scharfen Augen schienen einen Umstand zu entdecken, der seine Besorgniß erregte.

»Auf Ihren Eid als Bundesbruder,« frug er, »ist dies Packet nie aus Ihren Händen gekommen, Signor?«

»Ich trug die Briefe stets in meinem Portefeuille und dies in der innern Brusttasche meines Rockes. Des Nachts verschloß ich sie in meine Kasette und stellte diese in die Kabine, in der ich schlief.«

Costa schüttelte den Kopf. »Das war zu viel Vorsicht, oder zu wenig,« sagte er, »man hätte uns einen mit der österreichischen Polizei vertrautern Mann schicken sollen. Der Brief ist geöffnet worden.«

Er sagte dies mit solcher Bestimmtheit, daß Alle erschrocken und neugierig näher traten, um selbst zu prüfen. Welland behauptete, es sei nicht möglich; doch der Ungar nahm eine Scheere, schnitt rings um das Siegel das Couvert durch, hob das erste dann in die Höhe und zeigte an seiner Doppellage, daß das Papier mit einer seinen erwärmten Klinge unter dem Rande aufgetrennt gewesen und später auf gleiche Weise wieder befestigt worden war. Dann sah er rasch die Papiere durch. »Zum Glück,« sagte er, »sind die wichtigeren Stellen in Zeichen geschrieben, deren Lösung wohl dem Dechiffrirbüreau in Wien arges Kopfzerbrechen machen dürfte, selbst wenn es gelungen wäre, Abschrift zu nehmen. Haben Sie auf Niemand Verdacht, Signor Wellando? Wer waren Ihre Mitreisenden?«

Welland fiel der Wiener ein. »Nur Einer derselben konnte es gewesen sein, die Andern waren unbedeutende Menschen. Der Mann versuchte sich auffallend an mich zu drängen, doch wies ich ihn zurück.«

»Wo schlief er?«

»Jetzt fällt mir auf, daß, obschon er auf dem ersten Platz reiste, er mehrmals sein Nachtlager auf den breiten Bänken unserer[40] zweiten Kajüte aufschlug, unter dem Vorwande, daß ihm in den engen Kabinetten die Hitze unerträglich sei.«

»Bassa manelka! verlassen Sie sich darauf, er ist der Spion. Wo ist er geblieben?«

»Er fuhr in einem Boot des österreichischen Kriegsschiffes, das an unsern Bord kam, an's Land.«

»Ich sah es am Quai des österreichischen Konsulats landen,« flocht einer der Italiener ein. »Ich beobachtete es genau, denn ich hatte ein kleines Rencontre mit dem Lassen, der es commandirte.«

»Sie werden uns sicher noch Unannehmlichkeiten mit Ihrer Hitze bereiten, Fumagalli,« sagte Costa streng. »Wir sind zwar augenblicklich die Herren in Smyrna, und die Autorität des Pascha's ist Null. Aber wir müssen trotzdem vorsichtig sein, um die Aufmerksamkeit nicht auf hier zu lenken. – Signor Wellando, Sie werden in zwei oder drei Tagen mit mir nach Constantinopel gehen müssen; unsere Gegner sind thätig, und wir dürfen ihnen keinen Vorsprung lassen. Sie Fumagalli mit Bassitsch berufen die Ungarn und Italien auf morgen Abend nach dem Tempel des Jupiter, denn für heute bleibt uns keine Zeit. Eine Stunde vor Sonnenuntergang! Und nun Signor, ruhen Sie sich aus und schauen Sie sich diese sogenannte Königin Anatoliens an, Sie werden finden, daß sie einer Reinigung stark bedarf.«

Costa schied, die Italiener folgten ihm, nachdem sie dem Deutschen versprochen, ihn Einer oder der Andere am Abend zu einem Gange abzuholen, und ihm gerathen hatten, vor dem Essen ein türkisches Bad zu seiner Erholung zu nehmen.

Diese gewährte es ihm wirklich. Ein türkisches Bad ist einer der Genüsse, die wir Occidentalen leider nicht kennen, – es ist eine Wollust des Körpers, aus der man wie neugeboren hervorgeht. Stundenlang kann man sich unter der knetenden, streckenden, drückenden Hand des Badedieners einem behaglichen Gefühl überlassen, gegen das jenes dolce farniente des Italieners nur ein Schatten ist.

Am Tisch, der bei Madame Giraud vortrefflich ist und die Genüsse des Orients und Occidents vereinigt, waren Gäste aller Zungen. Man sprach und erzählte von den Verwickelungen in Constantinopel, von den beginnenden Aushebungen in Syrien und Egypten und der großen Unsicherheit der Gegend, ja der Stadt selbst, die Jan Katarchi, der Kameeltreiber, mit seiner Bande in[41] Schrecken zu setzen begann. Welland vernahm mit Erstaunen, daß eine Stadt von 150,000 Einwohnern von einem Räuber in fieberischer Angst gehalten wurde, der kaum 10–15 Mann zu seinem Gebot hatte.

Es war damals eine merkwürdige Zeit in Smyrna. Die Flüchtlinge aus Ungarn, Italien und Frankreich hatten sich in Masse an dieser Stätte uncivilisirter Freiheit und Nachlässigkeit gesammelt, es mochten ihrer wohl an 5- bis 600 sein. Dazu kam die abnorme Masse Gesindels, welche von dem griechischen Festland, den Inseln, dem ionischen Staat und namentlich von Malta und Egypten her sich hier zusammenfindet. Räuber und Mörder, denen der Galgen und die Garotte auf der Stirn geschrieben steht; Männer, die Menschenblut bei dem geringsten Streit oder für ihre Zwecke wie Wasser vergießen, füllten die Gassen und die Kaffeehäuser der Stadt. Verworfene Subjecte, deren Handwerk das Verbrechen, namentlich Malteser, diese Pest des Orients unter englischem Schutz, sprachen jeder Ordnung, jedem Gesetz Hohn. Längst hatten der Pascha und die türkischen Behörden die Aufrechthaltung einer gewissen Sicherheit, wie sie sich im Orient etwa erwarten läßt, aufgegeben. Den Mörder, den Räuber – und deren ergriffen die Khawassen des Pascha's täglich auf offener That in den Straßen der Stadt – reclamirte sofort der englische Viceconsul; denn der Vertreter der brittischen Macht lag Tag für Tag in Rum berauscht, – oder die Consule von Sardinien, von Griechenland oder sonst ein gefälliger Beamter, als Angehörige ihres Staates, und ließen sie nach einer Haft von kaum 24 Stunden wieder auf die menschliche Gesellschaft los. Um diesem Allem die Krone aufzusetzen, streiften die freien Räuber rings um die Stadt, und plünderten die Karavanen und die Reisenden. Ja, es war allgemein bekannt, daß Jan Katarchi, der berüchtigste und kühnste unter diesen Bandenführern, fast täglich frank und offen in den Straßen Smyrna's verkehrte, und jeder Grieche ihn zum Spion und Freund ward, da er kühn erklärt hatte, nur gegen die Feinde des Kreuzes, gegen die Moslems, die Engländer und Franzosen seinen Säbel erhoben zu haben. Obschon eine Menge Freiwillige ihm zuströmten, vermied er doch, die Zahl seiner Bande zu vermehren, mit der er ganz Smyrna bald der Art in Schrecken setzte, daß kein Mensch mehr wagte, die nächste Umgebung der Stadt allein zu überschreiten. Selbst in dieser hatte der Räuber schon, von allen Verhältnissen sorgfältig unterrichtet, wohlhabende oder[42] angesehene Personen aus der Mitte ihrer Familien aufgehoben, in die Berge geschleppt und schweres Lösegeld für sie erpreßt, oder er sandte ihre Ohren, oder gar ihre Köpfe zum Hohn des Pascha's in die Stadt zurück. –

Es war am Abend bei Sonnenuntergang, als Welland auf der Terrasse des englischen Kaffeehauses den Freund seiner Jugend traf. Finsterer Schmerz, ruhelose Gedanken lagerten auf den Mienen des Griechen. Er drückte schweigend dem Deutschen die Hand, und Beide setzten sich unter das Zeltdach an das äußerste Ende der niedrigen Barriere, die in die plätschernden Wellen des Golfs taucht. »Sie haben nicht Alles so gefunden, wie Sie gewünscht, lieber Freund,« sagte Welland vertraulich, »Sie empfinden Schmerz und Kummer, wollen oder können Sie mir nicht dessen Ursache mittheilen?«

Gregor Caraiskakis sah einige Augenblicke vor sich hin, dann strich er mit der Hand über die Stirn und entgegnete: »Sie sollen erfahren, was mich hierher nach Smyrna trieb. Sie wissen bereits aus meinen Erzählungen von der Heimath, daß meine Schwester und mein jüngerer Bruder aus einer zweiten Ehe stammen, die meine Mutter sechs Jahre nach dem Tode meines Vaters mit einem früheren Waffengefährten desselben schloß. Es war ein braver und gerechter Mann, der an uns beiden Älteren, die wir im Pädagogium zu Athen auf Kosten des Staats erzogen wurden, wie ein aufrichtiger Freund handelte, und bei seinem Tode sein Erbe gleichmäßig unter uns Vier theilte. Meine Schwester Diona, jetzt ein Mädchen von 18 Jahren, kam, als man mich aus Athen verbannte und meine Mutter nach Chios zog, von dort aus zu armenischen Verwandten ihres Vaters nach Smyrna. Wir Brüder liebten das Mädchen innig, das, als ich es das letzte Mal sah, bereits zur schönen Jungfrau erblüht war, wie sie nur dieser milde Himmel erschafft. Eine Botschaft der erkrankten Mutter rief mich an ihr Sterbebett, und hier vermißte ich mit Staunen die Schwester, sie war von Smyrna nicht zurückgekehrt. Ihre Briefe, denn sie hat eine gute Erziehung genossen, was wenigen von unseren Mädchen zu Theil wird, – brauchten offenbar leere Vorwände zur Verlängerung ihres Aufenthalts, und verbargen sichtlich Vieles vor den Augen der Mutter. Ich konnte diese nicht verlassen; wie kurz auch die Entfernung war, – in wenigen Tagen ging es zu Ende. An ihrem Todestag erhielt ich zugleich einen Brief von Diona,[43] der verworren und schmerzlich aufgeregt von uns Allen einen leidenschaftlichen Abschied nahm. Mir ahnte Böses, – als das Grab unter den Platanen sich über meiner und ihrer Mutter geschlossen, eilte ich nach Kastron, und traf am andern Abend Ihr Schiff.« –

»Und hier?«

»Hier fand ich Diona verloren! – Freund, Sie wissen nicht, was unter diesem warmen Himmel, der das Blut heiß durch die jugendlichen Adern treibt und zur Nachsicht mahnen sollte, ein Fehltritt des unbewachten Mädchens für Folgen nach sich zieht! Bei uns besteht noch die Sitte der Väter, die die Jungfrau rein und unbescholten in das Haus des Gatten liefert, nicht jene Nachsicht und Vergebung, die in Ihrem kalten Norden gegen die Sünde des warmen Blutes geübt wird. Die Reinheit unserer Töchter und Schwestern ist ein Ehrenpunkt, der heilig gehalten wird; das gefallene Mädchen ist verstoßen und verflucht von ihrer Familie, wenn sie nicht die Pistole oder der Dolch des Blutsfreundes in rascher That straft. – Ja, Fremdling auf dem Boden meiner Väter, die Schwester des Gregor Caraiskakis ist die Maitresse eines Engländers geworden!«

Er schlug die Hände vor das Gesicht und barg das Haupt auf der Balustrade. Eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter, noch ehe Welland ihm zu antworten vermochte. »Caraiskakis?« fragte eine tiefe Stimme in italienischer Sprache, während die frühere Unterhaltung deutsch geführt worden. »Wer spricht hier von Gregor Caraiskakis?«

Die Freunde blickten erstaunt um. Ein Mann mittlerer Größe, von gedrungenem kräftigem Bau, in fränkischer Kleidung, die ihm offenbar ungewohnt und unbequem war, stand hinter ihnen und mußte während der Erzählung an einem Tisch in ihrer Nähe Platz genommen haben. Ein kräftiges orientalisches Gesicht, von der Sonne tief gebräunt, wurde von einem ergrauenden Bart umschattet; der Mann mochte ungefähr 50 Jahre zählen. Ein Zug kecker Entschlossenheit und eiserner Willenskraft preßte seinen Mund zusammen, dunkle, rastlose Augen glühten mit vom Alter ungeschwächtem Feuer unter den dicken Brauen. Seine markige Hand spielte mit der den Orientalen eigenthümlichen Rastlosigkeit an der Stelle des Gürtels, gleich als sei sie gewohnt, dort den Pistolenknauf oder den Handjar zu finden.[44]

Welland hatte sich zuerst gefaßt. »Was wünschen Sie von uns, mein Herr?« fragte er.

