Funfzehenter Auftritt

[61] Alcest. Söller. Sophie. Der Wirt.


SOPHIE im Fond.

Mein harter Vater bleibt

Bei dem verhaßten Ton.

DER WIRT im Fond.

Das Mädchen will nicht weichen.

SOPHIE.

Da ist Alcest!

DER WIRT erblickt Alcesten.

Aha!

SOPHIE.

Es muß, es muß sich zeigen.

DER WIRT zum Alcest.

Mein Herr! Sie ist der Dieb.

SOPHIE auf der andern Seite.

Er ist der Dieb, mein Herr![61]

ALCEST sieht sie beide lachend an, dann sagt er, in dem Tone wie sie, auf Söllern deutend.

Der ist der Dieb.

SÖLLER vor sich.

Nun, Haut, nun halt dich feste.

DER WIRT UND SOPHIE.

Er!

ALCEST.

Sie haben's beide nicht. Er hat's.

DER WIRT.

Schlagt einen Nagel

Ihm durch den Kopf, aufs Rad!

SOPHIE.

Du!

SÖLLER.

Uh! ein neuer Hagel!

DER WIRT.

Ich möchte dich –

ALCEST.

Mein Herr! Ich bitte nur Geduld!

All wart ihr im Verdacht, und ihr habt alle schuld.

Sophie besuchte mich, der Schritt war wohl verwegen,

Doch ihre Tugend darf's.


Zu Söllern.


Sie waren ja zugegen.

Es war uns unbewußt. Still war's und Mitternacht.

Die Tugend!

SÖLLER.

Ja, sie hat mir ziemlich warm gemacht.

ALCEST zum Wirt.

Und Sie?

DER WIRT.

Ja, Herr Alcest, und ich war auch gekommen!

Und der verwünschte Brief! Ich war so eingenommen.

Ich dacht, es schrieb ein Prinz, ein polnischer Magnat.

Und aus dem Prinzen ward ein Pachter Kandidat.

ALCEST.

Verzeihen Sie den Scherz. Und Sie, Sophie, vergeben

Mir auch!

SOPHIE.

Wie gern.

ALCEST.

Ich zweifl' in meinem Leben

An Ihrer Tugend nie. Verzeihn Sie jenen Schritt,

So groß wie tugendhaft.

SÖLLER.

Fast glaub ich's selbsten mit.

ALCEST.

Und Sie verzeihen doch auch unserm Söller!

SOPHIE.

Gerne.


Sie gibt ihm die Hand.


Da![62]

ALCEST zum Wirt.

Allons.

DER WIRT gibt ihm die Hand.

Stiehl nicht mehr.

SÖLLER.

Die Länge bringt die Ferne.

ALCEST.

Herr Wirt, nimm Er das Geld und teilt es.

DER WIRT.

Wie!

ALCEST.

Ihr drei!

Herr Söller, hoff ich, wird hübsch höflich, still und treu.

Doch untersteht Er sich, noch einmal anzufangen,

So –


Er zeigt ihm das Hängen.


SÖLLER.

Nein, das wär zuviel, ein Hahnrei und gehangen.

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 5, Berlin 1960 ff, S. 61-63.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Mitschuldigen
Die Mitschuldigen (Dodo Press)

Buchempfehlung

Aischylos

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Der aus Troja zurückgekehrte Agamemnon wird ermordet. Seine Gattin hat ihn mit seinem Vetter betrogen. Orestes, Sohn des Agamemnon, nimmt blutige Rache an den Mördern seines Vaters. Die Orestie, die Aischylos kurz vor seinem Tod abschloss, ist die einzige vollständig erhaltene Tragödientrilogie und damit einzigartiger Beleg übergreifender dramaturgischer Einheit im griechischen Drama.

114 Seiten, 4.30 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon