1792

[18] So war der Winter hingegangen, und das Schauspiel hatte schon einige Konsistenz gewonnen. Wiederholung früherer wertvoller und beliebter Stücke, Versuche mit aller Art von[18] neueren gaben Unterhaltung und beschäftigten das Urteil des Publikums, welches denn die damals neuen Stücke aus Ifflands höchster Epoche mit Vergnügen anzuschauen sich gewöhnte. Auch Kotzebues Produktionen wurden sorgfältig aufgeführt und, insofern es möglich war, auf dem Repertorium erhalten.

Dittersdorfs Opern, dem singenden Schauspieler leicht, dem Publikum anmutig, wurden mit Aufmerksamkeit gegeben, Hagemeisteriche und Hagemeisterische Stücke, obgleich hohl, doch für den Augenblick Teilnahme erregend und Unterhaltung gewährend, nicht verschmäht. Bedeutendes aber geschah, als wir schon zu Anfange des Jahrs Mozarts »Don Juan« und bald darauf »Don Carlos« von Schiller aufführen konnten. Ein lebendiger Vorteil entsprang aus dem Beitritt des jungen Vohs zu unserm Theater. Er war von der Natur höchst begünstigt und erschien eigentlich jetzt erst als bedeutender Schauspieler.

Das Frühjahr belebte meine chromatischen Arbeiten, ich verfaßte das zweite Stück der »Optischen Beiträge« und gab es, von einer Tafel begleitet, heraus. In der Mitte des Sommers ward ich abermals ins Feld berufen, diesmal zu ernsteren Szenen. Ich eilte über Frankfurt, Mainz, Trier und Luxemburg nach Longwy, welches ich den 28. August schon eingenommen fand; von da zog ich mit bis Valmy sowie auch zurück bis Trier; sodann, um die unendliche Verwirrung der Heerstraße zu vermeiden, die Mosel herab nach Koblenz. Mancherlei Naturerfahrungen schlangen sich für den Aufmerksamen durch die bewegten Kriegsereignisse. Einige Teile von Fischers »Physikalischem Wörterbuche« begleiteten mich; manche Langweile stockender Tage betrog ich durch fortgesetzte chromatische Arbeiten, wozu mich die schönsten Erfahrungen in freier Welt aufregten, wie sie keine dunkle Kammer, kein Löchlein im Laden geben kann. Papiere, Akten und Zeichnungen darüber häuften sich.

Bei meinem Besuch in Mainz, Düsseldorf und Münster konnte ich bemerken, daß meine alten Freunde mich nicht recht[19] wiedererkennen wollten, wovon uns in Hubers Schriften ein Wahrzeichen übriggeblieben, dessen psychische Entwicklung gegenwärtig nicht schwerfallen sollte.

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 16, Berlin 1960 ff, S. 18-20.
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