»Verzeihen Sie, Signor,« sagte der Fremde, »dieser Herr nannte, wenn ich recht gehört, so eben einen Namen, den ich lange nicht vernommen habe, der mir aber lieb und werth ist. Ist ein Gregor Caraiskakis noch unter den Lebenden und kennen Sie das Kind?«

»Das Kind,« sagte der Deutsche lächelnd, »freilich nicht. Aber den Mann kenne ich, der aus dem Kinde geworden, und Sie auch. Dort sitzt er, mein Freund ist Gregor Caraiskakis.«

Der Fremde stürzte auf den jungen Griechen zu und faßte seine beiden Hände; sein Gesicht war lebhaft erregt. »Sie sind Gregor Caraiskakis?« fragte er hastig, »der Sohn von Michael Caraiskakis und Anastasia Maliolis in Chios geboren?«

»Derselbe!« entgegnete erstaunt der Grieche.

»Wo hatte ich auch mein Gedächtniß!« sagte der Mann, »das ist ja sein Gesicht, das sind ihre Augen! – Herr,« fuhr er fort, »halten Sie mich nicht für närrisch oder aufdringlich, daß ich mich freue wie ein Knabe, Einen Ihres Geschlechts wiederzusehen. Wenn Sie wüßten, wie sehr dies Herz noch an ihm hängt, wenn Sie erfahren, wie nahe ich ihm gestanden – sprechen Sie, Signor, ist Ihnen dies Gesicht denn ganz unbekannt geworden, haben Sie keine Erinnerung mehr für – – Doch nein,« fuhr er, sich umsehend auf der Terrasse, die sich mit Spaziergängern zu füllen begann, und auf der Costa mit mehreren Begleitern eben sich den Freunden nahte, fort, »jetzt nicht, hier nicht, diese Menge ist nicht für mich. Leben Sie wohl, Signor, Sie werden von mir hören!«

Damit wandte er sich ohne Gruß und ging langsam, wie absichtslos sein Gesicht mit dem Tuche verbergend, durch die Reihen der Gäste, welche hier ihren Sorbet, ihre Limonade oder Granita schlürften. Unter den zahllosen Barken, die am Ufer lagen, wurde sogleich eine von zwei Ruderern frei gemacht, als hätte sie auf ihm gewartet. Der Fremde stieß einen riesigen Mann in niederer griechischer Tracht zur Seite, der am Ufer lungernd ihm den Weg versperrte, und stieg in den Nachen, der sofort sich in Bewegung setzte und davonfuhr, während der Zurückgedrängte ihm aufmerksam noch und bald darauf mit einigen Männern in seiner Nähe sprach, eifrig nach dem bereits entfernten Kahne deutend. Caraiskakis[45] schien übrigens diesen Menschen zu kennen, denn während Costa den Deutschen ansprach und ihm mehrere Begleiter vorstellte, ging er zu dem Griechen.

»Andrea,« sagte er, »kanntet Ihr den Mann, der eben in jenem Boot davonfuhr?«

»Excellenza werden das selbst am besten wissen,« entgegnete mit übertriebener Höflichkeit und ausweichend der Angeredete, der Wirth eines griechischen Speisehauses, in dem Caraiskakis einstweilen wegen dessen Nähe am armenischen Quartier seinen Aufenthalt genommen. »Ich bin ein armer Mann und lebe und lasse leben. Excellenza haben ja selbst mit ihm geredet, und in Smyrna muß jetzt Keiner die Augen da offen haben, wo er sie besser schließen sollte. Messerstiche sind eine billige Waare in dieser Stadt. Doch Excellenza wollen mir eine Gegenfrage erlauben. Wer ist der Herr mit dem dunklen kurzen Rock und dem breiten Strohhut, der eben mit Ihrem Freunde spricht, mit dem sich Excellenza so lange unterhalten haben?«

»Ihr scheint ja genau hier aufzupassen, Andrea,« sagte verwundert Caraiskakis. »Wenn ich recht gehört im Fortgehen, nannte ihn mein Freund Signor Costa. Kennt Ihr, der halb Smyrna kennt, auch diesen Herrn nicht?«

»Bitte um Verzeihung, Excellenza,« entgegnete unterwürfig der Wirth, »aber ich war meiner Sache nicht ganz gewiß, obschon ich den Signor oft gesehen habe. Doch kann ich Ihnen gute Nachricht in Ihrer Angelegenheit zu heute Abend bringen, einer meiner Freunde ist der Sache auf der Spur.«

»Desto besser, Ihr wißt, es wird Euer Schaden nicht sein. In einer Stunde bin ich bei Euch.«

Damit kehrte der Grieche zu seinem Freunde zurück; an Andrea, dem Speisewirth, aber streiften in der rasch auf den Sonnenuntergang folgenden Dämmerung zwei Gestalten vorüber, deren eine Welland's scharfes Auge, wenn er sie beobachtet hätte, leicht für seinen wiener Reisegefährten erkannt haben würde. Der Zweite, eine robuste Figur mit einem österreichischen Orden im Knopfloch, winkte ihn nach einem der Durchgänge und frug:

»Habt Ihr das Wild gefunden?«

»Ja, Excellenza!«

»So sorgt dafür, – todt oder lebendig, Ihr kennt den Preis.«

»Ihr werdet zufrieden sein, Signor Cancellario, wenn nicht[46] heute Abend, so hoch sicher bis Morgen um diese Zeit, und sollte ich ihn aus einem Bett holen.«

»Auch den Andern vergeßt nicht,« fügte der Wiener hinzu, »es geht in Einem hin und er wird uns nothwendig sein. Doch bleibt der Erste die Hauptsache. Lebendig wo möglich – ich lege hundert Piaster zu.«

»Verlaßt Euch auf mich, Excellenz.«

Die Beiden betraten das Kaffeehaus.

Caraiskakis war unterdeß zu Welland gekommen, der sich lebhaft mit dem Kreis um ihn her unterhielt. »Ich muß Sie verlassen, lieber Freund,« sagte er, als sich dieser sogleich losmachte, »ich habe Ihnen zwar noch viel zu erzählen und Ihren Rath, vielleicht auch Ihren Beistand zu erbitten, doch sind mir eben Nachrichten versprochen, die ich nicht versäumen darf. Wenn es Ihnen genehm, hole ich Sie morgen zu einem Gang nach dem Bazar ab. – Noch Eins. Eben erkundigte sich ein Mann, der auch Ihnen vorhin am Ufer auffiel, bei mir nach Ihnen und Ihren Freunden. Er ist mein Wirth gegenwärtig, ein berüchtigter Mensch in Smyrna und ein so verworfenes Subject, wie irgend eines die Erde trägt. Aber ich brauche ihn augenblicklich und habe deshalb sein Haus vorgezogen. Doch wollte ich Sie aufmerksam machen, der Schurke frägt nie ohne Absicht.«

Welland zuckte die Achseln. »Ich bin noch so ganz unbekannt und deshalb wohl ungefährdet. Ich verlasse mich darauf, Sie kommen morgen, gebe Gott, mit erleichtertem Herzen.«

Er drückte dem Freunde die Hand und kehrte zu dem Kreise zurück; Caraiskakis aber wandte sich nach dem griechischen Quartier.


Es war bereits gegen Mittag, die Stunde der Siesta nahete, als Caraiskakis den Fremd abholte und mit ihm durch die mäandrischen Windungen der Straßen hinauf zum Bazar stieg, in dessen weiten Kreuzgängen sich alle Schätze des Morgenlandes und Abendlandes vereinigen. Züge von Kameelen begegneten ihnen, Menschen aller Zonen und Farben drängten sich nach dem Weltmarkt. Nach und nach wurden der Mittagshitze wegen die Gänge leerer. Welland kaufte einige Gegenstände in den verschiedenen streng gesonderten Abtheilungen des Bazars, unter Anderm einen vollständigen orientalischen Anzug und von einem Turkomannen einen trefflichen[47] Handjar, und sandte die Sachen durch die Kaufleute in sein Quartier. Schon während des Handelns war es dem Deutschen aufgefallen, daß ein Knabe in zerlumpter türkischer Kleidung sie unablässig verfolgte und aufmerksam beobachtete. Als sie nun durch die leeren Gänge zurückkehrten, trat ihnen der Bursche an einer Biegung nochmals entgegen. Welland glaubte, es sei ihm um den Bakschis – ein Trinkgeld – die gewöhnliche Forderung im Orient bei allen Gelegenheiten, bei denen man mit Türken verkehrt, zu thun und reichte ihm einige Para's, doch der Knabe schüttelte den Kopf und zeigte ihnen ein Stück schmuziges Papier, auf dem in griechischer, doch kaum leserlicher Schrift der Name »Caraiskakis« geschrieben stand. »Aha, wohl von Ihrem geheimnißvollen Freund,« meinte der Doctor und wies den Boten an den Gefährten. Gregor, den ganzen Morgen über zerstreut und noch düsterer als am Tage vorher, fragte ihn kurz nach seinem Begehr.

»Ich soll Euch bitten, Effendi,« sagte der Junge, »Ihr möchtet heute mit Eurem Freunde die Marina (den Quai) meiden und um Sonnenuntergang an der Karavanenbrücke sein, dort würde Jemand Eurer warten.«

»Thorheit,« entgegnete der Grieche, »meine Zeit ist gemessen und ich kann unbekannten Botschaften keine Folge leisten. Nach der Marina gehen wir eben.«

»Sie sollten die Botschaft doch nicht so leicht von sich weisen,« sagte Welland, »vielleicht betrifft sie einen Gegenstand, der Ihnen gerade von Wichtigkeit ist.«

»Das ist nur einer, – und von dem kann jener Mann Nichts wissen. Ich bitte Sie, hören Sie mich weiter, denn ich muß meine Geschichte von gestern vollenden und Ihre Ansicht hören, um so mehr, als Sie morgen schon, wie Sie mir sagten, Smyrna und mich wieder verlassen wollen.«

Er legte seinen Arm in den des Freundes und Beide gingen an das Ufer, wo sie, vom Seewind gekühlt, auf der kurzen Strecke umherwandelten. Später begegnete ihnen der Ungar Costa, nickte aber nur, da er sie im eifrigen Gespräch sah, dem Deutschen zu und setzte sich an einem entfernteren Kaffeehaus am Ufer nieder, eine Zeitung zu lesen und seinen Kaffee zu schlürfen.

»Ich habe Ihnen bereits gesagt,« erzählte der Grieche, »wie meine Schwester Diona hierher gekommen und welches Unglück uns betroffen hat. Als ich gestern zu meinen armenischen Verwandten[48] kam, bei denen sie sich aufgehalten, fand ich sie dort nicht mehr vor. Die Familie war bestürzt über meine Ankunft und wollte offenbar nicht mit der Sprache heraus. Erst durch lange Bitten und Drohungen erfuhr ich endlich, daß meine Schwester vor etwa drei Monaten die Bekanntschaft eines Engländers gemacht, der sich hier aufhielt und daß sich das Verhältniß heimlich weiter gesponnen, bis die Familie dahinter gekommen und Diona strenger bewacht gehalten habe. Vor einer Woche etwa sei sie plötzlich verschwunden, mit ihr zugleich der Brite, und es sei alle Anstrengung vergebens gewesen, ihre Spur aufzufinden. Manche Umstände der Erzählung schienen mir verdächtig und nach einem heftigen Auftritt mit der Familie verließ ich das Haus. Ich kannte Smyrna von früher und wußte, daß hier für Gold Alles zu erlangen ist. Nach kurzem Besinnen nahm ich meine Wohnung bei jenem Speisewirth Andrea, einem berüchtigten Schurken, der aber die Fäden der meisten Verbrechen hier in der Hand hat – bei Gott,« unterbrach er sich, »da geht der Bursche eben wieder bis an die Zähne bewaffnet mit Einigen seines Gelichters umher! – Ich nahm also bei ihm meine Wohnung und schickte sein Weib auf Kundschaft aus. Bald wußte ich Alles! Meine Verwandten hatten, durch das verschleuderte Gold des Briten geblendet, die Bekanntschaft des Mädchens mit diesem begünstigt, ja, er kam täglich in ihr Haus und der Jungfrau Ruf war vernichtet, wahrscheinlich eher, als sie es wirklich verdient hatte. Erst als sie von meiner Ankunft auf Chios Nachricht erhielten, fanden sie es für gut, meine Rache fürchtend, dem Umgang ein Ende zu machen und Diona einzusperren. Es war zu spät; in einer Nacht waren Beide, das Mädchen und ihr Liebhaber, entflohen und meine Kundschafterin betheuerte mir, daß die Kuppler selbst keine Ahnung hatten, wohin. Verschiedene kleine Umstände, namentlich daß man den Verführer noch vor drei Tagen hier gesehen haben will, ließen mich argwöhnen, daß das Paar noch in der Nähe sich aufhält und ich bot nun alles Mögliche auf, seine Spur zu verfolgen. Der Schurke Andrea war mir förderlich; gestern Abend führte er mir den Mann zu, der das Paar über den Golf nach Bournabat in einer Barke geführt hatte. Hier bewohnten sie oder bewohnen sie noch ein wohlverwahrtes Landhaus, das dem englischen Viceconsul gehört, einem Mann von schlimmen Ruf, dem für Geld Alles feil ist und[49] der für blanke Dublonen schon die ärgsten Schurken vom Galgen gerettet hat.«

»Und haben Sie seit gestern Abend bereits Schritte gethan?«

»Heute Morgen führte mich derselbe Fährmann hinüber nach der Villeggiatura. Ich forderte Einlaß am Hause, aber ein englischer Diener weigerte denselben unter dem Vorwand, daß es gänzlich unbewohnt sei. Daß dem nicht so ist, sah ich aus dem Umstand, daß sich zwei Khawassen im Hofe umhertrieben. Ich war allein und konnte den Zutritt nicht erzwingen. Zur Stadt zurückgekehrt, eilte ich zu dem englischen Consulat und drang bis zu dem Generalconsul. Er war wie gewöhnlich gleich einem Vieh betrunken, sein Stellvertreter aber, jener Eigenthümer des Hauses, der alle Geschäfte und alle Macht in Händen hat, wies mich barsch zurück, wollte von Nichts wissen und drohte mich verhaften zu lassen.«

»Was gedenken Sie zu thun?« fragte theilnehmend der Doctor.

»Was ich thun will?« antwortete zähneknirschend der Grieche. »Sehen Sie hin auf jenes Boot, das, mit Männern besetzt, wie hier Hunderte umherlaufen, eben dem Strande naht, mit Männern, die nicht fragen nach dem Erlaubt und Gestattet, wenn es eine kühne That gilt, – mit einem solchen Boot und einem Halbdutzend solcher Bursche will ich morgen bei Nacht landen an der verschlossenen Thür, die die Schande meines Hauses birgt, und dann, bei dem Geist meiner Väter, will ich Gericht halten über die Beiden!«

»Um Gotteswillen, Gregor, thun Sie keinen unsinnigen Schritt, der Alles verdirbt und Sie in die größte Gefahr stürzen muß,« beruhigte Welland. »Gehen Sie zu dem griechischen Consul, er hat die Pflicht, einzuschreiten. Wenden Sie sich selbst an den türkischen Gouverneur, er muß Ihr Recht schützen.«

»Recht in der Türkei?!« hohnlachte Caraiskakis. »Wissen Sie nicht, daß ich verbannt bin von den Machthabern in Athen? Meinen Sie, daß der feige entnervte Moslem, der nicht den offenen Meuchelmord aus den Straßen seiner Stadt verbannen kann, Mädchenraub bestrafen wird an einem seiner hundert Herren, an Einem aus jenem Volke, das die wahre Pest des Orients durch seinen Übermuth und seinen Druck ist, gegen die selbst das türkische Joch Milde genannt wird? – an einem Engländer? Wenn die Hand seines Allah aus den Wolken reichte, würden sich die Bekenner[50] des Halbmondes nicht so beugen, als vor der Tyrannei jener gekreuzten Flagge. Nein, ich selbst – – Heiliger Gott! was geht dort vor – der blutige Schurke Andrea mordet Ihren Freund!«

Ein wildes Geschrei ertönte von der etwas entfernten Stelle des Quai, an der sie den Ungar verlassen hatten, – Menschen drängten eilig hinzu, der Ruf nach Hilfe übertönte aus vielen Kehlen den Lärmen.

Eine schreckliche Scene hatte sich dort entsponnen. Sie ist historisch geworden in ihren empörenden Einzelnheiten.

Wir haben bereits erwähnt, daß die Zahl der politischen Flüchtlinge zu jener Zeit sehr bedeutend in Smyrna war, und daß sie eine gewisse Herrschaft in der Stadt ausübten. Nächst London war Smyrna damals der offene Centralpunkt der Agitation. Öffentlich gegründete Comitee's verhandelten die Revolution von Europa, und die große Thätigkeit der Einzelnen in der Erlernung der orientalischen Sprachen, die Bemühungen, unter der griechischen Bevölkerung sogenannte philharmonische Vereine zu gründen, an deren Spitze sie standen, wiesen darauf hin, daß die Emigration sich in Smyrna und im Orient überhaupt einen neuen Haltpunkt zu schaffen suche. In keinem Lande der Welt würden die Flüchtlinge bei einem ruhigen Verhalten weniger gestört worden sein; denn die lässigen türkischen Behörden kümmerten sich durchaus nicht um ihre Person, ja, der englische und amerikanische Consul beschützte sie bei jeder Gelegenheit. Der Zusammenhang dieser Agitation mit der mailänder Februar-Revolte war ganz offenkundig, und man sprach – gerade wie im Jahr 48 von Berlin und Wien, – am Tage des Ausbruchs in Mailand bereits davon in der asiatischen Handelsstadt. Da nur hauptsächlich alle diese Umtriebe und Angriffe gegen die österreichische Regierung gerichtet waren, forderte endlich der kaiserliche General-Consul von Wexbecker wiederholt von dem damaligen General-Gouverneur von Smyrna die Ausweisung der ohne Schutz einer Nationalität sich dort aufhaltenden Flüchtlinge, besonders die mehrerer in Österreich schwer gravirter Persönlichkeiten, die hier die Führer bildeten. Zu diesen gehörte auch Martin Costa, im ungarischen Revolutionskriege Adjutant Kossuth's und einer der thätigsten und entschlossensten Offiziere des Insurgentenheeres. Er war nach dem Übertritt Kossuth's auf türkisches Gebiet mit diesem in Kintaia internirt, folgte ihm 1851 nach London und ging dann nach Amerika, von wo er unerwartet[51] zu Anfang des Jahres 1853 nach Smyrna zurückkehrte, wo er alsbald an die Spitze der Clubs und Verbindungen trat. Die österreichische Regierung hatte die sichere Kunde von neuen Bewegungen und da selbst das Einschreiten des Gesandten beim Divan und ein Befehl des Vezirs Ali Pascha den Gouverneur nicht aus seiner Unthätigkeit aufzuwecken vermochte, sah sich die österreichische Regierung veranlaßt, selbst einzugreifen und an ihren General-Consul bestimmte Befehle zu erlassen, auf Grund der ihr tractatenmäßig zustehenden Rechte die Verhaftung der Flüchtlinge österreichischer Nationalität vorzunehmen und sie an die kaiserlichen Militärbehörden auszuliefern. Wäre dies in der geeigneten offiziellen Weise geschehen: etwa durch die Bemannung der Brigg Hussar, oder durch die Khawassen des Consulats, so wäre trotz der Anwesenheit so vieler Flüchtlinge der Ausgang offenbar ein ganz anderer gewesen und hätte einen bedeutenden Schrecken verursacht. Die ungeschickte und eclatante Weise, mit welcher der Kanzler des Generalconsulats die Sache aber begann, den ersten Schlag in Folge besonderer am Tage vorher eingegangener Nachrichten gegen Costa richtend, kehrte das Resultat gegen die Behörde selbst.

