1807

[190] Zu Ende des vorigen Jahrs war das Theater schon wieder eröffnet, Balkon und Logen, Parterre und Galerie bevölkerten sich gar bald wieder als Wahrzeichen und Gleichnis, daß in Stadt und Staat alles die alte Richtung angenommen. Freilich hatten wir von Glück zu sagen, daß der Kaiser seiner Hauptmaxime getreu blieb, mit allem, was den sächsischen Namen führte, in Frieden und gutem Willen zu leben, ohne sich durch irgendeinen Nebenumstand irremachen zu lassen. General Dentzel, der in Jena vor soviel Jahren Theologie studiert hatte und wegen seiner Lokalkenntnisse zu jener großen Expedition berufen ward, zeigte sich als Kommandant zu freundlicher Behandlung gar geneigt. Der jüngere Mounier, bei uns erzogen, mit Freundschaft an manches Haus geknüpft, war als Commissaire-Ordonnateur angestellt, und ein gelindes Verfahren beschwichtigte nach und nach die beunruhigten Gemüter. Jeder hatte von den schlimmen Tagen her etwas zu erzählen und gefiel sich in Erinnerung überstandenen Unheils, auch ertrug man gar manche Last willig, als die aus dem Stegreif einbrechenden Schrecknisse nicht mehr zu fürchten waren.

Ich und meine Nächsten suchten also dem Theater seine alte Konsistenz wiederzugeben, und es gelangte, zwar vorbereitet, aber doch zufällig, zu einem neuen Glanz durch eine freundliche, den innigsten Frieden herstellende Kunsterscheinung. »Tasso« ward aufgeführt, allerdings nicht erst unter solchen Stürmen, vielmehr längst im stillen eingelernt: denn wie bei[190] uns antretende jüngere Schauspieler sich in manchen Rollen übten, die sie nicht alsobald übernehmen sollten, so verfuhren auch die älteren, indem sie manchmal ein Stück einzulernen unternahmen, das zur Aufführung nicht eben gleich geeignet schien. Hiernach hatten sie auch »Tasso« seit geraumer Zeit unter sich verabredet, verteilt und einstudiert, auch wohl in meiner Gegenwart gelesen, ohne daß ich jedoch, aus verzeihlichem Unglauben und daran geknüpftem Eigensinn, die Vorstellung hätte ansagen und entscheiden wollen. Nun, da manches zu stocken schien, da sich zu anderem Neuen weder Gelegenheit noch Mut fand, notwendig zu feiernde Festtage sich drängten, da regte sich die freundliche Zudringlichkeit meiner lieben Zöglinge, so daß ich zuletzt dasjenige halb unwillig zugestand, was ich eifrig hätte wünschen, befördern und mit Dank anerkennen sollen. Der Beifall, den das Stück genoß, war vollkommen der Reife gleich, die es durch ein liebevolles, anhaltendes Studium gewonnen hatte, und ich ließ mich gern beschämen, indem sie dasjenige als möglich zeigten, was ich hartnäckig als unmöglich abgewiesen hatte.

Mit beharrlicher, treuer Sorgfalt ward auch die nächsten Monate das Theater behandelt und junge Schauspieler in allem, was ihnen nötig war, besonders in einer gewissen natürlichen Gesetztheit und eigener persönlichen Ausbildung, die alle Manier ausschließt, geleitet und unterrichtet. Eine höhere Bedeutung für die Zukunft gab sodann »Der standhafte Prinz«, der, wie er einmal zur Sprache gekommen, im stillen unaufhaltsam fortwirkte. Auf ein anderes, freilich in anderem Sinne problematisches Theaterstück hatte man gleichfalls ein Auge geworfen, es war »Der zerbrochene Krug«, der gar mancherlei Bedenken erregte und eine höchst ungünstige Aufnahme zu erleben hatte. Aber eigentlich erholte sich das Weimarische Theater erst durch einen längeren Aufenthalt in Halle und Lauchstädt, wo man vor einem gleichfalls gebildeten, zu höhern Forderungen berechtigten Publikum das Beste, was man liefern konnte, zu leisten genötigt war. Das Repertorium dieser Sommervorstellungen ist vielleicht das bedeutendste, was die weimarische[191] Bühne, wie nicht leicht eine andere, in so kurzer Zeit gedrängt aufzuweisen hat.

Gar bald nach Aufführung des »Tasso«, einer so reinen Darstellung zarter, geist- und liebevoller Hof- und Weltszenen, verließ Herzogin Amalie den für sie im tiefsten Grund erschütterten, ja zerstörten Vaterlandsboden, allen zur Trauer, mir zum besonderen Kummer. Ein eiliger Aufsatz, mehr in Geschäftsform als in höherem inneren Sinne abgefaßt, sollte nur Bekenntnis bleiben, wieviel mehr ihrem Andenken ich zu widmen verpflichtet sei. Indessen wird man jene Skizze zunächst mitgeteilt finden.

