1812

[238] Die Familie Kobler eröffnete mit höchst anmutigen Balletten das Jahr. »Romeo und Julie«, sodann »Turandot« werden wiederholt, die Aufführung von »Leben ein Traum« vorbereitet. Die zu würdiger Darstellung solcher Stücke erforderlichen Anstrengungen gaben neue Gelegenheit zum tiefer eindringenden Studium und der ganzen Behandlung einen frischen Schwung. Ein junger Schauspieler trat hinzu, namens Durand, mit allen Vorzügen, die man im allgemeinen an einem jungen sogenannten Liebhaber wünschen kann, nur vermißte man an ihm ein gewisses inneres Feuer oder auch nur jene Art von Enthusiasmus, der ihn aus sich selbst herausgetrieben, womit er sich dem Publikum aufgedrungen hätte, daß es ihn fühlen und anerkennen mußte. Man hoffte jedoch, daß er dies Bedürfnis bald selbst empfinden werde.

Theodor Körner war als Theaterdichter hervorgetreten, dessen »Toni«, »Zriny« und »Rosamunde« als Nachklänge einer kurz vergangenen Epoche von den Schauspielern leicht aufgefaßt und wiedergegeben und ebenso, dem Publikum sinn- und artverwandt, von ihm günstig aufgenommen wurden. Zu höheren Zwecken ward »Die große Zenobia« von Calderon studiert und »Der wunderbare Magus« durch Griesens Übersetzung uns angenähert.

Wolff und Riemer machten einen Plan zu Aufführung des »Faust«, wodurch der Dichter verleitet ward, mit diesem Gegenstand sich abermals zu beschäftigen, manche Zwischenszenen zu bedenken, ja sogar Dekorationen und sonstiges Erfordernis zu entwerfen. Jene genannten, immer tätigen Freunde entwarfen gleichfalls den Versuch einer neuen Redaktion des »Egmont« mit Wiederherstellung der Herzogin von Parma, die sie nicht entbehren wollten. Die Anwesenheit der Madame Schönberger veranlaßte die erfreulichsten Darstellungen. Iffland schloß das Jahr auf das erwünschteste, indem er mehrmals auftrat; vom 20. Dezember an sehen wir folgende Vorstellungen: »Clementine«, »Selbstbeherrschung«, »Der Jude«,[238] »Künstlers Erdenwallen«, »Don Ranudo« und »Der arme Poet«, »Der Kaufmann von Venedig«, »Der gutherzige Polterer«.

Neben ihm traten von unserm wohlbestellten Theater folgende Schauspieler auf, deren Gemeinschaft er seiner hohen Kunst nicht unwürdig fand. Es scheint uns der Sache gemäß, ihre Namen hier aufzuführen; die Herren: Durand, Deny, Graff, Genast, Haide, Lortzing, Malcolmi, Oels, Unzelmann, Wolff; sodann die Damen: Beck, Eberwein, Engels, Lortzing, Wolff.

Der Biographie zweiter Band wurde gearbeitet und abgeschlossen, auch der dritte Band eingeleitet, im ganzen entworfen, im einzelnen ausgeführt. In Gefolg der Darstellung Mosaischer Geschichte im ersten Bande nahm ich den »Irrgang der Kinder Israel durch die Wüste« aus alten Papieren wieder vor, die Arbeit selbst aber wurde zu andern Zwecken zurückgelegt.

Drei Gedichte für kaiserliche Majestäten, im Namen der Karlsbader Bürger, gaben mir eine ehrenvoll-angenehme Gelegenheit, zu versuchen, ob noch einiger poetischer Geist in mir walte.

In der bildenden Kunst ereignete sich manches Günstige: Die Nachricht von dem Fund auf Ägina eröffnete der Kunstgeschichte neue Aussichten, an welchen wir uns mit Freund Meyer, der in seinen Bemühungen immer vorwärtsging, erbauten und ergötzten.

Der Gedanke, aus vorliegenden alten Münzen das Andenken verlorner Kunstwerke zu ergänzen, war zu reizend und hatte einen dergestalt soliden Grund, daß man nach dem Aufsatz über Myrons Kuh in dergleichen Betrachtungen fortfuhr, den Olympischen Jupiter, die Polykletische Juno und manches andere würdige Bild auf diese Weise wiederherzustellen trachtete.

Ein kleiner Zentaur von Silber, etwa spannenlang und bewundernswürdig gearbeitet, rief eine lebhafte Streitigkeit hervor, ob er antik oder modern sei. Die Weimarischen Kunstfreunde,[239] überzeugt, daß in solchen Dingen niemals an Übereinstimmung und Entscheidung zu denken sei, bewunderten ihn, belehrten sich daran und traten zu derjenigen Partei, die ihn für alt und aus den ersten Kaiserzeiten hielt.

Ich akquirierte eine nicht gar ellenhohe altflorentinische Kopie des sitzenden Moses von Michelangelo, in Bronze gegossen und im einzelnen durch Grabstichel und andere ziselierende Instrumente fleißigst vollendet: ein schönes Denkmal sorgfältiger, beinahe gleichzeitiger Nachbildung eines höchst geschätzten Kunstwerkes jener Epoche und ein Beispiel, wie man dem kleinen Bilde, welches natürlich die Großheit des Originals nicht darstellen konnte, durch eine gewisse Ausführlichkeit im einzelnen einen eigentümlichen Wert zu geben wußte.

Die Naturwissenschaft erfreute sich manchen Gewinnes; Ramdohr, »Von den Verdauungswerkzeugen der Insekten«, bestätigte unsere Denkweise über die allmähliche Steigerung organischer Wesen. Übrigens aber wandte sich die Aufmerksamkeit mehr gegen allgemeine Naturforschung.

Dr. Seebeck, der chromatischen Angelegenheit immerfort mit gewohntem Fleiße folgend, bemühte sich um den zweiten Newtonischen Versuch, den ich in meiner Polemik nur soviel als nötig berührt hatte; er bearbeitete ihn in meiner Gegenwart, und es ergaben sich wichtige Resultate, wie jene Lehre, sobald man anstatt der anfänglichen Prismen zu Linsen übergeht, in eine fast unauflösliche Verfitzung verwickelt werde.

Zu allgemeiner Betrachtung und Erhebung des Geistes eigneten sich die Schriften des Jordanus Brunus von Nola; aber freilich das gediegene Gold und Silber aus der Masse jener so ungleich begabten Erzgänge auszuscheiden und unter den Hammer zu bringen erfordert fast mehr, als menschliche Kräfte vermögen, und ein jeder, dem ein ähnlicher Trieb eingeboren ist, tut besser, sich unmittelbar an die Natur zu wenden, als sich mit den Gangarten, vielleicht mit Schlackenhalden vergangener Jahrhunderte herumzumühen.[240]

In Karlsbad fand man sich wieder zu herkömmlichen geologischen Betrachtungen genötigt. Die Erweiterung des Raumes um den Neubrunnen, ein kühnes, vielleicht in früherer Zeit nicht denkbares Vornehmen, bestärkte in den bisherigen Vorstellungen; ein merkwürdiges Gestein ward daselbst gewonnen, starkes Wasser der Tepl und heftiges Aufbrausen der heißen Quellen trafen zusammen, Umstände, welche auf die Hypothese hinzudeuten schienen: diese große Naturwirkung sei als ein ungeheures galvanisches Experiment anzusehen.

Von Teplitz aus besuchte man Dr. Stolz in Aussig und belehrte sich an dessen trefflichen Kenntnissen und Sammlungen. Fossile Knochen in Böhmen waren auch zur Sprache gekommen.

Nach Hause zurückgekehrt, verweilte man zuerst in Jena, um den dortigen Museen im Augenblick einer eintretenden günstigen Epoche eine freudige Aufmerksamkeit zu widmen. Ihro Kaiserliche Hoheit die Frau Erbprinzeß bestimmten eine ansehnliche Summe zu diesem Zwecke, und Mechanikus Körner verfertigte eine Luftpumpe für das physikalische Kabinett. Sonstige Instrumente und andere Anschaffungen dorthin werden gleichfalls eingeleitet und, um des Raumes mehr zu gewinnen, die oberen Zimmer im jenaischen Schloß für die Aufnahme eines Teils der Museen eingerichtet. Von Trebra verehrte merkwürdige Granitübergangsplatten als Dokumente früherer geognostischer Wanderungen auf dem Harze; sein Werk »Vom Innern der Gebirge« wird aufs neue vorgenommen und dabei ältere und jüngere Vorstellungsarten besprochen.

Sogenannte Schwefelquellen in Berka an der Ilm, oberhalb Weimar gelegen, die Austrocknung des Teichs, worin sie sich manchmal zeigten, und Benutzung derselben zum Heilbade gab Gelegenheit, geognostische und chemische Betrachtungen hervorzurufen. Hiebei zeigte sich Professor Döbereiner auf das lebhafteste teilnehmend und einwirkend.[241]

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 16, Berlin 1960 ff, S. 238-242.
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