Der Ungar saß ruhig und Nichts ahnend auf dem Quai, auf dem zu dieser Zeit nur wenig Menschen der Hitze wegen verkehrten, als der Kneipenwirth Andrea mit drei bewaffneten Gefährten seines Gelichters sich ihm näherte. Zugleich kam ein Boot mit vier berüchtigten Gesellen derselben Bande herangefahren und ein anderes mit zwei Ruderern bemannt hielt sich in der Nähe zur Aufnahme des Griechen. Andrea, den breiten Bund mit Pistolen und Dolchen gespickt, schlug von hinten den Lesenden auf die Schultern und frug: »Seid Ihr Signor Costa?« – Überrascht über die Frechheit sprang der Ungar empor, und maß den Wirth mit den Augen. Ehe er aber noch eine Erklärung fordern konnte, stürzten sich alle Vier auf den Erstaunten und suchten ihn zu Boden zu werfen. Ein wildes Ringen entstand, der Ungar lief »Verrath!« und so groß war seine Körperkraft, daß er sich aus den Händen der Angreifer losmachte, zwei derselben packte und rasch entschlossen sich mit ihnen über die Balken des Bollwerks ins Meer stürzte. In diesem Augenblicke war es, als Welland und Caraiskakis herbeieilten, zugleich von mehreren Seiten andere Personen. Aber auch das Boot der Banditen hatte sich genähert, und von seinem Bort versuchten die Einsitzenden, dem Ungarn, der sich[52] im Wasser von seinen Angreifern befreit hatte und zum Strande zurückschwamm, eine Schlinge überzuwerfen. Zwei Mal gelangte Costa an das Bollwerk und klammerte sich daran fest, um sich empor zu helfen, zwei Mal zerschnitt ihm der Handjar Andrea's die Finger und Arme, daß er blutend zurückfiel, während dessen Genossen mit Messer und Pistolen die andrängenden Menschen zurückhielten. Verzweifelt rang Welland mit einem der Banditen, einem kräftigen Mohren, aber immer wieder wurde er zurückgestoßen und sein Allarmruf erschallte vergeblich. Während dem war es den Mördern im Kahn gelungen, dem Unglücklichen die Schleife um den Hals zu werfen, und blutend, halberdrosselt, halbertrunken schleiften sie ihn an dem Strick durch die Wellen fort. Andrea pfiff dem zweiten Boot und sprang dann auf Welland zu, diesen hineinzuzerren, doch Gregor warf sich schützend vor den Freund und eine kleine Hand, die Hand des Knaben, der vorher die Freunde angesprochen, schlug zugleich die Pistole zur Seite, die der Anführer der Mörderrotte bereits ergriffen hatte. »Bei der Gebenedeiten des Himmels,« rief der Knabe, »Andrea, Ihr seid ein todter Mann, wenn Ihr einem der Herren ein Haar krümmt. Sie stehen unter seinem Schutz!« Er sprach dem Banditen den Namen in's Ohr.

Andra fuhr zurück. »Diavolo,« fluchte er, »da hätte ich mir eine schöne Geschichte auf den Hals geladen! Geht zum Henker, Signor!« Damit stieß er Welland von sich und sprang in die Barke, die alsbald das Weite suchte und dem ersten Kahn nachfuhr. Einige Pistolenschüsse knallten hinter ihm drein von herbeieilenden Gefährten des Gefangenen, aber er war schon zu fern. Man hatte gesehen, wie der Ungar endlich in das große Boot gezogen worden, wie beide zu der Brigg ruderten und der Gefangene an Deck gebracht wurde; die Aufregung war entsetzlich. Wie ein Mordio ging der Ruf von der Gefangennehmung Costa's durch die Straßen Smyrna's; von allen Seiten drängte man nach dem Quai. Italienische, ungarische, polnische und deutsche Flüche und Verwünschungen füllten die Luft, um Gregor und Welland, der mit aufregenden Worten den Hergang schilderte, drängte sich die Menge. Selbst Caraiskakis hatte über der empörenden Scene das eigene Leid für den Augenblick vergessen. Bassitsch, der Ungar, versammelte endlich die nächsten Bekannten um sich, und wechselte fliegende Worte mit ihnen, die das Ärgste befürchten ließen, doch Welland drängte sich vor und ermahnte und bat, alle augenblicklichen[53] Schritte zu unterlassen und von der Berathung abhängig zu machen, die für die Stunde vor Sonnenuntergang auf dem Pagus angesetzt war. Er selbst erbot sich, als am Wenigsten durch seine Person bekannt, nach der Brigg zu fahren und zu versuchen, bis zu Costa zu dringen. Dies beruhigte ein Wenig die exaltirten Gemüther, rasch verbreitete sich unter den Flüchtlingen die Kunde, daß die Versammlung trotz des Geschehenen stattfinden werde, und während noch die Massen auf dem Quai auf und ab wagten, fuhr Welland, auf sein Bitten von dem Freunde und einem in Smyrna ansässigen deutschen Kaufmann begleitet, hinaus in den Golf, um sich der Brigg zu nähern. Seine Bemühung war jedoch vergeblich. Der Anruf der Schildwach befahl ihnen, sobald man sich auf Kabellänge genähert, beizulegen und als Welland sein Verlangen kund gab, den Gefangenen zu besuchen, erschien der Commandant der Brigg, Major Schwarz, ein alter fester Haudegen, auf dem Kastell und drohte ihnen, beim mindesten weitern Versuch, sich zu nahen, Feuer auf den Kahn geben zu lassen. Doch war er menschenfreundlich genug, auf ihre Fragen mitzutheilen, daß Costa zwar erschöpft und leicht verletzt, doch sonst ungefährdet an Bord gebracht worden und dort in strenger Haft sei.

Als das Boot zum Quai zurückkam, war die Sonne bereits im Abwärtssteigen und die Stunde der Versammlung in den mächtigen Trümmern des genuesischen Forts auf dem Berggipfel nahe.

»Sie müssen mich auch dahin begleiten, Gregor,« bat Welland den Griechen, »denn das Ungewitter, das wie ich glaube, sich dort oben zusammenbrauen wird, könnte leicht auch Ihnen behilflich sein zu Ihrem Zweck. Jedenfalls stehe ich Ihnen dann ganz zu Diensten.« So folgte Caraiskakis dem Freunde und diente ihm, da er hier bekannter war, zum Führer.


Über die türkischen und armenischen Begräbnißplätze, die sich an den Seiten des Berges emporstrecken, von Cypressen und Platanen beschattet, schritten die Freunde eilig hinauf. Zu jeder andern Zeit würde sich Welland dem eigenthümlichen Eindruck und Schauspiel hingegeben haben, das die Friedhöfe der Moslems machen. Sie sind die Spaziergänge von Alt und Jung, Männern und Frauen während des Tages, der Aufenthaltsort, oft die Schlafstätte des Gesindels während der Nacht. Zwischen den schmalen[54] und aufrechtstehenden Leichensteinen, welche die Form umgestülpter Obelisken oder Säulen haben, auf deren Spitze ein Turban oder Fez den Rang des Verstorbenen anzeigt, während blaue und rothe Farben, Vergoldungen und Inschriften den Stein schmücken, spielen die Kinder, liegen die Müssiggänger und sitzen klatschend die Weiber. Hin und wieder ragen aus diesen Begräbnißplätzen noch Trümmer der alten hellenischen Mauern hervor, die sich nach dem Gipfel zu mehren. Pausanias setzt den Ursprung der Stadt in die Zeit Alexanders des Großen, der sie in Folge eines Traums für die von Ephesus gekommenen Smyrnäer gegründet haben soll. Unter der Römerherrschaft kam sie zur Blüthe, Tzachas machte sie im Jahre 1084 zur Hauptstadt seines neugegründeten ionischen Reichs; Johannes Ducas, der griechische Admiral, belagerte sie 1097. Zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts war die Stadt bis auf die Akropolis ein Trümmerhaufe, Angelus Comnenus aber stellte sie vor seinem Tode (1227) wieder her. Im vierzehnten war sie häufig der Schauplatz der blutigen Kämpfe der Ritter von Rhodus mit den Moslems; Tamerlan, als er auf seinem Zuge von den Kämpfen der Christen und Türken in der Stadt hörte, belagerte sie 1402 vierzehn Tage lang, nahm sie im Sturm und zerstörte sie auf's Neue.

All diese Erinnerungen zogen an den Beiden vorüber, als sie den riesigen Trümmern des Schlosses zueilten. Die Mauern desselben schließen einen beträchtlichen Raum ein, in ihrem Mittelpunkt finden sich die Reste einer alten Kirche, nach den Volksüberlieferungen: der alten Kirche Smyrna's. Desgleichen viele Cysternen, Gewölbe und Gänge, die einen ganzen unterirdischen Bau unter den Trümmern bilden sollen. Eine weite, herrliche Aussicht bietet sich von diesen Ruinen über Stadt und Meer, über die vom Hermuss durchzogenen Ebenen im Osten und die Flächen im Süden, die der Meles mit seiner Wasserleitung befeuchtet. Etwas weiter zur Seite, unfern der in die Felsen gegrabenen Stadien, wo der heilige Polycarp den Märtyrertod erlitt, stehen noch einige Trümmer des Jupiter-Tempels, und hier hatten die Flüchtlinge aller Nationen sich zur Berathung versammelt. Man hatte mit der Eröffnung derselben auf Welland gewartet, und er wurde genöthigt, von einem der riesigen Postamente herab nochmals die Erzählung der grausames Art und Weise zu wiederholen, in der Costa verhaftet worden. Welland sah sogleich, daß die Exaltation[55] der Menge durch die Einwirkungen Einzelner auf's Höchste gesteigert worden und daß eine besonnene Vermittelung dringend Noth that. Er knüpfte daher sofort an seine Erzählung den Vorschlag, daß die in der Angelegenheit zu thuenden Schritte einem Comitee übertragen werden möchten, daß dieses von dem österreichischen Consul die Freigebung Costa's verlangen, und durch Deputationen die Mitwirkung aller andern Consuln, namentlich der französischen und englischen, in Anspruch nehmen solle.

Doch das war nur ein Tropfen auf den heißen Stein der geweckten Leidenschaften. Fumagalli mit all dem lodernden Feuer seiner Landsleute, nahm den Platz des bedächtigen Deutschen ein und reizte mit flammenden Worten die Menge zu Thaten der Rache. »Wie es Costa ergangen,« rief er, »wird es auch uns gehen; Einen nach dem Andern werden die feilen Schergen der Tyrannei hinwegholen, um uns in Ketten in ihre tiefen Kerker auf dem Spielberg und Kufstein zu werfen, wo so viele edle Söhne der Freiheit lebendig vermodern. Zeigen müssen wir ihnen, daß wir Mann zu Mann stehen, Blut müssen wir haben zur Sühne, mit rothen Flammenzeichen wollen wir unser Gericht halten! Brüder, Freunde, edle Männer der Magyaren! Söhne des freien Italiens! – laßt uns hinunterziehen und die steinerne Zwingburg unsers Feindes, des österreichischen Consuls, mit gewaffneter Faust stürmen. Wenn die Lohe als Warnungszeichen unserer Rache über seiner Habe zusammenschlägt, wenn wir ihn und jedes lebende Wesen in seinem Hause gefangen halten und unsere Dolche ihre Brust bedrohen, wird man uns den Verrathenen sicher ausliefern, und haben wir ihn erst zurück, dann Wehe den Elenden!«

Mit wildem Jubel erwiderte die Menge die Rede. Wahnwitzige Vorschläge aller Art wurden laut, der Ungar Cricca wollte die am Kastell liegende türkische Fregatte mit Gewalt nehmen und mit ihr den Gefangenen befreien, ein Anderer schlug einen Angriff bei Nacht mit Boten vor, ein Dritter gar, die Stadt an allen Ecken anzuzünden. Je abentheuerlicher und entsetzlicher die vorgeschlagene That, desto stürmischer war der sinnlose Beifall. Vergebens suchte in diesem Tumult Welland zur Ruhe und Überlegung zu mahnen; verzweifelnd wollte er sich abwenden und den Platz verlassen, als er im Gedränge einen Zettel in seine Hand gedrückt fühlte. Rasch wandte er sich um, doch unbekannte, nur mit der aufregenden Versammlung beschäftigte Gesichter zeigten sich[56] rings umher. Er flüchtete aus dem Gewühle und las den Zettel. Ein Kreuz, ähnlich dem, das Costa ihm gezeigt, war in flüchtigen Zügen mit Bleistift auf das Papier gezeichnet. Darunter standen die Worte: »Keine Gewalt! die Zeit ist noch nicht gekommen. Gehen Sie morgen zum amerikanischen Consul und verlangen Sie seinen Schutz für Costa als amerikanischen Bürger. Die Hilfe wird zur rechten Zeit bereit sein. Gehorsam!« – Welland trafen die Zeilen wie ein Blitzstrahl, freudig, daß sich eine Aussicht zeigte, den Gefangenen zu retten, überraschend, daß auch hier in so weiter Ferne eine unsichtbare geheimnißvolle Macht seine Handlungen zu leiten, Alles zu überwachen schien. Er drängte sich mit Gewalt zu Fumagalli durch und zog ihn bei Seite. »Wenn Sie nicht Alles absichtlich verderben und Costa's Blut über sich und uns Alle bringen wollen, so stehen Sie von diesen wahnwitzigen Handlungen ab!« sagte er ihm. »Gehen Sie meinetwegen mit einer Deputation zu dem österreichischen Consulat und fordern Costa's Freigebung, um die aufgeregte Menge zu beschwichtigen, aber keine Gewaltthat heute! Sie wissen, daß Costa dem Bunde angehört, im Namen dieses Bundes und als Ihr Vorgesetzter befehle ich Ihnen, den morgenden Tag abzuwarten. Bis dahin wird Hilfe zur Stelle sein, die den Ungar schützen kann, den wir heute nur verderben würden.« – Mit Widerstreben versprach der Italiener, die Menge zu beruhigen oder wenigstens so zu leiten, daß es bei den Drohungen bliebe und keine offenbare Gewaltthat die Lage verschlimmere. Von ihm erfuhr Welland auf seine Nachfrage auch, daß in der Wohnung Costa's sich nur wenige und unbedeutende Papiere vorgefunden und diese bereits in Sicherheit gebracht worden seien. Ein Paß war nicht darunter gewesen.

Während Fumagalli auf's Neue zu dem Kreis der Flüchtigen sprach, mit Hilfe seiner Vertrauten die Wahl eines Comitee's zu Stande brachte und dann vorschlug, nach der Stadt zurückzuziehen, suchte Welland den Freund auf und fand ihn unter den Trümmern des Schlosses am Rand einer Cisterne sitzen. Die Sonne verschwand eben am Horizont und in der beginnenden Dämmerung, die, wie es im Süden der Fall, rasch zunahm, hörten sie die wilden Revolutionsgesänge der abziehenden Haufen. Sie waren die Einzigen, die noch zurückgeblieben, und Welland mahnte trotz des erhabenen Eindrucks, den die Stille des Abends und der einbrechenden Nacht verbreitete, zum Aufbruch, da ihm die Erzählungen von[57] der Unsicherheit der Umgebung einfielen. Aber es schien bereits zu spät. Als sie den Ausgang suchten, streckte sich ihnen plötzlich ein Gewehrlauf entgegen und eine barsche Stimme rief sie in griechischer Sprache an. Sie sprangen zurück und griffen nach den verborgenen Terzerolen, die Beide trugen, doch ein leichtes Lachen machte sie sich umwenden, und sie erblickten hinter sich, aber in griechischer Tracht und auf eine lange Flinte gestützt, den Unbekannten, welcher sich gestern auf der Marina bei Caraiskakis Namen so ergriffen gezeigt hatte.

»Ich danke Ihnen, Signori,« sagte der Fremde mit leichtem Spott, »daß Sie meiner Einladung dennoch Folge geleistet. Freilich etwas spät – doch in diesem Lande kommt alles Gute spät, oft zu spät, meist gar nicht. Wollen Sie mir folgen, Sie sehen, jeder Widerstand ist unnütz, und bei Sanct Procopio, meinem Schutzheiligen, ich wollte mir eher die Augen ausreißen lassen von diesen türkischen Hunden, ehe ich zugäbe, daß Ihnen etwas Übles widerfährt.«

Welland und der Grieche sahen sich um und sich von neun bis zehn dunklen Gestalten umgeben, deren Waffen im Sternenlicht funkelten, – Widerstand wäre thöricht gewesen – nach wenigen deutsch gewechselten Worten erklärten sich Beide bereit, dem Fremden zu folgen.

Dieser – offenbar der Anführer der gefährlichen Schaar – ertheilte derselben einige kurze Befehle und ging dann voran, von den beiden Freunden gefolgt, denen sorgsam zwei der Banditen jede unebene und gefährliche Stelle zeigten. Der Weg führte sie mitten in die Ruinen der alten Akropolis und nach kurzem Gang sahen sie aus einem der verfallenen Bogen den Schein eines Feuers leuchten. Sie traten durch die Pforte in einen kleinen von Mauern umgebenen Raum, in dessen Mitte ein Feuer brannte, von dem Knaben angeschürt, der ein Hammelviertel am Spieß briet. In der Nähe lagen auf riesigen Marmorquadern ein Schlauch voll des schwarzen aromatischen Brussaweins und andere zur Mahlzeit gehörige Gegenstände.

Der Fremde schritt zuerst auf den Stein zu, nahm einen Maiskuchen, bestreute ihn mit Salz und brach ihn in drei Theile, von denen er einen jedem der Freunde gab. »Nehmt und eßt,« sprach er, »der Gast ist dem Wirthe heilig.« Gregor und Welland aßen einige Bissen, und Beide, die schöne Sitte des Morgenlandes kennend, fühlten sich beruhigt.[58]

»Jetzt, Mauro,« sagte freundlich der Unbekannte zu dem Knaben, »entferne Dich und halte Wache, daß uns Niemand stört, ich habe mit diesen Männern zu reden.« Das Kind gehorchte; auf einen Wink des Mannes setzten sich die Freunde auf die umherliegenden Trümmer und harrten gespannt auf die Entwickelung.

Lange saß ihr seltsamer Wirth auf dem Stein vor ihnen, die braunen schwieligen Hände vor dem Gesicht, als zolle er mächtigen Erinnerungen seinen Tribut. Dann erhob er das Haupt, reichte dem jungen Griechen die Hand, und sagte: »Sei mir willkommen, Sohn des Michael Caraiskakis, meines unvergeßlichen Herrn! Sage, ist Einem Deines Geschlechts der Name und das Antlitz Johannes des Ipsaroten denn so ganz fremd geworden, daß er ihn nicht mehr wiedererkennt?«

»Janos!« rief der Grieche, und sprang empor – »Janos, der Mutter und Kind in der Mordnacht aus den Flammen trug? Janos, unser Retter und Freund! Heilige des Himmels, wo hatte ich meine Augen!« Er umschlang den Hals des Mannes, in dessen Augen Freudenthränen glänzten, der aber freundlich ihn von sich drängte.

»Janos! Ja wohl!« sagte er, »und damit Ihr Alles wißt – Janos Katarchi, Jan, der Kameeltreiber, Jan der Räuber und Mörder, vor dessen Namen jene ungläubige Brut dort unten zittert. Jan Katarchi steht vor Dir und heißt Gregor, den Knaben, den er einst auf den Knieen trug, willkommen, wenn dieser ihn noch kennen will'«

Gregor warf sich noch einmal an die Brust des treuen Dieners seiner Familie. »Sage, Jan der Palikare, Jan der Rächer, wie Dich jedes wahre griechische Herz dort unten nennt. Was geht mich Dein Name an, Dein Thun, oder daß Du vogelfrei im Kampf mit den Unterdrückern unsers Volks bist, und an Deinen Händen Blut klebt! Ist es nicht auch das Blut, das Du vor einunddreißig Jahren zu unserer Vertheidigung vergossen, bist Du nicht der Waffendiener meines Vaters, der mit ihm das Schiff des blutigen Wüthrichs gegen die Wolken sprengte, als diese ihre Blitze vergessen hatten gegen die tausendfachen Greuel! Es ist wahrlich eine Segnung der Heiligen in meinem Kummer, daß ich in diesem Augenblick einen Mann finde, der der Freund meiner Kindheit war, wie ich den Freund meiner Jünglingsjahre wieder gefunden!« Er reichte Beiden die Hand, die der Bandit trotz der[59] Abwehr Gregor's leidenschaftlich küßte. Dann zog der Mann des Bluts und der Verbrechen den Wiedergefundenen zu sich nieder an's Feuer und begann mit einer Hast und Unermüdlichkeit der Zunge, die dem Griechen, namentlich der untern Klassen eigen ist, ihm hundert Fragen über das Schicksal der Familie vorzulegen, während der Deutsche ein stummer, aber aufmerksamer Zuhörer der unerwarteten Scene blieb.

»Aber sage mir, Janos,« unterbrach endlich Caraiskakis den Strom der Fragen, – »wie kommst Du hierher? Wir glaubten Dich todt nach der letzten Nachricht, die wir von Dir erhalten, und betrauerten Dein Andenken.«

»Du weißt, Herr,« erzählte der Räuber, »daß ich an der Seite Deines tapfern Vaters am Piräus fiel, als wir fünf Jahre nach dem Blutbad von Chios unter Richard Church den Ersatz der Akropolis versuchten. Mein Leib deckte den theuren Leichnam und zeigte noch die Spuren der drei tiefen Wunden, die ich erhielt. Wie ich gehört habe, ziert ein Denkmal die Stelle, wo mein Herr für die Freiheit und das Kreuz am 4. Mai blutete. Mögen die Heiligen ihm im Paradiese gnädig sein! Als ich erwachte, lag ich nackt und bloß auf dem Schlachtfeld. Ein fränkischer Arzt erbarmte sich meiner, – schon damals im heiligen Kampf des Kreuzes gegen den Halbmond hatten sich ja Christen unsern Feinden verkauft! – und verband meine Wunden. Wider das eigene Hoffen genas ich, und mit hundert anderen Unglücklichen schickte mich Ibrahim Pascha als Siegesbeute seinem Vater nach Egypten. Dort litt ich fünf Jahre, was ein Sclave leiden kann, bis ich im Krieg des Vicekönigs gegen den Sultan mit nach Syrien geschleppt wurde. In dem Gewühl des Sieges von Konieh gegen Reschid Pascha gelang es mir, zu entkommen, – ich bettelte und schlug mich durch, bis ich die blauen Ufer unsers schönen Meeres mit seinen grünen Inselsternen wieder sah, und kam nach Chios. Zehn lange Jahre hatten nicht gereicht, die Spuren jener schrecklichen Verwüstung zu verwischen. Die herrliche Insel, des großen Homer Geburtsstätte, hatte man in den Händen der Ungläubigen gelassen, die Inglesi tragen die Schuld daran, wie ich mir sagen ließ, jenes Volk von Kaufleuten, das jetzt wieder auf der Seite unserer Unterdrücker steht, jetzt, wo der große Czaar im Norden das ganze Griechenland frei machen will von der Herrschaft der Ungläubigen. Deshalb hasse ich die[60] Nation, ich speie auf die Gräber ihrer Väter; denn Nichts sind sie besser, als die Moslems selber.«

»Hier hören Sie eine Stimme des Volks,« winkte Caraiskakis dem Freunde. »Wie aus dem Munde dieses Verbannten und Geächteten, so tönt es überall, wo Hellenen wohnen und Jeder träumt von einer neuen Ära des byzantinischen Reichs.«

»Auf Chios,« fuhr der Räuber fort, »war meines Bleibens nicht mehr. Vergeblich forschte ich nach der Familie meines Herrn. Der neue Name Deiner Mutter verbarg mir die Spur. So ging ich auf's Festland zurück und gewann mein Brot in Smyrna als Kameeltreiber bei den Karavanen, die aus dem Innern von Syrien und Turkomannien die Früchte und Teppiche bringen. Ich hatte Weib und Kind, – eine Tochter von sechszehn Sommer, und bei Sanct Polycarp dem Märtyrer, es war ein schönes und gutes Kind. Ich wohnte damals mit meiner Familie in Tschardak am Tschernek-Su, nährte mich redlich und friedlich und zahlte regelmäßig mein Kopfgeld. Ein junger Mann unsers Glaubens sah mein Kind und begehrte es zur Ehe. Der Tag der Hochzeit war bestimmt, da reitet der Musselim1 an unserm Hause vorbei und sieht Nausika, die ihm Milch reichen muß. Am andern Tage läßt er mein Weib rufen, – ich war gerade mit den Karavanen nach Smyrna, – und frägt sie, ob sie ihm die Tochter verkaufen wolle. Mein Weib erschrickt und bittet ihn, abzustehen, da das Mädchen verlobt sei und man bloß meine Rückkehr erwarte, um sie in das Haus ihres Gatten zu führen. Der Musselim aber streicht sich den Bart, spricht, er brauche ein schönes Weib als Geschenk für seinen Gönner, den Mehemet Pascha in Stambul, und wenn sie das Kaufgeld nicht nehmen wolle, werde er das Mädchen umsonst holen. Darauf schickte er nach Vaso, meinem Eidam, steckt ihn trotz seines Glaubens unter den Nizam2 und sendet ihn noch am selben Tage mit einer Schaar fort. Am Abend aber holen seine Khawassen das Mädchen, und als mein Weib stehend folgt bis an die Schwelle seines Hauses, mißhandeln sie die Ärmste mit Stockschlägen, daß sie krank von den Nachbarn nach Hause getragen wird. Als ich fünf Tage später von Smyrna heimkehrte, fand ich mein Weib am Tode, mein Kind geraubt und den Musselim[61] verreist. Ich raufte das Haar und begrub mein Weib. Dann that ich einen Eid bei der heiligen Jungfrau, zündete mein Haus an, die Stätte meines Glücks, und ging davon.«

»Aber warum klagtet Ihr nicht, unglücklicher Mann,« sagte der Deutsche, »warum wandtet Ihr Euch nicht an die europäischen Consuln oder selbst nach Constantinopel?«

»An die Consuln?« hohnlachte der Räuber. »War ich ein ionischer Dieb oder ein maltesischer Mörder, daß ich auf ihren Schutz Anspruch gehabt hätte? Ich war ja nur ein Ipsarote, Einer der Millionen Christen, die diesen Henkern überlassen blieben mit Leib und Seele! – Gerechtigkeit in Smyrna oder Stambul gegen den Musselim, meinen Herrn! – Nein, Signor, ich that Besseres, das Einzige, was dem Manne bleibt. Ich lauerte am Wege in den Felsen neun Tage lang, bis der Musselim von seiner Fahrt zurückkehrte, und als er mir nahe war, schoß ich ihm die Kugel in Mitten seiner Khawassen durch das gierige Herz. – Seit dem, Gregor Caraiskakis, seitdem bin ich ein Räuber!«

»Und Deine Tochter?«

»Was liegt an meiner Tochter! Sie wird, wie hundert Andere, an das träge Leben im Harem eines unserer Herren im üppigen Stambul sich längst gewöhnt haben! Die Heiligen wissen, ob und wo sie athmet – für den Vater ist sie gestorben. Ich nahm den Sohn der Schwester meines Weibes mit mir, Ihr habt den Knaben gesehen, und bald waren einige Gefährten um mich versammelt, mit denen ich mein Rachewerk begann. Ihrer Verfolgungen kann ich spotten, denn tausend Freunde haben Augen und Ohren für mich in jener Stadt und im ganzen Paschalik.«

»Du schmähst auf den Türken, Mann, auf den Erbfeind Deines Glaubens,« sagte Gregor mit finsterem Ausdruck; »gehe hin zu Deinen christlichen Brüdern, den prahlenden Beschützern unserer Freiheit und unserer Religion, den Männern, die von den Rechten des Volks in ihren Parlamenten reden und das Glück der Völker im Munde führen! Der Moslem nimmt offen seinen Raub und sagt: ich bin Dein Herr! Der Brite aber stiehlt Dir Dein Gut wie Dein Land, wenn es ihm gefällt und macht Dir noch weiß, es geschehe zu Deinem eigenen Besten. Dir ist die Tochter genommen, mir die Schwester. Ist die Odaliske des Türken, nach seinen Sitten und seinem Glauben sein Weib, nicht besser als die Metze des reichen Briten?«[62]

Er sprang empor; die Faust des Räubers preßte seinen Arm: »Was sprichst Du da?«

Gregor wiederholte das, was er am Mittag dem Freunde erzählt hatte. Der Bandit jauchzte hell auf: »Ei! steht es so! – Du würdest das Vöglein ausgeflogen finden, mein Sohn, wenn Jan, der Kameeltreiber, nicht zufällig dafür gesorgt hätte. Unten im Golf liegt eine Felucke vor Anker, die der Inglesi gemiethet hat, um mit seinem Täubchen morgen in der Frühe auf und davon zu fahren. Ich habe gute Spione in Bournabat und hatte dem Franken ohnedem heute Nacht einen Besuch zugedacht, um ihn etwas leichter zu machen. Jetzt wird die Sache ernster. Wenn wir Deine Schwester nicht heule ihm abnehmen, ist sie verloren für Dich. Die Felucke führt nach Tenedos, wo in der Troja-Bai3 die Flotten ankern. – He, Mauro!« Er pfiff gellend, der Knabe sprang wie ein Pfeil herbei; Jan befahl ihm, die Gefährten zu rufen bis auf die äußerste Wache gegen die Stadt. »Wir dürfen erst nach Mitternacht aufbrechen und wollen unterdeß unsere Mahlzeit halten. Ehe der Morgen graut, Gregor Caraiskakis, sollst Du Deine Schwester hier sehen.«

»Das ist mein eigen Geschäft,« erklärte Gregor, »ich nehme dankbar Deine Hilfe an, aber ich werde Dich begleiten. Und Du, Freund,« er reichte Welland die Hand, »wirst uns gewiß nicht verlassen?«

»Gewiß nicht in einer gerechten Sache,« entgegnete dieser; »aber Eines beding' ich mir aus, um Ihrer eigenen Ehre willen, Gregor: kein unnützes Blut, keinen Mord! Sie versprechen mir das Leben des Briten – – hören Sie erst Ihre Schwester, dann entscheiden Sie und fordern Rechenschaft, wenn es nothwendig ist. Im Licht des Tages werde ich Ihnen als Freund zur Seite stehen, und so allein können Sie vielleicht die Ehre des Mädchens wiederherstellen. Ich liebe selbst die Nation des Verführers nicht, aber den Muth, dem Gegner sich zu stellen, wird ihr Feind selbst nicht läugnen.« Gregor gab das geforderte Versprechen, nach einigen Einwänden auch der Räuber. Während die wilden Gestalten seiner Gefährten von verschiedenen Seiten herbeikamen und Alle um das Feuer zur Mahlzeit lagerten, besprach man das Unternehmen[63] und Mauro brachte Waffen aus den in weiten unterirdischen Gewölben und Gängen der Ruinen befindlichen Verstecken der Bande für die beiden Freunde. – –


Die dunkle Nacht lag über dem prächtigen Golf, und Ruhe und Stille über der großen Stadt, als in der Nähe der Mühlen am diesseitigen Strande zwei Barken abschoben, in denen sich acht wohlbewaffnete Männer und ein Knabe befanden, und ihre Richtung nach Bournabat nahmen. Es waren der Räuber Jan Katarchi und seine Gefährten, Gregor Caraiskakis und Doctor Welland. Jan saß mit diesen in einem der Nachen zusammen, den zwei Mann ruderten, die andern drei mit dem Knaben fuhren voraus. Alle waren mit Pistolen und Handjar bewaffnet, Gregor und der Doctor hatten ihre Kopfbedeckung mit einem Fez vertauscht, an dem vorn ein Stück grünen Schleiers zur Verhüllung ihrer Gesichtszüge befestigt war. Jan hatte auf diese Vorsicht bestanden, um späteren Folgen durch ein Wiedererkennen vorzubeugen. In den Kähnen lagen Stricke und Hacken und eine schwere Eisenstange, um nöthigen Falls die Thür zu erbrechen.

Auf der Mitte des Wassers sahen sie die Felucke ankern, welche am Morgen Sir Maubridge und die schöne Griechin nach Tenedos tragen sollte. Jan gab ein leises Zeichen, in aller Stille vorbeizufahren; die Ruderer hoben die Riemen, um sich nicht durch die phosphorleuchtenden Striche einer etwaigen Wache zu verrathen, und die Boote trieben in einiger Entfernung am Schiff vorüber, bis sie weit genug waren, um durch den Ruderschlag nicht mehr gehört zu werden; dann griff man wieder eifrig zur Arbeit, und nach einer Viertelstunde war man an der Gartenmauer des Landhauses, das Gregor im Dunkel als dasjenige erkannte, an dem er am Morgen vorher nach der Schwester geforscht. Der Räuber hatte rasch seine Dispositionen getroffen. Welland und zwei der Banditen wurden im Wasserhof zurückgelassen, in dem die Kähne angeschlossen lagen, mit dem Auftrag, hier den Bewohnern den Rückzug abzuschneiden. Einen Andern postirte Jan auf den Weg nach Bournabat, da das Landhaus des Viceconsuls fast das Ende des Dorfes bildete; er selbst mit Gregor, dem Knaben und zwei seiner Leute übernahm es, durch den Haupteingang einzudringen.[64]

An dem Thor angekommen, hob der Räuber den Jungen, der seine Lust an der ihm gewährten Rolle durch fast affenartige Behendigkeit und Geschicklichkeit ausdrückte, auf seine Schultern und ließ ihn einen der am Strick befestigten Haken über die Mauer werfen und an jener vollends emporklimmen. Oben auf derselben änderte Mauro bloß die Lage des Hakens und ließ sich an dem Seil in den Hof hinab, um von Innen das Thor zu öffnen. Während dem hatte Jan seinen beiden Begleitern Fackeln gegeben, um selbe zum Anzünden bereit zu halten. Gregor faßte den Schaft der Pistole in seinem Gürtel und spannte den Hahn.