Um mich aber von allen diesen Bedrängnissen loszureißen und meine Geister ins Freie zu wenden, kehrte ich an die Betrachtung organischer Naturen zurück. Schon waren mehrmals Anklänge bis zu mir gedrungen, daß die frühere Denkweise, die mich glücklich gemacht, auch in verwandten Gemütern sich entwickle; daher fühlt ich mich bewogen, die »Metamorphose der Pflanzen« wieder abdrucken zu lassen, manchen alten Heft- und Papierbündel durchzusehen, um etwas den Naturfreunden Angenehmes und Nützliches daraus zu schöpfen. Ich glaubte des Gelingens dergestalt sicher zu sein, daß bereits im Meßkatalog Ostern dieses Jahres eine Ankündigung unter dem Titel »Goethes Ideen über organische Bildung« dieserwegen auftrat, als könnte zunächst ein solches Heft ausgegeben werden. Die tieferen, hierauf bezüglichen Betrachtungen und Studien wurden deshalb ernstlicher vorgenommen als je; besonders suchte man von Kaspar Friedrich Wolffs »Theorie der Generation« sich immer mehr zu durchdringen. Die älteren osteologischen Ansichten, vorzüglich die im Jahre 1791 in Venedig von mir gemachte Entdeckung, daß der Schädel aus Rückenwirbeln gebildet sei, ward näher beleuchtet und mit zwei teilnehmenden Freunden, Voigt dem Jüngeren und Riemer, verhandelt, welche beide mir mit Erstaunen die Nachricht brachten, daß soeben diese »Bedeutung der Schädelknochen« durch ein akademisches Programm ins Publikum gesprungen sei, wie sie, da sie noch leben, Zeugnis geben können. Ich ersuchte[192] sie, sich stille zu halten, denn daß in eben gedachtem Programm die Sache nicht geistreich durchdrungen, nicht aus der Quelle geschöpft war, fiel dem Wissenden nur allzusehr in die Augen. Es geschahen mancherlei Versuche, mich reden zu machen, allein ich wußte zu schweigen.

Nächstdem wurden die versammelten Freunde der organischen Metamorphosenlehre durch einen Zufall begünstigt: Es zeigt sich nämlich der monoculus apus manchmal, obgleich selten, in stehenden Wassern der jenaischen Gegend; dergleichen ward mir diesmal gebracht, und nirgends ist wohl die Verwandlung eines Glieds, das immer dasselbige bleibt, in eine andere Gestalt deutlicher vor Augen zu sehen als bei diesem Geschöpfe.

Da nun ferner seit soviel Jahren Berg um Berg bestiegen, Fels um Fels beklettert und beklopft, auch nicht versäumt wurde, Stollen und Schächte zu befahren, so hatte ich auch die Naturerscheinungen dieser Art selbst gezeichnet, um ihre Weise und Wesen mir einzudrücken, teils zeichnen lassen, um richtigere Abbildungen zu gewinnen und festzuhalten. Bei allem diesem schwebte mir immer ein Modell im Sinne, wodurch das anschaulicher zu machen wäre, wovon man sich in der Natur überzeugt hatte. Es sollte auf der Oberfläche eine Landschaft vorstellen, die aus dem flachen Lande bis in das höchste Gebirg sich erhob. Hatte man die Durchschnittsteile auseinandergerückt, so zeigte sich an den innern Profilen das Fallen, Streichen und was sonst verlangt werden mochte. Diesen ersten Versuch bewahrte ich lange und bemühte mich, ihm von Zeit zu Zeit mehr Vollständigkeit zu geben. Freilich aber stieß ich dabei auf Probleme, die so leicht nicht zu lösen waren. Höchst erwünscht begegnete mir daher ein Antrag des wackern Naturforschers Haberle, den Legationsrat Bertuch bei mir eingeführt hatte. Ich legte ihm meine Arbeit vor mit dem Wunsch, daß er sie weiterbringen möge; allein bei einiger Beratung darüber ward ich nur allzubald gewahr, daß wir in der Behandlungsart nicht übereinstimmen dürften. Ich überließ ihm jedoch die Anlage, auf seine weitere Bearbeitung hoffend, habe sie aber, da[193] er wegen meteorologischer Mißlehren sich von Weimar verdrießlich entfernte, niemals wiedergesehen.

Hochgeehrt fand ich mich auch in der ersten Hälfte des Jahrs durch ein von Herrn Alexander von Humboldt in bildlicher Darstellung mir auf so bedeutende Weise gewidmetes gehaltvolles Werk: »Ideen zu einer Geographie der Pflanzen« nebst einem Naturgemälde der Tropenländer.

Aus frühster und immer erneuter Freundschaft für den edlen Verfasser und durch diesen neusten, mir so schmeichelhaften Anklang aufgerufen, eilte ich, das Werk zu studieren; allein die Profilkarte dazu sollte, wie gemeldet ward, erst nachkommen. Ungeduldig, meine völlige Erkenntnis eines solchen Werkes aufgehalten zu sehen, unternahm ich gleich, nach seinen Angaben einen gewissen Raum mit Höhenmaßen an der Seite in ein landschaftliches Bild zu verwandeln. Nachdem ich, der Vorschrift gemäß, die tropische rechte Seite mir ausgebildet und sie als die Licht- und Sonnenseite dargestellt hatte, so setzt ich zur Linken an die Stelle der Schattenseite die europäischen Höhen, und so entstand eine symbolische Landschaft, nicht unangenehm dem Anblick. Diese zufällige Arbeit widmete ich inschriftlich dem Freunde, dem ich sie schuldig geworden war.

Das Industrie-Comptoir gab eine Abbildung mit einigem Text heraus, welche auch auswärts so viel Gunst erwarb, daß ein Nachstich davon in Paris erschien.

Zu der »Farbenlehre« wurden mit Genauigkeit und Mühe die längst vorbereiteten Tafeln nach und nach ins reine gebracht und gestochen, indessen der Abdruck des Entwurfs immer vorwärtsrückte und zu Ende des Januars vollendet ward. Nun konnte man sich mit mehr Freiheit an die Polemik wenden. Da Newton durch Verknüpfung mehrerer Werkzeuge und Vorrichtungen einen experimentalen Unfug getrieben hatte, so wurden besonders die Phänomene, wenn Prismen und Linsen aufeinander wirken, entwickelt und überhaupt die Newtonischen Experimente eins nach dem andern genauer untersucht. Somit konnte denn der Anfang des polemischen[194] Teils zum Druck gegeben werden; das Geschichtliche behielt man zugleich immer im Auge. Nuguet »Über die Farben«, aus dem »Journal de Trevoux«, war höchst willkommen. Auch wandte man sich zurück in die mittlere Zeit; Roger Bacon kam wieder zur Sprache, und zur Vorbereitung schrieb man das Schema des funfzehnten Jahrhunderts.

