Die Blutbrüder.

[106] Unterhalb Ragusa, wo Richard Löwenherz auf der Rückkehr aus Palästina landete, um österreichische Treue zu erfahren, – wo Dalmatien im prachtvollen Golf von Cattaro endet, hat der Kaiserstaat im Wiener Congreß eine schmale Küstenstrecke bis zur Bucht von Antivari sich vorzubehalten verstanden, die ein tapfres, in der neueren Geschichte vielgenanntes Heldenvolk – die Montenegriner oder Czernagorzen – von der natürlichen Gränze seiner Berge, dem adriatischen Meere, trennt. Die Politik der europäischen Staaten hat damit ein Volk, das seit vier Jahrhunderten den Kampf gegen den Halbmond führt, isolirt und von seiner zeitgemäßen Entwickelung abgeschnitten: – sein Heldenthum, seinen in dieser Zeit der Verflachung und des Eigennutzes spartanisch erhabenen Charakter vermochte sie ihm nicht zu nehmen, und Österreich selbst unterlag noch vor wenigen Jahren im Kampfe gegen das kleine Bergvolk.

Czernagora, – das Land der schwarzen Berge, – Montenegro in der Sprache der Italiener und der Diplomatie, bildet mit der Berda das kleine, kaum 80–90 Quadratmeilen große, Berg- und Felsengebiet, das zwischen der Herzogewina im Norden, Bosnien im Osten, Albanien und dem Paschalik von Scutari im Süden, hundert Angriffen der Türken siegreich widerstanden hat und schon seit dem Jahre 1703 als gänzlich von der Pforte losgerissener unabhängiger Freistaat zu betrachten ist. So nahe den sogenannten civilisirten Staaten Europa's, ist dies Volk doch in Sitten, Denken und Fühlen ein ganz anderes, verschiedenes. Nur das corsische ähnelte ihm, ehe die französischen Präfecturen es um seine Eigenthümlichkeit und Selbstständigkeit betrogen haben.[107]

Die Bevölkerung von Czernagora, Uskoken – die Geächteten, – wie sie sich mit Stolz nannten und noch nennen, stammt von den flüchtigen Serben, die dem Blutbade von Kossowo und auf dem Amselfelde entronnen, mit dem Sultan Amurath I. am 5. Juni 1389 das große serbische Reich vernichtete. Seitdem sind die schwarzen Berge der Zufluchtsort aller kühnen Flüchtlinge aus Bosnien, Serbien, Albanien, und nicht blos der gemißhandelte Rajah, dessen rächende Hand den tyrannischen Unterdrücker erschlug, auch der abenteuernde Moslem selbst, der für seinen Kopf oder seine Freiheit fürchtet, flüchtet hierher und findet Schutz und Aufnahme. So ergänzt sich diese kühne Bevölkerung, fortwährend decimirt durch ihre inneren und äußeren Kämpfe, durch ihre Blutrache und ihre Privatfehden, immer wieder durch neuen Zuwachs aus den kühnsten und kräftigsten Elementen des Slaventhums. Der Nationalzug, das historische Erbe des Volkes, ist der nie ruhende, fortglühende Haß gegen den Halbmond; seine Historie, welche seine Piesmen1 besingen, besteht in den Schlachten und Kämpfen mit diesem. Iwo der Schwarze, von dem das Land den Namen führt, schlug schon 1450 den furchtbaren Mohamed II. bei Keinowska und erbaute den Hauptort des Landes, Cetinje. Von jener Zeit ab dienten die Czernagorzen dem Norden Italiens als Damm gegen die Eroberungen des damals so furchtbaren und gefürchteten Halbmondes. Mit ihrer sicilianischen Vesper, der schrecklichen Blutnacht zu Weihnacht des Jahres 1703 unter dem Vladiken Danilo Petrowitsch Nieguschi, in der alle Moslems im Lande erschlagen wurden, befreiten sie sich von dem Zeichen der Abhängigkeit, dem Haradsch oder Kopfgeld. Seitdem wüthete der gegenseitige Kampf fast ununterbrochen fort. Der Aufruf Czar Peters des Großen an die orientalischen Christen zur Theilnahme am Kriege gegen den Sultan machte das Volk zuerst in Europa bekannt. Die Czernagorzen allein hatten damals den Muth, sich zu erheben, und das Heer des Seraskiers Achmed Pascha, an 50,000 Mann stark, wurde von den tapferen Bergbewohnern bei Czarew-Laz geschlagen. Von jener Zeit her schreibt[108] sich der russische Einfluß und die Sympathie für das Czarenreich in Montenegro. Seitdem auch suchte und erhielt der Vladika, das geistliche und politische Oberhaupt des Landes, seine Bischofsweihe in Petersburg.

Zwei Jahre nach der eben erwähnten Niederlage überzog Kiuprili Pascha mit 120,000 Mann das Land und verwüstete es mit Feuer und Schwert, indem er verrätherisch den selbstgebotenen Frieden brach und die übergebenen Geißeln mordete. 1727 rächten die Krieger der Berge diesen Verrath durch den Sieg über Tschengitschbeck. Am 25. November 1756 schlug der Vladika Wassili Petrowitsch den Wessier von Bosnien in den Pässen von Brod. – Die französische Republik wurde nach den Siegen in Egypten über die Türken von allen Griechen-Sclaven als Befreier begrüßt; als aber Napoleon I. mit dem Sultan ein Bündniß schloß, sahen sich auch die Czernagorzen in ihren Hoffnungen getäuscht und wandten sich auf's Neue zu Rußland. Dem petersburger Vertrage zum Trotz übergaben die Einwohner von Cattaro ihre Stadt dem russischen Admiral Seniawin; mit russischen Hülfstruppen belagerten die Czernagorzen General Lauriston in Ragusa, erlitten aber hier eine Niederlage. 1813 eroberten sie Budva und am andern Tage, den 12. September, Troitza durch Sturm von den Franzosen, und obschon im Frühjahr 1814 Kaiser Alexander, in treuloser Diplomatie vergessend und opfernd die Dienste und Ansprüche seiner tapfern Bundesgenossen, ihren Hafen Cattaro an Österreich abtrat, wollten sie doch von dem alten Schutzherrn nicht weichen, bis die letzte Patrone verschossen war.

Im Jahre 1820, als der durch seine Grausamkeit berüchtigte Wessier Dschelaluddin auf's Neue einen Versuch machte, das Bergland zu unterjochen, errang Vladika Peter I. einen vollständigen Sieg. Dieser und sein ihm folgender Neffe, Peter II., der 1830 in Petersburg zum Bischof geweiht wurde und des Großwessiers Mehmed Reschid regelmäßige Truppen – 7000 Mann – mit 800 Bergkriegern schlug, sind die Regeneratoren Czernagora's und haben Bedeutendes für sein Emporblühen und seine Kräftigung gethan. 1840 und 41 erfochten die Montenegriner wiederum zahlreiche Siege gegen den berüchtigten Wessier der Herzogewina, Ali, dann beschränkte sich der Kampf auf die gewöhnlichen nie rastenden Gränzfehden, bis zur Zeit unserer Geschichte der Serdar von Bosnien, Omer Pascha, von Norden[109] und Osten, Osmann, der Pascha von Skadar (Scutari), von Süden aus gegen sie zu Felde zog.

Das Land ist in vier Nahien oder Bezirke eingetheilt: Czernitza, Lieschanska, Rietschka und Katunska-Nahia; der letztere ist der nördlichst gelegene. Jeder dieser Bezirke oder Grafschaften umfaßt eine Anzahl Plemen oder Stämme, deren das ganze Volk vierundzwanzig zählt. Hierzu kommt noch das Gebiet der Verdas, der sieben Berge, welche Montenegro umgeben, und deren Bewohner mit dem Freistaat verbündet sind. Jeder der Stämme besteht aus Familien oder Brüderschaften, Brastwo, die eine Gemeinde bilden, deren Glieder sich alle unter einander als Verwandte betrachten. Der Vladika, das geistliche Oberhaupt, seit hundert Jahren aus dem Stamme Njegosch, regiert mit einem Senat von Cetinje aus das Land, und zwar selbstständig, nachdem Peter II. die neben dem Vladikat bestandene Einrichtung eines Gobernatore oder Regenten in Civildingen abgeschafft und die Familie Radonitsch, in der das Amt erblich war, vertrieben hat.

Nach dem Tode Peters II. trat sein zum Nachfolger von ihm erwählter Neffe Danilo Petrowitsch Njegosch Ende Februar 1852 die gewöhnliche Reise nach Petersburg an, angeblich um die Weihe als Bischof sich ertheilen zu lassen. Doch schon von Wien aus that er dem Senat kund, daß er der geistlichen Würde zu entsagen und die Meinung des Volks darüber zu hören wünsche, um dann die Ermächtigung des Czaren zu suchen. Die zum 21. Mai nach Cetinje einberufene Volksversammlung sprach sich einstimmig für die vorgeschlagene Trennung der weltlichen von der kirchlichen Macht und für die Vererbung der Fürstenwürde im Mannesstamme des Hauses Njegosch aus, und Fürst Danilo ließ nach seiner Rückkehr in Cetinje dem versammelten Volke ein Schreiben des Czaren Nikolaus vorlesen, in welchem dieser, als Oberhaupt der griechischen Kirche, Danilo Petrowitsch zur Annahme der weltlichen Fürstenwürde und zur selbstständigen Ernennung des Bischofs ermächtigte, der in Zukunft der Kirche in Montenegro vorstehen sollte. Dies offene Eingreifen des Czaren, das Montenegro fast als eine russische Provinz erscheinen ließ, reizte die Pforte zum Einschreiten, die immer noch nicht die thatsächliche Unabhängigkeit des kleinen Freistaats anerkannt hatte und die Montenegriner nie anders als Rebellen betrachtete, die[110] nur die Unzugänglichkeit ihres Gebiets und die geringe Macht der Pascha's vor Unterjochung schützte. Die Pforte zog unter Omer Pascha in Bosnien Truppen zusammen, um die Montenegriner zum Gehorsam zu bringen. Fürst Danilo kam ihr zuvor; er züchtigte mit 1000 Kriegern den abgefallenen Stamm Piperi; 30 Czernagorzen aus dem Stamme Ceklin überfielen am 11. November die kleine türkische Festung Zabljak und nahmen sie. So entspann sich der Krieg.

