Vierzehnter Auftritt


[154] Die Vorigen. Görge. Der Richter. Schnaps, von den Bauern geführt, in der Uniform, mit Säbel und Schnurrbart.


EDELMANN. Hervor, Herr General!

RICHTER. Hier ist der Rädelsführer! Sehen Sie ihn nur an. Alles, wie die Zeitungen schreiben. Uniform! Säbel! Er setzt ihm Mütze und Hut auf. Mütze! Hut! So soll er am Pranger stehen! Geschwind zum Gerichtshalter! Verhört! In Ketten und Banden nach der Residenz geschleppt!

EDELMANN. Sachte! sachte!

RICHTER. Boten fort! Der Kerl ist nicht allein! Man muß ihn torquieren! Man muß die Mitverschwornen entdecken! Man muß Regimenter marschieren lassen! Man muß Haussuchung tun![154]

EDELMANN. Nur gemach! – Schnaps, was sind das für Possen?

SCHNAPS. Jawohl, eitel Possen!

EDELMANN. Wo sind die Kleider her? Geschwind! Ich weiß schon.

SCHNAPS. Sie können unmöglich wissen, gnädiger Herr, daß ich diese Kleider mit dem ganzen militärischen Apparat von einem armen Teufel geerbt habe.

EDELMANN. Geerbt? Er pflegt sonst zu stehlen.

SCHNAPS. Hören Sie mich an.

MÄRTEN. Was wird er sagen?

SCHNAPS. Als der letzte Transport französischer Kriegsgefangenen durch die Stadt gebracht wurde –

EDELMANN. Nun?

SCHNAPS. Schlich ich aus Neugierde hinein.

EDELMANN. Weiter!

SCHNAPS. Da blieb im Wirtshause in der Vorstadt ein armer Teufel liegen, der sehr krank war.

RICHTER. Das ist gewiß nicht wahr.

SCHNAPS. Ich nahm mich seiner an, und er – verschied.

EDELMANN. Das ist sehr wahrscheinlich.

SCHNAPS. Er vermachte mir seine Sachen, für die Mühe, die ich mir genommen –

EDELMANN. Ihn umzubringen.

SCHNAPS. Bestehend aus diesem Rocke und Säbel.

EDELMANN. Und die Mütze? Die Kokarde?

SCHNAPS. Fand ich in seinem Mantelsack unter alten Lumpen.

EDELMANN. Da fand Er sein Generalspatent.

SCHNAPS. Ich kam hierher und fand den einfältigen Märten.

MÄRTEN. Den einfältigen Märten? Der Unverschämte!

SCHNAPS. Leider gelang es mir nur zur Hälfte; ich konnte die schöne Milch nicht aufessen, die ich eingebrockt hatte. Ich kriegte darüber eine kleine Differenz mit Görgen –[155]

EDELMANN. Ohne Umstände! Ist alles die reine Wahrheit, was Er sagt?

SCHNAPS. Erkundigen Sie sich in der Stadt. Ich will angeben, wo ich den Mantelsack verkauft habe. Diese Garderobe trug ich im Barbierbeutel herüber.

EDELMANN. Es wird sich alles finden.

RICHTER. Glauben Sie ihm nicht!

EDELMANN. Ich weiß, was ich zu tun habe. Findet sich alles wahr, so muß eine solche Kleinigkeit nicht gerügt werden; sie erregt nur Schrecken und Mißtrauen in einem ruhigen Lande. Wir haben nichts zu befürchten. Kinder, liebt euch, bestellt euren Acker wohl und haltet gut Haus.

RÖSE. Das ist unsre Sache.

GÖRGE. Dabei bleibt's.

EDELMANN. Und Euch, Alter, soll es zum Lobe gereichen, wenn Ihr Euch auf die hiesige Landsart und auf die Witterung versteht und Euer Säen und Ernten darnach einrichtet. Fremde Länder laßt für sich sorgen, und den politischen Himmel betrachtet allenfalls einmal Sonn- und Festtags.

MÄRTEN. Es wird wohl das beste sein.

EDELMANN. Bei sich fange jeder an, und er wird viel zu tun finden. Er benutze die friedliche Zeit, die uns gegönnt ist; er schaffe sich und den Seinigen einen rechtmäßigen Vorteil: so wird er dem Ganzen Vorteil bringen.

RICHTER der indessen seine Ungeduld gezeigt hat, gleichsam einfallend. Aber dabei kann's doch unmöglich bleiben! Bedenken Sie die Folgen! Ginge so was ungestraft hin –

EDELMANN. Nur gelassen! Unzeitige Gebote, unzeitige Strafen bringen erst das Übel hervor. In einem Lande, wo der Fürst sich vor niemand verschließt; wo alle Stände billig gegeneinander denken; wo niemand gehindert ist, in seiner Art tätig zu sein; wo nützliche Einsichten und Kenntnisse allgemein verbreitet sind: da werden keine Parteien entstehen. Was in der Welt geschieht, wird Aufmerksamkeit[156] erregen; aber aufrührische Gesinnungen ganzer Nationen werden keinen Einfluß haben. Wir werden in der Stille dankbar sein, daß wir einen heitern Himmel über uns sehen, indes unglückliche Gewitter unermeßliche Fluren verhageln.

RÖSE. Es hört sich Ihnen so gut zu!

GÖRGE. Wahrhaftig, Röse! – Reden Sie weiter, gnädiger Herr.

EDELMANN. Ich habe schon alles gesagt. Er zieht Schnapsen hervor. Und wieviel will das schon heißen, daß wir über diese Kokarde, diese Mütze, diesen Rock, die so viel Übel in der Welt gestiftet haben, einen Augenblick lachen konnten!

RÖSE. Ja, recht lächerlich sieht Er aus, Herr Schnaps.

GÖRGE. Ja, recht albern!

SCHNAPS. Das muß ich mir wohl gefallen lassen. Nach der Milch schielend. Wenn ich nur vor meinem Abzug die andere Hälfte der patriotischen Kontribution zu mir nehmen dürfte!

RÖSE. So gut soll's Ihm nicht werden!

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Berlin 1960 ff, S. 154-157.
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