Dritter Auftritt


[171] Karoline. Hernach der Baron.


KAROLINE nachdem sie einigemal nachdenkend auf und ab gegangen. Er verläßt mich keinen Augenblick, auch im Traume selbst war er mir gegenwärtig. O wenn ich glauben könnte, daß sein Herz, seine Absichten so redlich sind, als seine Blicke, sein Betragen reizend und einnehmend ist! Ach, und die Art, mit der er alles zu sagen weiß, wie edel er sich ausdrückt! Man sage, was man will, welche Vorzüge gibt einem Menschen von edler Geburt eine standesmäßige Erziehung! Ach, daß ich doch seinesgleichen wäre!

DER BARON an der Türe. Sind Sie allein, beste Karoline?

KAROLINE. Herr Baron, wo kommen Sie her? entfernen Sie sich! wenn mein Vater käme! Es ist nicht schön, mich so zu überfallen.

BARON. Die Liebe, die mich hieher führt, wird auch mein Fürsprecher bei Ihnen sein, angebetete Karoline. Er will sie umarmen.

KAROLINE. Zurück, Herr Baron! Sie sind sehr verwegen. Wo kommen Sie her?

BARON. Ein Geschrei weckt mich, ich springe herunter und finde, daß mein Neffe sich eine Brausche gefallen hat. Ich finde Ihren Vater um das Kind beschäftigt, nun kommt auch Ihre Muhme; ich sehe, daß es keine Gefahr hat, es fällt mir ein: Karoline ist allein – und was kann mir bei jeder Gelegenheit anders einfallen als Karoline? Die Augenblicke sind kostbar, schönes, angenehmes Kind! Gestehen Sie mir, sagen Sie mir, daß Sie mich lieben. Will sie umarmen.

KAROLINE. Noch einmal, Herr Baron! lassen Sie mich, und verlassen Sie dieses Haus![171]

BARON. Sie haben versprochen, mich so bald als möglich zu sehen, und wollen mich nun entfernen?

KAROLINE. Ich habe versprochen, morgen früh mit Sonnenaufgang in dem Garten zu sein, mit Ihnen spazieren zu gehen, mich Ihrer Gesellschaft zu freuen. Hieher hab' ich Sie nicht eingeladen.

BARON. Aber die Gelegenheit –

KAROLINE. Hab' ich nicht gemacht.

BARON. Aber ich benutze sie; können Sie mir es verdenken?

KAROLINE. Ich weiß nicht, was ich von Ihnen denken soll.

BARON. Auch Sie – lassen Sie es mich frei gestehen –, auch Sie erkenne ich nicht.

KAROLINE. Und warum bin ich mir denn so unähnlich?

BARON. Können Sie noch fragen?

KAROLINE. Ich muß wohl, ich begreife Sie nicht!

BARON. Ich soll reden?

KAROLINE. Wenn ich Sie verstehen soll.

BARON. Nun gut. Haben Sie nicht seit den drei Tagen, die ich Sie kenne, jede Gelegenheit gesucht, mich zu sehen und zu sprechen?

KAROLINE. Ich leugne es nicht.

BARON. Haben Sie mir nicht, so oft ich Sie ansah, mit Blicken geantwortet? und mit was für Blicken!

KAROLINE verlegen. Ich kann meine eignen Blicke nicht sehen.

BARON. Aber fühlen, was sie bedeuten – Haben Sie mir, wenn ich Ihnen im Tanze die Hand drückte, die Hand nicht wieder gedrückt?

KAROLINE. Ich erinnere mich's nicht.

BARON. Sie haben ein kurzes Gedächtnis, Karoline. Als wir unter der Linde drehten und ich Sie zärtlich an mich schloß, damals stieß mich Karoline nicht zurück.

KAROLINE. Herr Baron, Sie haben sich falsch ausgelegt, was ein gutherziges unerfahrnes Mädchen –

BARON. Liebst du mich?

KAROLINE. Noch einmal, verlassen Sie mich! Morgen frühe –

BARON. Werde ich ausschlafen.

KAROLINE. Ich werde Ihnen sagen –[172]

BARON. Ich werde nichts hören.

KAROLINE. So verlassen Sie mich.

BARON sich entfernend. O, es ist mir leid, daß ich gekommen bin.

KAROLINE allein, nach einer Bewegung, als wenn sie ihn aufhalten wollte. Er geht, ich muß ihn fortschicken, ich darf ihn nicht halten. Ich liebe ihn, und muß ihn verscheuchen. Ich war unvorsichtig, und bin unglücklich. Weg sind meine Hoffnungen auf den schönen Morgen, weg die goldnen Träume, die ich zu nähren wagte. O, wie wenig Zeit braucht es, unser ganzes Schicksal umzukehren!


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 171-173.
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