II. Die Völker.

[257] Die Mehana des Bulgaren Gawra befand sich ungefähr zehn Minuten vor dem südlichen Thor Widdins an der Straße nach Nissa und Ternowo, der heiligen Stadt des Landes. Das Celo1, zu dem sie gehörte, lag weiter ab von der Straße. Jenseits derselben, hinaus in's Feld nach der Donau zu, erstreckte sich das fliegende Lager der Baschi-Bozuks, die hier die Reserve für die Garnison von Kalafat bildeten.

Die Hane war nicht nach bulgarischer Art gebaut, die ein rundes, bis auf etwa zwei Fuß vom Boden abstehendes Schobendach zeigt, während das Haus selbst tief in die Erde gegraben ist und man auf Stufen dazu hinuntersteigt. Sie war vielmehr nach städtischem Muster eingerichtet, einstöckig und mit einer großen[257] gemeinschaftlichen Hoda2 versehen, die zugleich Küche, Wohn- und Gaststube, bis auf zwei kleine Kammern den ganzen unteren Raum der Umfassungsmauern einnahm, und nur die vielen weißen, von der Sonne gebleichten und auf Pfähle gesteckten Ochsen- und Pferdeschädel rings um den Hof verkündeten die bulgarische Wohnstätte. Ein großer grüner Busch über der Hausthür zeigte die Eigenschaft als Schänke an, – mehrere nach bulgarischer Weise eingerichtete Ställe – denn jede Art der Hausthiere hat hier ihre besondere Wohnung – umgaben das Hauptgebäude.

Gawra, der Wirth und Pferdehändler, galt unter seinen Landsleuten für einen habsüchtigen, aber wohlhabenden Mann, wenn er auch den Gebietern gegenüber Letzteres auf alle mögliche Weise zu verbergen suchte und die ganze Wirthschaft daher äußerlich ein verkommenes und liederliches Ansehen zeigte. Der Bulgar unterscheidet sich im Ganzen sehr zu seinen Gunsten von allen anderen Raçen der Bevölkerung der transsylvanischen Halbinsel. Er ist fleißig, betriebsam, ehrlich und unverdrossen. Geschickt zu jedem Handel und Gewerk, zu Ackerbau, Viehzucht und Industrie, wäre dies Volk unter einer verständigen und milden Herrschaft der größten Ausbildung fähig, und ihr Land – an den beiden Abhängen des Balkans alle Erzeugnisse des europäischen Südens und Nordens vereinigend – besitzt einen natürlichen Reichthum, wie kein anderes. Während an den Abhängen zur Donau Buche und Eiche, Platane und Wallnuß die mächtigen Kronen aus den üppigen Buschpflanzen emporstrecken, der wilde Wein sich um ihre Stämme rankt und die Thäler fette Weidentriften in Unzahl bieten, thront hoch darüber der Felsengrad des Hämus mit Schluchten und unzugänglichen Bergwänden, in deren Tiefen Schätze edlen Metalls verborgen sind. Rasche goldhaltige Wässer springen von Fels zu Fels hinab, zur Donau drängend oder jenseits hinüber zu den Küsten des herrlichen ägeischen Meers. Der Bär, der Luchs und der Adler hausen auf diesen Bergen, der Schakal streift hinab zur Ebene und der stattliche Rothhirsch mit dem sechszehnendigen Geweih streicht in zahlreichen Heerden durch die Wälder. Der Eber wälzt sich im Sumpf, das wilde Pferd galoppirt durch die Ebene. Sieben Felsenpässe brechen durch die gigantischen Massen der Berge und führen zu seinem südlichen Hange, – die beiden bekanntesten: das trajanische[258] und das eiserne Thor, von denen das erste nach Sophia, das andere über Kasanlik und Schumla nach Varna und dem Schwarzen Meere mündet, – zur Landschaft Zagora, die sich vom Meeresstrande bis zum Berge Athos erstreckt, die reichste üppigste Provinz der Türkei.

Wie, wenn man aus dem nördlichen Deutschland kommend, die Felsenmauer der Alpen bei Botzen überstiegen hat und von Meran hinunterschaut auf die Fluren der Lombardei – gleich mit einem Zauberschlage eine andere Zone dem Pilger entgegenweht, so auch an den Felsenpässen des Hämus. Die volle südliche hesperische Natur umgiebt den Wanderer, – die Olive mit ihrem dunklen feuchten Grün, – die Feige, die Cypresse und Platane, – der Oleander aus zackigen Felsspalten, an deren Wand sich der Wein und die Melone rankt! die Orange duftet und der Südwind, der aus der Bai von Enos an der grünen Maritza herauf über die thracischen Ebenen streicht, trägt ihm die wonnigen Düfte der weiten Rosenfelder von Edrene entgegen. Über die endlosen Ebenen mit dem hohen Gras und den goldenen Getreidefeldern – nur unterbrochen von den Hunka's3 der pelasgischen Vorzeit, dem spitz emporspringenden Minaret oder der byzantinischen Wölbung einer verfallenden christlichen Kapelle – streift tagelang der Reiter, einsam und allein mit Alogon4, dem stummen Freunde. Zahlreiche Städte bevölkern das herrliche Land, aber außerhalb ihrer schmuzigen Ringmauern ist Alles eine poetische Wüste. Wo der Griechen-Slawe allein wohnt, ist er noch schutzloser der Willkür seiner Herren preisgegeben.

Die Thätigkeit und Betriebsamkeit, welche dem Bulgaren innewohnt, hat ihn, die Maritza entlang bis zu den Küsten des ägeischen Meeres, bis an die Thore Constantinopels getrieben. Überall ist er Ackerbauer, Viehzüchter, Fabrikant, Handwerker und Kaufmann, und es liegt eine unermeßliche Quelle von Civilisation und Wohlstand in diesem demüthigen, sinnenden und empfänglichen Volke. Still beugt es seinen Nacken unter dem drückenden Joch des Spahi's, der von seinem Fleiße prunkt, seine Töchter entführt und seinen Glauben verhöhnt, und die traurige Klage, die seines Herzens[259] tiefsten Kummer dem selten das Land durchpilgernden Fremdling öffnet, ist der kindlich naive Ruf: »Du bist glücklich, Bruder; in Deinem Vaterlande giebt es Nichts als Bulgaren5

Dennoch ist auch dies demüthige gutmüthige Volk schon häufig durch die furchtbare Last der türkischen Mißhandlungen emporgerüttelt und ihm die Waffe zum kräftigen zähen Widerstand in die Hand gezwungen worden. Nur die eigene Gutmüthigkeit und die verrätherische Schlauheit der Gegner hat ihm das Schwert wieder aus der Hand gewunden und das Joch auf's Neue auf seinen kräftigen Nacken gelegt.

Die Nation zählt, – wenn man die wirklich von ihr bevölkerten Landstriche nimmt und nicht blos das kleine Gebiet des alten bulgarischen Königreichs, dem die Türken diesen Namen gelassen, – gegenwärtig vier und eine halbe Millionen Seelen, und man darf annehmen, daß jetzt – wo sich die europäischen Mächte wenigstens dem Massemorden entgegensetzen werden – die Zahl bald derart wieder sich vermehren wird, daß sie die türkische Bevölkerung eben durch ihr Gewicht still und ohne Kampf zurückdrängt. Daß sie trotz der Gräuel, welche noch dies Jahrhundert bis auf die neuesten Zeiten entweihten, trotz der Ströme bulgarischen Blutes, die vergossen wurden, diese Ziffer erreichen konnte, verdankt sie dem Umstand, daß der Osmane die Nation bisher als Christen verächtlich von seinen Heerzügen ausschloß und daß das Wüthen der Pest hauptsächlich nur die fatalistischen Moslems danieder mähete, während sie die reinlichen vorsichtigen bulgarischen Landbewohner verschonte. Es ist erwiesen, daß jede große Pest der Türkei fast eine Million Menschen raubt. Die vom Jahre 1838 tödtete in Bulgarien allein 86,000, fast lauter Türken. Charakteristisch erzählen die Bulgaren, daß der furchtbare »Schwarze Tod« damals durch die schänderische Gier ihrer Herren entstanden sei. Junge Türken in Bajardzik hätten sich über den kaum erkalteten Leichnam einer schönen Armenierin geworfen und, an ihm ihre viehische Gier befriedigend, den Krankheitsstoff in sich aufgenommen und weiter verbreitet.

