Sechster Auftritt


[228] Herzog. Eugenie.


EUGENIE.

O welch ein selig jubelvoller Tag!

HERZOG.

O möcht' ich Tag' auf Tage so erleben!

EUGENIE.

Wie göttlich hat der König uns beglückt.

HERZOG.

Genieße rein so ungehoffte Gaben.

EUGENIE.

Er scheint nicht glücklich, ach! und ist so gut.

HERZOG.

Die Güte selbst erregt oft Widerstand.

EUGENIE.

Wer ist so hart, sich ihm zu widersetzen?

HERZOG.

Der Heil des Ganzen von der Strenge hofft.

EUGENIE.

Des Königs Milde sollte Milde zeugen.

HERZOG.

Des Königs Milde zeugt Verwegenheit.

EUGENIE.

Wie edel hat ihn die Natur gebildet.

HERZOG.

Doch auf zu hohen Platz hinaufgestellt.

EUGENIE.

Und ihn mit so viel Tugend ausgestattet.

HERZOG.

Zur Häuslichkeit, zum Regimente nicht.

EUGENIE.

Von altem Heldenstamme grünt er auf.

HERZOG.

Die Kraft entgeht vielleicht dem späten Zweige.

EUGENIE.

Die Schwäche zu vertreten, sind wir da.

HERZOG.

Sobald er unsre Stärke nicht verkennt.

EUGENIE nachdenklich.

Mich leiten seine Reden zum Verdacht.

HERZOG.

Was sinnest du? Enthülle mir dein Herz.

EUGENIE nach einer Pause.

Auch du bist unter denen, die er fürchtet.

HERZOG.

Er fürchte jene, die zu fürchten sind.

EUGENIE.

Und sollten ihm geheime Feinde drohen?

HERZOG.

Wer die Gefahr verheimlicht, ist ein Feind.

Wo sind wir hingeraten! Meine Tochter!

Wie hat der sonderbarste Zufall uns

Auf einmal weggerissen nach dem Ziel.

Unvorbereitet red' ich, übereilt

Verwirr' ich dich, anstatt dich aufzuklären.

So mußte dir der Jugend heitres Glück

Beim ersten Eintritt in die Welt verschwinden.

Du konntest nicht in süßer Trunkenheit

Der blendenden Befriedigung genießen.

Das Ziel erreichst du; doch des falschen Kranzes[228]

Verborgne Dornen ritzen deine Hand.

Geliebtes Kind! so sollt' es nicht geschehn!

Erst nach und nach, so hofft' ich, würdest du

Dich aus Beschränkung an die Welt gewöhnen,

Erst nach und nach den liebsten Hoffnungen

Entsagen lernen, manchem holden Wunsch.

Und nun auf einmal, wie der jähe Sturz

Dir vorbedeutet, bist du in den Kreis

Der Sorgen, der Gefahr herabgestürzt.

Mißtrauen atmet man in dieser Luft,

Der Neid verhetzt ein fieberhaftes Blut

Und übergibt dem Kummer seine Kranken.

Ach! soll ich nun nicht mehr ins Paradies,

Das dich umgab, am Abend wiederkehren,

Zu deiner Unschuld heil'gem Vorgefühl

Mich von der Welt gedrängter Posse retten!

Du wirst fortan, mit mir ins Netz verstrickt,

Gelähmt, verworren, dich und mich betrauren.

EUGENIE.

Nicht so, mein Vater! Konnt' ich schon bisher,

Untätig, abgesondert, eingeschlossen,

Ein kindlich Nichts, die reinste Wonne dir,

Schon in des Daseins Unbedeutenheit

Erholung, Trost und Lebenslust gewähren:

Wie soll die Tochter erst, in dein Geschick

Verflochten, im Gewebe deines Lebens

Als heitrer, bunter Faden künftig glänzen!

Ich nehme teil an jeder edlen Tat,

An jeder großen Handlung, die den Vater

Dem König und dem Reiche werter macht.

Mein frischer Sinn, die jugendliche Lust,

Die mich belebt, sie teilen dir sich mit,

Verscheuchen jene Träume, die der Welt

Unüberwindlich ungeheure Last

Auf eine Menschenbrust zerknirschend wälzen.

Wenn ich dir sonst in trüben Augenblicken

Ohnmächt'gen guten Willen, arme Liebe,

Dir leere Tändeleien kindlich bot:

Nun hoff' ich, eingeweiht in deine Plane,

Bekannt mit deinen Wünschen, mir das Recht

Vollbürt'ger Kindschaft rühmlich zu erwerben.[229]

HERZOG.

Was du bei diesem wicht'gen Schritt verlierst,

Erscheint dir ohne Wert und ohne Würde;

Was du erwartest, schätzest du zu sehr.

EUGENIE.

Mit hocherhabnen, hochbeglückten Männern

Gewalt'ges Ansehn, würd'gen Einfluß teilen:

Für edle Seelen reizender Gewinn!

HERZOG.

Gewiß! Vergib, wenn du in dieser Stunde

Mich schwächer findest, als dem Manne ziemt.

Wir tauschten sonderbar die Pflichten um:

Ich soll dich leiten, und du leitest mich.

EUGENIE.

Wohl denn, mein Vater, tritt mit mir herauf

In diese Regionen, wo mir eben

Die neue, heitre Sonne sich erhebt!

In diesen muntern Stunden lächle nur,

Wenn ich den Inbegriff von meinen Sorgen

Dir auch eröffne.

HERZOG.

Sage, was es ist.

EUGENIE.

Der wichtigen Momente gibt's im Leben

Gar manche, die mit Freude, die mit Trauer

Des Menschen Herz bestürmen. Wenn der Mann

Sein Äußeres in solchem Fall vergißt,

Nachlässig oft sich vor die Menge stellt,

So wünscht ein Weib noch, jedem zu gefallen,

Durch ausgesuchte Tracht, vollkommnen Schmuck

Beneidenswert vor andern zu erscheinen.

Das hab' ich oft gehört und oft bemerkt,

Und nun empfind' ich im bedeutendsten

Momente meines Lebens, daß auch ich

Der mädchenhaften Schwachheit schuldig bin.

HERZOG.

Was kannst du wünschen, das du nicht erlangst?

EUGENIE.

Du bist geneigt, mir alles zu gewähren,

Ich weiß es. Doch der große Tag ist nah,

Zu nah, um alles würdig zu bereiten;

Und was von Stoffen, Stickerei und Spitzen,

Was von Juwelen mich umgeben soll,

Wie kann's geschafft, wie kann's vollendet werden?

HERZOG.

Uns überrascht ein längst gewünschtes Glück;

Doch vorbereitet können wir's empfangen.

Was du bedarfst, ist alles angeschafft,[230]

Und heute noch, verwahrt im edlen Schrein,

Erhältst du Gaben, die du nicht erwartet.

Doch leichte Prüfung leg' ich dir dabei

Zum Vorbild mancher künftig schweren auf.

Hier ist der Schlüssel! den verwahre wohl;

Bezähme deine Neugier! öffne nicht,

Eh' ich dich wiedersehe, jenen Schatz.

Vertraue niemand, sei es, wer es sei.

Die Klugheit rät's, der König selbst gebeut's.

EUGENIE.

Dem Mädchen sinnst du harte Prüfung aus;

Doch will ich sie bestehn, ich schwör' es dir!

HERZOG.

Mein eigner, wüster Sohn umlauert ja

Die stillen Wege, die ich dich geführt.

Der Güter kleinen Teil, den ich bisher

Dir schuldig zugewandt, mißgönnt er schon.

Erführ' er, daß du, höher nun empor

Durch unsers Königs Gunst gehoben, bald

In manchem Recht ihm gleich dich stellen könntest,

Wie müßt' er wüten! Würd' er tückisch nicht,

Den schönen Schritt zu hindern, alles tun?

EUGENIE.

Laß uns im stillen jenen Tag erharren.

Und wenn geschehn ist, was mich seine Schwester

Zu nennen mich berechtigt, soll's an mir,

Soll's an gefälligem Betragen, guten Worten,

Nachgiebigkeit und Neigung nicht gebrechen.

Er ist dein Sohn; und sollt' er nicht nach dir

Zur Liebe, zur Vernunft gebildet sein?

HERZOG.

Ich traue dir ein jedes Wunder zu:

Verrichte sie zu meines Hauses Bestem

Und lebe wohl. Doch ach! indem ich scheide,

Befällt mich grausend jäher Furcht Gewalt.

Hier lagst du tot in meinen Armen! Hier

Bezwang mich der Verzweiflung Tigerklaue.

Wer nimmt das Bild vor meinen Augen weg!

Dich hab' ich tot gesehn! So wirst du mir

An manchem Tag, in mancher Nacht erscheinen.

War ich, entfernt von dir, nicht stets besorgt?

Nun ist's nicht mehr ein kranker Grillentraum,

Es ist ein wahres, unauslöschlichs Bild:[231]

Eugenie, das Leben meines Lebens,

Bleich, hingesunken, atemlos, entseelt.

EUGENIE.

Erneue nicht, was du entfernen solltest,

Laß diesen Sturz, laß diese Rettung dir

Als wertes Pfand erscheinen meines Glücks.

Lebendig siehst du sie vor deinen Augen


Indem sie ihn umarmt.


Und fühlst lebendig sie an deiner Brust.

So laß mich immer, immer wiederkehren!

Und vor dem glühnden, liebevollen Leben

Entweiche des verhaßten Todes Bild.

HERZOG.

Kann wohl ein Kind empfinden, wie den Vater

Die Sorge möglichen Verlustes quält?

Gesteh' ich's nur! Wie öfters hat mich schon

Dein überkühner Mut, mit dem du dich,

Als wie ans Pferd gewachsen, voll Gefühl

Der doppelten, centaurischen Gewalt,

Durch Tal und Berg, durch Fluß und Graben schleuderst,

Wie sich ein Vogel durch die Lüfte wirft,

Ach, öfters mehr geängstigt als entzückt.

Daß doch gemäßigter dein Trieb fortan

Der ritterlichen Übung sich erfreue!

EUGENIE.

Dem Ungemeßnen beugt sich die Gefahr,

Beschlichen wird das Mäßige von ihr.

O fühle jetzt wie damals, da du mich,

Ein kleines Kind, in ritterliche Weise

Mit heitrer Kühnheit fröhlich eingeweiht.

HERZOG.

Ich hatte damals unrecht; soll mich nun

Ein langes Leben sorgenvoll bestrafen?

Und locket Übung des Gefährlichen

Nicht die Gefahr an uns heran?

EUGENIE.

Das Glück

Und nicht die Sorge bändigt die Gefahr.

Leb' wohl, mein Vater, folge deinem König

Und sei nun auch um deiner Tochter willen

Sein redlicher Vasall, sein treuer Freund.

Leb' wohl!

HERZOG.

O bleib! und steh an diesem Platz

Lebendig, aufrecht noch einmal, wie du[232]

Ins Leben wieder aufsprangst, wo mit Wonne

Du mein zerrissen Herz erfüllend heiltest.

Unfruchtbar bleibe diese Freude nicht!

Zum ew'gen Denkmal weih' ich diesen Ort.

Hier soll ein Tempel aufstehn, der Genesung,

Der glücklichsten, gewidmet. Rings umher

Soll deine Hand ein Feenreich erschaffen.

Den wilden Wald, das struppige Gebüsch

Soll sanfter Gänge Labyrinth verknüpfen.

Der steile Fels wird gangbar, dieser Bach,

In reinen Spiegeln fällt er hier und dort.

Der überraschte Wandrer fühlt sich hier

Ins Paradies versetzt. Hier soll kein Schuß,

Solang' ich lebe, fallen, hier kein Vogel

Von seinem Zweig, kein Wild in seinem Busch

Geschreckt, verwundet, hingeschmettert werden.

Hier will ich her, wenn mir der Augen Licht,

Wenn mir der Füße Kraft zuletzt versagt,

Auf dich gelehnt, wallfahrten; immer soll

Des gleichen Danks Empfindung mich beleben.

Nun aber lebe wohl! Und wie? – Du weinst?

EUGENIE.

O! wenn mein Vater ängstlich fürchten darf,

Die Tochter zu verlieren, soll in mir

Sich keine Sorge regen, ihn vielleicht –

Wie kann ich's denken, sagen? – ihn zu missen?

Verwaiste Väter sind beklagenswert;

Allein verwaiste Kinder sind es mehr.

Und ich, die Ärmste, stünde ganz allein

Auf dieser weiten, fremden, wilden Welt,

Müßt' ich von ihm, dem Einzigen, mich trennen.

HERZOG.

Wie du mich stärktest, geb' ich dir's zurück.

Laß uns getrost, wie immer, vorwärts gehen.

Das Leben ist des Lebens Pfand; es ruht

Nur auf sich selbst und muß sich selbst verbürgen.

Drum laß uns eilig auseinander scheiden!

Von diesem allzu weichen Lebewohl

Soll ein erfreulich Wiedersehn uns heilen.


Sie trennen sich schnell; aus der Entfernung werfen sie sich mit ausgebreiteten Armen ein Lebewohl zu und gehen eilig ab.
[233]

Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 228-234.
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