Fürst Danilo räumte zwar, auf Anrathen Österreichs, am 25. December wieder die gewonnene Veste und zog sich in die Gränzen seines Landes zurück, aber die Pforte, die vor Kurzem die ewig revoltirenden Begs Bosniens und der Herzegowina durch Ströme von Blut unter der eisernen Zuchtruthe Omer's zum Gehorsam gebracht hatte, wollte die Gelegenheit nicht versäumen, das unabhängige Montenegro zu unterjochen, und seine Truppen schlossen es von allen Seiten ein. Eine Proclamation des Serdars drohte die völlige Ausrottung aller Bewohner und seine Taktiki's (regelmäßige Truppen) und Arnauten schienen die Drohung alsbald wahr machen zu wollen und begingen die scheußlichsten Grausamkeiten gegen Frauen, Kinder und Hilflose. Im kleineren Kriege blieben freilich die leicht beweglichen, mit allen Schluchten und Schlupfwinkeln ihres Gebirges vertrauten Montenegriner überall Sieger und brachten den Türken nicht unerhebliche Verluste bei. Am 10. Januar griffen die Türken die Distrikte Piwa und Zupa an; in der Nacht zum 16. brachen die Montenegriner in das türkische Lager ein und Fürst Danilo drängte am 18. den Feind aus dem Zetathal wieder zurück. Dagegen erstürmten am 19. die Türken das befestigte Haus des Wojewoden Jakob Wujatich von Grahowo und nahmen ihn mit vierzig Gefährten gefangen, und Omer Pascha eroberte das tapfer vertheidigte Dorf Martinis unweit Spus am 24. und bedrohte Cetinje. Doch schon am 27. wandte sich wieder das Kriegsglück. Die Bergvölker schlugen die Moslems bei Limajani, widerstanden dem Sturme Selim Pascha's auf die Dörfer Boljevice, Limajani und Sotonica am 5. Februar und auf das Dorf Gedinje in der Czernitza Nahia am 16. Das Lager Omer's selbst war in der Nacht zum 9. bei der Brücke von Uzicki Most in der Nahia Bielopavelska vom Fürsten mit 3000 Kriegern überfallen und das türkische Heer mit großem Verlust in wilder Flucht bis Spuz[111] zurückgejagt worden, und die Türken mußten sich nach Lesine zurückziehen und am 25. Februar gänzlich Montenegro räumen, da Österreich an der serbischen Gränze Truppen zusammenzog und durch seinen außerordentlichen Gesandten, Feldmarschall-Lieutenant Grafen Leiningen in Constantinopel, von Rußland unterstützt, die Einstellung des Krieges, strenge Untersuchung der Beschwerden der bosnischen Christen und die Entfernung der ungarischen Flüchtlinge aus Omer Pascha's Heer forderte. Die Pforte mußte nachgeben und Graf Leiningen verließ am 14. mit der verlangten Note Constantinopel.

Zugleich begann die Differenz mit Rußland in der Frage der heiligen Stätten; der Czar stellte seine Forderungen, Fürst Mentschikoff traf damit am 28. Februar am Bosporus ein und bald war die Pforte in der Nothwendigkeit, ihre Streitkräfte an andere Punkte verlegen zu müssen. Am 24. Mai ertheilte Omer Pascha in Scutari dem türkischen Heere den Befehl zum Aufbruch nach der Donau und nur drei Bataillone verblieben im Paschalik und wurden nach Scutari, Podgoriza und Antivari vertheilt. Fürst Danilo hatte sich, um durch ein näheres Schutzbündniß seine Macht zu stärken und verschiedene Veranlassungen zu Gränzstreitigkeiten zu beseitigen, am 25. April nach Wien begeben und war nach einem überaus freundlichen Empfang am 7. Mai nach Cetinje zurückgekehrt. Bald darauf auch verbreitete sich die Nachricht, daß ein russischer Emissair, der Oberst Berger, in Montenegro eingetroffen sei, und während die Angelegenheiten in Constantinopel sich immer drohender verwickelten und bald zum offenen Bruch führten, wuchs in allen griechisch-slavischen Provinzen die Gährung unter der christlichen Bevölkerung immer höher und mächtiger, und auch an den Gränzen Czernagora's brach trotz der bestimmten Befehle des Fürsten Danilo der kleine Plänklerkieg mit seinen gegenseitigen Raub- und Abenteuerzügen auf's Neue aus.

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Wo der prächtige felsenumgürtete See von Skadar (Scutari) sich hinabzieht gegen das gleichnamige Bollwerk des türkischen Albaniens, noch jenseits der von den Montenegrinern in Besitz genommenen Inseln Sanct Nicolaus, Stavena und Morakowitsch, liegt ein Felseneiland, wild und rauh, wie die Gebirge der Czernitza selbst, gleichsam als Vorposten gegen die türkische Veste, häufig von einzelnen Streiftrupps der unruhigen Bergbewohner besucht, theils[112] um hier auf den Oko's2 die schmackhafte Ukljeva zu fangen, theils um von hier aus ihre ewigen Gegner, die Türken, zu beobachten.

Ein köstlicher milder Juli-Abend lag auf den blitzenden Wellen des schönen See's, die der scharfe Wind aus den Schluchten des Sutorman von Süden her in leichte Bewegung setzte. Unter einer schroff am See emporsteigenden Klippe, geschützt durch einen mächtigen Felsblock vor dem Luftzug und den Späherblicken, lagerte eine bunte Gruppe, aus fünf Personen bestehend, um ein kleines Feuer, an dem ein Holzspieß mit den schmackhaften Weißfischen des See's briet, während die zu der Gruppe gehörende Frau das Castradina, das Lieblingsgericht der Czernagorzen aus geräuchertem Fleisch auf serbische Art bereitete. Hoch oben auf dem Felsen, nach der gewöhnlichen Sitte seines Volkes auf Wachtposten, lag eine sechste Gestalt in den zottigen braunen Mantel des Hochlands gehüllt, Auge und Flinte gegen die Seite von Skadar gekehrt und auf der weiten Fläche des See's jedes kreuzende Boot, ja selbst die dahin streifende die Wellen berührende Möwe bespähend.

Das Haupt der Gruppe am Felsen war ein Greis von wahrhaft furchtbarem Aussehen. Das weißwollene Hemd, Hals und Brust offen lassend und in der Mitte von einem Gürtel zusammengehalten, in dem eine lange Pistole hing und der säbelgleiche Handjar mit schwer von Silber beschlagenem wohl einen Fuß langen Griff steckte, umschloß einen Körper von wahrhaft riesigen Formen. Um die Schultern von kolossaler Breite hing die Struka, der braune zottige bis über die Hüften reichende Mantel der Czernagora. Das Bein war zur Hälfte von einem kurzen türkischen Beinkleide bedeckt, während an den Füßen die Opanka befestigt war, jene leichte elastische Sandale, die sich vorzüglich eignet, um Berge hinan zu klimmen und von Fels zu Fels wie der Gemsenjäger zu springen. Das Charakteristische an der Figur des Alten zeigte der mächtige Kopf, der auf diesem Riesenleibe saß. Der Scheitel war halb kahl bis auf die Mitte des Schädels, nicht durch den Mangel an Haaren, sondern nach der Sitte des Volks rasirt,[113] denn rechts und links und von der hinteren Hälfte fiel mähnenartig ein starkes graues Haar in langen Strängen und Flechten auf den Stiernacken herunter und vereinigte sich um Mund und Kinn mit einem gleichen rauhen Bart, den der Alte von Zeit zu Zeit wohlgefällig strich. Stirn und Gesicht bildeten dazu ein förmliches Gewebe von Runzeln, Falten und Narben, aus dem über der langen schnabelartig gebogenen Nase ein dunkles rastloses Auge mit einem Glanz und einem unstäten Ausdruck funkelte, der häufig etwas Wahnwitziges an sich trug. Das andere Auge war erblindet, von einem Schlag ausgelaufen, und die leere Höhlung erhöhte das Unheimliche des Gesichts, das durch einen breiten Mund mit glänzenden wolfsartigen Zähnen gleichfalls nicht gewann. Dies Haupt war von der beim Volke eingebürgerten Kopfbedeckung beschattet, dem tücherumwundenen Fez, der dadurch die Form eines Turbans gewinnt. Die furchtbarste Beigabe des Gesichts aber war ein im Rauch gleich den Köpfen der Neuseeländer getrocknetes Menschenhaupt, das in seiner ganzen Scheußlichkeit an einer starken durch den Schädel gezogenen Schnur gleich einem Amulet oder einer Zierrath um den Hals und auf der Brust des Alten hing. Hinter dem Greise am Felsen lehnte seine lange am Schaft reich mit Silber beschlagene Flinte von alterthümlicher Form.

Der übrige Theil der Gesellschaft bestand aus einem neben ihm sitzenden jungen Mann von 20 bis 21 Jahren, von edler klassischer Gesichtsbildung in einfacher griechischer Tracht; einem türkischen Arnauten im malerischen, nur bei dem Individuum stark mitgenommenen, ja zerlumpten rothen Costüm des Volksstammes der Gueguen; und in einem jungen Burschen von etwa 14 bis 15 Jahren, der gleichfalls die Kleidung der Czernagorzen trug und dessen Züge eine unverkennbare Ähnlichkeit mit denen des Alten hatten. Dasselbe, nur gemildert zu den Formen wirklichen Reizes, war bei der jungen Frau der Fall, die sich mit der Zubereitung des Mahles beschäftigte. Über den lang herabfallenden mit Bändern durchflochtenen Zöpfen lag zierlich das weiße italienische Kopftuch mit dem herunterhängenden Schleier, dem Zeichen der Zeichen der verheiratheten Frau. Ein eng und faltenreich um den Hals schließendes Hemd mit weiten bunt gestickten Ärmeln, die Schürze von rother Wolle, darüber das Überkleid ohne Ärmel von weißem Tuch mit blauen Schnüren geziert, vorn offen, Brust und Schürze mit dem am Gürtel hängenden Einschlagmesser frei lassend, Socken und[114] Sandalen an den Füßen, bildeten ihren charakteristischen nicht unzierlichen Anzug.

»So sagst Du also, Beg,« setzte der Arnaut das Gespräch fort, »daß der Christensultan in Moskwa das schwarze Hochland frei machen wird von den Gläubigen?«

»Du redest, wie es ein Moslem versteht, Khan Hassan Lekitsch,« entgegnete der Greis. »Die Kinder der Czernitza sind nie die Sclaven des weißen Czaren3 in Stambul gewesen, seit Iwo's meines Ahnherrn, Zeiten, der unter Obod's4 Trümmern am Busen der schwarzäugigen Wila's5 schläft, die über ihn wachen und ihn dereinst auferwecken werden, sobald es Gottes Wille ist, seinen geliebten Czernagorzen Cattaro und das blaue Meer wiederzugeben. Dann wird der unsterbliche Held wiederum an die Spitze seines Volkes treten und die Schwabi6 vertreiben, gleich wie er die Bekenner des Halbmondes von unseren Bergen vertrieben hat.«

»Aber Beg, Du weißt, daß ich selbst zu den Gläubigen gehöre.«

»Was kümmert das Iwo, den Einäugigen?« sagte der Greis in heiliger Einfalt. »Bist Du nicht unser Gastfreund und hast von unserm Brote gegessen? Was kümmert mich Dein Glaube, Khan, wenn Du Treue hältst dem Volke der Czernagora.«

»Du sprichst es, Beg, und es muß wahr sein. Aber sage mir, wie ist es mit dem Volk der Moskowiten?«