Freund Meyer studierte das Kolorit der Alten und fing an, einen Aufsatz darüber auszuarbeiten; die Verdienste dieser nie genug zu schätzenden klassischen Altvordern wurden in ihrer reinen Natürlichkeit redlich geachtet. Eine Einleitung zur »Farbenlehre«, dazu ein Vorwort, war geschrieben; auch versuchte ein teilnehmender Freund eine Übersetzung ins Französische, wovon mich die bis jetzt erhaltenen Blätter noch immer an die schönsten Stunden erinnern. Indessen mußte die Polemik immer fortgesetzt und die gedruckten Bogen beider Teile berichtigt werden. Am Ende des Jahrs waren dreißig Aushängebogen des ersten und fünfe des zweiten Teils in meinen Händen.

Wie es nun geht, wenn man sich mit Gegenständen lange beschäftigt und sie uns so bekannt und eigen werden, daß sie uns bei jeder Gelegenheit vorschweben, so gebraucht man sie auch gleichnisweise im Scherz und Ernst; wie ich denn ein paar glückliche Einfälle heiterer Freunde in unsern literarischen Mitteilungen anführen werde.

Das Manuskript zu meinen Schriften wird nach und nach abgesendet, die erste Lieferung kommt gedruckt an.

Ich vernehme Hackerts Tod, man übersendet mir nach seiner Anordnung biographische Aufsätze und Skizzen, ich schreibe sein Leben im Auszuge, zuerst fürs »Morgenblatt«.

Der vorjährige Aufenthalt in Karlsbad hatte mein Befinden dergestalt verbessert, daß ich wohl das Glück, dem großen hereinbrechenden Kriegsunheil nicht unterlegen zu sein, ungezweifelt jener sorgfältig gebrauchten Kur zuschreiben durfte. Ich entschloß mich daher zu einer abermaligen Reise, und zwar einer baldigen, und schon in der zweiten Hälfte des Mais war ich daselbst angelangt. An kleineren Geschichten, ersonnen,[195] angefangen, fortgesetzt, ausgeführt, war diese Jahrszeit reich; sie sollten alle, durch einen romantischen Faden unter dem Titel »Wilhelm Meisters Wanderjahre« zusammengeschlungen, ein wunderlich anziehendes Ganze bilden. Zu diesem Zweck finden sich bemerkt: Schluß der »Neuen Melusine«, »Der Mann von fünfzig Jahren«, »Die pilgernde Törin«.

Glücklich war ich nicht weniger mit Joseph Müllers Karlsbader Sammlung. Die Vorbereitungen des verflossenen Jahres waren sorgfältig und hinreichend; ich hatte Beispiele der darin aufzuführenden Gebirgsarten zur Genüge mitgenommen und dieselben, meine Zwecke hartnäckig verfolgend, in dem jenaischen Museum niedergelegt, mit Bergrat Lenz ihre Charakteristik und dem Vorkommen gemäße Anordnung besprochen.

Also ausgerüstet, gelangt ich diesmal nach Karlsbad in die Fülle des Müllerischen Steinvorrats. Mit weniger Abweichung von der vorjährigen Ordnung, in welcher ich eine Mustersammlung noch beisammen fand, wurde, mit gutem Willen und Überzeugung des alten Steinfreundes, die entschiedene neue Ordnung beliebt, sogleich ein Aufsatz gefertigt und wiederholt mit Sorgfalt durchgegangen.

Ehe der kleine Aufsatz nun abgedruckt werden konnte, mußte die Billigung der obern Prager Behörde eingeholt werden, und so hab ich das Vergnügen, auf einem meiner Manuskripte das »Vidi« der Prager Zensur zu erblicken. Diese wenigen Bogen sollten mir und andern in der Folge zum Leitfaden dienen und zu mehr spezieller Untersuchung Anlaß geben.

Zugleich war die Absicht, gewisse geologische Überzeugungen in die Wissenschaft einzuschwärzen.

Für den guten Joseph Müller aber war die erfreuliche Folge, daß die Aufmerksamkeit auf seine Sammlung gerichtet und mehrere Bestellungen darauf gegeben wurden. Doch so eingewurzelt war ihm die freilich wegen der Konkurrenz so nötige Geheimnislust, daß er mir den Fundort von einigen Nummern niemals entdecken wollte, vielmehr die seltsamsten Ausflüchte ersann, um seine Freunde und Gönner irrezuführen.[196]

In reiferen Jahren, wo man nicht mehr so heftig wie sonst durch Zerstreuungen in die Weite getrieben, durch Leidenschaften in die Enge gezogen wird, hat eine Badezeit große Vorteile, indem die Mannigfaltigkeit so vieler bedeutender Personen von allen Seiten Lebensbelehrung zuführt. So war dieses Jahr in Karlsbad mir höchst günstig, indem nicht nur die reichste und angenehmste Unterhaltung mir ward, sondern sich auch ein Verhältnis anknüpfte, welches sich in der Folge sehr fruchtbar ausbildete. Ich traf mit dem Residenten von Reinhard zusammen, der mit Gattin und Kindern diesen Aufenthalt wählte, um von harten Schicksalen sich zu erholen und auszuruhen. In früheren Jahren mit in die Französische Revolution verflochten, hatte er sich einer Folge von Generationen angeähnlicht, war durch ministerielle und diplomatische Dienste hoch emporgekommen. Napoleon, der ihn nicht lieben konnte, wußte ihn doch zu gebrauchen, sendete ihn aber zuletzt an einen unerfreulichen und gefährlichen Posten, nach Jassy, wo er, seiner Pflicht treulich vorstehend, eine Zeitlang verweilte, sodann aber von den Russen aufgehoben, durch manche Länderstrecken mit den Seinigen geführt, endlich auf diensame Vorstellungen wieder losgegeben wurde. Hievon hatte seine höchst gebildete Gattin, eine Hamburgerin, Reimarus' Tochter, eine treffliche Beschreibung aufgesetzt, wodurch man die verwickelten, ängstlichen Zustände genauer einsah und zu wahrer Teilnahme hingenötigt wurde.