Wir haben gesagt, daß die Bedrückung des Volkes es von Zeit zu Zeit zu einem kräftigen Widerstand getrieben. Jede Gemeinde hat ihren Spahi oder türkischen Grundherrn, der sein[260] Spahilik durch den Kiaja oder Stellvertreter verwalten und durch diesen den Zehenten von allem Besitztum, Getreide, Wein, Früchten und Vieh erpressen läßt. Nur im Herbst besucht der Türke zuweilen sein Landgut und haust dann in seiner weißen Kula6, und der Bulgar empfindet nur an den vermehrten Lasten, an der größeren Gefährdung seiner Frauen und Töchter die Nähe des Grundherrn7. Außer dem Zehenten hat der Rajah dem Spahi einen dreitägigen Erntefrohn zu leisten. Doch sind das nur die geringeren Lasten, – noch drückendere legt ihm die Regierung auf. Neben den extraordinairen Erpressungen der Pascha's muß er den Haratsch – die Kopfsteuer – mit 15 bis 20 Piastern jährlich für den Kopf, die Poresa oder Grundsteuer, die sich nach alten festen Sätzen unverändert richtet, und fast für jeden Gegenstand seines Besitzes Steuer zahlen. Besitzt der Bulgare Nichts als sein Weib, so muß er für den Nießbrauch dieses Gutes allein schon mindestens 100 Piaster geben! Außerdem ist der Pascha berechtigt, ungemessene Frohnen von jedem Bauer zu den öffentlichen Arbeiten zu fordern, und diese Dienste nehmen in der Regel mehr als 30 Tage vom Jahre in Anspruch. Hierzu kommt noch der Gazdalik oder die Verpflichtung, jeden Gast, der auf einen Ferman oder in kaiserlichen Angelegenheiten reist, zu beherbergen und zu bewirthen. Mit der grausamsten Strenge werden diese Abgaben eingetrieben, und die Rechte, die der Bulgar dafür gewinnt, sind Null. Seine Dorfkirchen sind gewöhnlich elende Schuppen oder finstere, halb in die Erde versenkte Grüfte. Es ist durchaus untersagt, ein Kloster oder eine den Einsturz drohende Kirche auszubessern, ohne zuvor für schweres Geld die Erlaubniß des Divans erwirkt zu haben. Neue zu bauen, ist ganz verboten.

Auf den Hochebenen des Balkans, zwischen Seres und Sophia, Philibeh und Ternowo, wohnt eine größere Freiheit, denn die unzugänglichen Schlupfwinkel der Berge nehmen die Flüchtigen auf, und von den Höhen her beherrschen mit dem Schrecken ihres Namens die freien Söhne der Bulgarei, – die Räuber des Gebirges,[261] – die Haiducken, das Niederland. Es giebt wenige zahlreichere Familien, von denen nicht einige Glieder unter diese Freischaaren gegangen wären; »der Pascha plünderte mich aus und ich schickte meinen Sohn unter die Haiducken,« sagt gelassen der Familienvater. Die Haiducken sind der Schrecken der Türken und das Einzige, was ihre Gewaltthaten gegen das Land noch in Schranken hält. Diese »Freien« vertheilen sich in mehr oder weniger zahlreiche Banden unter Hauptleuten, welche, wie die alten Barone in den Zeiten des Faustrechts, die Engpässe besetzen, die türkischen Karavanen und die Steuereinnehmer des Landes entfallen und den Blutegeln den Raub wieder abjagen. Man erzählt Wunder von ihrer Tapferkeit und Stärke und ihrer Großmuth gegen den harmlosen Reisenden. Dennoch wagte noch beim Ausbruch des orientalischen Krieges kaum ein Kaufmann wenige Meilen durch das Binnenland am nördlichen Abhange des Balkans zu reisen, und ein sicherer Verkehr fand allein auf der Donau statt.

Der erste Ausstand der neueren Zeit am Balkan, der die Pforte erbeben machte, war der Paswan Oglu's, des Bosniaken, mit seinen Kerdschalis im Jahre 1792. Zugleich mit ihm – nach dreihundertjährigem Hinträumen – erhoben sich die bulgarischen Haiducken. Aber während Czerni Georg, der Held von Serbien, 1804 sein Land befreite, sahen die Bulgaren unthätig zu und wechselten nur ihren Herrn, denn der Divan – unfähig, Paswan Oglu, den Vertheidiger der Janitscharen und Alttürken, zu vernichten – mußte ihn als rechtmäßigen Wessir von Bulgarien anerkennen. Hoch belebten sich wieder die Hoffnungen durch die Kriege der Russen 1810 und 1811 an der Donau, aber der Vertrag von Bukarest (28. Mai 1812) ließ die zum Theil bereits aufgestandenen Bulgaren im Stich und wehrlos in der Gewalt der Osmanli's, und Tausende wurden aus Rache zu Tode gemartert. Während Fürst Milosch in Serbien herrschte, lag schwer die Hand Hussein-Pascha's auf dem Lande, und seine Plünderung des armen Volkes häufte jene Schätze zusammen, die bis zum Jahre 1843 seinen Hofhalt in Widdin zu einem der glänzendsten im Orient machten. Die bulgarischen Haiducken kamen nicht eher wieder zum Vorschein, als bis 1821 der griechische Freiheitsruf auf ihren Bergen wiederhallte. Da erhoben sie sich aus ihrem Schlaf und zogen schaarenweis nach Macedonien und bis zum Peloponnes, und Bulgaren waren es, welche die Akropolis von Athen im Sturm nahmen.[262] Der Slawe Botschar aus Wodina, der nach Suli auswanderte, ist der Held Marco Botzaris, dessen Blut den heiligen Boden von Missolunghi tränkte.

Als 1829 Diebitsch in den Pässen von Kuleutscha das Heer Reschid's schlug und am 19. August in Adrianopel einzog, schien der Stern des christlichen Bulgariens auf's Neue zu glänzen und die ganze Bevölkerung begrüßte jubelnd die Befreier. Wiederum täuschte Rußland ihre Hoffnungen, wenn es auch seitdem nicht aufhörte, im Stillen den erwachten Geist des Volkes zu schüren. Die bulgarische Hetärie, von den Didaskalen, den Dorfschulmeistern, gegründet, verzweigte sich über das Land, und die Sommernächte der Jahre 1834 bis 1838 fanden die Eingeweihten gar oft auf den Kirchhöfen der Klöster, auf den Felsenplateau's der Berge, im wilden Kolo8 sich für die Stunde der Freiheit begeisternd. Der Verrath des Neffen Hadji Jordan's, der so vielen wackeren Männern das Leben kostete, brachte den lang vorbereiteten Aufstand zum Ausbruch und 20,000 Mann lagerten um die Feste Jarkoï, bis der trügerische Milosch statt der versprochenen Hilfe sie mit dem Versprechen der Befreiung vom Frohndienst und eigener Stareschinen9 zum Abzug bewog. Zu spät sahen sie ein, daß man sie betrogen.

Der Raub der schönen Agapia durch den Neffen des Pascha's von Nissa rief im Frühjahr 1841 auf's Neue das Volk in die Waffen. Unter Miloje erhoben sie sich, und als erst die Irregulairen Hussein-Pascha's 150 Dörfer zwischen Sophia und Nissa zerstörten, die Männer spießten, die Frauen schändeten und in die Flammen ihrer brennenden Hütten warfen oder in die Sclaverei verkauften, – strömten die Landleute von allen Seiten in die Gebirge, und von 2000 Spahi's, die sie zu verfolgen wagten, kehrten kaum 30 zurück. Miloje hielt Nissa mit seinen Männern belagert und vertheidigte, endlich geschlagen, heldenmüthig mit 1500 Streitern die Kula Kamenitza, bis Alle um ihn gefallen und er selbst sich mit einem Pistolenschuß das Leben nahm, um seinen letzten sechs Gefährten die Flucht zu erleichtern.

Seit jenem Aufstande, bei welchem man wieder vergeblich auf[263] die Hilfe Rußlands und Europa's geharrt hatte, herrschte die Ruhe des Todes in der Bulgarei – nur der Einzelne, der in die Berge geflüchtet und mit seinen Brüdern sich dort vereint hat, kämpft noch trotzig gegen den türkischen Zwingherrn.

