1789

[12] Kaum war ich in das weimarische Leben und die dortigen Verhältnisse, bezüglich auf Geschäfte, Studien und literarische Arbeiten, wieder eingerichtet, als sich die Französische Revolution entwickelte und die Aufmerksamkeit aller Welt auf sich zog. Schon im Jahr 1785 hatte die Halsbandgeschichte einen unaussprechlichen Eindruck auf mich gemacht. In dem unsittlichen Stadt-, Hof- und Staatsabgrunde, der sich hier eröffnete, erschienen mir die greulichsten Folgen gespensterhaft, deren Erscheinung ich geraume Zeit nicht loswerden konnte; wobei ich mich so seltsam benahm, daß Freunde, unter denen ich mich eben auf dem Lande aufhielt, als die erste Nachricht hievon zu uns gelangte, mir nur spät, als die Revolution längst ausgebrochen war, gestanden, daß ich ihnen damals wie wahnsinnig vorgekommen sei. Ich verfolgte den Prozeß mit großer Aufmerksamkeit, bemühte mich in Sizilien um Nachrichten von Cagliostro und seiner Familie und verwandelte[12] zuletzt, nach gewohnter Weise, um alle Betrachtungen loszuwerden, das ganze Ereignis unter dem Titel »Der Großkophta« in eine Oper, wozu der Gegenstand vielleicht besser als zu einem Schauspiele getaugt hätte. Kapellmeister Reichardt griff sogleich ein, komponierte mehreres einzelne, als: die Baßarie »Lasset Gelehrte sich zanken und streiten etc.«, »Geh, gehorche meinen Winken etc.«.

Diese reine Opernform, welche vielleicht die günstigste aller dramatischen bleibt, war mir so eigen und geläufig geworden, daß ich manchen Gegenstand darin behandelte. Ein Singspiel, »Die ungleichen Hausgenossen«, war schon ziemlich weit gediehen. Sieben handelnde Personen, die aus Familienverhältnis, Wahl, Zufall, Gewohnheit auf einem Schloß zusammen verweilten oder von Zeit zu Zeit sich daselbst versammelten, waren deshalb dem Ganzen vorteilhaft, weil sie die verschiedensten Charaktere bildeten, in Wollen und Können, Tun und Lassen völlig einander entgegen standen, entgegen wirkten und doch einander nicht loswerden konnten. Arien, Lieder, mehrstimmige Partien daraus verteilte ich nachher in meine lyrischen Sammlungen und machte dadurch jede Wiederaufnahme der Arbeit ganz unmöglich.

Gleich nach meiner Rückkunft aus Italien machte mir eine andere Arbeit viel Vergnügen. Seit Sternes unnachahmliche »Sentimentale Reise« den Ton gegeben und Nachahmer geweckt, waren Reisebeschreibungen fast durchgängig den Gefühlen und Ansichten des Reisenden gewidmet. Ich dagegen hatte die Maxime ergriffen, mich soviel als möglich zu verleugnen und das Objekt rein, als nur zu tun wäre, in mich auf zunehmen. Diesen Grundsatz befolgte ich getreulich, als ich dem römischen Karneval beiwohnte. Ausführlich ward ein Schema aller Vorkommenheiten aufgesetzt, auch fertigten gefällige Künstler charakteristische Maskenzeichnungen. Auf diese Vorarbeiten gründete ich meine Darstellung des »Römischen Karnevals«, welche, gut aufgenommen, geistreiche Menschen veranlaßte, auf ihren Reisen gleichfalls das Eigentümlichste der Völkerschaften und Verhältnisse klar und rein auszudrücken;[13] wovon ich nur den talentvollen, früh verschiedenen Friedrich Schulz nennen und seine Beschreibung eines polnischen Reichstags in Erinnerung bringen will.

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 16, Berlin 1960 ff, S. 12-14.
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