Schon der Moment, in welchem sich ein neuer würdiger Landsmann von Schiller und Cuvier darstellte, war bedeutend genug, um alsobald eine nähere Verbindung zu bewirken. Beide Gatten, wahrhaft aufrichtig und deutsch gesinnt, nach allen Seiten gebildet, Sohn und Tochter anmutig und liebenswürdig, hatten mich bald in ihren Kreis gezogen. Der treffliche Mann schloß sich um so mehr an mich, als er, Repräsentant einer Nation, die im Augenblick so vielen Menschen wehe tat, von der übrigen geselligen Welt nicht wohlwollend angesehen werden konnte.

Ein Mann vom Geschäftsfache, gewohnt, sich die fremdesten[197] Angelegenheiten vortragen zu lassen, um solche alsbald zurechtgelegt in klarer Ordnung zu erkennen, leiht einem jeden sein Ohr, und so gönnte mir auch dieser neue Freund anhaltende Aufmerksamkeit, als ich ihm meine Farbenlehre vorzutragen nicht unterlassen konnte. Er ward sehr bald damit vertraut, übernahm die Übersetzung einiger Stellen, ja wir machten den Versuch einer sonderbaren wechselseitigen Mitteilung, indem ich ihm Geschichte und Schicksale der Farbenlehre von den ältesten Zeiten bis auf die neusten und auch meine Bemühungen eines Morgens aus dem Stegreif vortrug und er dagegen seine Lebensgeschichte am andern Tage gleichfalls summarisch erzählte. So wurden wir denn, ich mit dem, was ihm begegnet, er mit dem, was mich auf das lebhafteste beschäftigte, zugleich bekannt und ein innigeres Eingreifen in die wechselseitigen Interessen erleichtert.

Zunächst hab ich nun der Fürstin Solms, einer gebornen Prinzessin von Mecklenburg, zu gedenken, die mir immer, wo ich ihr auch begegnete, ein gnädiges Wohlwollen erwies. Sie veranlaßte mich jederzeit, ihr etwas vorzulesen, und ich wählte stets das Neuste, was mir aus Sinn und Herz hervorgequollen war, wodurch denn die Dichtung jedesmal als der Ausdruck eines wahren Gefühls auch wahr erschien und, weil sie aus dem Innern hervortrat, wieder aufs Innerste ihre Wirkung ausübte. Eine freundlich sinnige Hofdame, Fräulein L'Estocq, war es, welche mit gutem Geiste diesen vertraulichen Mitteilungen beiwohnte.

Sodann sollte mir der Name Reinhard noch einmal teuer werden. Der Königlich Sächsische Oberhofprediger suchte seine schon sehr zerrüttete Gesundheit an der heißen Quelle wieder aufzubauen. So leid es tat, diesen Wackern in bedenklichen Krankheitsumständen zu sehen, so erfreulich war die Unterhaltung mit ihm. Seine schöne sittliche Natur, sein ausgebildeter Geist, sein redliches Wollen sowie seine praktische Einsicht, was zu wünschen und zu erstreben sei, traten überall in ehrwürdiger Liebenswürdigkeit hervor. Ob er gleich mit meiner Art, mich über das Vorliegende zu äußern, sich nicht ganz[198] befreunden konnte, so hatt ich doch die Freude, in einigen Hauptpunkten gegen die herrschende Meinung mit ihm vollkommen übereinzustimmen, woraus er einsehen mochte, daß mein scheinbarer liberalistischer Indifferentismus, im tiefsten Ernste mit ihm praktisch zusammentreffend, doch nur eine Maske sein dürfte, hinter der ich mich sonst gegen Pedanterie und Dünkel zu schützen suchte. Auch gewann ich in einem hohen Grade sein Vertrauen, wodurch mir manches Treffliche zuteil ward. Und so waren es sittliche, das Unvergängliche berührende Gespräche, welche das Gewaltsame der aufeinander folgenden Kriegsnachrichten ablehnten oder milderten.

Die erneuerte Bekanntschaft mit dem verdienten Kreishauptmann von Schiller gewährte gleichfalls, ungeachtet der vielfachen Arbeiten dieses überhäuften Geschäftsmannes, gar manche angenehme Stunde. Auch überraschte mich durch seine Gegenwart Hauptmann Blumenstein, den ich vor einem Jahr in Jena am furchtbaren Vorabend unserer Unglückstage teilnehmend und aufrichtig gefunden. Voller Einsicht, Heiterkeit und glücklicher Einfälle, war er der beste Gesellschafter, und wir trieben manchen Schwank zusammen; doch konnte er als leidenschaftlicher Preuße mir nicht verzeihen, daß ich mit einem französischen Diplomaten zu vertraulich umgehe. Aber auch dieses ward durch ein paar lustige Einfälle bald zwischen uns in Freundschaft abgetan.