Offenbar hofften die Russen bei dem gegenwärtigen Zug an die Donau auf einen neuen Aufstand des bulgarischen Volkes und machten auch vielfache Versuche zur Gründung von Freischaaren. Aber die Kraft des Volkes war in den dreizehn Jahren noch nicht wieder genügend erstarkt und der Bulgare erinnerte sich, wie drei Mal seit eines Menschen Gedenken der schwarze Czar, obschon einer seiner ältesten Titel der eines »Fürsten der Bulgaren« ist, seine Rettung den eigenen Interessen geopfert und ihn seinem Zwingherrn stets auf's Neue zu noch härterer Knechtschaft überlassen hatte. Der Aufstand – der Omer Pascha's Heer hätte vernichten müssen, – unterblieb, und die griechische Erhebung im Epirus und in Macedonien fand nicht die gehoffte Stütze am Balkan. – –

Im Hane des Wirthes Gawra ging es lebendig her an dem Nachmittage des Tages, der uns in der Lokanda des Slowaken Alexo zu Widdin gefunden hat. Der schlaue Handja10 hatte die Nähe der türkischen Lager benutzt, um einen Handel und Ausschank von Getränken anzulegen, und handelte und verhandelte dabei mit Glück und Gewinn manches Roß, theils aus dem eigenen Stall, theils von der Beute, welche die Irregulairen und türkischen Husaren von den Streifzügen über Kalafat hinaus mit zurückbrachten. So strömten denn auch Viele nach dem Abzug des Muschirs und nachdem die Truppen von der Besichtigung zu ihren Quartieren in der Palanka Widdins und dem fliegenden Lager zwischen der Heerstraße nach Nissa und dem Strom zurückgekehrt, nach der Mehana.

Das Hane war der gewöhnliche Verkehrsort der Irregulairen, seit Kurzem aber auch ihrer christlichen Nebenbuhler, der türkischen Kosaken, dieses Corps aus walachischen Freiwilligen und den Flüchtlingen jedes Landes Europa's, die aus irgend einem Grunde sich nicht zu der Annahme des Islams bequemen wollten, denn diese gehört unbedingt zum Eintritt in den türkischen Nizam. Die türkischen Kosaken waren daher von den Moslems nicht nur als Dschaurs[264] verachtet, sondern offen von ihnen gehaßt, und wurden auf alle gefährlichen und verlorenen Posten gestellt, da ihre verwogene Tollkühnheit keine Hindernisse kannte. Mit Groll und Ärger sahen die Baschi-Bozuks sich im Hane des Bulgaren seit einigen Tagen von ihren Gegnern verdrängt, die der Ruf von der Schönheit der beiden Töchter des Wirthes und einige zufällige Pferdekäufe dahin geführt hatten, und mit Ingrimm bemerkten sie, wie der Handja selbst sich weit mehr mit den Dschaurs zu thun machte, deren Geld leichter rollte und die mehr verzehrten, als die geizigen Moslems.

Die Baschi-Bozuks waren heute zahlreicher versammelt als gewöhnlich und füllten nicht allein die größere Hälfte des untern Hauses, sondern strömten auf dem breiten Tschardak fortwährend ab und zu. Die bunten wüsten Gruppen, auf dem Boden umherkauernd oder gleich Statüen an der getünchten Wand lehnend, boten einen seltsamen phantastischen Anblick. Neben dem Albanesen von Janina mit der heute zu Ehren der Besichtigung wieder einmal rein gewaschenen Fustanelle, dem langbezipfelten Feß und der goldbetreßten Jacke, saß der schmuzige Bosniake, der Arnaut mit den grünen zerlumpten, engen Hosen, die er irgend einem Christen gestohlen, der offenen rothen Ärmel-Weste und dem um den Kopf geschlungenen Tuch, unter dem die dunklen, unruhigen Augen umherblitzten, – oder gar der Syrier mit dem bronzefarbenen Gesicht, dem weiten, einst weißen, jetzt zu schmuzigen Fetzen gewordenen Gewande. Daneben das ebenholzfarbene Gesicht des Mohren aus Derr oder Kordofan; das gelbe Antlitz des Egypters – des armen Fellah, – der, von Hütte und Familie gerissen, hier den ihm gleichgültigen Streit des Großherrn ausfechten sollte. Der Araber aus den Wüsten von Yemen, der Bewohner der Öden um Damaskus, der Druse vom Libanon, die Vertreter aller wilden Stämme Albaniens neben dem breitbackigen Turkomanen mit den kleingeschlitzten, scharfen Augen! Grausamkeit, Apathie, Fanatismus und Spitzbüberei auf allen den braunen, weißen, gelben und schwarzen Gesichtern, ein Gewirr von Trachten in Farbe und Schnitt, keine der andern gleich, der feine Seidenshawl um schmuzige Lumpen gewunden, Fez und Turban, Tuch und kurdische Mütze; der Kaftan und der Ziegenhaarmantel, das entblößte Bein und die rothe albanesische Gamasche; Goldstickerei neben der wollenen, kaum die Blöße verhüllenden Decke, der blinkende Sporen an dem einen schleppenden Pantoffel, die gelbledernen Strümpfe der Türken über das unbehilfliche Schuhwerk,[265] das die Regierung geliefert. Dazu ein Arsenal von scharfen Waffen jeder Art, das den Sammler und selbst den Alterthumsforscher entzückt haben würde. Der Säbel in jeder Form und Biegung in Sammet und Lederscheide, im Metall klirrend, oft ohne alle Hülle – der kostbare bleigraue Damascener Stahl in der einfachsten Scheide, Handjars jeder Größe und Form, vom handbreiten syrischen Yatagan bis zur schweren, gewichtigen Waffe des Turkomanen, kurdische Messer, die mehr gerade Klinge der Stämme des Peloponnes, der gewundene eiserne Dolch, vielleicht noch aus den Zeiten der Kreuzzüge von Vater auf Sohn vererbt – eherne und hölzerne, fußlange Griffe, mit silbernen Buckeln und Stiften beschlagen, – Perlmutter und Elfenbein, Juwelen und edle Steine an vielen verschwendet. Dazwischen das plumpe Seitengewehr, das der Nizam trägt, der unvermeidliche Tabacksbeutel überall, die Feuerzange in ihrer messingenen Kapsel im Gürtel – der Schibuk in Aller Munde, – eine Wolke voll Tabacksqualm und Knoblauchsgeruch über allen Köpfen; – zwischen den stillen, ernsten Gruppen mit dem Kaffeebecher oder dem irdenen Krug voll scharfem Slibowitza, der wie Wasser durch diese abgehärteten Kehlen floß, einige zerlumpte schmuzige Derwische mit der topfartigen Filzmütze und dem braunen oder grauen Mantel – das war der Anblick, den die größere Hälfte des ziemlich weiten Raumes bot.

Desto tobender und lärmender war die Gesellschaft in dem anderen Theil. Hier saßen und standen um zwei oder drei Tische an Zwanzig der türkischen Kosaken in ihrer kleidsamen Uniform, dem blauen, mit scharlachrothen Aufschlägen und eben solchem Futter in den langen aufgeschlitzten Hängeärmeln versehenen Dolman, dem Pelztschacko mit dem großen Halbmond von Messingblech daran und den weiten blauen Pantalons mit breiten rothen Galons. Dazu die Cartouche und der Säbel in der blinkenden Scheide, obschon auch ihnen die gewöhnlichen Feuerwaffen fehlten, da der strengste Befehl gegeben war, daß außerhalb des Dienstes Flinten und Pistolen nicht getragen werden durften, um möglichst Unheil bei dem heißen Blut der Parteien zu verhüten.

Die Gruppen um die Tische waren mit Trinken und Spielen beschäftigt. Während bei den Offizieren in der Lokanda Alexo's das Pharo die Taschen leerte, klapperten hier die Würfel unter den Verwünschungen, den wüsten Späßen und dem Gelächter der Freiwilligen.[266]

In der Mitte des Gemaches vor dem großen Kamin war die Kula mit einer ihrer Töchter eifrig mit der Kaffeebereitung beschäftigt. Gawra, der Wirth, und ein Neffe von ihm, fast noch ein Knabe, bedienten die Gäste.

