1814

[247] Auf dem Theater sah man »Die Schuld« von Müllner. Ein solches Stück, man denke übrigens davon, wie man wolle, bringt der Bühne den großen Vorteil, daß jedes Mitglied sich zusammennehmen, sein möglichstes tun muß, um seiner Rolle nur einigermaßen gemäß zu erscheinen.

Die Lösung dieser Aufgabe bewirkte mehrere treffliche Vorstellungen von »Romeo und Julie«, »Egmont«, »Wallensteins Lager« und »Tod«. Alle Rollenveränderungen, die in diesen Stücken vorfielen, wurden benutzt zu sorgfältigen Didaskalien, um geübte und ungeübte Schauspieler miteinander in Harmonie zu setzen.

Indem man sich nun nach etwas Neuem, Fremdem und zugleich Bedeutendem umsah, glaubte man aus den Schauspielen Fouqués, Arnims und anderer Humoristen einigen Vorteil ziehen zu können und durch theatermäßige Bearbeitung ihrer öfters sehr glücklichen und bis auf einen gewissen Grad günstigen Gegenstände sie bühnengerecht zu machen: ein Unternehmen, welches jedoch nicht durchzuführen war, sowenig als bei den früheren Arbeiten von Tieck und Brentano.

Der Besuch des Fürsten Radziwill erregte gleich falls eine schwer zu befriedigende Sehnsucht; seine genialische, uns glücklich[247] mit fortreißende Komposition zu »Faust« ließ uns doch nur entfernte Hoffnung sehen, das seltsame Stück auf das Theater zu bringen.

Unsere Schauspielergesellschaft sollte wie bisher auch diesmal der Gunst genießen, in Halle den Sommer durch Vorstellungen zu geben. Der wackere Reil, dem die dortige Bühne ihre Entstehung verdankte, war gestorben; man wünschte ein Vorspiel, das zugleich als Totenfeier für den trefflichen Mann gelten könnte; ich entwarf es beim Frühlingsaufenthalte zu Berka an der Ilm. Als ich aber, durch Iffland unerwartet aufgefordert, »Das Erwachen des Epimenides« unternahm, so wurde jenes durch Riemer nach Verabredung ausgearbeitet. Kapellmeister Weber besuchte mich wegen der Komposition des »Epimenides«, über die wir uns verglichen.

Das Monodram »Proserpina« wurde, nach Eberweins Komposition, mit Madame Wolff eingelernt und eine kurze, aber höchst bedeutende Vorstellung vorbereitet, in welcher Rezitation, Deklamation, Mimik und edelbewegte plastische Darstellung wetteiferten und zuletzt ein großes Tableau, Plutos Reich vorstellend und das Ganze krönend, einen sehr günstigen Eindruck hinterließ.

»Das Gastmahl der Weisen«, ein dramatisch-lyrischer Scherz, worin die verschiedenen Philosophen jene zudringlichen metaphysischen Fragen, womit das Volk sie oft belästigt, auf heitere Weise beantworten oder vielmehr ablehnen, war wohl nicht fürs Theater, doch für gesellschaftliche Musik bestimmt, mußte aber, wegen Anzüglichkeit, unter die Paralipomena gelegt werden.

Musikalische Aufmunterung durch Zelters Gegenwart und durch Inspektor Schützens Vortrag der Bachischen Sonaten.

Die Feierlichkeiten zur Ankunft des Herzogs aus dem glücklichen Feldzug erregten Vorbereitungen zu architektonischer Zierde der Straßen. Redaktion einer Gedichtsammlung, nachher unter dem Titel »Willkommen!« herausgegeben.

Indessen war die neue Ausgabe meiner Werke vorbereitet; der biographische dritte Band gelangte zu Jubilate ins Publikum.[248] Die »Italienische Reise« rückte vor, der »West-östliche Divan« ward gegründet; die Reise nach den Rhein-, Main- und Neckargegenden gewährte eine große Ausbeute und reichlichen Stoff an Persönlichkeiten, Lokalitäten, Kunstwerken und Kunstresten.

In Heidelberg bei Boisserées: Studium der niederländischen Schule in Gefolg ihrer Sammlung. Studium des Kölner Doms und anderer alten Baulichkeiten nach Rissen und Planen. Letzteres fortgesetzt in Darmstadt bei Moller. Alte oberdeutsche Schule in Frankfurt bei Schütz. Von dieser Ausbeute und reichlichem Stoff an Menschenkenntnis, Gegenden, Kunstwerken und Kunstresten mitgeteilt in der Zeitschrift »Rhein und Main«.

Naturwissenschaft wurde sehr gefördert durch gefällige Mitteilung des Bergrat Cramer zu Wiesbaden an Mineralien und Notizen des Bergwesens auf dem Westerwalde. Das Darmstädter Museum, die Frankfurter Museen, Aufenthalt bei Geheimerat von Leonhard in Hanau. Nach meiner Rückkunft Sorge für Jena.

Von öffentlichen Ereignissen bemerke ich die Einnahme von Paris und daß ich der ersten Feier des 18. Oktobers in Frankfurt beiwohnte.

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 16, Berlin 1960 ff, S. 247-249.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tag- und Jahreshefte
Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. 40 in 45 Bänden in 2 Abteilungen: 1. Abteilung: Sämtliche Werke. Band 17: Tag- und Jahreshefte
Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. 40 in 45 Bänden in 2 Abteilungen: 1. Abteilung: Sämtliche Werke. Band 17: Tag- und Jahreshefte