»Capitano,« flüsterte dee Knabe durch die Spalte, »die Thür ist verschlossen, ich kann sie nicht öffnen und höre das Schnarchen des Khawassen.«

»Pesta!« fluchte der Sciote, »das ändert unser Spiel und wird blutige Arbeit geben. Sieh, daß Du in's Haus gelangst, Mauro, durch eine der Jalousien. Du hast zwei Minuten Zeit; beim heiligen Prokopio, sei flink, mein Junge!«

Wenige Momente darauf setzte er das Brecheisen zwischen die Fugen des Thors und warf sich mit seiner riesigen Kraft darauf. Zugleich flammten die Pechfackeln der beiden Räuber empor.

Ein türkischer Anruf tönte von Innern.

»Bismillah! Wer ist dort? Was wollt Ihr?«

»Jan Katarchi!« heulte der Ruf des Räubers durch die Luft und alle Vier warfen sich mit aller Manneskraft gegen das brechende Thor. Zwei Schüsse knallten ihnen entgegen, von denen der eine den Mann neben Katarchi in die Schulter traf, daß er zu Boden taumelte. »Nach der Barke!« herrschte ihm der Führer zu, und die Fackel dem Verwundeten entreißend, schleuderte er sie mit gewaltigem Schwunge hinauf auf das platte Dach des Hauses und war mit einem kühnen Satz über die Trümmer des Thors mitten im Hof. Im nächsten Augenblick parirte seine große Pistole den scharfen Handjarhieb eines Khawassen und er drückte die Waffe nach dem Türken ab. Aber eingebogen von dem kräftigen Hieb sprang das Rohr bei dem Schuß und die eisernen Splitter stoben umher.

»Diona! Diona!« schrie Caraiskakis, und ohne des zweiten muthig den Zugang des Hofes vertheidigenden Khawassen zu achten, sprang er wie ein Panther über den Hof und versuchte die[65] Thür des Hauses einzustoßen. Eine Kugel, die im nächsten Augenblick durch seinen hohen Feß fuhr, belehre ihn, daß die Bewohner bereits wach und zur Vertheidigung bereit seien. Emporblickend bemerkte er ein männlich schönes, nur etwas starres Gesicht, das von hochblondem lockigem Haar umgeben, sich mit furchtlosem Ausdruck aus dem Fenster des ersten Stockwerks gerade über der Thür heraus bog, um die Wirkung des Schusses und die weiteren Vorgänge im Hofe zu erspähen. Ein weißer voller Arm schlang sich um den Hals des Engländers und zog ihn halb mit Gewalt in das Haus zurück.

Im Hofe schlug sich Katarchi mit den beiden Khawassen, sein Untergebener war Caraiskakis zu Hülfe geeilt und suchte mit diesem die Thür einzudrängen. Ein Ruf des Bandenführers, der die Augen überall hatte, mahnte Gregor, zur Seite zu blicken. Aus einem Nebenfenster des Erdgeschosses, nahe der bestürmten Thür, lehnte sich ein vierschrötiger Engländer in Seenmannstracht bequem heraus und suchte für seine Flinte im Anschlag den Kopf des Griechen zu fassen. Die Gefahr war dringend und fast unabwendbar. Aber im Augenblick, wo der Finger des Briten den Drücker berührte, schwankte das Gewehr und der Schuß fuhr zur Seite vorbei, der Engländer aber verlor das Gleichgewicht und an den Beinen in die Höhe gehoben, stürzte er schwerfällig aus dem Fenster auf das Marmorpflaster des Hofes. Mauro, der gewandte Schelm, war durch eines der Fenster in's Haus geklettert und zum glücklichen Augenblick erschienen. Im nächsten hatte er die Thür entriegelt und Caraiskakis, sein Gefährte und der Räuberchef, der sich des einen Khawassen durch einen schweren Hieb in die Schulter entledigt hatte, stürzten in das Haus. Zugleich eilte aus dem Oberstock Sir Maubridge, von zwei anderen Dienern und dem Hausaufseher gefolgt, die Stiege herab, denn oben auf dem flachen Dache leckten und schlugen bereits die Flammen empor, die Jan's geschleuderte Fackel an dem trockenen Holzwerk entzündet. In dem linken Arm des Briten, halb getragen von ihm, hing ein griechisches Weib in wallenden Nachtgewändern, das bleiche Gesicht umflattert von den fessellosen wallenden Locken. »Diona!« wiederholte Gregor und das bleiche Frauenbild zuckte zusammen bei den bekannten Tönen und streckte die Hände nach ihm aus, – aber wie von unwiderstehlicher Macht dahingerissen, klammerte sie sich von Neuem an den Geliebten und der flammende Stahl trennte die Geschwister,[66] denn kühn und gewandt schwang Maubridge den Säbel in seiner Rechten gegen die Herandrängenden, und die drei Diener wehrten mit allen Waffen, die in der Eile zur Hand waren, den Angriff ab und sicherten seinen Rückzug. Zwei Mal hob Gregor die Pistole und visirte nach dem Verführer, zwei Mal ließ er sie sinken, denn des Mädchens Brust deckte opfernd den Geliebten. So tobte, der Kampf von Zimmer zu Zimmer, bis der hintere Ausgang des Hauses erreicht war und unter der Hand der Diener aufflog. »Hundert Pfund, wenn Ihr fünf Minuten die Thür haltet!« bot der Brite und warf sich mit seiner schönen Beute in's Freie, während die drei Engländer wie grimmige Bulldoggen sich vor den Ausgang stellten und den Gegnern das Weiße im Auge boten. Ein Schuß durch den Kopf aus Gregors Pistole streckte den einen der Diener zu Boden, dem Hauswart traf ein Messerstich des Buben Mauro in die Weichen, und während der dritte Gegner dem Räuberchef einen gewaltigen Boxerstreich versetzte, der diesen fast zu Boden warf, tönte draußen bereits der Ruf des Triumph's; Welland trug das ohnmächtige Mädchen auf seinen Armen hinab zum Ufer, indeß seine beiden Gefährten den zu Boden geworfenen Baronet mit Stricken zusammenschnürten. Hoch auf schlug die Flamme aus dem Landhause in den blauen Nachthimmel und beleuchtete die blutige Scene. Da eilte vollen Laufs der Bandit herbei, den Jan auf Posten gegen das Dorf gestellt hatte und verkündete das Nahen von Leuten. Im Nu waren Alle an den Booten versammelt, – drei der Männer schwer verwundet, auch Jan blutete aus einem Schulterhieb, – die Boote flott gemacht und besetzt, – in der nächsten Minute stießen sie vom Ufer und flogen in das bergende Dunkel, während hinter ihnen drein noch ein Schuß des entflohenen Khawassen knallte und die jeden Moment sich mehrenden Gestalten am Ufer hin und her eilten. Welland hatte das noch immer von Ohnmacht befangene Mädchen dem Freunde auf den Schooß gelegt und arbeitete rüstig mit zwei Rudern. In der Spitze des Kahns stand Jan, um die Bewegungen zu lenken, damit sie nicht zu nahe der Felucke kommen möchten. In der That war hier Alles wach geworden von dem wiederholten Schießen und dem Brande, der mächtige Rauchwolken in die Morgenluft emporqualmte. Man rief sie an, aber der Räuber antwortete gewandt, daß sie vor dem Angriff flüchteten und bald waren sie außer Schußweite. Im Hauch der frischen Seeluft[67] kam Diona wieder zur Besinnung. Zuerst fuhr sie empor und blickte wild um sich, wie den schützenden Freund suchend, – dann, indem sie den Bruder erkannte, warf sie sich in seinen Schooß und weinte heftig. In der Nähe des Ufers trennten sich die Kähne, und während der Banditenchef das Geschwisterpaar weiter hinauf nach seinen Verstecken führte, landete der Knabe den Arzt in der Nähe der Frankenstadt und geleitete ihn durch die noch einsamen Straßen bis zum Eingange seines Hauses. Am nächsten Abend versprach er ihn zu dem Freunde zurückzuführen.


In Smyrna selbst war der Abend und ein Theil der Nacht zwar ruhig und stürmisch, aber doch ohne Gewalthat der Flüchtlinge vergangen. Der Tiger hatte noch nicht Blut geleckt. Eine Deputation an Herrn von Wexbecker, den österreichischen Consul, war von diesem, der – nachdem die Sache einmal verfehlt angegriffen war – sich männlich und consequent benahm, abgewiesen worden. Die Flüchtlinge und der zahllose Janhagel von Smyrna, der sich ihnen angeschlossen, tobten durch die Frankenstadt, drohten das österreichische Consulat zu stürmen, warfen einige Fenster ein und ließen es bei den Drohungen. Noch bis tief in die Nacht wogte die Bevöllkerung auf und ab durch die Straßen. Bei der Alltäglichkeit von Feuersbrünsten in den großen türkischen Städten, wo die Regierung selbst oft ganze Quartiere abbrennen lässt, um die Bewohner zum zweckmäßigeren Neubau zu zwingen, war der Brand jenseits des Golfs zwar bemerkt worden, aber Niemand achtete darauf, noch weniger fiel es Jemand ein, Hülfe dahin zu bringen.

Am nächsten Morgen – Welland hatte von der Erregung der Nacht bis in den Vormittag hinein geschlafen, – begab er sich sofort zum amerikanischen Consul und reclamirte der erhaltenen Weisung gemäß Costa als amerikanischen Schutzangehörigen auf Grund eines Passes, den der Ungar von den Vereinigten Staaten erhalten haben sollte. Zu seiner Verwunderung fand der Arzt den Consul sofort bereit, auf das Verlangen einzugehen. Es schien, als ob er bereits darauf vorbereitet gewesen und er theilte ihm mit, daß am Morgen eine amerikanische Corvette von Constantinopel angekommen sei und im Hafen Anker geworfen habe, ein glücklicher Zufall, der ihrer Forderung den nöthigen Nachdruck[68] geben mußte. Eine Stunde darauf trat, durch einen Boten herbeigerufen, der Capitain der Corvette in Begleitung eines seiner Offiziere bei dem Consul ein und begab sich mit demselben zu Herrn von Wexbecker, um die Reclamation einzulegen. Der österreichische General-Consul empfing sie zuvorkommend, und obgleich er die Begründung der Ansprüche bezweifelte, erklärte er sich bereit, die Amerikaner an Bord des »Hussar« zu begleiten, um durch eine eigene Unterredung mit Costa ihnen genauere Information zu verschaffen. Welland erwartete in aufregender Spannung im Consulats-Gebäude ihre Rückkehr, und als er endlich das Boot von der Brigg wieder abstoßen, zur Corvette rudern und dann zum Lande zurückkehren sah, eilte er ihm auf die Marina entgegen. Der amerikanische Consul brachte jedoch schlechte Nachrichten. Costa hatte trotzig sich als Ungar erklärt und zwar angeführt, daß er sich einige Zeit in Amerika aufgehalten und von dort nach Smyrna gekommen sei, aber über seine Schutzangehörigkeit oder das Vorhandensein eines Passes keine, einigermaßen zum weiteren Einschreiten berechtigende Angaben machen können. Unter diesen Umständen hatten die Amerikaner von der Reclamation Abstand nehmen und den Ungar seinem Schicksale überlassen müssen, das er übrigens mit ungebeugtem Sinne trug. – Welland war sehr bestürzt über die Nachricht, der Consul jedoch führte ihn bei Seite und versicherte ihm, daß in der Angelegenheit noch Nichts verloren sei, da Herr von Wexbecker sich weiter bereit erklärt hatte, vor der Abführung Costa's mit dem nächsten Lloyddampfer nach Triest erst die weitere Entscheidung der beiden Gesandtschaften in Constantinopel abwarten zu wollen, an die sofort die nöthigen Berichte gesendet werden sollten. Der amerikanische Capitain war bereits angewiesen, sich jeder früheren Wegführung des Gefangenen nöthigenfalls mit Gewalt zu widersetzen. Für das Weitere, meinte mit schlauem Lächeln der Amerikaner, werde man schon in Constantinopel sorgen. Beruhigt schied Welland von ihm und wandte sich wieder zu Marina, um den Fremden Costa's diese tröstliche Nachricht mitzutheilen, denn rasch hatte sich die Kunde von der verweigerten Auslieferung in der Stadt verbreitetet. Eine Zeitung zur Hand nehmend, setzte er sich am Eingang des englischen Café's (Café Paulo) nieder.

Es war der Abend des 23. Juni. Das Belvedere des Caffeehauses begann sich nach und nach mit Fremden und Einheimischen zu füllen. Bald darauf traten Arm in Arm zwei junge Offiziere[69] von der österreichischen Brigg auf den offenen Raum, ließen sich an dem zweiten Tisch von Welland nieder und forderten Eis und Limonade. Es waren der Schiffslieutenant von Auerhaummer und der Marine-Aspirant Baron von Hackelberg, der einzige Sohn des Feldmarschall dieses Namens. In dem Zweiten erkannte Welland den Offizier, welcher am Morgen seiner Ankunft zum Egytto gekommen und das Boot der Italiener zurückgewiesen hatte. – Die beiden jungen Leute, keck die allgemeine Mißstimmung herausfordernd, lachten und scherzten ziemlich laut und hatten, wie man später erfuhr, schon während des ganzen Morgens sich unachtsam durch die Straßen Smyrna's umhergetrieben. Viele Blicke ruhten mißbilligend oder ängstlich auf ihnen, dennoch ahnte Niemand die schreckliche Katastrophe, die folgen sollte.

Auch Welland hatte mit einer gewissen Unbehaglichkeit und Besorgniß die kecke Haltung der beiden hübschen jungen Männer bemerkt, und dies um so mehr, als kurz nach ihrem Erscheinen sein Wiener Reisegefährte sich für einige Augenblicke einfand, heimlich mit den beiden Offizieren sprach und einzelne auf ihn fallende Blicke zeigten, daß von ihm die Rede sei. Er wollte, um dem widrigen Eindruck zu entgehen, sich eben entfernen, als mit Lärmen und Geräusch, offenbar sehr erregt, eine neue Gesellschaft den Platz betrat und am Tische neben Welland, gegenüber dem der Offiziere, Platz nahm. Es waren Fumagalli, der Ungar Bassitsch, dessen Hand fortwährend in der Brusttasche spielte, Lepicq, ein französischer Fechtmeister, zwei andere lombardische Flüchtlinge, Budoli und Cugini, und der Pole Sczukowski. Aller Blicke hafteten sogleich auf den beiden Österreichern und Fumagalli gellte ein wildes Lachen auf, indem er Bassisch auf die Schulter schlug und offen auf den Baron wies. »Per bacco amico, da haben wir unser Vöglein von vorgestern! Jetzt kann ich Revange nehmen!« – Die Offiziere hatten Besonnenheit genug, die offenbare Beleidigung nicht zu bemerken, und unterhielten sich leise, während die Angekommenen ringsum die Stühle besetzen, so daß kein Ausgang offen blieb, und Welland rasch zu dem in der Nähe befindlichen Wirth des Café's, Signor Paulo, trat und ihm einige Worte zuflüsterte.

»Bassa manelka!« fluchte Bassitsch. »Grogk hierher! Rasch!«

Der Arzt aber nahete sich der Gesellschaft und suchte durch[70] ein geschicktes Manöver die Mitte zwischen den beiden Tischen zu decken.

»Zum Teufel, Doctor,« schnob der ersichtlich schon angetrunkene Ungar, »gehen Sie mir da aus dem Wege, Sie geniren mich im Anblick der verfluchten Röcke, die wir an der Theiß und Donau manch liebes Mal geklopft haben. Ein Kossuth! und der Teufel hole die deutschen Tyrannenknechte!«

Der Wirth, der das Verlangte gebracht, war am Tische der beiden Marine-Offiziere vorübergegangen, und sich dort ein Geschäft machend, flüsterte er ihnen zu:

»Meine Herren, ich rathe Ihnen dringend, sich zu entfernen, es ist hier nicht geheuer für Sie und ich stehe für Nichts.«

Eine kurze und leise Berathung zwischen den jungen Leuten folgte, dann standen Beide rasch auf und versuchten fortzugehen. Welland hatte in diesem Augenblicke ihnen den Rücken zugekehrt und war bemüht, Bassitsch, der ihm der Gefährlichste schien, zu beschäftigen. Er gewahrte deshalb nicht, wie das schwarze Auge des Italieners Fumagalli jeder Bewegung des Aspiranten folgte, gleich dem Blick der Schlange, mit dem sie die ängstlichen Windungen ihres Opfers belauert. Fumagalli hielt den Fuß weit vorgestreckt, so daß er damit den Ausgang zwischen den Stühlen versperrte. Der Baron von Hackelberg war voran; obschon er die offenbare Herausforderung des Lombarden erkannte, hatte er Geistesgegenwart genug, seine Ruhe zu bewahren, faßte mit der Linken an die Mütze und sagte höflich:

»Signor, erlauben Sie, daß wir passiren!«

»Zur Hölle!« gellte die Stimme des Lombarden, der wie ein Raubthier emporsprang und sich auf den Offizier warf. Einen hellen schlanken Blitz sahen die Umsitzenden zucken und sich zwei Mal in die linke Brust des jungen Mannes vergraben, daß die Mordfaust gegen die Uniform stieß. Der Baron taumelte, wie von dem Stoß außer Haltung gebracht, zurück an das Geländer, dann faßte er es mit beiden Händen, stieß einen einzigen lauten, kreischenden Schrei aus und schwang sich mit krampfhaftem Sprung hinüber in's Wasser, das ihn spurlos verschlang. Zugleich waren die umsitzenden Flüchtlinge, wie als hätten sie auf dies Mordsignal gewartet, aufgesprungen und stürzten sich mit ihren schweren Stöcken und Dolchen aus den Lieutenant von Auerhammer, ehe dieser noch im Stande war, sein Seitengewehr zu ziehen. Mehrere Hiebe[71] über den Kopf warfen ihn zu Boden, drei Dolchstöße verwundeten ihn, zum Glück nur leicht. Wie ein Rasender rang Bassitsch mit dem deutschen Arzt, der im Innersten empört um Hülfe gegen die Mörder rief. Zu zweien Malen rang der Ungar die Rechte los und schoß jedes Mal ein Pistol gegen den schon am Boden liegenden Offizier ab, zu dessen Beistand jetzt einige Caffeegäste herbei geeilt waren, die mit erhobenen Stühlen und was zur Hand war, die wüthenden Mörder zurücktrieben. Aber die Bemühungen Welland's machten den Schuß unsicher, und nur die zweite Kugel streifte leicht den Verwundeten.

»Zum Teufel mit Euch!« tobte Bassitsch; »Ihr seid auch ein deutscher Verräther, der unsre Feinde schützt!«

»Seid Ihr toll, Signor Dottore?« knirschte Fumagalli und riß den Arzt zurück. »Wer ein Freund der Freiheit ist, steht zu uns, nicht zu Jenen!«

Welland stieß ihn von sich. »Meuchelmörder! Wenn das Euer Kampf für die Freiheit ist, wünschte ich Euch nie gesehen zu haben. Fliehet, da es noch Zelt ist!«

In der That drängte eine immer größere Menge herbei; die blutige That hatte das bessere Gefühl des Publikums wach gerufen und Drohungen gegen die Mörder ließen sich hören. Vor der Überzahl zogen sich diese zurück, und die blutigen Waffen schwingend, jubelnd über die gräßliche That, zerstreuten sich auf der Marina, während Welland und zwei Smyrnaer Kaufleute den Verwundeten rasch in eine Barke trugen und hinaus in's Meer rudern ließen, um ihn so vor einem neuen Angriff zu retten. Hier auf der See verband der Arzt die Wunden des Offiziers und brachte ihn aus der Ohnmacht zum Leben zurück. Dankbar drückte der junge Mann ihm die Hand und wurde dann von den Kaufleuten zugleich mit der Kunde des Mordes nach dem Schiffe gebracht, indeß Welland in einem anderen Nachen nach dem Ufer zurückkehrte. Dort hatten unterdeß die Nachsuchungen nach der Leiche des jungen Barons von Hackelberg begonnen. Der österreichische General-Consul mit den Khawassen des Consulats und der gesamten bewaffneten Dienerschaft war herbeigeeilt, bald darauf traf ein Boot mit Marinesoldaten vom »Hussar« ein und die Nachforschungen nach dem Unglücklichen dauerten bis spät in die Nacht, aber erfolglos. Erst am anderen Mittag gelang es, seine Leiche zu finden. Sie lag genau auf demselben Fleck auf dem[72] Meeresgründe, an welchem er sich im Todeskampfe in's Wasser geworfen, mit den Händen fest an die Steine des Grundes geklammert. Der zweite Stich des Mörders hatte das Herz durchschnitten.

Zwei Tage darauf wurde die Leiche beerdigt; die Mannschaft der Brigg und das Personal des österreichischen General-Consulats folgten. Von den anderen Consuln, denen allen Anzeige und Einladung zugegangen war, hatten nur der sardinische und der preußische, letzterer aus einer jüdischen Familie stammend und in den Jahren 1849 und 50 ein gewandter Agent des Minister-Präsidenten, Muth und Ehre genug, zu folgen.

Am Abend des Mordes und während der nächsten Tage durchzogen die Banden der Flüchtlinge triumphirend und herausfordernd die Straßen in der Nähe des österreichischen Consulats und drohten, dieses zu stürmen, so daß ein Commando der Marinemannschaft darin Posten nehmen mußte.

Als Welland, an's Ufer zurückgekehrt, nach der nahen Behausung eilte, fand er dort bereits den Knaben Mauro seiner harren, und eilig trat er mit ihm den Weg zu dem Freunde nach dem Versteck des Räubers an. Er begann zu begreifen, daß auf diesem Boden und in diesem Kampf der entfesselten Leidenschaften das Leben des Einzelnen ein werthloses, kaum beachtetes Ding sei, das nicht das Gesetz, sondern die eigene Kraft schützen müsse. Unter banger Besorgniß, auch dort, wohin er ging, Schlimmes zu finden, nahete er durch die Cypressen der Friedhöfe den mächtigen, aus den Schatten des Abends sich erhebenden Ruinen.[73]

1

Besika-Bai.

2

Der türkische Gouverneur einer Stadt.

3

Die Landwehr.

Quelle:
Herrmann Goedsche (unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe): Sebastopol. 4 Bände, Band 1, Berlin 1856, S. 27-74.
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