»Höre mich, Khan Hassan, und merke auf meine Worte, denn solche hat mit der Pope Petrowitsch gesagt. In Stambul, das Deinem weißen Czaren gehört, steht eine mächtige Kirche, von den Heiligen des Himmels gebaut und darin viele heilige Dinge, die gehörte den Christen, unsern Brüdern. Aber der weiße Czar hat sie ihnen geraubt und läßt jene den Haradsch zahlen und viele schwere Steuern. Er schlägt die Männer und hält sie mit dem Antlitz in's Feuer, bis sie ihm sagen, wo sie ihr Geld verborgen halten, und den Weibern und Mädchen schneidet er das Gewand[115] über dem Knie ab und giebt sie seinen Kriegern zur Beute, also daß er jeden Stamm der Rajahbrüder vertilgen will von dem Erdboden. Darob ergrimmte der schwarze Czar, unser Vater in Moskau, und er hat seine Krieger marschiren lassen in das Land unserer Väter an dem großen Strom, an dem der Heiduck wohnt und der Serbe und der Bulgare, daß der Serdar, unser Feind, eilig unsere Berge hat meiden müssen und gegen den neuen Feind ziehen. Der schwarze Czar aber, welcher uns so befreit hat, er verkündet uns, daß er unsere Rechte mit denen unserer Griechenbrüder zugleich vertheidigen und den Sultan aus Stambul wieder verjagen wird weit über's Meer in's Land, woher seine Väter gekommen sind.«

»Aber der Vladika hat Frieden gemacht mit dem Sultan,« entgegnete hartnäckig der Türke, »und ich habe gehört, daß er ein Verbot an alle Plemen erließ, die Wassen zu erheben.«

»Du redest Thorheit, Khan! Kann denn die Welle der Moratscha rückwärts fließen? Kann der schwarze Kalogeri7 seinen Kindern verbieten, nicht für den Czaren in Moskau zu kämpfen, nachdem er selbst die Weihe von seiner Hand empfangen hat? Wisse, Khan, ich habe selbst in Cetinje auf dem Markt den Wojwoden gesehen, den der schwarze Czar an seine Junaks8 in Czernagora geschickt hat, um sie zum Kampfe zu laden. Sie nennen ihn den Oberst Berger, und dieses Kreuz hab' ich von seiner eigenen Hand erhalten.«

Er zeigte ihm eine der russischen Denkmünzen, wie deren viele an die tapferen Krieger des Hochlandes vertheilt werden und die er am Halse neben dem Schädel trug.

»Meinst Du,« fuhr der Greis fort und sein eines Auge leuchtete wild, »daß Beg Iwo Martinowitsch in seiner Jugend umsonst Troitza gestürmt und den Helden Campaniole mit seiner Kugel erlegt habe, oder daß er gegen den grausamen Dschelaluddin vor dreiunddreißig Wintern gefochten und die Taktiki's des Mehemed bei den Kula's von Martinitsch getödtet habe, um in seinen alten Tagen von Gott, dem großen Würger9, auf seinem Lager[116] gefunden zu werden? Sieh dieses Haupt auf meiner Brust, es gehörte einst dem Pascha des verfluchten Podgoritza, Namik-Halil, und seit einundzwanzig Jahren trag' ich den Todfeind an meinem Halse, der mein erstes Weib und meine Kinder in's Feuer des Kula's meines Stammes warf. Meinst Du, daß ein Uskoke, der also haßt, je den Säbel ruhen lassen wird gegen den Türken? Hab' ich nicht mitgefochten wieder bei Martinitsch, als uns in diesem Jahre der Würger von Bosnien, Omer Pascha, mit Krieg überzog? War ich nicht dabei, als wir in der Mordnacht von Plamenzi den Moslem aus seinem Lager schlugen, und hat mein Schwiegersohn, Gabriel der Zagartschane10, nicht gefochten und gelitten mit dem tapferen Wojwoden von Grahowo, dessen Seele die Heiligen gnädig sein mögen, und schmachtet jetzt dort hinter den Wällen des blutigen Skadar?«

Er schaute grimmig umher, wie als suche er nach Einem, der den Widerspruch wage. Die Frau, von seinen letzten Worten erregt, brach in eine leidenschaftliche Klage aus.

»Warum sahen meine Augen den Tag, da Gabriel, mein tapferer Gatte, in die Hände des Selim Pascha fiel, nachdem Gott ihn aus der Hand des grausamen Derwish hat entkommen lassen? Wohl sehe ich neben mir den Blutbruder meines theuren Herrn, der an seiner Seite gestritten und mit ihm gefangen gelegen, aber Nicolas Grivas der Mainote sitzt ruhig hier im sichern Schatten der Felsen, indeß Gabriel Zagartschani im Thurme von Skadar modert, aus dem uns Hassan der Moslem allein die erste Kunde gebracht hat.«

Der junge Mann in griechischer Tracht, der bisher stumm und melancholisch brütend neben dem alten Beg gelegen hatte, fuhr empor bei dem bittern Spott und eine dunkle Röthe übergoß sein schönes offenes Gesicht.

»Was redest Du, Weib?« sagte er heftig. »Habe ich nicht mein Blut vergossen, wie Dein Gatte, mein Freund, am Tage[117] des Kampfes? Hab' ich nicht Hunger und Kälte getragen mit ihm, und als wir in's Türkenlager brachen, gefochten an seiner Seite?«

»Das hast Du, Nicolas Grivas, – aber ich sehe Dich nicht liegen auf dem Schlachtfelde, wundenbedeckt, zur Vertheidigung Deines Bruders! ich sehe Dich nicht, gefesselt gleich ihm, in dem moderathmenden Kerker von Skadar! Ich frage Dich nur, wo ist der Bruder, mit dem Du den Blutbund beschworen, und siehe, Du kannst mir nicht antworten: Frau, da ist er, oder ich bringe Dir mindestens das Haupt dessen, der ihn erschlagen hat!«

Grivas rückte unruhig hin und her.

»Du thust mir Unrecht, Stephana, und weißt sehr wohl, daß ich mein Blut willig opfern würde für den Freund. Mein Bruder Andreas Caraiskakis hat wahrlich keinen Feigling in Euer Land geschickt, daß er Euch beistehen sollte mit seinen geringen Kenntnissen und seiner jungen Hand im Kampfe gegen den Sultan. Kann ich dafür, daß das Gewühl des Überfalls mich in dem Dunkel der Nacht vom Freunde trennte und ich fern war, als er im Eifer der Verfolgung verwundet wurde und von den treulosen Albanesen nach Scutari gebracht ward? Bin ich nicht mit Lebensgefahr sofort in die Höhle des Löwen gegangen, als Hassan Khan uns die erste Nachricht von dem Leben unseres Freundes gebracht hatte, um zu suchen, wie ich ihn retten könne, und bin ich nicht bereit, in einer Stunde auf's Neue das Werk zu wagen?«

Die Frau legte freundlich ihre Hand auf seine Schulter.

»Zürne nicht, Nicolas Grivas, über den Schmerz eines Weibes. Ich weiß, Du bist ein Junak, ein Tapferer, die Helden meines Volkes rühmen den Knaben der Juganen11, der zu uns kam, mit uns für den Krieg zu streiten. Aber Du hast nicht das Auge der Adler von Czernagora, das auch im Dunkeln den Blutbruder bewacht. Auch ist es trübe und matt, seit Du von Skadar wiedergekehrt bist zu uns, als läge ein mächtiges Leiden auf Deinem Herzen. Dennoch vertraust Du uns nicht und mischest Deinen Kummer nicht mit dem meinen.«

Der Grieche stützte finster das Haupt in die Hand und schwieg. Des Weibes Blicke ruhten aufmerksam auf ihm, aber sie wagte nicht, weiter zu fragen, bis Hassan der Arnaut, der mit unendlicher[118] Seelenruhe alle Schmähungen auf seine Glaubensgenossen mit angehört hatte, den Rauch seiner Pfeife von sich blies und die Vermuthung aussprach:

»Ich meine, der Giaur hat in die blauen Augen der Houri's von Scutari geschaut und sein Herz ist getroffen worden gleich dem Reh der Wälder. Bei Allah, die Weiber in meiner Heimath sind schön, und viele von ihnen haben den bösen Blick, der niemals den wieder verläßt, den er ein Mal getroffen hat. Nimmer hätte ich das Land gemieden, wenn mich nicht der Zorn übermannt hätte, daß ich den Aga Mehemet zu Tode schlug.«

In Grivas Wangen stieg verräterisch das Blut während der gemächlichen Rede des Arnauten, indem er Aller Blicke auf sich gerichtet fühlte.

»Ei wohl, Khan,« sagte Stephan, »Du magst Recht haben, und wenn der junge Junasch wirklich einer Taube begegnet ist, die sein Herz gerührt hat, ei, so mag er das Recht der Otmitza12 üben, wenn er glücklich heimkehrt, und sich die Braut holen.«

Der Alte schaute sie finster von der Seite an.

»Die Otmitza hat schon Unheil genug gebracht, denn sie führte den Sohn des Geschlechts, mit dem wir in Blutrache leben, in unsere Brastwo13. Bei den Gebeinen des heiligen Märtyrers Basilius in Ostrog14, ich weiß nicht einmal, ob ich Recht daran thue, zuzugeben, daß dieser junge Mensch, mein Gastfreund, in den Rachen des Wolfes geht, bloß um einen Mann zu retten, dessen Blut der Familie Martinowitsch eigentlich verfallen ist und längst hätte von uns vergossen werden müssen.«

»Vater,« rief die Frau entsetzt, »was redest Du da? Du sprichst von Deinem Eidam, dem Gatten Deines Kindes!«

Der Greis starrte vor sich hin, die fixe Idee seines Familienhasses schien in ihm wieder aufzusteigen und seinen Geist zu verdüstern.

»Was Kind!« murmelte er vor sich hin. »Die Blutrache hat seit hundert Jahren zwischen dem Geschlecht der Zagartschani und der Martinowitsch Zahn um Zahn genommen, so will es das[119] alte Gesetz, und der Vater Deines Mannes hat unsern Djewer15 zuletzt erschlagen, ohne daß sein Blut bis jetzt gerochen ist.«

»Aber es ist das Blutgeld gezahlt und der Streit ist ausgeglichen, als mich Gabriel heimlich davongeführt und Ihr auf des Popen Bitte dann Eure Einwilligung zur Heirath gabt und Gabriel zum Schwiegersohn nahmt.«

»Blut ist Blut,« sagte der Alte, »und der Schatten des Vetters hat mich manch liebe Nacht gemahnt, wenn die Wila's draußen auf der Livada16 tanzten und der Vampyr umherging mit den blutigen Augen vor der Hahnenkräh. Iwo ist alt und hat einen Eid gethan, nur das Blut der Moslems noch zu vergießen, aber er hat einen Knaben, in dessen Adern das schwarze Blut der Familie rollt, und er wird die Pflicht seines Stammes nicht vergessen.«

Der junge Mann, sein Sohn, der bisher geschwiegen und nur auf jedes Wort aus dem Munde der Älteren gelauscht hatte, richtete sich funkelnden Auges vom Boden empor.

