Erster Auftritt


[185] Vorzimmer der Gräfin. Sowohl im Fond als an den Seiten hängen adelige Familienbilder in mannigfaltigen geistlichen und weltlichen Kostümen.

Der Amtmann tritt herein, und indem er sich umsieht, ob niemand da ist, kommt Luise von der andern Seite.


AMTMANN. Guten Morgen, Demoiselle! Sind Ihro Exzellenz zu sprechen? Kann ich meine untertänigste Devotion zu Füßen legen?

LUISE. Verzeihen Sie einigen Augenblick, Herr Amtmann Die Frau Gräfin wird gleich herauskommen. Die Beschwerlichkeiten der Reise und das Schrecken bei der Ankunft haben einige Ruhe nötig gemacht.

AMTMANN. Ich bedaure von ganzem Herzen! Nach einer so langen Abwesenheit, nach einer so beschwerlichen Reise ihren einzig geliebten Sohn in einem so schrecklichen Zustande zu finden! ich muß gestehen, es schaudert mich, wenn ich nur daran denke. Ihro Exzellenz waren wohl sehr alteriert?

LUISE. Sie können sich leicht vorstellen, was eine zärtliche sorgsame Mutter empfinden mußte, als sie ausstieg, ins Haus trat und da die Verwirrung fand, nach ihrem Sohne fragte und aus unserm Stocken und Stottern leicht schließen konnte, daß ihm ein Unglück begegnet sei.

AMTMANN. Ich bedaure von Herzen. Was fingen Sie an?

LUISE. Wir mußten nur geschwind alles erzählen, damit sie nicht etwas Schlimmeres besorgte; wir mußten sie zu dem Kinde führen, das mit verbundenem Kopf und blutigen[185] Kleidern dalag. Wir hatten nur für Umschläge gesorgt und ihn nicht ausziehen können.

AMTMANN. Es muß ein schrecklicher Anblick gewesen sein.

LUISE. Sie blickte hin, tat einen lauten Schrei und fiel mir ohnmächtig in die Arme. Sie war untröstlich, als sie wieder zu sich kam, und wir hatten alle Mühe, sie zu überführen, daß das Kind sich nur eine starke Beule gefallen, daß es aus der Nase geblutet und daß keine Gefahr sei.

AMTMANN. Ich möcht' es mit dem Hofmeister nicht teilen, der das Kind so vernachlässigt.

LUISE. Ich wunderte mich über die Gelassenheit der Gräfin, besonders da er den Vorfall leichter behandelte, als es ihm in dem Augenblick geziemte.

AMTMANN. Sie ist gar zu gnädig, gar zu nachsichtig.

LUISE. Aber sie kennt ihre Leute und merkt sich alles. Sie weiß, wer ihr redlich und treu dient; sie weiß, wer nur dem Schein nach ihr untertäniger Knecht ist. Sie kennt die Nachlässigen so gut als die Falschen, die Unklugen sowohl als die Bösartigen.

AMTMANN. Sie sagen nicht zu viel, es ist eine vortreffliche Dame, aber eben deswegen! Der Hofmeister verdiente doch, daß sie ihn geradezu wegschickte.

LUISE. In allem, was das Schicksal des Menschen betrifft, geht sie langsam zu Werke, wie es einem Großen geziemt. Es ist nichts schrecklicher als Macht und Übereilung.

AMTMANN. Aber Macht und Schwäche sind auch ein trauriges Paar.

LUISE. Sie werden der gnädigen Gräfin nicht nachsagen, daß sie schwach sei.

AMTMANN. Behüte Gott, daß ein solcher Gedanke einem alten treuen Diener einfallen sollte! Aber es ist denn doch erlaubt, zum Vorteil seiner gnädigen Herrschaft zu wünschen, daß man manchmal mit mehr Strenge gegen Leute zu Werke gehe, die mit Strenge behandelt sein wollen.

LUISE. Die Frau Gräfin! Tritt ab.[186]


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 185-187.
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