An dem Tisch in der Nähe des Kamins saß die Hauptgruppe der Spieler um einem Fremden, der, so sehr er ihnen auch in dem verwegenen und kühnen Aussehen glich, doch keiner der Ihren war und nicht die Uniform trug. Der Leser kennt ihn bereits – Sta Lucia, den corsischen Banditen, der nach seinem letzten Verbrechen in Stambul im Heerlager an der Donau Sicherheit gefunden hatte und hier den Diener des sardinischen Obersten spielte.

»Mashallah!« murrte Ali, der Arnaut, zu seinem Nachbar, einem zerlumpten Asiaten, indem er mit dem Mundstück seines Schibuks nach den Spielern deutete, »sieh diese Söhne der ungläubigen Hunde, wie das blanke Gold durch ihre unreinen Hände rollt. Ein weiser Mann hat mir gesagt, daß man durch dieses Spiel aus einem Beschlich11 im Handumdrehen zwanzig goldene Ghazi's erwerben kann.«

Die Augen des Asiaten funkelten lüstern.

»Weißt Du, o Ali, wie man das Geld gewinnt?«

»Ich habe mir sagen lassen, daß man ein Geldstück einsetzt, man wirft die bleiernen Kugeln und erhält so viel Geld, als sie schwarze Punkte zählen.«

»Inshallah! – was für Narren sind diese Christen! Es ist nur ein Gott und Mahomed ist sein Prophet. Ich möchte ihnen wohl ihr Geld abnehmen.«

»Bei meinem Bart,« schwor der Arnaut, »ich habe die gleiche Lust. Aber mein Beutel ist leer.«

Abdallah, der Syrier, nestelte an einem solchen von Ziegenhaar.

»Ich fand bei dem Moskow, den wir bei dem Überfall erschlugen, außer dem Golde auf seinen Schultern zehn Stücke in seiner Tasche. Wenn ich wüßte, daß Allah mein Thun segnen würde, möcht' ich einen großen Beschlick in diesem Spiel wagen.«

»Hussah, Schurke von Wirth! Istem teremtéte! Rum her, Branntwein!«

»Bergantre12! Wo steckt der Bursche, daß er Caballero's warten läßt?«[267]

»Villao13! Branntwein her!«

»Caballeros, Euer Spiel! – Acht auf der Tafel.«

»Pesta! ich werfe mehr! Zehn!«

»Psia twoja mać! Hundsmutter die Deinige! Das Geld ist verloren.«

Der Pole griff sich wild in die Haare und starrte mit funkelnden Augen auf sein verlorenes Geld, das der Spanier ruhig zu dem seinen zog. – –

»Allah sende ihm Unglück! Hast Du es mit Deinen eigenen Augen gesehen?«

»Was lachst Du mir in meinen Bart, o Beg? Auf mein Haupt komme es. Bin ich ein Mann oder bin ich eine turkomanische Kuh? Sind das Augen oder sind sie es nicht? Ich habe gesehen, wie er über die Thür seines Hofes die drei Kreuze gemacht hat, die das Zeichen der Christen sind, und die unsere Brüder auf's Krankenlager werfen, bis die Reihe an uns kommt.«

Der Moslem, an den die Rede gerichtet war, schüttelte zur Bejahung sein Haupt.

»Wir wollen den Derwisch Ibrahim herbeirufen, der dort steht, er wird uns sagen, ob dieser aussätzige Bulgar dafür an seine eigene Thür genagelt werden soll!«

»Khaweh, Khaweh! Tschibuk, Khaweh dschetir! Bringt Pfeifen und Kaffee herbei!«

»Höre, Freund Gawra, reiche mir die Guzla14 dort von dem Nagel. Wo ist Marutza, Deine Tochter, daß sie mein Lied begleitet? Warum bedient die Moma15 Deine Gäste nicht?«

Der Bulgare reichte eifrig dem Italiener die Cither.

»Die Marutza fürchtet sich vor der zahlreichen Gesellschaft, Aga, sie wirthschaftet in den Ställen mit dem Vieh.«

»Schaff' sie herbei, pitoccone16! Meinst Du, wir sind hierher gekommen, um Dein schlechtes Gesicht anzuschauen?!«

»En avant, Monsieur Gawra, bringen Sie uns Mademoiselle Maruzza!«

»Die Moma! die Moma!« heulte der Chor.

Der Bulgare war bereits demüthig verschwunden. –[268]

Die Moslems schauten finster auf die Lärmer; um Hadschi-Achmet und den Derwisch hatte sich eine Gruppe gebildet und horchte eifrig seinen Worten.

»Dieses Schwein von einem Bulgaren thut, als ob wir nicht in der Welt wären. Ich will die Gräber seiner Väter besudeln!«

Der Redner schüttelte verächtlich den Zipfel seiner Jacke.

»Corpo di Bacco! Ruhe da oben! Ich will mein Lied singen!«

Tomasini, der Venetianer, begann, auf der Guzla klimpernd, Orsino's Trinklied aus der Lucretia. Seine Stimme war schön und bald sammelten sich Zuhörer um ihn und klatschen ihm ihren Beifall. Selbst die wilden Kinder der Wüste horchten den übermüthigen frischen Klängen.

An dem Tisch des Corsen stand der Baschi-Bozuk, sein Auge haftete gierig auf dem Golde, das vor Sta Lucia lag.

»Hei, Kamerad – willst Du auch ein Mal Dein Glück versuchen? Heraus, alter Beduine, mit den Piastern und den blanken Dukaten und Dublonen, die Du zusammen gestohlen hast.« Er reichte ihm den Becher.

Der Araber verstand seine Sprache nicht, aber er legte langsam und zögernd einen Imperial auf den Tisch. Seine langen Finger krampften noch ängstlich danach, als der Corse das Goldstück nahm und prüfte.

»Diavolo! Russisches Gold? Hast Du viel dergleichen, pidocchioso?«

Er warf einen Napoleonsd'or daneben und schob dem gierigen Moslem die Würfel zu. Einige Männer sammelten sich um die Gruppe. –

Draußen am halb zusammengebrochenen Hofzaun hinter dem Hause, durch den vorspringenden Stall vor den Blicken verborgen, lehnte Marutza, die älteste Tochter des Hauswirths. Um das reine ovale Gesicht mit den großen blauen Augen wallte das Goldhaar bis fast zur Erde hinab, die jungfräulich üppige Gestalt wie mit einem Mantel umgebend. Auf dem Scheitel fehlte zwar die Ringelblume oder die Rose, mit der die Bulgarin sich schmückt, denn die Jahreszeit bot nicht die sinnige Zierde; aber der Mann vor ihr schaute auch nicht nach fremden Blumen aus, wo die Rosen auf den Wangen der Geliebten ihm glühten und aus ihren treuen melancholischen Augen alle Blüthen der Zärtlichkeit ihm entgegen strahlten.[269]

Es war ein kräftiger junger Mann von trotzig kühnem Aussehen, der glänzend gewichste Schnurrbart lang über die Mundwinkel niederhängend, auf dem Haupte, das bis auf den langen, in zwei Flechten getheilten Haarbüschel auf dem Scheitel, kahl geschoren war, einen slavonischen Hut. Von dicker Wolle war seine ganze Kleidung, die kurze Kutte, der Gürtel, die Beinkleider, die Bänder, womit seine Füße dicht umwickelt waren. Über dem Allen war er in einen weiten filzartigen weißen Mantel gehüllt, der die Waffen in seinem Gürtel verbarg, bis auf die treue Flinte, die im Bereich der Hand lehnte.

»Ich sage Dir, Marutza,« sprach finster der Fremde, »ich dulde es nicht länger, daß Dein Vater Dich den Blicken der Männer preisgiebt, von denen seine Habsucht ihren Vortheil zieht, statt Dich, wie es einer Bulgarin ziemt, an der Spindel oder dem Webstuhl in der Kammer zu halten. Mit Maria, Deiner Schwester, mag er thun, was ihm beliebt, aber Du bist meine Braut, wenn Du auch den Schleier oder die Haube nicht trägst, und bei den vierzig Märtyrern, ich hole Dich in der Otmitza, wenn Dein Vater der Sache kein Ende macht!«

»Du thätest besser, Miloje,« entgegnete die Stimme des Alten, der seine Tochter zu suchen gekommen war, hinter ihnen, »Du brächtest Deinen und meinen Hals nicht in Gefahr, indem Du hier umherstreichst, während die Khawassen des Pascha's und alle Leute in Widdin wissen, daß ein Preis auf Deinem Kopfe steht.«

»Bah!« sagte der junge Mann verächtlich, indem er die Finger seiner Rechten von sich spreizte. »Ich fürchte die Schurken nicht. Ich bin ein freier Haiduck, und Sami-Pascha weiß, was er von meinen Brüdern zu erwarten hat, wenn er mir ein Haar krümmt. Mein Vater war ihr Schrecken und, bei der Panagia17! ich werde diese Türken nicht für die Tschorbadschia's18 erkennen, so lange ein Athem in dieser Brust ist.«

»Aber was willst Du hier, wo tausend Augen auf uns gerichtet sind?«

»Mein Weib, Marutza, meine Braut, wie Du meinem Vater gelobt hast. Ich bin von den Bergen herunter gekommen, weil ich[270] gehört habe, daß Du, des schnöden Geldes wegen, Deine Töchter gleich Mägden die Krieger des Großherrn bedienen läßt.«

»Du bist ein Thor, Michael Miloje! Wem anders fällt einst mein Hab' und Gut zu, als Dir und dem Mann meiner Tochter Maria? Die Weiber müssen verdienen, so lange sie im Hause sind. Du kannst Marutza doch nicht mit auf Deine kalten Berge nehmen, und im Paschalik findest Du kein Celo, wo Du Dich niederlassen darfst, ehe nicht der Bann von Deinem Haupte genommen ist. Was können wir thun, wir sind die Knechte!«

»Ha, bei dem Blute meines Vaters, der im Thurm von Kamenitza für die Freiheit der Seinen starb,« rief der Haiduck, »sind wir nicht Memmen, daß wir diese Fesseln tragen? Sind unsere Freunde, die Moskowiten, nicht jenseits des Stromes? bereit, uns zu Hilfe zu eilen, sobald nur der Kampfesruf von unsern Bergen erschallt? Ist der schwarze Czar nicht unser wahrer Vater? Schämt Euch, Gawra, der Ihr in Eurer Jugend mit dem Popen, Eurem Ohm, bei Jarkoï gefochten und vor Nissa gestanden mit meinem Vater, daß Ihr so ganz vergessen habt, was Euer Herz damals entflammte.«

»Thörichter Junge,« sagte der vorsichtige Bulgar, sich scheu umblickend. »Ist es nicht schon deshalb, weil ich Gawra heiße, daß ich die Rache der Osmanli's fürchten und ihren Verdacht einschläfern muß? Was weißt Du, wie meine Seele denkt! Doch fort mit Dir jetzt, – das Mädchen muß in die Hoda und ihrer Mutter helfen und Dich schütze der Gott unserer Väter, bis Du so viel erworben hast, daß Du die Braut heimführen kannst. In das Haus, Marutza, oder man wird nach uns spähen.«

Das Mädchen riß sich los und flog über den Hof zur Tscharda. Der junge Haiduck aber faßte des Alten Arm, der ihn gleichfalls verlassen wollte.

»Ist es nur das, Vater Gawra, das gelbe Metall, dessen ich bedarf, um die Braut zu erhalten? Schaut her, dessen habe ich genug, mehr als ich brauche, mein Haus zu bauen und ein stattlich Gut frei zu kaufen.«

Er zog aus dem breiten wollenen Gürtel einen ledernen Beutel und zeigte ihn dem Pferdehändler, – der Beutel wog schwer von Gold.

»Bei dem Blut der heiligen Märtyrer!« fuhr der Alte zurück, »wo hast Du das Geld her, Michael?«[271]

»Ei, laßt Euch's nicht kümmern,« lachte Dieser. »Es ist ehrlich erworbenes Gold, das der schwarze Czar seinen tapfern Kindern, den Haiducken, gesandt hat. Aber ich kann nicht von hier, Vater Gawra, und ich will auch nicht. Ich muß Jemand erwarten, der mich innerhalb dreier Tage in Eurem Hane treffen soll, und Eure Mehana ist ein offenes Haus, ich habe so gut ein Recht, darin zu weilen, wie jeder dieser Soldaten des Padischah.«

Der Bulgar bedachte sich einen Augenblick, – sein Geiz und der Anblick des vielen Goldes, das der Haiduck bei sich führte, siegten über seine Vorsicht.

»Sei es denn,« sagte er, »aber bei der Panagia, bringe mich nicht in's Unglück für meine Güte. Die Soldaten kennen Dich nicht und die Khawassen meiden meine Schwelle, weil sie Schläge von ihnen fürchten. Sei vorsichtig, Michael, und mische Dich nicht in fremde Händel. Du kennst die Gelegenheit und weißt, daß die Stiege neben dem Heerd zu den Bodenkammern führt. Dorthin zieh Dich zurück, ehe sie auf Dich und Deine Gegenwart merken; ich werde die Weiber zu Dir senden. Gieb mir die Flinte, daß ich sie verberge.«

»Ich kann die Waffe nicht von mir lassen.«

»Narr! Hier würde sie auch wenig sicher sein, diese Moslems sind Diebe, die überall umherspähen.«

Er holte aus dem Stall eine Schütte Stroh und steckte das Gewehr hinein. Dann nahm er es unter den Arm und schritt dem Hause zu, dem jungen Knees19 winkend, ihm in einiger Entfernung zu folgen.

Drinnen in der Hoda nahm der Lärmen immer mehr überhand, je mehr der feurige Branntwein, das Spiel und der Streit die Köpfe erhitzten. Auch die Baschi-Bozuks standen jetzt in einzelnen Gruppen und lebhafterer Verhandlung, und ihre Augen ruhten finster auf Gawra, als er sich mit dem Stroh durch ihre Mitte wand und es in die Kammer hinter dem Heerde warf. Um Sta Lucia und die beiden Bozuks hatte sich ein zahlreicher Kreis gebildet aus Moslems und Christen und schaute aufmerksam oder höhnisch dem Spiel zu. Der Corse hatte, seinen Gefährten einen Wink gebend, dem habgierigen Sohn der Wüste bald den einfachen Mechanismus und den Gang des Spieles begreiflich zu machen[272] gewußt, theils durch Pantomimen, theils durch türkische Worte. Noch deutlicher wirkte das Beispiel, denn mehrere der Kosaken setzten alsbald das Würfeln fort und als Sta Lucia den Syrier die beiden ersten Würfe gewinnen ließ und ihm die Goldstücke zuschob, glaubte der Bozuk wirklich, sein Kismet wolle es, daß er das Geld des Dschaurs zu dem seinen mache, und mit der Gier eines echten Spielers setzte er das gefährliche Spiel fort. –

Tomasini hatte die Guzla fortgelegt und Marutza, die bei ihm vorbeischlüpfte, am wallenden Gewand ergriffen, während Rodriguez, der Spanier, ihre Hand gefaßt hielt und fünf, sechs Andere um das geängstete Mädchen sich sammelten, ihr den Ausweg versperrend.

»Schöne Marutza,« flüsterte der Italiener, »her zu mir, trink aus meinem Glase! Pesta, Du bist so allerliebst, daß Tomaso Dich besitzen muß, und wenn es sein Leben gälte!«

»Demonio,« schrie der Rival, »der Mann will die Schönheit allein haben! – An mein Herz, schöne Senjora, Rodriguez ist gleichfalls bis über die Augen vernarrt in Dich!«

»Putao!« zischte ein dritter Nachbar und riß das Mädchen an sich. »Halb Part, Kamerad!«

Wie ein Spielball flog sie durch die Hände der wüsten Gesellen.

Laut auf kreischte die Jungfrau. – –

Abdallah, der Syrier, hatte nach wechselndem Verlust und Gewinn bereits sieben seiner blanken Goldstücke in den Händen des überlegenen Christen gelassen. Die Adern seiner Stirn schwollen, krampfhaft zuckten seine Finger nach dem verlorenen Gelde.