»Befiehl, Vater Iwo, und Bogdan wird gehorchen, gält' es auch das Blut seines nächsten Freundes.«

Er zog wie betheuernd den Yatagan in seinem Gürtel halb aus der Scheide, doch die Schwester, wild erregt von der herzlosen Blutgier, die zur Sühnung einer alten Familienfehde selbst das Leben des eigenen Verwandten bedrohen konnte, sprang wie ein Blitz auf die Flinte des Alten zu und schwang die schwere Waffe gleich einem Rohr um das Haupt.

»Seid Ihr Wölfe aus dem Epyrus,« zürnte sie, »oder die grausamen Tiger des todten Wüthrichs von Janina17, daß Ihr das eigene Blut schlachten wollt, statt es zu retten aus Türkenhand? – Bei allen Heiligen im Himmel, wer mir an den Gatten will, der hat es zuvor mit mir zu thun, und er wird sehen, ob die Tochter der freien Berge die Waffe zu führen versteht!«

Grivas war aufgesprungen.

»Gebt Euch zufrieden, Stephana, Vater und Bruder haben es so schlimm nicht gemeint, und es ist nur der alte böse Geist, der zuweilen über den tapferen Sinn des Begs kommt. Du[120] weißt, daß Keiner eiliger war, als er zur Tscheta18, da uns die Kunde kam von Deinem Gatten.«

Der Alte strich sich wohlgefällig lachend den Bart.

»So gefällst Du mir, Kind, ich erkenne mein Blut in Dir wieder und weiß, daß das Weiß seinem Manne anhängen muß. Aber spute Dich jetzt, wenn die Sonne sinkt hinter die Berge, und wenn die Dämmerung naht, muß der Grieche im Kahn sein, um zeitig in Skadar zu landen.«

Die Frau stellte die hölzerne Schüssel mit der Castradina vor sie hin und Alle setzten sich um das Mahl und stillten ihren Appetit. Dann löste der junge Martinowitsch die Schildwacht auf dem Felsen ab, um dem Gefährten, einem Vetter der Familie, gleichfalls sein Theil zukommen zu lassen.

Während dessen beriethen die Männer den gefährlichen Zug des jungen Griechen zur Befreiung seines Freundes, mit dem er vor dem Heldenkampf von Grahowo die uralte Sitte der Blutbrüderschaft eingegangen war, ein Band, das zwei Männer zu jeder Aufopferung und Hingebung verpflichtet. Die Blutbrüderschaft wird nach den Gebräuchen des Volkes entweder für's Leben oder für eine gewisse Zeit, z.B. für die Dauer eines Krieges oder einer Fehde, geschlossen. Während dieser verlassen sich dann die so Verbundenen keinen Augenblick, Gefahr und Ruhe, Speise und Noth theilen sie gemeinschaftlich. Ein Lager umfängt sie, Schulter an Schulter stehen sie im Kampf, und nur der – gewöhnlich aber gemeinschaftliche – Tod scheidet den Einen vom Andern und legt dem Überlebenden die heilige Pflicht auf, den gefallenen Bruder blutig zu rächen und für seine Hinterlassenen, wenn er Familie hat, zu sorgen. Unauslöschbare Schmach trifft den, der seinen Blutbruder in der Gefahr verläßt oder, ohne ihn gerächt zu haben, aus dem Kampfe allein zurückkehrt.

In ähnlichem Fall war Nicolas Grivas, der jüngere Stiefbruder der beiden Caraiskakis, gewesen. Die heldenmüthige Vertheidigung des befestigten Hauses des Wojwoden Jakob Wujatich von Grahowo gegen die Türken unter Dervish Pascha ist durch die Zeitungen bekannt. Am 19. Januar erstürmten die Türken das Haus, und der tapfere Wojwode fiel, nachdem er noch eine Felsengrotte lange gehalten und nur auf die drohende Gefahr der[121] bereits begonnenen Unterminirung unter dem Versprechen ehrlicher Kriegsgefangenschaft die Waffen streckte, mit vierzig Gefährten – darunter Grivas und sein Blutbruder Gabriel, der Schwiegersohn des berühmten Beg Martinowitsch – in die Hände der Türken. Aber die Moslems, treulos und grausam wie in allen diesen Kriegen gegen die Montenegriner, hielten das gegebene Wort schlecht und unterwarfen die Gefangenen den furchtbarsten Leiden. An Pfähle gebunden, der Kleider größtentheils beraubt und bei dem Mangel an Lebensmitteln im Lager selbst oft die nothdürftigste Nahrung entbehrend, mußten sie die kalten Wintertage und Nächte zubringen. Der Brand trat bei Vielen alsbald zu den Wunden und endete ihre Leiden. Es ist historisch, daß einem Bruder des Wojwoden das Bein abfror. Der Wojwode selbst starb im März an den Folgen der erlittenen Behandlung. In einer Nacht war es jedoch vier der Gefangenen, darunter den beiden Freunden, gelungen, während eines furchtbaren Unwetters zu entfliehen und sie gelangten durch das österreichische Gebiet glücklich zu den Ihren, wo ihnen jedoch nur kurze Erholung gegönnt war; denn der Kampf wüthete auf allen Seiten und sie nahmen alsbald wieder Theil an demselben und rächten die Leiden ihrer Gefangenschaft bei dem siegreichen nächtlichen Überfall an der Brücke Uzicki Most und bei Frutack, wo die Türken über 500 Gefangene, 400 Todte und eine große Beute mit der Kriegskasse selbst verloren. Im Gedräng des Kampfes waren hier jedoch die Freunde von einander gekommen, und Gabriel der Zagartschane, von seiner heimischen Pleme in der Katunska-Nahia also genannt, fiel auf der eifrigen Verfolgung der Feinde nach Spuz, am Bein verwundet, in ihre Hände und wurde von dem Heere auf dem Rückzug nach Scutari mitgeschleppt, während seine Waffengefährten glaubten, daß er im Kampfe geblieben. Grivas, dessen Suchen nach der Leiche des Freundes vergeblich gewesen, brachte die traurige Kunde seiner Frau, die während des Zuges nach Grahowo zu ihrer Familie in der Nahia Rietschka zurückgekehrt war. Nur der Ruf der bewiesenen Tapferkeit und Aufopferung schützte den jungen Griechen hier vor Schmach, da er ohne sichtbare Beweise vom Tode des Blutbruders und der für ihn geübten Rache heimgekehrt war. Dennoch sah er sich überall von mißachtenden Blicken angeschaut und kehrte bald zurück nach Cetinje, wo er im Stabe des Fürsten mit seinen auf der Militairschule zu Athen erworbenen Kenntnissen schon früher[122] Hilfe geleistet. Plötzlich, gegen das Ende des Monats Juni, rief ihn eine Botschaft der Wittwe des Freundes zurück nach der im unwirthbarsten Gebirge belegenen Kula19 des alten Martinowitsch. Zu seinem freudigen Staunen vernahm er hier die Nachricht, daß ein aus Scutari wegen eines begangenen Todtschlags geflüchteter Arnaut der Familie, um sich bei ihr die Gastfreundschaft zu sichern, die Kunde gebracht hatte, daß Gabriel am Leben und unter den Gefangenen in Scutari sei. Die Familie hatte alsbald die heilige Pflicht geübt, dem Blutbruder als dem Nächstverpflichteten Kunde zu senden, und Grivas war sogleich bereit, das Werk der Befreiung zu wagen. Eine Tscheta aus den engeren Mitgliedern der Familie wurde hinab zum See von Skadar beschlossen und man lagerte bereits seit acht Tagen auf einer der von den Montenegrinern den Türken entrissenen Inseln des prächtigen Gewässers. Von hier aus hatte der junge Grivas bereits ein Mal sich nach Scutari gewagt, um das Terrain zu recognosciren, denn offenbar konnte hier zur Befreiung des Gefangenen nur List, nicht Gewalt helfen.

In der That war es ihm auch durch die Andeutungen, die der Arnaut und der Beg ihm gegeben, gelungen, sich über das Gefängniß des Freundes zu orientiren, und glücklich kehrte er wieder zu den Genossen zurück, um mit ihrer Hilfe die Befreiung selbst zu versuchen. –

Nachdem das Mahl eingenommen, waren die Vorbereitungen zur Abfahrt des verwegenen Abenteurers, der auch dies Mal die Fahrt allein unternehmen sollte, bald getroffen. Unter der Fustanelle20 trug er einen langen, mit Knoten und Haken versehenen Strick um den Leib, ein Feile und ein scharfes Messer in den Gamaschen der Füße eingeknüpft, im Gürtel die gewöhnlichen Waffen der Albanesen. Während der einäugige Greis mit dem Moslem hinunter ging zum Ufer, den schmalen Kahn vom Segelboot zu lösen, in dem die Gesellschaft gekommen war, trat Stephana zu dem jungen Mann.

»Der heilige Johannes schütze und segne Deine Fahrt und Dein Unternehmen, Nicolas Grivas,« sagte sie feierlich. »Gern[123] möchte ich an Deiner Seite stehen, und wahrlich, ich wollte Dir kein schlechter Beistand sein im Augenblick der Gefahr, aber ich fühle, meine Gegenwart könnte Alles verderben. Doch hilft List und Muth oft nicht allein, wirksamer als Kugel und Stahl ist das gelbe Metall. Hier, Freund meines Gatten, nimm, was mein davon ist. Ohne den Theuren nützt mir der Schmuck Nichts; gewinne ich ihn wieder, so ist er mein bester Schmuck. Nimm!«

Sie drang ihm eine jener Schnuren von zusammengereihten kleinen Goldmünzen auf, welche die slavischen Frauen so häufig zum Schmuck des Hauptes benutzen und in die Haare flechten. Grivas fühlte die Wichtigkeit der Gabe für seinen Zweck und nahm sie dankend.

»Noch Eines frage ich Dich,« fuhr Stephana fort und legte freundlich die Hand auf seine Schulter. »Vertraue mir, der Frau, was Dich sichtlich drückt, seit Du von Skadar zurückgekehrt bist. Hast Du Etwas Schlimmes von Gabriel, meinem Gatten, erfahren, oder ist die Vermuthung des Khan wahr und hat die Liebe Dein Herz getroffen?«

Der junge Mann bedeckte die Augen mit der Hand. »Liebe, Stephana? ich weiß es nicht, aber wenn es die Liebe ist, so muß sie etwas Schreckliches sein. O, daß ich Dir diese Augen beschreiben könnte, die ich nur ein einzig Mal geschaut und die sich für ewig glühend in mein Gehirn gebohrt haben, daß ich nicht mehr fühlen und denken kann. Kennst Du die grauenvolle Sage Deiner Heimath vom Vampyr, Frau, der im Mondlicht bleich umherstreift und sich an die Herzen der Lebenden saugt, jeden Blutstropfen unersättlich verschlingend? So saugt allnächtlich dies Bild mit den glühenden Augen an meinem Herzen. Stephana – ich liebe – einen Vampyr!«

Die junge Frau schlug das Kreuz. »Um der Heiligen willen, Mann, fasse Dich – Du redest ruchlosen Wahnwitz!«

»Wahnwitzig möcht' ich werden, und der Wahnwitz hätte mich gen Skadar getrieben, auch wenn die Pflicht gegen den Freund mich nicht dahin geführt!«

Der Ruf des Alten ertönte vom Ufer herauf – der Nachen war bereit, die Sonne im Untergehen.

