1799

[61] Den 30. Januar Aufführung von den »Piccolomini«, den 20. April von »Wallenstein«. Indessen war Schiller immer tätig. »Maria Stuart« und »Die feindlichen Brüder« kommen zur Sprache. Wir berieten uns über den Gedanken, die deutschen Stücke, die sich erhalten ließen, teils unverändert im Druck zu sammeln, teils aber verändert und ins Enge gezogen der neueren Zeit und ihrem Geschmack näherzubringen. Ebendasselbe sollte mit ausländischen Stücken geschehen, eigene Arbeit jedoch durch eine solche Umbildung nicht verdrängt werden. Hier ist die Absicht unverkennbar, den deutschen Theatern den Grund zu einem soliden Repertorium zu legen, und der Eifer, dies zu leisten, spricht für die Überzeugung, wie notwendig und wichtig, wie folgereich ein solches Unternehmen sei.

Wir waren schon gewohnt, gemeinschaftlich zu handeln, und wie wir dabei verfuhren, ist bereits im »Morgenblatt« ausführlich vorgetragen. In das gegenwärtige Jahr fällt die Redaktion von »Macbeth« und die Übersetzung von »Mahomet«.

Die Memoiren der Stephanie von Bourbon-Conti erregen in mir die Konzeption der »Natürlichen Tochter«. In dem Plane bereitete ich mir ein Gefäß, worin ich alles, was ich so manches Jahr über die Französische Revolution und deren Folgen geschrieben und gedacht, mit geziemendem Ernste niederzulegen hoffte. Kleinere Stücke schematisierte ich mit Schillern[61] gemeinschaftlich, wovon noch einiges, von Schillern eigenhändig geschrieben, übrig ist.

Die »Propyläen« wurden fortgesetzt. Im September hielten wir die erste Ausstellung der Preisbilder; die Aufgabe war Paris und Helena. Hartmann in Stuttgart erreichte den Preis.

Erwarben nun auf diese Weise die Weimarischen Kunstfreunde sich einiges Zutrauen der Außenwelt, so war auch Schiller aufgeregt, unablässig die Betrachtung über Natur, Kunst und Sitten gemeinschaftlich anzustellen. Hier fühlten wir immer mehr die Notwendigkeit von tabellarischer und symbolischer Behandlung. Wir zeichneten zusammen jene Temperamentenrose wiederholt; auch der nützliche und schädliche Einfluß des Dilettantismus auf alle Künste ward tabellarisch weiter ausgearbeitet, wovon die Blätter beidhändig noch vorliegen. Überhaupt wurden solche methodische Entwürfe durch Schillers philosophischen Ordnungsgeist, zu welchem ich mich symbolisierend hinneigte, zur angenehmsten Unterhaltung. Man nahm sie von Zeit zu Zeit wieder auf, prüfte sie, stellte sie um, und so ist denn auch das Schema der »Farbenlehre« öfters bearbeitet worden.

Und so konnte das Leben nirgends stocken in den jenigen Zweigen der Wissenschaft und Kunst, die wir als die unsrigen ansahen. Schelling teilte die Einleitung zu seinem »Entwurf der Naturphilosophie« freundlich mit; er besprach gern mancherlei Physikalisches, ich verfaßte einen allgemeinen Schematismus über Natur und Kunst.

Im August und September bezog ich meinen Garten am Stern, um einen ganzen Mondswechsel durch ein gutes Spiegelteleskop zu beobachten, und so ward ich denn mit diesem so lange geliebten und bewunderten Nachbar endlich näher bekannt. Bei aliem diesem lag ein großes Naturgedicht, das mir vor der Seele schwebte, durchaus im Hintergrund.

Während meines Gartenaufenthalts las ich Herders »Fragmente«, ingleichen Winckelmanns »Briefe« und erste Schriften, ferner Miltons »Verlornes Paradies«, um die mannigfaltigsten Zustände, Denk- und Dichtweisen mir zu vergegenwärtigen.[62] In die Stadt zurückgekehrt, studierte ich zu obengemeldeten Theaterzwecken ältere englische Stücke, vorzüglich des Ben Jonson, nicht weniger andere, welche man Shakespearen zuschreibt. Durch guten Rat nahm ich Anteil an den »Schwestern von Lesbos«, deren Verfasserin mich früher als ein höchst schönes Kind, später als ein vorzüglichstes Talent angezogen hatte. Tieck las mir seine »Cenoveva« vor, deren wahrhaft poetische Behandlung mir sehr viel Freude machte und den freundlichsten Beifall abgewann. Auch die Gegenwart Wilhelm August Schlegels war für mich gewinnreich. Kein Augenblick ward müßig zugebracht, und man konnte schon auf viele Jahre hinaus ein geistiges gemeinsames Interesse vorhersehen.

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 16, Berlin 1960 ff, S. 61-63.
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