»Nimm Dich in Acht, Kamerad,« sagte mit spöttischem Lachen der Corse und seine Rechte spielte am Griff des Dolches, während die Linke lustig den Würfelbecher schüttelte. »Du vergreifst Dich an fremdem Eigenthum. Seid Ihr solche Straccioni's, daß Ihr nicht ein Paar Geldstücke für Euer Vergnügen wagen könnt? – Etwas Ordentliches, Freund Muselmann, setze Deinen Rest, hier ist das Gold, das ich gegen halte!«

Der Moslem zauderte, – seine Genossen waren stumm, nur die blitzenden Augen zeigten den gierigen Antheil. Dann langsam und zögernd schob Abdallah den Rest seiner erbeuteten Imperials auf den Tisch, und der Corse warf klingend und hochmüthig drei dagegen. –[273]

»En avant, mes braves! Bringen wir einen Toast auf die schöne Marutza!«

»Allah bila versin! Der Bulgare muß sterben für den Hohn, den er uns angethan!«

Die Worte kreuzten sich mit dem gellenden Hilferuf des Mädchens; Vater und Mutter eilten herbei.

»Cenrinegato!« donnerte es zwischen das wilde Gelächter und eine kräftige Faust stieß den geilen Venetianer zurück, daß er den Boden maß, und riß das Mädchen aus den Armen der Trunkenen. –

Abdallah hatte seinen Wurf gethan, – mit Hohngelächter wurde die niedre Zahl begrüßt. Sta Lucia schüttelte mit triumphirendem Lächeln den Becher und ließ die Würfel rollen.

»Siebzehn! – Nichts für ungut, Kamerad, die Imperials gehören mir!« Er zog die Goldstücke zu dem Geldhaufen vor sich. –

»Marzocco! Picaro! Filho de puta! Was will der Prostak?« tönten in zehn Sprachen die Flüche durch einander und Tomasini sprang vom Boden empor und riß den Säbel aus der Scheide, daß die Klinge blank durch den Qualm und das Dunkel funkelte, das, nur von dürftigem Lampenschein gebrochen, bereits die weite Hoda füllte.

Sta Lucia schaute hinüber nach dem beginnenden Streit. Diesen Augenblick der Unachtsamkeit benutzte der Syrier, sein Gold wieder zu erhaschen, und seine Hände faßten gierig danach; drei, vier Andere nahmen die Bewegung für einen Aufruf zum Raub und fielen über den Geldhaufen des Corsen her.

»Canaglia!« Einen Augenblick funkelte das Stilet des Banditen in der erhobenen Faust, dann fuhr es nieder und nagelte die Hand des unglücklichen Asiaten fest auf den Tisch.

Ein wilder Schrei des Schmerzes und der Wuth – gleich einer Schlange wand sich der Mann an dem gefesselten Arm.

»Wallah! Auf die Dschaurs, Ihr Gläubigen!«

Säbel und Handjars blitzten – mitten hinein in den Lärmen knallte ein Schuß. – –

Der Haiduck hatte den Mantel von sich geworfen, – seine Linke suchte das Mädchen fortzudrängen und zu schützen, während die Rechte eine lange Pistole aus dem Gürtel riß.

»Zurück da, die Moma ist eine ehrliche Jungfrau und meine Braut!«[274]

In dem wüsten Lärmen verklang der Ruf oder wurde mit Hohngelächter beantwortet; seiner Tracht nach hielten ihn die Christen für einen der Irregulairen, daher der wüthende Schrei:

»Er hat Pistolen! Nieder mit dem Schuft, Kameraden!«

Der Irrthum war aber zugleich die Rettung des Haiducken. Während Monsieur Louis, der lustige Pariser, und einige Vernünftigere sich zwischen ihn und den Italiener warfen und einen tollen Streit verhindern wollten, faßte der Portugiese mit frecher Faust die Schulter und das Gewand des Mädchens, ein Ruck, und das wollene Kleid riß in Stücken und enthüllte die weiße Brust der Jungfrau.

Der trunkene Lüstling that jedoch jauchzend nur einen Blick auf die enthüllten Reize – der nächste schon zeigte ihm die weite Mündung einer Pistole dicht vor den Augen und mit zerschmettertem Schädel stürzte er auf seine Gefährten zurück.

Der Schuß gab das Signal zum allgemeinen Kampf, die Baschi-Bozuks warfen sich von allen Seiten auf die gehaßten Christen, und der lange verhaltene Groll brach in ungezügelter Heftigkeit aus. Säbel, Handjars, Dolche und Messer blitzten und färbten sich roth im Blut der Gegner.

Mit den Schlägen des schweren Pistolenkolbens hatte sich der Haiduck, die Braut im Arm, Bahn gebrochen durch das Getümmel, keine der Parteien wußte recht, woran sie mit ihm war, und so kam er glücklich bis zu der Treppenleiter, welche neben dem Heerd zum Dachgeschoß des Hauses führte, in dem außer den Vorrathsräumen zwei Kammern für die Töchter und die Mägde des Hauses sich befanden. Der scharfe Blick des Knees hatte gesehen, wohin der Handja sein Gewehr verborgen, und indem er das Mädchen nöthigte, die Leiter hinaufzusteigen, hatte er auch bereits die treue Waffe gefaßt und hielt mit ihr Wache am Fuß der Leiter. –

»Bassa manelka! Sollen wir uns von den türkischen Lumpen erschlagen lassen? Hierher, Kameraden!«

Die breite kräftige Gestalt des ungarischen On-Baschi's hatte sich auf einen der Tische geschwungen, und während die Reiter sich um ihn sammelten, regnete es Hiebe von seiner breiten Klinge auf die Köpfe und Schultern der Gegner.

Gawra, der Wirth, an Schlägereien des Gesindels gewöhnt, hatte Anfangs die Sache wenig gefährlich genommen und war nur herbeigeeilt, um sein Kind aus den Händen der Trunkenen zu befreien.[275] Als aber, noch ehe er das Mädchen erreicht, der Schuß fiel und überall die Waffen blitzten, erkannte er die drohende Gefahr und drängte die Baba und ihre jüngere Tochter zur Thür. »Geschwind zur Stadt und hole Hilfe. Die Teufel stecken uns sonst das Haus über'm Kopf in Brand!« Die Weiber entflohen, während sie im Umblicken noch sahen, wie eine Anzahl der Baschi-Bozuks sich auf den Wirth selbst warf und der Knabe Jowan zu Boden geschlagen wurde.

»Hinaus mit den verräterischen Hunden! Schlagt sie fort, die asiatischen Spitzbuben!« schrie der Führer der christlichen Freischaar, und in geordneter Phalanx drangen sie auf die wilde Horde ein und ihre gewichtigen Hiebe trieben diese durch Fenster und Thür, heulend vor Wuth, aus zwanzig Wunden blutend im Handgemeng. Doch nur eine kurze Zeit war der Sieg auf Seite der Christen. Im Tschardak faßten die Moslems, von den Ihren, die sich draußen umhergetrieben, unterstützt, festen Fuß und begannen auf's Neue den Eingang zu stürmen. Wie ein Zündfeuer lief die Nachricht von dem begonnenen Streit zu dem nahe gelegenen Lager, und trotz der ausgestellten Wachen begannen bereits neue Banden des Gesindels durch das Dunkel des Abends herbeizuströmen. Vergebens war das Erscheinen mehrerer unteren Offiziere, der Christenhaß und der Groll, der zwischen den beiden Truppentheilen herrschte, loderte in so vollen Flammen, daß an Gehorchen vorerst nicht zu denken war.

Die Kosaken unter dem Kommando des On-Baschi Stephan begannen sich in dem Gemach zu verschanzen, denn bei ihrer geringen Zahl und der größeren Entfernung der Stadt sahen sie sehr wohl die Gefahr ein und daß es galt, sich zu halten, bis Entsatz kam. Mehrere von ihnen waren gleichfalls verwundet, außer der Leiche des Portugiesen lag ein junger Pole zum Tode getroffen am Boden, der Handjar Hussein's des Albanesen hatte seinen Schädel gespalten.

Zwei der Bozuks waren dafür in der Hoda gefallen. Sta Lucia, der Bandit, der zum großen Theil den Ausbruch des Kampfes mit veranlaßt hatte, war überall und legte mit Hand an die Verbarrikadirung der Thür und der Fenster. An den Haiducken dachte Keiner mehr, man hatte ihn für einen der Baschi-Bozuks gehalten und glaubte, daß er mit den Andern entwichen. Michael Miloje aber hatte die Gelegenheit benutzt, während der[276] Kampf am Tschardak tobte, und sich mit Marutza in das Bodengeschoß geflüchtet. Seine starke Faust zog die Leiter ihnen nach.