»Bete für mich – bete für meine arme Seele! Nur der Himmel kann retten, die den Unterirdischen verfallen sind!«[124]

Wenige Worte noch mit den Gefährten, und die kräftigen Ruderschläge entfernten ihn vom Ufer.


Es war nach Mitternacht, im Silberglanz des Mondes, als Nicolas Grivas eine halbe Stunde entfernt von den Wällen von Scutari, östlich vom Hafen der Festung, unter wildem Felsgestein und Gebüsch nach angestrengtem Rudern landete und den Nachen, so gut es die Gelegenheit bot, dort verbarg. Dann ging er eine Strecke landein, suchte sich einen vor den schädlichen Mondstrahlen geschützten Platz und legte sich nieder zum Schlaf. Mit Sonnenaufgang war er munter, nahte sich vorsichtig der Stadt und schlenderte dann mit den zahlreichen Gruppen der albanesischen Landleute und Arbeiter sorglos durch das geöffnete Thor.

In einem der türkischen Caffeehäuser in der Nähe der Befestigungen des Hafens, in denen, wie er von Hassan wußte, Andreas gefangen saß, nahm er sein Morgenbrot und verweilte, bis ein regeres Treiben die Straßen belebte.

Die rothe Tracht der Gueguen oder Myrditen mit dem Waffen-Arsenal im Gürtel, oder dem malerischen Harnisch, der an die Ritterzeiten und die Tscherkessen erinnert; die Toja der Toxiden mit dem Waffenrock, dem Gürtel und den Sandalen aus der Römerzeit, während der schlanke, erhabene Wuchs ihrer Frauen, das rein griechische Profil und die großen, blauen, seelenvollen Augen unter den lang herabhängenden, blonden oder kastanienbraunen Haaren ein Bild klassischer Schönheit giebt; die Frau von den Ufern der Drinna, die Flinte auf der Schulter, den Handjar im Gürtel und den Korb mit den Früchten oder Geflügel, die sie zu Markte bringt, auf dem Kopf; dazwischen die kleine, dunkle Gestalt des Japis aus den Schluchten und Felsen am adriatischen Meere; die Männer von Suli mit dem Adlerblick und der stolz emporgetragenen Stirn; der türkische Soldat des Nizam in seiner dunkelblauen unkleidsamen Tracht mit dem flachen Fez; der geschäftige Grieche und Jude und dazwischen der gravitätische Moslem, – alle diese hundert bunten Gestalten mit dem den Griechen-Slaven eigenen lebhaften Drängen und Schreien gaben ein überaus lebendiges buntes Bild, durch das sich Grivas zum Khan des Maltesers Girolamo drängte, in dem, nahe am[125] Bazar gelegen, die Müssiggänger der Festung, die Fremden und die Offiziere der Besatzung zu verkehren pflegen. Gegenüber dem Khan war der Aufgang zur Citadelle, in deren Ringmauern sich die Gebäude des Paschalik befanden. Nicolas nahm vor dem Khan einen Sitz ein, und statt mit einem oder dem Anderen ein seine Zwecke vielleicht förderndes Gespräch anzuknüpfen, schaute er unverwandt nach dem Thor der Citadelle, an dem die Wachen müßig lehnten.

So hatte er bereits zwei Stunden gesessen, als durch das Thor zwei Frauen in türkischer Kleidung die Festung verließen, die Gestalt in den verhüllenden Feredschi21 verborgen, während das Haupt unter dem weißen Schleier, Yaschmack genannt, verschwand, den, aus einem langen Streifen Mousselin bestehend, die muhamedanischen Frauen, sobald sie ihre Gemächer verlassen, um den Kopf wickeln und unter dem Kinn befestigen, so daß er das ganze Gesicht verbirgt und nur einen etwa drei Finger breiten Streifen für die Augen frei läßt. An der grünen Farbe des Mantels war leicht zu erkennen, daß die Eine die Herrin, die Andere eine Sclavin war. Die Gestalt der Ersteren erschien trotz der verhüllenden Kleidung groß und stolz und hatte nicht den durch die doppelten Pantoffeln gewöhnlich hervorgebrachten schleppenden und unsicheren Gang. Die Dame trug vielmehr unter den weiten türkischen Beinkleidern rothe mit Gold gestickte Stiefel, und jede ihrer Bewegungen zeigte eine bei den Orientalen ungewohnte Rastlosigkeit und Energie. Die beiden Frauen gingen allein, aber deshalb nicht unbegleitet. Ein seltsamer und schauerlicher Gefährte bewachte jeden ihrer Schritte, – ein gezähmter Wolf, der gleich einem Hunde, die rothe lechzende Zunge aus dem Rachen hängend, neben ihnen her trottete.

Die Erscheinung war zu auffallend, um unbemerkt vorüber zu gehen, und obschon der Grieche eben nur Augen für sie hatte, konnte er doch wahrnehmen, wie die Besucher des Caffeehauses sich von ihr unterhielten, und mehrmals hörte er den Namen Fatinitza aussprechen. Er hatte sich vom Sitz erhoben, als er die beiden Frauen bemerkt, und stand dicht an der Straße, die sie vorüberführte. Schon von Weitem hatte ihn in dieser Stellung[126] der Blick der Türkin getroffen, der mit einem seltsamen verzehrenden Ausdruck auf ihm haften blieb. Starr und ruhig, lag doch eine wahrhaft unheimliche Gluth im Hintergrunde dieses schwarzen Auges, das sich förmlich an ihn festzusaugen schien. Seine ganze Kraft und Selbstständigkeit schien unter dem Ausdruck dieses Blickes zu schwinden, und dennoch vermochte er nicht, den seinen davon abzuziehen.

Wenn das unheimliche Auge dieser Frau wirklich eine Freude auszudrücken vermochte, so zeigte sie sich bei dem Erblicken des jungen Griechen. Man sah durch die Öffnung des Schleiers den sichtbaren schmalen Theil des bleichen Gesichts lebhaft erröthen und ihre Hand ließ unwillkürlich den Zipfel des Mantels fahren, der zurückfallend eine der Tracht der Mirditen ähnliche Kleidung zeigte, in deren Gürtel ein leichter Handjar und eine zierliche Pistole von französischer Arbeit steckten. Der Mantel verhüllte sie im Augenblick wieder, und nur ein leises Neigen des Kopfes, als sie dicht an ihm vorüberging, und der Ausdruck des Auges zeigten dem nach orientalischer Sitte stumm und ehrerbietig grüßenden jungen Manne, daß er wiedererkannt sei. Starr und lange schaute er nach, als die beiden Frauen im Zugang des Bazars verschwanden, ohne daß er zu folgen wagte.

»Bei Allah!« sagte eine Stimme hinter ihm, »Du bist ein kühner Christ, daß Du Dich unterfängst, der Wölfin von Skadar so keck in die Augen zu schauen. Nur wenige der Moslems wagen, die Tochter Selim's zu begrüßen.«

Als Grivas sich umschaute, sah er einen greifen türkischen Kaufmann in ärmlicher Kleidung vor sich, der ihm jedoch bekannt schien, denn er begrüßte ihn alsbald und lud ihn ein, neben ihm Platz zu nehmen.

»Kennst Du die Frau, Ali Martinowitsch,« redete er ihn an, »so sage mir, wer sie ist.«

Der Alte schüttelte den Kopf.

»Laß Dich warnen, Jupane,« entgegnete er, »daß Du nicht in die Klauen dieser Wölfin fällst. Es ist Fatinitza, die einzige Tochter des Selim Pascha, der in Skadar gebietet, von einer Mirditin ihm geboren und der Apfel seines Auges. Aber ihr leibhaftiger Vater ist der Scheitan22, denn sie liebt das Blut,[127] gleich der Wölfin, die sie selbst in den Schluchten des Sutorman aus dem Nest geholt und gezähmt hat. Schon viele der jungen Männer, schön und kühn wie Du, haben ihr Ende gefunden durch diese Frau, und Niemand weiß, wo ihre Gebeine bleichen. Man sagt Böses und Geheimnißvolles von ihr, das die Lippe nicht wieder zu erzählen wagt. Es sollte mir leid thun um Dich, der mir das Zeichen des Begs, meines Blutsfreundes, gebracht hat.«

In der That gehörte der Moslem zu dem Stamm des alten Czernagorzen. Als Stanischa, der Sohn Iwo's des Schwarzen, nach der abenteuerlichen Vermählung mit der Tochter des Dogen von Venedig und seiner Rache an dem schönen Wojwoden Djuro – wie sie die Piesmen so romantisch erzählen – zu den Moslems floh und zum Islam übertrat, waren ihm viele Tapfere seiner Heimath gefolgt. Obschon seitdem eine bittere Feindschaft zwischen den Nachkommen der Abtrünnigen und den christlichen Czernagorzen herrschte, hätte doch Keiner aus der Familie Buschatli – diesen Namen führen die Nachkommen Stanischa's in Skadar, wo dieser von den Moslems als Pascha eingesetzt worden, – einen der alten Blutsfreunde des Hochgebirges an einen Türken verrathen. Es bestand und besteht vielmehr eine gewisse, man könnte sagen Gastfreundschaft, die sie verpflichtet, in privaten und Familien-Dingen sich gegenseitig zu Dienst zu sein, unbeschadet der allgemeinen Feindschaft. So besaß auch der Beg in dem alten Kaufmann einen Stammverwandten und häufig schon hatten Beide in den gegenseitigen Kriegen sich Dienste erwiesen. An ihn hatte der Alte daher schon bei der ersten Fahrt nach Skadar den jungen Griechen gewiesen, und der Kaufmann hatte ihm versprochen, auf Grund der Mittheilungen Hassan's weitere Nachforschungen und Vorbereitungen zu treffen.

Nicolas Grivas gedachte der ihm obliegenden Pflichten und ermannte sich aus seinem Brüten.