Nun aber schloß sich mir ein neuer Kreis auf: Fürstin Bagration, schön, reizend, anziehend, versammelte um sich eine bedeutende Gesellschaft. Hier ward ich dem Fürsten Ligne vorgestellt, dessen Name mir schon so viele Jahre bekannt, dessen Persönlichkeit mir durch Verhältnisse zu meinen Freunden höchst merkwürdig geworden. Seine Gegenwart bestätigte seinen Ruf; er zeigte sich immer heiter, geistreich, allen Vorfällen gewachsen und als Welt- und Lebemann überall willkommen und zu Hause. Der Herzog von Koburg zeichnete sich aus durch schöne Gestalt und anmutig würdiges Betragen. Der Herzog von Weimar, den ich in bezug auf mich zuerst hätte nennen sollen, weil ich ihm die ehrenvolle Aufnahme in diesen[199] Kreis zu verdanken hatte, belebte denselben durch seine Gegenwart vorzüglich. Graf Corneillan war auch hier, durch sein ernstes, ruhiges Betragen und dadurch, daß er angenehme Kunstwerke zur Unterhaltung brachte, immer willkommen. Vor der Wohnung der Fürstin, mitten auf der Wiese, fanden sich stets einige Glieder dieser Kette zusammen; unter diesen auch Hofrat von Gentz, der mit großer Einsicht und Übersicht der kurzvergangenen Kriegsereignisse mir gar oft seine Gedanken vertraulich eröffnete, die Stellungen der Armeen, den Erfolg der Schlachten und endlich sogar die erste Nachricht von dem Frieden zu Tilsit mitteilte.

An Ärzten war diesmal Karlsbad gleichfalls gesegnet. Dr. Kapp von Dresden nenne ich zuerst, dessen Anwesenheit im Bade mich immer glücklich machte, weil seine Unterhaltung überaus lehrreich und seine Sorgfalt für den, der sich ihm anvertraute, höchst gewissenhaft war. Hofrat Sulzer von Ronneburg, ein treuer Naturforscher und emsiger Mineralog, schloß sich an; Dr. Mitterbacher, sofern seine Geschäfte erlaubten, war auch beirätig. Dr. Florian, ein Böhme von Manetin, trat gleichfalls hinzu, und so hatte man Gelegenheit, mehr als eine der ärztlichen Denk- und Behandlungsweisen gewahr zu werden.

Auch von seiten der Stadt und Regierung schien man geneigt, Anstalt zu treffen, diese heißen Quellen besser als bisher zu ehren und den herangelockten Fremden eine angenehmere Lokalität zu bereiten. Ein zur Seite des Bernhardfelsens angelegtes Hospital gab Hoffnungen für die unvermögende Klasse, und die höheren Stände freuten sich schon zum voraus, dereinst am Neubrunnen einen bequemern und schicklichern Spaziergang zu finden. Man zeigte mir die Plane vor, die nicht anders als zu billigen waren; man hatte die Sache wirklich im großen überdacht, und ich freute mich gleichfalls der nahen Aussicht, mit soviel tausend anderen aus dem möglichst unanständigen Gedränge in eine würdig-geräumige Säulenhalle versetzt zu sein.

Meiner Neigung zur Mineralogie war noch manches andere[200] förderlich. Die Porzellanfabrik in Dalwitz bestätigte mich abermals in meiner Überzeugung, daß geognostische Kenntnis im großen und im kleinen jedem praktischen Unternehmen von der größten Wichtigkeit sei. Was wir sonst nur diesem oder jenem Lande zugeeignet glaubten, wissen wir jetzt an hundert Orten zu finden: man erinnere sich der vormals wie ein Kleinod geachteten sächsischen Porzellanerde, die sich jetzt überall hervortut.

Für ein näheres Verständnis der Edelsteine war mir die Gegenwart eines Juweliers, Zöldner von Prag, höchst interessant: denn ob ich ihm gleich nur weniges abkaufte, so machte er mich mit so vielem bekannt, was mir im Augenblick zur Freude und in der Folge zum Nutzen gereichte.

Übergehen will ich nicht, daß ich in meinen Tagebüchern angemerkt finde, wie des Dr. Hausmanns und seiner Reise nach Norwegen mit Ehren und Zutrauen in der Gesellschaft gedacht worden.

Und so wurde mir auch noch, wie gewöhnlich in den spätesten Tagen des Karlsbader Aufenthalts, Bergrat Werners Anwesenheit höchst belebend. Wir kannten einander seit vielen Jahren und harmonierten, vielleicht mehr durch wechselseitige Nachsicht als durch übereinstimmende Grundsätze. Ich vermied, seinen Sprudelursprung aus Kohlenflözen zu berühren, war aber in andern Dingen aufrichtig und mitteilend, und er, mit wirklich musterhafter Gefälligkeit, mochte gern meinen dynamischen Thesen, wenn er sie auch für Grillen hielt, aus reicher Erfahrung belehrend nachhelfen.

Es lag mir damals mehr als je am Herzen, die porphyrartige Bildung gegen konglomeratische hervorzuheben, und ob ihm gleich das Prinzip nicht zusagte, so machte er mich doch in Gefolg meiner Fragen mit einem höchst wichtigen Gestein bekannt; er nannte es nach trefflicher eigenartiger Bestimmung dattelförmig-körnigen Quarz, der bei Prieborn in Schlesien gefunden werde. Er zeichnete mir sogleich die Art und Weise des Erscheinens und veranlaßte dadurch vieljährige Nachforschungen.[201]

Es begegnet uns auf Reisen, wo wir entweder mit fremden oder doch lange nicht gesehenen Personen, es sei nun an ihrem Wohnort oder auch unterwegs, zusammentreffen, daß wir sie ganz anders finden, als wir sie zu denken gewohnt waren. Wir erinnern uns, daß dieser oder jener namhafte Mann einem oder dem andern Wissen mit Neigung und Leidenschaft zugetan ist; wir treffen ihn und wünschen uns gerade in diesem Fache zu belehren, und siehe da, er hat sich ganz woanders hingewendet, und das, was wir bei ihm suchen, ist ihm völlig aus den Augen gekommen. So ging es mir diesmal mit Bergrat Werner, welcher oryktognostische und geognostische Gespräche lieber vermied und unsere Aufmerksamkeit für ganz andere Gegenstände forderte.