Die wilden Gesellen, trotzend der Gefahr, ließen es dann nach der Sicherung des Eingangs ihr erstes Geschäft sein, die Vorräthe der Mehana zu plündern und alles Getränk herbeizuschaffen. Ein wüstes Bachanal begann, ein Bachanal, das jeden Augenblick sich in das letzte Todesstöhnen verwandeln konnte. Durch die Fenster hinaus die Branntweinkrüge schwingend, höhnten sie ihre Gegner.

Eine kurze Pause des Kampfes war eingetreten – wohl an Zweihundert der Irregulairen waren jetzt versammelt in der Nähe und auf den braunen dunklen Gesichtern flammten alle Nüancen der erregten Leidenschaften. Offiziere sprengten neuerdings herbei und versuchten die Leute zurückzutreiben, – Mahmud-Aga, der Capitain der Kosaken, unter ihnen, – aber vergeblich drohte er, seine Escadron ausrücken zu lassen, wildes Hohn- und Rachegeschrei antwortete den Bitten und Befehlen.

Kiehnfackeln – die Ställe des Roßhändlers boten des Vorraths genug – flammten ringsum, dazu verbreitete der helle Mondschein volle Klarheit. – Die Baschi-Bozuks schienen ihren Haß und ihr Unternehmen getheilt zu haben, denn ein starker Haufe hatte den unglücklichen Wirth nach der hintern Seite des Hofes geschleppt zu dem dort befindlichen Ausgange, und zeigte ihm hier sein Verbrechen: – drei rothe mit Thierblut gemalte Christenkreuze auf dem Querbalken des Thores! Die fanatischen Moslems sahen darin eine Verhöhnung des Halbmonds und Ibrahim, der Derwisch, hetzte die Erbitterten. Unterdeß bereitete die größere Hälfte vor den Stufen des Tschardaks sich zum neuen Angriff vor.

Die Bozuks, welche den Bulgarenwirth trotz seiner Protestationen und seines Flehens am Thor unter den Kreuzen mit ausgespannten Gliedern festgebunden hatten, begannen nun ein teuflisches Spiel zu treiben, das stark an die Martern der Indianerstämme Nordamerika's erinnerte. Ben-Bahoui, der Damascener, hatte es angegeben. Er rief seine Landsleute zusammen, und auf etwa zehn Schritt von dem Unglücklichen tretend, wog er seinen Yatagan zwischen den Fingern und schleuderte ihn dann in geschicktem Wurf nach dem Unglücklichen, daß die Spitze etwa in Fußweite von seinem Leibe in das Holz fuhr.

»Kreuzigt ihn! kreuzigt ihn!«[277]

Das gellende Hohngelächter der Wilden verschlang den Hilferuf des Gefährdeten.

Ein Zweiter der Bande – ein großer Schwarzer mit dem stumpfen Bullenbeißergesicht der Stämme der Nilquellen – trat vor, den Wurf zu versuchen; die taumelnde Haltung bewies, daß er seine geringen Fähigkeiten im Slibowitza ersäuft hatte. Andere strömten hin und her zwischen den beiden Haufen, den Hohn ihrer Gegner in der Mehana mit der Ladung zu dem blutigen Spiel beantwortend.

»Mashallah! schlagt die Dschaurs todt!«

Die wüthende Bande begann jetzt den Sturm gegen die Thüren und die Fenster des Hauses. –

Der Mohr hob grinsend das schwere Messer zum Wurf – plötzlich warf er auch den andern Arm wild in die Höhe, drehte sich um sich selbst und stürzte zu Boden. Der Knall, der kräuselnde Rauch aus der Dachöffnung der Mehana zeigte, woher der Flintenschuß gefallen.

»Die Hunde haben Feuerwaffen! Wallah! Steckt ihnen das Haus in Brand!« –

Die schwache Thür der Mehana brach vor den Schlägen der Stürmenden, über die Trümmern her wurden die Freiwilligen und die Bozuks auf's Neue handgemein.

Wüthend über den Tod eines Gefährten, stürzten Mehrere der Asiaten mit geschwungenem Handjar auf den unglücklichen Wirth zu, während Andere sich bereit machten, das Dach in Brand zu stecken.

Die Gefahr, der Tumult waren auf's Höchste gestiegen –

Da hob es sich wie eine dunkle Masse jenseits des fast fünf Fuß hohen Zaunes und sie flog durch die Luft und mitten zwischen die Gruppe der Asiaten: ein braunes schäumendes Roß, das jetzt zitternd von der gewaltigen Anstrengung stand und schnaufte. Und auf dem Roß ein Mann, die breite Brust von dem silberbeschnürten schwarzen Dolman umspannt, Todesdrohung im feuersprühenden Blick, das häßliche, aber energische Gesicht vor Aufregung glühend: – Graf Ilinski, Iskender-Bey, der Oberst der Irregulairen.

»Przeklęcie! In Eure Zelte, Ihr Hunde! Fort!«

Seine Rechte spannte den Hahn der Sattelpistole – sie Alle hörten deutlich das Knacken, – eine solche Stille war um den Grafen her, als sie ihn erkannt – nach allen Seiten hin verloren viele der Meuterer sich eilig in's Dunkel.[278]

»Wer hat das Aas hier erschossen? – Ihr kennt das Verbot, Feuerwaffen bei Euch zu führen. Antwort!«

»Sen ektiar der20, o Bey!« sagte endlich, sich zu Boden werfend und seinen Steigbügel küssend, der Damascener; »der Schuß kam von den Christen her aus der Mehana. Es ist unser Kismet, Deinem Willen zu gehorchen; wir haben keine Flinten.«

»Was thut Ihr mit dem Mann da?«

»Er hat Koth auf unsern Glauben gehäuft. Es ist ein bulgarischer Mistträger – wir wollten ihn strafen.«

»O, Aga,« rief der Unglückliche, »sie warfen mit ihren Yatagans nach mir!«

Der Bey schaute nach dem Thor. »Ungeschickte Hunde – nennt Ihr das einen Wurf? Eine Elle vom Ziel!« Er ritt zum Thor und zog den Handjar, der noch neben dem Leibe des zitternden Bulgaren steckte, aus dem Holz. »Halt still, Prostak21

Er ritt auf fünfzehn Schritt zurück und hob sich im Sattel. Einen Augenblick wog er die schwere Klinge auf der flachen Hand, mit dem Mittelfinger den Knopf des Griffs berührend, dann warf er die Waffe, die zischend die Luft durchschnitt und kaum in Zollweite über dem Kopf des Wirthes tief in's Holz fuhr.

Ein donnernder Beifallsruf der Kinder der Wüste erschütterte die Luft.

Das war die Weise, wie Iskender-Bey diese ungezähmten Seelen gebändigt hatte. Er sagte zu ihnen: »Ich schieße besser, wie Du, ich werfe den Djerid besser, wie Du, ich reite besser, wie Du;« und er schoß besser, er warf besser, er ritt besser, und war Allen voraus im Kampf. Der Tiger der Wüste beugte sich vor dem polnischen Wolfe und ward sein Knecht.

»Bindet den Mann los!«

Es geschah.

»Und nun fort mit Euch Schurken und zu Euren Zelten, denn in fünf Minuten lasse ich Allarm blasen und, Inshallah! – ich spieße den, der nicht in seiner Reihe steht. Zum Dank für den Lärmen hier sollt Ihr noch diese Nacht marschiren. – Du,« er wandte sich zu dem Damascener, »und zwei dieser Hundssöhne – Ihr bleibt bei dem Mann hier, bis ich nach Euch sende.«[279]

Er wandte das Pferd und ritt nach dem Hause, ohne die Bande auch nur eines Blickes weiter zu würdigen. Gleich begossenen Hunden schlichen sie eilig nach allen Seiten davon.

Am Tschardak der Mehana hatte unterdeß eine eigenthümliche, fast komische Scene gespielt und dem blutigen Gemetzel ein Ende gemacht.

Während der Kampf tobte und das Blut floß, jagten mit verhängtem Zügel die Adjutanten des Bey's, Jacoub-Aga und Hidaët-Aga, in den Hof, und der Erstere, ohne alle Rücksicht auf die Niedergetretenen, sein Pferd mitten in den dichtesten Haufen. Im nächsten Augenblick schon regnete es rechts und links, vorn und hinten Hiebe mit dem schweren Kantschuh, den er in der Hand hatte, auf die Köpfe und Schultern der Stürmenden, während das Pferd, von dem tollen Reiter gespornt, rechts und links die Männer zu Boden warf. Erschrocken über den unerwarteten Gruß, stob die Bande, die nicht den Säbel der Christen, wohl aber die ungezählten Prügel des Kolassi's fürchtete, bei Seite und gerieth hier in die Hände Hidaët-Aga's, der sie mit einer gleichen Tracht mit der flachen Säbelklinge empfing. – »Jacoub'a! Jacoub'a! Allah beschütze uns're Köpfe!« heulte es überall, und ehe fünf Minuten vergangen, war der Platz unter dem schallenden höhnenden Gelächter der so eben noch in blutiger tödtlicher Vertheidigung begriffenen Belagerten von dem Gesindel gereinigt.

Zugleich hörte man im Lager die langen gewundenen Hörner der Irregulairen in schweren klagenden Tönen die Signale zum Sammeln blasen, und von Widdin her schmetterten Trompeten und der Rest der Escadron der türkischen Kosaken unter Führung eines Mulassim trabte heran.

Iskender-Bey kam ruhig aus dem hintern Theil des Hofes, wo er in so tollkühner und glücklicher Weise im rechten Augenblick erschienen war, zum Tschardak geritten, auf den jetzt die Belagerten – fast die Hälfte mehr oder weniger verwundet – sich herausgedrängt hatten. Ein Baschi-Bozuk lag erschlagen mit weit klaffender Wunde in der Veranda; die Verwundeten hatten ihre Kameraden jedoch mit fortgeschleppt.

»Kolassi Jacoub?«

Der Aga salutirte.

»Wie viel Todte?«

»Ich höre eben, daß Einer der Freiwilligen d'rinnen erschossen,[280] ein Anderer schwer verwundet ist. Zwei Leichen der Unsern liegen in der Mehana, eine hier.«

»Nur? Ein Vierter liegt im Hof; die Sache ist also gut genug abgelaufen. Jüs-Baschi Mahmud'a!«

Der Hauptmann der Kosaken, der sich vergeblich bemüht hatte, die Kämpfenden auseinander zu bringen, nachdem er eilige Meldung in die Locanda Alexo's gesandt, trat vor.

»Ich bin der Höchstkommandirende hier, wenn auch Ihre Leute nicht zu den Meinen gehören. Lassen Sie die Halunken dort, die den Handel angezettelt, hervortreten.«

Es geschah.

»Wer von Euch hat die zwei Schüsse gethan? – Antwort!«

Einige Augenblicke schwiegen Alle, dann entgegnete der On-Baschi:

»Keiner von uns hat nach dem Tagesbefehl Schießgewehr bei sich geführt. Der Erschossene da drinnen ist einer der Unsern.«

»Wer also schoß?«

»Ein Baschi-Bozuk natürlich, Mir-Alai22

»Narr! Warum sollte der seinen eigenen Kameraden erschießen? – Ruft den Wirth der Mehana aus dem Hofe herbei und seine drei Wächter.«

Die Leute wurden gebracht. Der Bey wandte sich zu dem Damascener.

»Woher kam der Schuß, der den Mohren niederstreckte?«

»Aus dem Hause, Bey! Ich sah selbst den Rauch aus dem Dache steigen.«

»Durchsucht das Haus. – Kannst Du uns Auskunft geben, Wirth?«

»Excellenz, habe Gnade mit Deinem Knecht. Ich habe viele Gäste gehabt, die ich nicht kenne. Man riß mich sogleich zu Boden und schleppte mich in den Hof. Ich weiß nicht, woher der Schuß gekommen, die Angst des Todes war über mir.«

Die beiden Mulassims, die mit dem On-Baschi das Haus durchsucht hatten, erschienen wieder, Marutza mit sich führend. Der Eine trug die Flinte des Haiducken.

»Wer ist das Mädchen?«[281]

»Meine Tochter, Excellenz; sie flüchtete auf den Boden, als der Streit im Hause begann.«

»Habt Ihr Niemand weiter gefunden?«

»Niemand, als dies Weib und die Flinte unter dem Stroh verborgen. In der Hoda liegt ein junger Bursche, der Aufwärter des Handja, aber er ist verwundet.«

»Jowan, mein Neffe!«

»Still. Mädchen, Du mußt es wissen, rede die Wahrheit. Wer schoß die Flinte ab auf den Mohren?«

Der Bulgar zitterte.

»Ich, o Aga, that es. Mein Vater war in Gefahr!«

Der Bey schaute ihr scharf in die schwarzen Augen, die muthig Stand hielten. Das ritterliche Blut des Polen trug den Sieg davon über den Moslem.

»So thatest Du brav, Mädchen, wie ich wünsche, daß meine Tochter an mir thun möge. Doch vermag ich Deinen Vater nicht vor Strafe zu schützen, weil er gegen den ausdrücklichen Befehl der Regierung Waffen in seinem Hause gehegt hat. Mulassim Hassan, der Ihr in dem Lager bleibt, Ihr werdet morgen den Mann und das Mädchen zu Sami-Pascha führen. Die Todten hier sind meine Sache, versteht mich wohl, nur das Gewehr geht den Pascha und seine Khawassen an. Gute Nacht, Mädchen!«

Sie neigte sich demüthig und küßte den Riemen seines Steigbügels.

»Jüs-Baschi Mahmud'a, führt Eure Leute fort. Nach der Schlacht hören die Burschen da das Weitere. Und nun, meine Herren, zu unserem Corps und sorgt dafür, daß keiner der Lebendigen unter dem Vorwande einer Wunde in seiner Reihe fehle. Bei dem Gott Mahomed's und der Christen, ich will den Kerl lebendig schinden, der es wagt! Vorwärts, Jacoub'a!«

Und dem scharrenden Roß die Sporen in die Flanken pressend, flog der wilde Graf im Galopp davon – hinter ihm d'rein seine Adjutanten.

In langen, verhallenden Tönen bliesen die Hörner zum Aufbruch nach Czetate.

1

Bulgarisches Dorf.

2

Saal, großes Gemach.

3

Hunnengräbern – 15–50 Fuß hohen Grabhügeln aus dem Alterthum; der Moslem nennt sie Tege.

4

So nennt der Slawen-Grieche sinnig sein Pferd.

5

Christen!

6

Thurm.

7

Sehr bezeichnend für den Volkscharakter ist das Lob, das man in Bulgarien 1840 dem Pascha von Sophia, Seïd, zollte: »An dem Pascha ist weiter Nichts auszusetzen, als daß er uns, so viel er kann, Geld abschindet, aber wenigstens sieht er darauf, daß seine Leute unsere Ehre und unsere Weiber nicht antasten.«

8

Rundtanz mit fest verschlungenen Armen, als Zeichen der Kraft und Vereinigung.

9

Dorfobrigkeit.

10

Wirth.

11

Ein kleines Goldstück, fünf Piaster an Werth.

12

Hundsfott! – Spanisch.

13

Lümmel! – Portugiesisch.

14

Cither.

15

Mädchen.

16

Schurke! – Italienisch.

17

Heilige Jungfrau!

18

Herren des Landes.

19

Häuptling.

20

Du bist der Herr.

21

Lümmel.

22

Oberst. Officiell wurde Iskender-Bey erst nach der Schlacht von Czetate dazu ernannt.

Quelle:
Herrmann Goedsche (unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe): Sebastopol. 4 Bände, Band 2, Berlin 1856, S. 257-282.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Zwei Schwestern

Zwei Schwestern

Camilla und Maria, zwei Schwestern, die unteschiedlicher kaum sein könnten; eine begnadete Violinistin und eine hemdsärmelige Gärtnerin. Als Alfred sich in Maria verliebt, weist diese ihn ab weil sie weiß, dass Camilla ihn liebt. Die Kunst und das bürgerliche Leben. Ein Gegensatz, der Stifter zeit seines Schaffens begleitet, künstlerisch wie lebensweltlich, und in dieser Allegorie erneuten Ausdruck findet.

114 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon