Siebenter Auftritt

[42] Die Stube des Wirts.

Der Wirt im Schlafrocke, in einem Sessel, hinter einem Tische, worauf ein bald abgebrannt Licht, Koffeezeug, Pfeifen und die Zeitungen. Nach den ersten paar Zeilen steht er auf und zieht sich in diesem Auftritt und im Anfang des folgenden an.


DER WIRT.

Es steht mit Polen jetzt nicht eben allzu gut,

Man wird nun balde sehn, was noch der Türke tut.

Greift er's nur weislich an, so kann er nicht verlieren,

Und er ist Kerls genug, die Russen abzuführen.

Kömmt er nur erst in Schuß, da tobt er wie ein Bär.

Ich wüßte, was ich tät, wenn ich der Türke wär.

Ich zög vor Petersburg, und, ohne viel zu fragen,

Schickt ich den ganzen Hof ein bißchen Zobel jagen.

Hätt ich nur erst den Brief, da wär ich bald in Ruh.

Es ging wahrhaftig nicht mit rechten Dingen zu.

Es war mir heute früh, so zwischen drei und viere,

Als hört ich ein Geknarr, wie unsre Bodentüre,

Und meine Tochter ging auch schon in aller Früh,

Ganz leis und ohne Licht.

SOPHIE hastig.

Mein Vater, denken Sie!

DER WIRT.

So, hübsch geradezu, nicht einmal guten Morgen.

SOPHIE.

Verzeihen Sie, mein Kopf schwillt von ganz andern Sorgen.

DER WIRT.

Warum?

SOPHIE.

Alcestens Geld, das er erst kurz empfing,

Ist miteinander fort!

DER WIRT.

Fort! das verfluchte Ding,

Um 's Königs Pharao!

SOPHIE.

Nicht doch, es ist gestohlen.

DER WIRT.

Wie?

SOPHIE.

Ei, vom Zimmer weg.[42]

DER WIRT.

Den soll der Henker holen,

Den Dieb! Wer ist's! Geschwind.

SOPHIE.

Wer's wüßte!

DER WIRT.

Hier im Haus?

SOPHIE.

Ja, von Alcestens Tisch, aus der Schatull heraus.

DER WIRT.

Und wann?

SOPHIE.

Heut nacht.

DER WIRT vor sich.

Das ist für meiner Neugier Sünden.

Die Schuld kömmt noch auf mich, er wird den Wachsstock finden,

SOPHIE vor sich.

Er ist bestürzt und murrt; hat er's wohl selbst getan?

Im Zimmer war er nun, der Wachsstock klagt ihn an.

DER WIRT vor sich.

Ich denk, ich denke fast, sie hat das Geld genommen.

Sie war's, vor der ich lief; ich will dahinterkommen.


Laut.


Das ist ein dummer Streich! Gib acht, er tut uns weh.

Wohlfeil und sicher sein ist unsre Renommee.

SOPHIE.

Wie's ihm ein Schaden ist, so ist's auch uns ein Schaden;

Es wird am Ende doch dem Gastwirt aufgeladen.

DER WIRT.

Ja, und es ist ein Ding, für das er gar nichts kann;

Ist Diebsgesind im Haus; wer ist's? Weiß er es dann?

Es ist ein arger Streich!

SOPHIE.

Er schlägt mich gänzlich nieder.

DER WIRT vor sich.

Ha! ha! es wird ihr bang!


Laut, etwas verdrüßlich.


Ich wollt, er hätt es wieder.

Ich gäb's ihm gern.

SOPHIE für sich.

Schon gut, die Reue kömmt ihm ein.


Laut.


Und wenn er's wiederhat, so mag der Täter sein,

Wer will. Man sagt's ihm nicht, und ihn bekümmert's weiter

Auch nicht.[43]

DER WIRT vor sich.

Wenn sie's nicht hat, bin ich ein Bärenhäuter!


Laut.


Du bist ein gutes Kind! Und mein Vertraun zu dir!

Wart nur.


Er sieht nach der Türe.


SOPHIE vor sich.

Gebt acht, er kömmt und offenbart sich mir.

DER WIRT.

Ich kenne dich, Sophie, du bist kein Freund vom Lügen.

SOPHIE.

Eh hab ich aller Welt als Ihnen was verschwiegen,

Drum hoff ich, dieses Mal auch zu verdienen –

DER WIRT.

Schön!

Du bist mein Kind; und was geschehn ist, ist geschehn.

SOPHIE.

Ich nehm sie strenger nicht die Tat, als Sie sie nehmen.

DER WIRT.

Es ist was Menschliches, man braucht sich nicht zu schämen.

Und niemand weiß es doch, daß du dich heute früh –

SOPHIE verlegen.

Kein Mensch.

DER WIRT.

Eh, das ist gut.

SOPHIE.

Und niemand denkt an Sie.

Ich fand den Wachsstock.

DER WIRT.

Du?

SOPHIE.

Ich!

DER WIRT.

Schön, bei meinem Leben!

Nun sag, wie machen wir's, daß wir's ihm wiedergeben.

SOPHIE.

Das Beste, dächt ich, wär, Sie redeten ihn an

Und sagten: Herr Alcest, ich weiß, wer es getan.

Sie wissen selbst, wie leicht Gelegenheit verführet;

Doch kaum war es entwandt, so war er schon gerühret,

Bekannt' und gab es mir. Da haben Sie's. Verzeihn

Sie ihm. – Gewiß, Alcest wird gern zufrieden sein.

DER WIRT.

So was zu fädeln, hast du eine seltne Gabe.

SOPHIE.

Ja, geben Sie's ihm so.[44]

DER WIRT.

Gleich; wenn ich's nur erst habe.

SOPHIE verwundernd.

Sie haben's nicht?

DER WIRT.

Eh nein! Wo hätt ich es denn her?

SOPHIE.

Woher?

DER WIRT.

Nun ja, woher! Gabst du mir's denn?

SOPHIE.

Und wer

Hat's denn?

DER WIRT.

Wer's hat?

SOPHIE.

Jawohl, wenn Sie's nicht haben.

DER WIRT.

Possen!

SOPHIE.

Wo taten Sie's denn hin?

DER WIRT.

Ich glaub, du bist geschossen.

Hast du's denn nicht?

SOPHIE.

Ich?

DER WIRT.

Ja.

SOPHIE.

Wie käm ich denn dazu?

DER WIRT macht ihr pantomimisch das Stehlen vor.

Eh!

SOPHIE.

Ich versteh Sie nicht.

DER WIRT.

Wie unverschämt bist du.

Jetzt, da du's geben sollst, gedenkst du auszuweichen.

Du hast's ja erst bekannt. Ihr Herrn seid meine Zeugen.

SOPHIE.

Nein, das ist mir zu hoch! jetzt klagen Sie mich an;

Und sagten nur erst jetzt, Sie hätten's selbst getan.

DER WIRT.

Du Kröte! Ich's getan? Ist das die schuld'ge Liebe,

Die Ehrfurcht gegen mich! Du machst mich gar zum Diebe!

Da du die Diebin bist.

SOPHIE.

Mein Vater!

DER WIRT.

Warst du nicht

Heut früh im Zimmer?

SOPHIE.

Ja!

DER WIRT.

Und sagst mir ins Gesicht,

Du hättest nicht das Geld.

SOPHIE.

Beweist das gleich?

DER WIRT.

Ja![45]

SOPHIE.

Waren

Sie denn nicht auch, heut früh –

DER WIRT.

Ich krieg dich bei den Haaren,

Wenn du nicht schweigst und gehst.


Sophie geht weinend


DER WIRT.

Du treibst den Spaß zu weit.

Nichtswürd'ge! Sie ist fort! Es war ihr hohe Zeit.

Vielleicht bildt sie sich ein, mit Leugnen durchzukommen.

Das Geld ist einmal fort, und gnug, sie hat's genommen.


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 5, Berlin 1960 ff, S. 42-46.
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