Zweiter Auftritt

[33] Der Wirt kömmt im Schlafrock, der Nachtmütze und Pantoffeln mit einem Wachsstock furchtsam zur Nebentüre herein.

Söller im Alkoven, horchend.


DER WIRT.

Es ist ein närrisch Ding um ein empfindlich Blut!

Es klopft, wenn man auch nur halbweg was Böses tut.

Dächt ich nicht aus dem Brief was Wichtiges zu holen!

Er steckt' ihn eilig ein. Er kam gewiß aus Polen.

Den, der was Neues liebt, plagt jeder Aufenthalt.

Das Neuste, das man hört, ist immer monatsalt.

In Strümpfen, wie ich bin, ritt ich wahrhaftig weiter

Als bis zum Tartar Cham, eh der verdammte Reuter

Von Altona hierher mit seinem Pferde kriecht,

Und wenn man's recht besieht, noch gar sein Stückchen lügt.


Er sucht überall.


Ich find ihn nicht, den Brief. Er kriegt' ihn doch gewißlich.

Vielleicht nahm er ihn mit! Das wäre mir verdrüßlich.


Er sucht.


SÖLLER im Alkoven.

Du guter alter Narr! Ich seh wohl, es hat dich

Der Diebs- und Zeitungsgott nicht halb so lieb wie mich.

DER WIRT.

Ich find ihn nicht.


Er erschrickt.


O Weh! Hör ich auch recht? Daneben

Im Zimmer –


Er horcht.


SÖLLER erschrocken.

Riecht er mich vielleicht?

DER WIRT.

Es knistert, eben

Als wär's ein Weiberschuh!

SÖLLER getrost.

Schuh! Nein, das bin ich nicht.

DER WIRT blast den Wachsstock aus.

Aus! Bleibe, wer da will! Geh auf!


Er kann das Schloß in der Eile nicht aufmachen und läßt darüber den Wachsstock fallen; endlich stößt er die Türe auf und läuft fort.[33]


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 5, Berlin 1960 ff, S. 33-34.
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