Der Sprachforschung war er diesmal ganz eigentlich ergeben; deren Ursprung, Ableitung, Verwandtschaft gab seinem scharfsinnigen Fleiß hinreichende Beschäftigung, und es bedurfte nicht viel Zeit, so hatte er uns auch für diese Studien gewonnen. Er führte eine Bibliothek von Pappenkasten mit sich, worin er alles, was hierher gehörte, ordnungsgemäß, wie es einem solchen Mann geziemt, verwahrte und dadurch eine freie, geistreiche Mitteilung erleichterte.

Damit aber dieses nicht allzu paradox erscheine, so denke man an die Nötigung, wodurch dieser Treffliche in ein solches Fach hingedrängt worden. Jedes Wissen fordert ein zweites, ein drittes und immer so fort; wir mögen den Baum in seinen Wurzeln oder in seinen Ästen und Zweigen verfolgen, eins ergibt sich immer aus dem andern, und je lebendiger irgendein Wissen in uns wird, desto mehr sehen wir uns getrieben, es in seinem Zusammenhange auf- und abwärts zu verfolgen. Werner hatte sich in seinem Fach, wie er herankam, für die Einzelheiten solcher Namen bedient, wie sie seinem Vorgänger beliebt; da er aber zu unterscheiden anfing, da sich täglich neue Gegenstände aufdrangen, so fühlte er die Notwendigkeit, selbst Namen zu erteilen.

Namen zu geben ist nicht so leicht, wie man denkt, und ein recht gründlicher Sprachforscher würde zu manchen sonderbaren[202] Betrachtungen aufgeregt werden, wenn er eine Kritik der vorliegenden oryktognostischen Nomenklatur schreiben wollte. Werner fühlte das gar wohl und holte freilich weit aus, indem er, um Gegenstände eines gewissen Fachs zu benennen, die Sprachen überhaupt in ihrem Entstehen, Entwicklungs- und Bildungssinne betrachten und ihnen das, was zu seinem Zwecke gefordert ward, ablernen wollte.

Niemand hat das Recht, einem geistreichen Manne vorzuschreiben, womit er sich beschäftigen soll. Der Geist schießt aus dem Zentrum seine Radien nach der Peripherie; stößt er dort an, so läßt er's auf sich beruhen und treibt wieder neue Versuchslinien aus der Mitte, auf daß er, wenn ihm nicht gegeben ist, seinen Kreis zu überschreiten, er ihn doch möglichst erkennen und ausfüllen möge. Und wenn auch Werner über dem Mittel den Zweck vergessen hätte, welches wir doch keineswegs behaupten dürfen, so waren wir doch Zeugen der Freudigkeit, womit er das Geschäft betrieb, und wir lernten von ihm und lernten ihm ab, wie man verfährt, um sich in einem Unternehmen zu beschränken und darin eine Zeitlang Glück und Befriedigung zu finden.

Sonst ward mir weder Muße noch Gelegenheit, in ältere Behandlungen der Naturgeschichte einzugehen. Ich studierte den Albertus Magnus, aber mit wenigem Erfolg. Man müßte sich den Zustand seines Jahrhunderts vergegenwärtigen, um nur einigermaßen zu begreifen, was hier gemeint und getan sei.

Gegen das Ende der Kur kam mein Sohn nach Karlsbad, dem ich den Anblick des Ortes, wovon so oft zu Hause die Rede war, auch gönnen wollte. Dies gab Gelegenheit zu einigen Abenteuern, welche den innern unruhigen Zustand der Gesellschaft offenbarten. Es war zu jener Zeit eine Art von Pekeschen Mode, grün, mit Schnüren von gleicher Farbe vielfach besetzt, beim Reiten und auf der Jagd sehr bequem und deshalb ihr Gebrauch sehr verbreitet. Diese Hülle hatten sich mehrere durch den Krieg versprengte preußische Offiziere zu einer Interimsuniform beliebt und konnten überall unter Pächtern, Gutsbesitzern, Jägern, Pferdehändlern und Studenten[203] unerkannt umhergehen. Mein Sohn trug dergleichen. Indessen hatte man in Karlsbad einige dieser verkappten Offiziere ausgewittert, und nun deutete gar bald dieses ausgezeichnete Kostüm auf einen Preußen.

Niemand wußte von der Ankunft meines Sohnes. Ich stand mit Fräulein L'Estocq an der Tepelmauer vor dem Sächsischen Saale; er geht vorbei und grüßt; sie zieht mich beiseite und sagt mit Heftigkeit: »Dies ist ein preußischer Offizier, und was mich erschreckt, er sieht meinem Bruder sehr ähnlich.« – »Ich will ihn herrufen«, versetzte ich, »will ihn examinieren.« Ich war schon weg, als sie mir nachrief: »Um Gottes willen, machen Sie keine Streiche!« Ich brachte ihn zurück, stellte ihn vor und sagte: »Diese Dame, mein Herr, wünscht einige Auskunft. Mögen Sie uns wohl entdecken, woher Sie kommen und wer Sie sind?« Beide junge Personen waren verlegen, eins wie das andere. Da mein Sohn schwieg und nicht wußte, was es bedeuten solle, und das Fräulein schweigend auf einen schicklichen Rückzug zu denken schien, nahm ich das Wort und erklärte mit einer scherzhaften Wendung, daß es mein Sohn sei, und wir müßten es für ein Familienglück halten, wenn er ihrem Bruder einigermaßen ähnlich sehen könnte. Sie glaubte es nicht, bis das Märchen endlich in Wahrscheinlichkeit und zuletzt in Wirklichkeit überging.

Das zweite Abenteuer war nicht so ergötzlich. Wir waren schon in den September gelangt, zu der Jahrszeit, in welcher die Polen häufiger sich in Karlsbad zu versammeln pflegen. Ihr Haß gegen die Preußen war schon seit langer Zeit groß und nach den letzten Unfällen in Verachtung übergegangen. Sie mochten unter der grünen, als polnischen Ursprungs recht eigentlich polnischen Jacke diesmal auch einen Preußen wittern. Er geht auf dem Platz umher, vor den Häusern der Wiese, vier Polen begegnen ihm, auf der Mitte des Sandweges hergehend; einer löst sich ab, geht an ihm vorbei, sieht ihm ins Gesicht und gesellt sich wieder zu den andern. Mein Sohn weiß so zu manövrieren, daß er ihnen nochmals begegnet, in der Mitte des Sandwegs auf sie losgeht und die viere durchschneidet,[204] dabei sich auch ganz kurz erklärt, wie er heiße, wo er wohne und zugleich, daß seine Abreise auf morgen früh bestimmt sei und daß, wer was an ihn zu suchen habe, es diesen Abend noch tun könne. Wir verbrachten den Abend, ohne beunruhigt zu sein, und so reisten wir auch den andern Morgen ab. Es war, als könnte diese Komödie von vielen Akten wie ein englisches Lustspiel nicht endigen ohne Ehrenhändel.

Bei meiner Rückkunft von Karlsbad brachten mir die Sänger ein Ständchen, woraus ich zugleich Neigung, guten Willen, Fortschreiten in der Kunst und manch anderes Erfreuliche gewahr werden konnte. Ich vergnügte mich nunmehr, bekannten Melodien neue, aus der Gegenwart geschöpfte Lieder zu heiterer Geselligkeit unterzulegen; Demoiselle Engels trug sie mit Geist und Leben vor, und so eigneten wir uns die beliebtesten Sangweisen nach und nach dergestalt an, als wenn sie für unsern Kreis wären gedichtet worden. Musikalische mehrstimmige Vorübungen fanden fleißig statt, und am 30. Dezember konnte der erste Sonntag vor großer Gesellschaft gefeiert werden.

Das Weimarische Theater gewann zu Michael einen angenehmen und hoffnungsvollen Tenoristen, Morhard. Seine Ausbildung beförderte ein älterer musikalischer Freund, dem eine gewisse konzertmeisterliche Geschicklichkeit eigen war, mit der Violine dem Gesang nachzuhelfen und dem Sänger Sicherheit, Mut und Lust einzuflößen. Dies gab Veranlassung, musikalische Didaskalien nach Art jener dramatischen zu halten, als Vorübung, um den Sänger in Rollen einzuleiten, die ihm vielleicht, nur später, zugeteilt würden. Zugleich war die Absicht, Personen von weniger Stimme in leichten, faßlichen Opern, die als Einschub immer willkommen sind, brauchbar und angenehm zu machen. Hieraus entsprang fernerhin eine Übung mehrstimmigen Gesanges, welches denn früher oder später dem Theater zum Nutzen zugute kommen mußte.

Auch als Dichter wollte ich für die Bühne nicht untätig bleiben. Ich schrieb einen Prolog für Leipzig, wo unsere Schauspieler eine Zeitlang auftreten sollten; ferner einen Prolog zum[205] 19. September, um die Wiedervereinigung der fürstlichen Familie nach jener widerwärtigen Trennung zu feiern.

Als das wichtigste Unternehmen bemerke ich jedoch, daß ich »Pandorens Wiederkunft« zu bearbeiten anfing. Ich tat es zwei jungen Männern, vieljährigen Freunden, zuliebe. Leo von Seckendorf und Dr. Stoll, beide von literarischem Bestreben, dachten einen Musenalmanach in Wien herauszufördern; er sollte den Titel »Pandora« führen, und da der mythologische Punkt, wo Prometheus auftritt, mir immer gegenwärtig und zur belebten Fixidee geworden, so griff ich ein, nicht ohne die ernstlichsten Intentionen, wie ein jeder sich überzeugen wird, der das Stück, soweit es vorliegt, aufmerksam betrachten mag.

Dem Bande meiner epischen Gedichte sollte »Achilleis« hinzugefügt werden; ich nahm das Ganze wieder vor, hatte jedoch genug zu tun, nur die beiden ersten Gesänge so weit zu führen, um sie anfügen zu können.

Gedenken muß ich auch noch einer ebenfalls aus freundschaftlichem Sinne unternommenen Arbeit. Johannes von Müller hatte mit Anfang des Jahres zum Andenken König Friedrichs des Zweiten eine akademische Rede geschrieben und wurde deshalb heftig angefochten. Nun hatte er seit den ersten Jahren unserer Bekanntschaft mir viele Liebe und Treue erwiesen und wesentliche Dienste geleistet; ich dachte daher ihm wieder etwas Gefälliges zu erzeigen und glaubte, es würde ihm angenehm sein, wenn er von irgendeiner Seite her sein Unternehmen gebilligt sähe. Ein freundlicher Widerhall durch eine harmlose Übersetzung schien mir das Geeignetste; sie trat im »Morgenblatt« hervor, und er wußte mir's Dank, ob an der Sache gleich nichts gebessert wurde.

»Pandoras Wiederkunft« war schematisiert, und die Ausführung geschah nach und nach. Nur der erste Teil ward fertig, zeigt aber schon, wie absichtlich dieses Werk unternommen und fortgeführt worden.

Die bereits zum öftern genannten kleinen Erzählungen beschäftigten mich in heitern Stunden, und auch »Die Wahlverwandtschaften« sollten in der Art kurz behandelt werden.[206] Allein sie dehnten sich bald aus; der Stoff war allzu bedeutend und zu tief in mir gewurzelt, als daß ich ihn auf eine so leichte Weise hätte beseitigen können.

»Pandora« sowohl als »Die Wahlverwandtschaften« drücken das schmerzliche Gefühl der Entbehrung aus und konnten also nebeneinander gar wohl gedeihen. »Pandorens« erster Teil gelangte zu rechter Zeit gegen Ende des Jahrs nach Wien; das Schema der »Wahlverwandtschaften« war weit gediehen und manche Vorarbeiten teilweise vollbracht. Ein anderes Interesse tat sich im letzten Viertel des Jahres hervor; ich wendete mich an die »Nibelungen«, wovon wohl manches zu sagen wäre.

Ich kannte längst das Dasein dieses Gedichts aus Bodmers Bemühungen. Christoph Heinrich Müller sendete mir seine Ausgabe leider ungeheftet, das köstliche Werk blieb roh bei mir liegen, und ich, in anderem Geschäft, Neigung und Sorge befangen, blieb so stumpf dagegen wie die übrige deutsche Welt; nur las ich zufällig eine Seite, die nach außen gekehrt war, und fand die Stelle, wo die Meerfrauen dem kühnen Helden weissagen. Dies traf mich, ohne daß ich wäre gereizt worden, ins Ganze tiefer einzugehen; ich phantasierte mir vielmehr eine für sich bestehende Ballade des Inhalts, die mich in der Einbildungskraft oft beschäftigte, obschon ich es nicht dazu brachte, sie abzuschließen und zu vollenden.

Nun aber ward, wie alles seine Reife haben will, durch patriotische Tätigkeit die Teilnahme an diesem wichtigen Altertum allgemeiner und der Zugang bequemer. Die Damen, denen ich das Glück hatte noch immer am Mittwoche Vorträge zu tun, erkundigten sich darnach, und ich säumte nicht, ihnen davon gewünschte Kenntnis zu geben. Unmittelbar ergriff ich das Original und arbeitete mich bald dermaßen hinein, daß ich, den Text vor mir habend, Zeile für Zeile eine verständliche Übersetzung vorlesen konnte. Es blieb der Ton, der Gang, und vom Inhalt ging auch nichts verloren. Am besten glückt ein solcher Vortrag ganz aus dem Stegreife, weil der Sinn sich beisammenhalten und der Geist lebendig-kräftig wirken[207] muß, indem es eine Art von Improvisieren ist Doch indem ich in das Ganze des poetischen Werks auf diese Weise einzudringen dachte, so versäumte ich nicht, mich auch dergestalt vorzubereiten, daß ich auf Befragen über das einzelne einigermaßen Rechenschaft zu geben imstande wäre. Ich verfertigte mir ein Verzeichnis der Personen und Charaktere, flüchtige Aufsätze über Lokalität und Geschichtliches, Sitten und Leidenschaften, Harmonie und Inkongruitäten und entwarf zugleich zum ersten Teil eine hypothetische Karte. Hierdurch gewann ich viel für den Augenblick, mehr für die Folge, indem ich nachher die ernsten, anhaltenden Bemühungen deutscher Sprach- und Altertumsfreunde besser zu beurteilen, zu genießen und zu benutzen wußte.

Zwei weit ausgreifende Werke wurden durch Dr. Niethammer angeregt von München her: ein historisch-religioses Volksbuch und eine allgemeine Liedersammlung zu Erbauung und Ergötzung der Deutschen. Beides wurde eine Zeitlang durchgedacht und schematisiert, das Unternehmen jedoch wegen mancher Bedenklichkeit aufgegeben.. Indessen wurden von beiden, weil doch in der Folge etwas Ähnliches unternommen werden konnte, die gesammelten Papiere zurückgelegt.

Zu Hackerts Biographie wurde die Vorarbeit ernstlich betrieben. Es war eine schwierige Aufgabe, denn die mir überlieferten Papiere waren weder ganz als Stoff noch ganz als Bearbeitung anzusehen. Das Gegebene war nicht ganz aufzulösen und, wie es lag, nicht völlig zu gebrauchen. Es verlangte daher diese Arbeit mehr Sorgfalt und Mühe als ein eigenes, aus mir selbst entsprungenes Werk, und es gehörte einige Beharrlichkeit und die ganze dem abgeschiedenen Freunde gewidmete Liebe und Hochachtung dazu, um nicht die Unternehmung aufzugeben, da die Erben des edlen Mannes, welche sich den Wert der Manuskripte sehr hoch vorstellten, mir nicht auf das allerfreundlichste begegneten.

Sowohl der polemische als der historische Teil der »Farbenlehre« rücken zwar langsam, aber doch gleichmäßig fort; von geschichtlichen Studien bleiben Roger Bacon, Aguillonius und[208] Boyle die Hauptschriftsteller; am Ende des Jahrs ist der erste Teil meist vollendet, der zweite nur zum neunten Revisionsbogen gelangt.

Die jenaischen Anstalten hatten sich nach den kriegerischen Stürmen, aus denen sie glücklich und wie durch ein Wunder gerettet worden, völlig wieder erholt, alle Teilnehmenden hatten eifrig eingegriffen, und als man im September sie sämtlich revidierte, ließ sich dem Schöpfer derselben, unserm gnädigsten Herrn, bei seiner glücklichen Rückkehr davon genüglicher Vortrag abstatten.

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 16, Berlin 1960 ff, S. 190-209.
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