»Fürchte Nichts,« sagte er zu dem Alten, »dieses Auge machte nur einen betäubenden Eindruck auf mich, gerade wie das erste Mal, als ich es umherstreifend in der Vorstadt der Gärten23 im Schatten der Kastanienbäume auf mich gerichtet sah und ihm[128] unwillkürlich folgen mußte, bis die Thore des Kastells mir den Weg versperrten. Ich bin ein Mann und hier, um den Blutbruder zu retten. Hast Du erforscht, was ich Dir aufgetragen und wie eine Botschaft zu dem Freunde gelangen kann?«

Der alte Mann bejahte, forderte aber den Griechen auf, ihm nach seinem Hause zu folgen, da hier ihr Gespräch leicht belauscht werden könne. Nicolas schien sich zwar nur ungern von dem Platze zu trennen und die Rückkehr der Frauen aus dem Bazar abwarten zu wollen, Ali aber, der den scharfen Blick der Türkin scheute und nicht im Gespräch mit dem von ihr bemerkten Fremdling betroffen sein mochte, drang auf ihre Entfernung, und so folgte ihm der junge Mann durch die engen Straßen bis zu einem kleinen Häuschen, in dem die Familie des Alten wohnte. Hier theilte derselbe ihm mit, daß ihre ersten Nachrichten richtig und der gefangene Czernagorze in einem Kerker des alten Thurmes eingeschlossen sei, der als vorspringendes Werk der Citadelle seine dicken Mauern in die Wasser des Sees tauchte. Gabriel war von seinen Wunden zwar gänzlich wieder hergestellt, wurde aber streng bewacht und litt Entbehrungen aller Art. Das hatte Ali von einem der Kerkerdiener erfahren, den er als der Bestechung offenbar zugänglich schilderte. Seine eigene Armuth hatte ihm jedoch nicht gestattet, diese zu versuchen, und er stellte nun Grivas das Weitere anheim. Mit Dank erkannte jetzt dieser den Werth der Gabe Stephana's, und indem er sie dem ehrlichen Gastfreund einhändigte, bat er ihn, sein Heil alsbald damit bei dem Gefängnißwärter zu versuchen. Der Alte verließ ihn, indem er ihm auf's Dringendste anbefahl, nicht aus dem Hause zu gehen und durch sein Umherstreifen keinerlei Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Nach zwei Stunden kam er wieder; er hatte den Mann gefunden und dieser war bereit, für die Schnur der Goldmünzen dem Gefangenen zur Flucht zu helfen. Doch gab es nur eine Weise, diese auszuführen, da die Ausgänge der Citadelle selbst stets von Wachen besetzt und gefährlich zu passiren waren. Der Kerker des Czernagorzen lag im dritten Stockwerke des Thurmes, das Fenster war deshalb nur leicht vergittert und der Mann hatte es übernommen, dem Gefangenen Feile und Strick zu bringen, um sich mit deren Hilfe durch die nach dem See zu schauende Fensteröffnung zu retten. Nicolas sollte mit einem Kahn sich um[129] die zwölfte Stunde der Nacht in der Nähe des Thurmes halten und den Flüchtling aufnehmen. Die ganze Nacht blieb ihnen dann, sich in Sicherheit zu bringen.

Grivas entledigte sich der scharfen Feile, die er im Leder der Gamaschen trug, und des Strickes um seine Hüften, und der Alte trug Beides gleich verborgen zu dem Helfer, der die Hälfte der besprochenen Belohnung im Voraus empfangen hatte und den Rest erhalten sollte, nachdem er seine Aufgabe erfüllt. Gegen Abend sollte Nicolas die Stadt verlassen, wie er gekommen war, und im Schatten der Nacht mit seinem Kahn dem Thurme nahen, um zur bestimmten Stunde bereit zu sein. Weitere Hilfe vermochte ihm der Gastfreund unmöglich zu leisten, und das Folgende blieb dem Muth und Glück der beiden Blutbrüder überlassen.

Es war gegen Abend, als Nicolas Grivas von dem Gastfreund Abschied nahm, um die Stadt vor dem Schluß der Thore zu verlassen und sein Unternehmen zu beginnen. Mit seinen besten Segenswünschen entließ ihn der Moslem, der jedoch nicht wagte, in seiner Begleitung weiter sich sehen zu lassen. Der Grieche wandte sich zum Thor; aber unwillkürlich zog es ihn noch ein Mal hin in die Nähe der Unheimlichen, die so eigenthümlichen Einfluß auf ihn zu üben begann. Er ging nach Ghirolamo's Khan und setzte sich wiederum dort nieder, nach den Mauern starrend, welche die seltsame Erscheinung bargen, die man die »Wölfin von Skadar« nannte.

Plötzlich entstand ein Lärmen in seiner Nähe. Ein Tschokadar24 war in Streit mit einem Albanesen gerathen, im nächsten Augenblick blitzten, wie dies bei solchen Scenen gewöhnlich ist, die Handjar's, und ehe Nicolas den Platz verlassen konnte, sah er sich mitten in den Knäuel gerissen und in den Streit verwickelt. Tschauschi's25 sprangen herbei, und nach kurzem Gezänk ward er ergriffen und mit zwei andern der Gäste zum Thor der Citadelle geschleppt, wo ihnen die Hände gefesselt wurden. In Begleitung ihres Anklägers, des Tschokadars, wurden sie alsbald vor den Pascha geführt.

Durch den Hof, der die Zenanah – die Wohnung der Frauen – von den öffentlichen Gebäuden trennte, gelangten die[130] Gefangenen über mehrere Stufen in die Halle, wo Selim-Bey, der Pascha von Albanien, saß. Die Halle selbst bot ein seltsames Gemisch orientalisch-üppiger Ausstattung mit dem rohen Mangel des Kriegerlebens, da der Bey ein tapferer Soldat war und sich bereits in seiner Jugend in dem Kriege gegen die Kurden ausgezeichnet hatte. Später bekleidete er mehrere hohe Stellen in Epirus und Macedonien, und seit der Verbannung des rebellischen Mustapha's, des letzten Pascha's aus der Familie Butschali im Jahre 1833, das Paschalik von Scutari, wo die fast ununterbrochene Fehde mit den unruhigen Nachbarn seine kriegerischen Talente und seine Thätigkeit in Bewegung hielt. Die seidenen Kissen der Divans wechselten als Sitze mit gegerbten Wolfs- und Bärenhäuten oder den einfachen Kordgeflechten ab; zwischen den zahlreichen Dienern und Müßiggängern aller Art strichen Soldaten des Nizam umher, oder saßen rauhe Krieger der umwohnenden arnautischen Stämme, mit denen der Pascha einen regen Verkehr unterhielt.

Es war die Stunde des Abendgebets und der Muezzim hatte vom Minaret herab den Ezan26 eben ertönen lassen. Alle Moslems verrichteten andächtig ihr Gebet, während die Christen gleichgültig zusahen und kaum ihr Gespräch unterbrachen. Es ist dies die Zeit, nach welcher ein Muselmann selten noch ein Geschäft vornimmt, sondern sich gemächlich in die innern Gemächer seines Hauses zurückzieht. Als daher die drei Gefangenen vor den Bey gebracht wurden, befahl er anfangs, sie bis zum andern Morgen auf der Wache zu behalten und sie dann ihm oder dem Mollah27 vorzuführen. Nicolas Grivas jedoch, dem es galt, um jeden Preis sich wieder frei zu sehen, rief laut die Gerechtigkeit des Pascha's an und erklärte, den Schutz des griechischen Consuls für die ungerechte Haft in Anspruch nehmen zu wollen.

In diesem Augenblick öffnete sich im Hintergrunde der Halle neben dem Sitz des Bey's eine Thür, und die verhüllte Gestalt einer Frau, von dem zahmen Wolfe begleitet, trat ein und setzte sich auf ein Kissen hinter dem Pascha. Nicolas erkannte sofort Fatinitza. Obschon es im Orient etwas Ungewöhnliches ist, daß[131] sich Frauen in die Berathungen und Gesellschaft der Männer drängen, schien die Gegenwart des jungen Mädchens hier doch nicht aufzufallen. In der That war man gewöhnt, sie bei jeder Gelegenheit – selbst unter den Mühseligkeiten der Feldzüge und im wüsten Treiben des Lagers – an der Seite ihres Vaters zu sehen, und theils die den Frauen mehr Freiheit gestattenden Gebräuche der slavisch-griechischen Weststämme, als jene der wirklichen Orientalen, theils die unbegränzte Nachsicht und Liebe, die der Bey für dieses sein einziges Kind bei jeder Gelegenheit an den Tag legte, hatten jede Schranke für das Thun und Lassen des Mädchens aufgehoben. Ihr unbezwinglicher Eigenwille, der dämonische Charakter, der ihr innewohnte und aus dem dunklen Auge hervorbrach, regierten das Haus ihres Vaters und hatten längst jeden Zwang abgestreift.

Zu den Füßen Fatinitza's legte sich der Wolf und leckte mit seiner glühenden Zunge ihre Hand. Eine seltsame bedrückende Stimmung schien sich mit ihrer Anwesenheit über die ganze Versammlung verbreitet zu haben.

Der Pascha rief die Wachen zurück, welche die drei Verhafteten wieder fortführen wollten, und wendete sich zu dem Griechen.

»Du hast es eilig, junger Mann, meine Gerechtigkeit anzurufen,« sagte er ernst. »Wer bist Du?«

Der Grieche wollte mit seinem Namen antworten, als er den Finger des Mädchens erhoben und auf die Stelle gelegt sah, wo der Schleier ihre Lippen bedeckte.

Er verstand das Zeichen und sagte daher, ohne seinen Namen zu nennen, daß er ein griechischer Unterthan und auf einer Reise gen Ragusa nach Scutari gekommen und hier verhaftet worden sei, ohne daß er wisse, warum.

»Wo ist der Kläger?« fragte der Pascha, »und wessen sind diese drei Männer beschuldigt?«

Der Tschokadar trat vor und verbeugte sich vor seinem Herrn.

»Hoheit,« sagte er unterwürfig, »Dein Knecht war in dem Caffeehause des italienischen Wirths vor den Thoren Deines Hauses, als ich plötzlich eine Hand in der Tasche meiner Jacke fühlte und, danach fassend, gewahrte, daß mir ein Beutel mit fünfzig Piastern28 entwendet worden. Dieser albanesische Dieb stand dicht bei mir[132] und kein Anderer konnte es gethan haben. Ich ergriff den Mann, indem ich ihm sagte, ich wolle die Gräber seiner Väter verunreinigen, wenn er mir mein Geld nicht zurückgeben würde, er aber zog seinen Handjar und bedrohte mich.«

»Bak alum29!« bemerkte der Bey, sich den Bart streichend. »Habt Ihr das Geld bei dem Manne gefunden?«

»Allah bila versin30!« rief der Ankläger, verächtlich den Zipfel seiner Jacke schüttelnd. »Das sind Leute, Hoheit, welche die ganze Welt in dem Winkel ihres Auges tragen! Er ist kein Esel, Hoheit, wenn auch sein Vater und seine Mutter solche waren. Ich habe deutlich gesehen, wie er den Beutel seinen beiden Helfershelfern dort zugesteckt hat.«

»Haif, haif31! Was sagt Ihr dazu?«

Der Erste der Angeschuldigten, ein Albanese aus dem Küstenlande, spuckte verächtlich aus.

»Er ist der Sohn einer Hündin und lügt wie ein Hund! Ich habe diese Männer nie gesehen, und die Hand soll verdorren, die ich nach dem Eigenthum eines Rechtgläubigen ausstrecke.«

Der Zweite war ein Grieche aus der Stadt selbst. Er berief sich auf seine Bekanntschaft mit vielen der Anwesenden und meinte, der Tschokadar müsse sich in der Person geirrt haben, als er ihn beschuldigte. Er bot Bürgschaft an und bat, daß man ihn untersuchen möge.

Der Pascha wandte sein Auge auf Grivas.

»Und Du? Was für Koth wirst Du uns zu essen geben?«

»Der Mann hat sich versehen, oder er ist ein Narr,« antwortete der Grieche kühn, »Ich verlange, Hoheit, daß Du ihn bestrafst für seine Frechheit, unschuldige Leute anzuklagen.«

»Allah bilir32! Du redest hohe Worte; aber ein Pascha ist kein Esel, der sich von jedem hergelaufenen Dschaur33 betrügen läßt. Untersucht seine Kleidung und seht zu, ob Ihr den Beutel bei ihm findet.«

Die Khawassen fielen über den jungen Mann her, der im[133] Gefühl seiner Unschuld sich willig der Untersuchung darbot. Zu seinem großen Staunen und Schreck jedoch brachte der Tschokadar selbst, der bei dem Durchsuchen sehr diensteifrig half, den Beutel alsbald aus den Falten seines Gürtels zum Vorschein und hielt den Fund mit lautem Geschrei in die Höhe, während die Türken ringsum in den Lieblingsruf: Allah kerim! (Gott ist groß), ausbrachen.

»Was sprichst Du nun, Sohn einer ungläubigen Hündin?« zürnte der Pascha. »Bringt ihn hinaus in den Hof und gebt ihm fünfzig Stockstreiche zur Strafe für seine Frechheit!«

Der Grieche war Anfangs sprachlos gewesen über den so unerwarteten Beweis, der sich gegen ihn gefunden. Dann, als er das rasche und schmachvolle Urtheil vernahm, kehrte seine Besonnenheit zurück und er vertheidigte sich mit aller Lebhaftigkeit seiner Nation gegen den Verdacht, indem er anführte, es müsse ihm im Gedränge des Streites der ihm unbekannte Dieb den Beutel heimlich eingesteckt haben, wenn nicht der Ankläger selbst etwa aus Bosheit dies bei der Durchsuchung gethan habe. Ein eigenthümlicher spöttischer Strahl in dem Auge Fatinitza's, den er während seiner Worte auffing, bestärkte seinen letzteren Verdacht.

Als daher der Pascha, ohne seiner Widerrede viel zu achten, nochmals das Zeichen zu seiner Fortführung gab, wehrte er die Khawassen mit Gewalt zurück, sprang auf den Pascha zu und rief:

»So wahr Du ein Krieger bist, Selim-Bey, halte ein und untersuche die Wahrheit, oder laß mich lieber tödten, als solche Schmach erdulden. Ich bin ...«

Wiederum, mit Blitzesschnelle, sah er das Türkenmädchen das frühere Zeichen wiederholen. Zugleich neigte sie sich zu dem Ohre ihres Vaters und flüsterte ihm einige Worte zu. Der alte Selim neigte zustimmend das Haupt.

»Awret der!34« sprach er, »aber ihr Rath ist gut. Kannst Du einen Bürgen stellen in dieser Stadt, der Dich kennt, Christ?«

Grivas dachte an den alten Kaufmann, aber zugleich fiel ihm ein, daß er durch dessen Nennung leicht ein weiteres Nachforschen und eine Entdeckung herbeiführen könnte, die den alten Mann in Ungelegenheit und Gefahr bringen mußte. Er verneinte.

Der Türkin schien dies unerwartet zu kommen. Wieder wandte[134] sie sich zu dem Pascha und flüsterte ihm in's Ohr. Der Bey nickte.

»Es kann etwas Wahres unter dem Unrath sein, den Du sprichst, Grieche.« sagte er dann. »Wir wollen die Sache morgen weiter untersuchen. Bis dahin, da Du keinen Bürgen stellen kannst, mußt Du im Gefängniß bleiben. Geht! – Diesen beiden unreinen Thieren aber,« er deutete auf die zwei anderen Gefangenen, »gebt eine Tracht Schläge, weil sie uns nach dem Gebet belästigt haben und werft sie vor das Thor. Fort!«

Eine entschiedene Handbewegung ließ die Wachen sich schnell der Gefangenen bemächtigen und vergeblich war alles Protestiren des Griechen; er wurde mit den Anderen hinausgezerrt. Nur als er am Eingang noch ein Mal den Blick zurück wandte, sah er Fatinitza zum dritten Male wie beruhigend das Zeichen machen.

Während die Wachen ihn über den Hof führten, kam der Tschokadar, sein Ankläger, ihnen nach und änderte mit einem überbrachten Befehl ihre Richtung. Ihr Weg wandte sich nun in die Gebäude längs des See's und durch einen gewölbten Gang wurde der Gefangene in eine ziemlich geräumige Zelle gebracht, deren stark vergittertes Fenster auf die Gewässer sah. Durch dasselbe erblickte Grivas auch rechts zur Seite den in die Fluthen vorspringenden Thurm, auf dessen Höhe das Gefängniß des Freundes war, zu dessen Rettung er hierher gekommen. Eine tiefe Niedergeschlagenheit bemächtigte sich seiner Seele, als er bedachte, wie sein Unstern, oder diesmal vielmehr die eigene Schuld ihn nöthigte, den Blutbruder auf's Neue ohne Hilfe in der Todesgefahr zu lassen und Nichts für seine Rettung thun zu können. Seine Phantasie malte ihm das Bild des Czernagorzen vor, wie er zwischen Himmel und Erde über den dunklen Fluthen hing, vergeblich nach dem Waffengefährten durch die Nacht spähend. Sie malte ihm Stephana's lauten Vorwurf, die verächtliche Geberde des greisen Häuptlings, die Schande, die ein tapferes Volk auf seinen Namen häufte, – und das Alles um den Blick eines Weibes, das mit dämonischer Natur alle seine Seelenkräfte gefesselt hielt, ohne daß er noch ein Wort mit ihr gewechselt, wie der Blick der Schlange den Vogel gebannt halten soll in seinen Zauberkreis, daß er nicht die rettenden Schwingen zu regen vermag, bis der tödtende Zahn ihn erreicht.

Vergeblich krampfte er in die eisernen Stäbe der Fensteröffnung,[135] – das feste Metall aus den riesig dicken Mauern zu reißen, hätte es der Kraft eines Giganten bedurft; selbst wenn er die Feile noch besessen, die er dem Freunde gesandt, hätte die Arbeit einer Nacht nicht hingereicht, die dicken Stäbe zu durchbrechen. Verzweifelnd warf er sich auf das Holzgestell, das an einer Wand zum Lager diente, und brütete über seinem Schmerz, mit tausend Verwünschungen sich und die Verlockung beladend, während draußen die Nacht immer tiefer und dunkler über See und Berge sank.

So mochte er stundenlang gelegen haben, als er aus seinem Schmerz durch einen Lichtstrahl erweckt ward, der an der gegenüber liegenden Wand seines Kerkers sich brach. Erstaunt richtete er sich empor und bemerkte, daß der Strahl aus einer kleinen etwa handbreiten Öffnung in der Wand über seinem Lager kam. Zugleich fühlte er seine Sinne befangen durch einen warmen wohlriechenden Duft, der durch jene Öffnung zu quellen schien und seinen Kerker erfüllte.

Er stieg auf die Holzwand, sein Auge reichte gerade an die fensterartige, mit einem feinen Drahtgitter verschlossene Öffnung und seine Blicke umfaßten trunken und verzehrend das ungeahnte Schauspiel, das sich ihnen bot.

Der Raum, den sie überflogen, bildete ein mit Marmorfließen ausgelegtes Badezimmer, jene üppige Anstalt des Orients, die eine wollüstige Neugebärung der Körper ist und aus dessen Pflege einen Cultus schafft. In der Mitte des Fußbodens war ein kleines Bassin mit warmen, wohlriechenden Wässern gefüllt, welchen die Aphrodite dieses Ortes eben entstiegen zu sein schien. In einer Nische, auf einem Marmorbett, von feinen linnenen Tüchern halb verhüllt, in dieser Verhüllung tausend Reize verrathend und entdeckend, lag die Herrin der Gemächer, Fatinitza, die Wölfin von Skadar, bedient von fast ganz entkleideten schwarzen Mädchen, die ihre Glieder salbten und rieben, und auf Haupt und Busen den Strahl des warmen, weichen Wassers sich ergießen ließen, während Andere das üppige rabenschwarze Haar kämmten und trockneten, oder mit weichem wollenem Gewebe Brust und Arme frottirten. Das Haupt zurückgebeugt, den Mund über den glänzend weißen Zähnen halb erschlossen, die dunklen dämonischen Augen nur in jener schmalen Spalte geöffnet, aus der Verlangen und Sehnsucht zu lauschen pflegt, lag das Mädchen in den Händen ihrer Frauen. Zum zweiten Male sah der Jüngling unverhüllt dies Antlitz, das[136] einen so gewaltigen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Das Oval desselben war in jenem vorspringenden Bogen gewölbt, welcher dem Antlitz etwas Adler- oder Geierartiges zu geben pflegt. Dennoch war jeder ihrer Züge einzeln zart und rein. Unter der fast schnabelförmig gebogenen Nase mit den weitaufgeschlagenen Nüstern, den Zeichen ungezähmter Leidenschaft, öffnete sich ein überaus zierlich und willenskräftig geschwungener Mund. Schief gesenkte starke Brauen, wie bei dem Wolf und Fuchs, senkten sich von den Schläfen zur Nasenwurzel, und so seltsam und unheimlich der Ausdruck dieses Kopfes an sich war, so lag doch ein eigenthümlicher fesselnder Zauber in ihm, eine medusengleiche erstarrende und zugleich entflammende Gewalt. Üppig schlanke Glieder von jener matten, bräunlich weißen Porzellanfarbe, die manchen Brünetten, namentlich den Maurinnen, eigen ist, trugen diesen Kopf und die hundert Wendungen und Bewegungen, welche die Sclavinnen im üppigen Spiel diesem wollustathmenden Körper gaben, enthüllten mit jedem Augenblick neue Reize vor den gefesselten Augen des Jünglings.

Seine Schläfe glühten, seine Pulse klopften in wildem Schlage, und gährend in der unsäglichen ungestillten Brausekraft der frischen Jugend tobte das Blut durch seine schwellenden Adern. Der Odem in seiner Brust schien zu stocken, das eigene Leben still zu stehen und sich in den Augen allein concentrirt zu haben. So stand und starrte er lange, er merkte es kaum, daß das verlockende Bild sich änderte und verschwand, daß Dunkel wieder die Geburtsstätte so verzehrenden Reizes verhüllte; nur die hohe, unbeschreiblich herrliche Gestalt, der halb aufgeschlagene Blick, der, als die Herrin unter dem den Ausgang verhüllenden Teppich verschwand, verlangend, fragend, verheißend die Stelle streifte, an der sein trunkenes Auge ruhte, blieb in seinem Gedächtniß. Was kümmert den Trunkenen die Welt rings umher? Erst als an der Pforte seines Kerkers ein Schlüssel rasselte, als der helle Strahl einer Blendlaterne durch die geöffnete Thür fiel, erwachte er aus diesen Träumen und sah ein Mohrenmädchen vor sich stehen, das ehrerbietig den Salem35 gab und ihm zu folgen winkte.

»Wohin?«

Die Schwarze schüttelte das Haupt und legte den Finger auf ihre Lippen – Nicolas erbebte bei dem Zeichen.[137]

»Nicht von der Stelle gehe ich, bis ich weiß, wohin Du mich führst!«

Das Mädchen bemühte sich, zu sprechen, – ein stammelnder unheimlicher Laut zeigte ihm, daß sie stumm. Aber ihre Geberden sprachen lebendig, wie sie auf das Herz deutete, weit, wie empfangend, die Arme öffnete und dann die Hände flehend und bittend ihm entgegen faltete.

Ihm dunkelte und glühte es ahnend vor den Augen und Sinnen, das Blut wollte seine Kehle ersticken – halb bewußtlos winkte er »Voran!« und mit leisen, kaum hörbaren Tritten schlich das Paar durch die Gänge der Feste. Ein Schnauben und Sträuben erhob sich, wo sie stehen blieben. Im Schein der Lampe sah der Grieche den Wolf quer vor der Thür gelagert, ihn mit seinen rothen Feueraugen unheimlich anstarrend. Die Sclavin zog ihn bei Seite und öffnete die Thür.

»Da hinein!« winkte ihr Finger.

Der junge Mann betrat halb taumelnd das Gemach – hinter ihm schloß sich die Pforte.

Um ihn her war eine halbe Dämmerung. Er sah sich in einem orientalisch ausgestatteten Gemach von halb ovaler Rundung, dessen hohe Jalousieen hinaus nach dem See zu gehen schienen, denn durch die halb geöffneten hörte er die Wellen rauschen. An den Wänden hingen Waffen im bunten Gemisch, zur Jagd wie zum Kriege. Durch den halb erhobenen Teppich eines breiten Bogens in der Seitenwand strömte das matte Licht, welches das Vorgemach erhellte. Er stand still, er faßte mit beiden Händen nach dem klopfenden Herzen – er wagte kaum zu athmen – und deutlich durch die geheimnißvolle duftschwangere Stille klang ihm das Plätschern der Wellen.

»Dschel36

Mit einem Sprunge, wie der entfesselte Tiger nach seiner Beute, war er auf den leisen Ruf am Zugang des Gemachs und schlug den Teppich zurück.

Da lag es vor ihm – weiß und üppig in seinen rothen Draperieen, über die das Milchglas einer Ampel an silbernen Ketten ein weiches milderndes Licht goß, während das wohlriechende Öl ihrer Flamme das Gemach mit wollüstigen Düften durchzog.[138] Auf einem Tische von Rosenholz zur Seite glänzten und blitzten in silbernen und goldenen Schaalen cyprischer Wein, die duftenden Confitüren von Chios, die herrlichen Früchte des Orients.

»Dschel!«

Vor ihm, vor seinen Augen, auf einem breiten Divan, von weichen Wolfsfellen überdeckt, lag eine Gestalt, in die langen Falten eines großen Feredschi von der weißen zarten Wolle der Thibetziege gehüllt, das Haupt auf den sich aus der Decke hervorstehlenden Arm gestützt, die unwiderstehlichen Augen auf ihn gerichtet.

Er stürzte zu ihren Füßen nieder.

»Bana bak ai gusum! Ai dschänum, stambul37!« bat in tiefen Gutturaltönen die Stimme der Türkin.

Der Jüngling begrub sein Gesicht in die weichen Falten des Mantels, seine Lippen glühten auf den Wellenlinien dieser Formen. Durch sein weiches lockendes Haar spielte die Hand des Türkenmädchens, kosend, verführend. Ihre Augen bohrten sich in die seinen, als sie sein Haupt zurückbog, – sein Gehirn schien zu brennen unter diesen verzehrenden aussaugenden Strahlen.

»Böser Christ, warum hast Du Fatinitza so lange harren lassen? Hat das Heben ihres Schleiers Dir nicht damals schon verkündet, als sie Dir zuerst begegnete im Haine der Gärten, daß sie Dein war vom ersten Augenblick? – Mußte ich Dich erst fesseln und führen lassen vor das Antlitz des Bey, meines Vaters, und Dich werfen in den Kerker, um Dich in süße Liebesarme zu holen? Uriel, der Engel der Finsterniß, schwebte über der Wölfin von Skadar, so lange ihr Junges fern blieb von der liebenden Brust.«

Ein Strom von Feuer brannte in ihrem Kuß auf seinen Lippen, er breitete die Arme aus nach dem süßen, dämonischen Weibe – –

Da klang es in dem Nebengemach hell und scharf, – eine französische Uhr, ein Geschenk ihres Vaters, schlug die Stunde vor Mitternacht, und wie ein eisiger Strahl fuhr die Mahnung durch die Seele des Jünglings.

»Habe Erbarmen mit mir! Bei dem Kreuz des Herrn, laß mich heute frei!«

»Was kümmert mich Dein trügendes Zeichen!« lockte wiederum[139] die sonore schmeichelnde Stimme; »was kümmert uns Dein Gott! Hat nicht der Engel der Nacht eben die süße Stunde des geheimnißvollen Lebens der Geister verkündet, wo sich die sonst Getrennten zusammenfinden? Warum denn stößt Du mich von Dir, o Christ, warum willst Du nicht trinken Lippe auf Lippe, Liebe in Liebe, was Fatinitza Dir bietet?«

Er hatte das Antlitz verhüllt, vor seinem Geiste stand noch ein Mal das bleiche Bild des Blutbruders, hangend zwischen Himmel und Erde in seiner Todesnoth, oder kämpfend mit den dunklen Wässern des Sees.

»Weib, ich liebe Dich, ich vergehe in Dir! Aber bei der Barmherzigkeit Deines eigenen Himmels, laß mich fort in dieser Stunde, und mein Leben soll Dir gehören. Ich muß, ich muß!«

»Dschel!«

Er warf sich vor ihr nieder auf die Knie.

»Hilf Du selbst mir aus diesem Zauber, der mich umstrickt. Löse Du selbst mich aus diesen Banden, die meine Sinne hier gefesselt halten? Gieb mir das Mittel, hinaus zu gelangen aus diesen Mauern, und dann – – Er ruft! – Er ruft!«

Wie ein lang gezogener schneidender Ton schien aus weiter Ferne ein pfeifender Laut hereinzudringen durch die Öffnung der Jalousieen.

Die Augen schließend, riß er sich los aus den umstrickenden Armen, und empor, dem Ausgange zustürzend, der hinaus führte auf den schmalen Gitterbalkon, hängend über den Tiefen des Sees.

Mit einem Sprunge, wie die Löwin, der man ihr Junges raubt, war die Mirditin empor und warf sich ihm entgegen quer vor den Ausgang, die Hände zu ihm emporgestreckt, das glühende Auge wild auf das seine gebannt. Weithin war die verhüllende Decke geschleudert – wie sie dem Bade entstiegen – in allem Geheimniß des himmlischen Leibes lag sie vor ihm.

Seine Sinne dunkelten – das Gedächtniß, – jede Erinnerung der Männerbrust schwand – nur seine Augen lebten noch –

Und der starre dämonische Strahl der ihren schien sich aufzulösen in weiche schmelzende Akkorde, der drohende Tigerblick wurde zum sanften, schmachtenden, lockenden Frauenauge, und wiederum zischte es sehnsüchtig, betäubend durch die rothen gehobenen Lippen:

»Dschel! Dschel!«[140]

Da beugte er sich nieder und hob die reizende Gestalt des Weibes empor wie leichten Flaum und drückte sie an die keuchende Brust und trug sie auf seinen Armen zurück zum weichen üppigen Lager.

Ihre Hände umschlangen ihn, fest, unauflöslich, wie für Leben und Ewigkeit, und zogen ihn nieder – –

Über die Wellen des Skadarsees strich klagend der Windeshauch aus den Schluchten des Sutorman – am Thurme von Skadar zwischen Himmel und Wässern stieg an den Knoten des schwankenden Seils ein bleicher Mann herab und lauschte durch die Nacht nach dem Hilfe verkündenden Zeichen des Freundes! –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

1

Die Heldengedichte und Volkslieder, oft von den Helden, die sie feiern, selbst verfaßt. Sie pflanzten sich im Volke fort und sind jetzt meist in dem seit etwa fünfundzwanzig Jahren erscheinenden Staatskalender von Cetinje: Grlitza (Turteltaube) abgedruckt.

2

Warme Quellen des See's. Man findet hier die obengenannten kleinen Fische oft in solcher Menge, namentlich gegen den Winter, daß, wenn man das Ruder in eine solche Fischbank hineinsenkt, dasselbe aufrecht stehen bleibt.

3

Benennung für den Sultan.

4

Eine im Türkenkrieg zerstörte Veste an der Mündung des Czernojewitsch.

5

Christliche Nymphen, Schutzgeister des serbischen Volkes.

6

Die Deutschen.

7

Die frühere Benennung des Vladika von der schwarzen geistlichen Kleidung, die er den griechischen Mönchen (Kalogeri) ähnlich trug.

8

Junak – ein Tapferer.

9

Der Tod außer der Schlacht wird von diesen Tapferen als das größte Unglück betrachtet; die Verwandten sagen von einem Kranken, der eines natürlichen Todes starb, er sei von Gott, dem großen Mörder, getödtet worden (od boga, starok kronika). Der größte Schimpf, den man gegen einen Montenegriner ausstoßen kann, ist in den einfachen Worten enthalten: »Ich kenne die Deinigen, alle Deine Vorfahren sind in ihrem Bette gestorben.«

10

Eine der neun Plemen (Stämme) der Katunska-Nahia.

11

Bewohner des Südens.

12

des Weiberraubes.

13

Brüderschaft, Gemeinde.

14

Eines der drei Klöster von Czernagora, im jetzigen Kriege von den Türken unter Skender-Beg (Graf Jelinski) erstürmt und geplündert.

15

Vetter.

16

Wiese.

17

Ali Tebelin, der berühmte Pascha von Janina.

18

Streifzug.

19

Kula, befestigter Thurm.

20

Der von den Griechen und Arnauten getragene hemdartige Rock, der vom Gürtel bis auf die Kniee fällt und aus einer Menge künstlich zusammengefalteter Leinenstücke besteht.

21

Der deckenartige weite Mantel, den die türkischen Frauen tragen. Er ist von leichtem einfarbigem Zeug und gleicht einem großen Tuch.

22

Der Teufel.

23

Die südliche Vorstadt Scutari's, an deren Außenseite sich eine Reihe Batterieen befindet, wärend sie durch eine Krümmung des Flusses und eine kleine Ebene von der Stadt selbst getrennt ist.

24

Diener; ihre Zahl richtet sich nach dem Range ihres Gebieters.

25

Polizeidiener.

26

Ruf zum Gebet.

27

Kadi, Mollah: türkische Richter; Kadi-askar, der Oberrichter; Mufti, ein Rechtsgelehrter.

28

Ein türkischer Piaster = 20 Pfennigen.

29

Wir werden sehen.

30

Gott sende ihm Unglück!

31

Schande, Schande!

32

Gott allein weiß es.

33

Ungläubige.

34

Es ist ein Weib!

35

Gruß.

36

Komm!

37

Sieh mich an, Licht meiner Augen, o Du meine Seele!

Quelle:
Herrmann Goedsche (unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe): Sebastopol. 4 Bände, Band 1, Berlin 1856, S. 106-141.
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