Marthens Garten.


[109] Margarete. Faust.


MARGARETE.

Versprich mir, Heinrich!

FAUST.

Was ich kann!

MARGARETE.

Nun sag, wie hast du's mit der Religion?

Du bist ein herzlich guter Mann,

Allein ich glaub', du hältst nicht viel davon.

FAUST.

Laß das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut;

Für meine Lieben ließ' ich Leib und Blut,

Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.

MARGARETE.

Das ist nicht recht, man muß dran glauben!

FAUST.

Muß man?

MARGARETE.

Ach! wenn ich etwas auf dich könnte!

Du ehrst auch nicht die heil'gen Sakramente.

FAUST.

Ich ehre sie.

MARGARETE.

Doch ohne Verlangen.

Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen.

Glaubst du an Gott?

FAUST.

Mein Liebchen, wer darf sagen:

Ich glaub' an Gott?

Magst Priester oder Weise fragen,

Und ihre Antwort scheint nur Spott

Über den Frager zu sein.

MARGARETE.

So glaubst du nicht?

FAUST.

Mißhör mich nicht, du holdes Angesicht!

Wer darf ihn nennen?

Und wer bekennen:

Ich glaub' ihn.

Wer empfinden,

Und sich unterwinden

Zu sagen: ich glaub' ihn nicht?

Der Allumfasser,

Der Allerhalter,[109]

Faßt und erhält er nicht

Dich, mich, sich selbst?

Wölbt sich der Himmel nicht dadroben?

Liegt die Erde nicht hierunten fest?

Und steigen freundlich blickend

Ewige Sterne nicht herauf?

Schau' ich nicht Aug' in Auge dir,

Und drängt nicht alles

Nach Haupt und Herzen dir,

Und webt in ewigem Geheimnis

Unsichtbar sichtbar neben dir?

Erfüll davon dein Herz, so groß es ist,

Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,

Nenn es dann, wie du willst,

Nenn's Glück! Herz! Liebe! Gott!

Ich habe keinen Namen

Dafür! Gefühl ist alles;

Name ist Schall und Rauch,

Umnebelnd Himmelsglut.

MARGARETE.

Das ist alles recht schön und gut;

Ungefähr sagt das der Pfarrer auch,

Nur mit ein bißchen andern Worten.

FAUST.

Es sagen's allerorten

Alle Herzen unter dem himmlischen Tage,

Jedes in seiner Sprache;

Warum nicht ich in der meinen?

MARGARETE.

Wenn man's so hört, möcht's leidlich scheinen,

Steht aber doch immer schief darum;

Denn du hast kein Christentum.

FAUST.

Liebs Kind!

MARGARETE.

Es tut mir lang schon weh,

Daß ich dich in der Gesellschaft seh'.

FAUST.

Wieso?

MARGARETE.

Der Mensch, den du da bei dir hast,

Ist mir in tiefer innrer Seele verhaßt;

Es hat mir in meinem Leben

So nichts einen Stich ins Herz gegeben,

Als des Menschen widrig Gesicht.

FAUST.

Liebe Puppe, fürcht ihn nicht![110]

MARGARETE.

Seine Gegenwart bewegt mir das Blut.

Ich bin sonst allen Menschen gut;

Aber wie ich mich sehne, dich zu schauen,

Hab' ich vor dem Menschen ein heimlich Grauen,

Und halt' ihn für einen Schelm dazu!

Gott verzeih' mir's, wenn ich ihm unrecht tu'!

FAUST.

Es muß auch solche Käuze geben.

MARGARETE.

Wollte nicht mit seinesgleichen leben!

Kommt er einmal zur Tür herein,

Sieht er immer so spöttisch drein

Und halb ergrimmt;

Man sieht, daß er an nichts keinen Anteil nimmt;

Es steht ihm an der Stirn geschrieben,

Daß er nicht mag eine Seele lieben.

Mir wird's so wohl in deinem Arm,

So frei, so hingegeben warm,

Und seine Gegenwart schnürt mir das Innre zu.

FAUST.

Du ahnungsvoller Engel du!

MARGARETE.

Das übermannt mich so sehr,

Daß, wo er nur mag zu uns treten,

Mein' ich sogar, ich liebte dich nicht mehr.

Auch, wenn er da ist, könnt' ich nimmer beten,

Und das frißt mir ins Herz hinein;

Dir, Heinrich, muß es auch so sein.

FAUST.

Du hast nun die Antipathie!

MARGARETE.

Ich muß nun fort.

FAUST.

Ach, kann ich nie

Ein Stündchen ruhig dir am Busen hängen,

Und Brust an Brust und Seel' in Seele drängen?

MARGARETE.

Ach, wenn ich nur alleine schlief'!

Ich ließ' dir gern heut nacht den Riegel offen;

Doch meine Mutter schläft nicht tief,

Und würden wir von ihr betroffen,

Ich wär' gleich auf der Stelle tot!

FAUST.

Du Engel, das hat keine Not.

Hier ist ein Fläschchen! Drei Tropfen nur

In ihren Trank umhüllen

Mit tiefem Schlaf gefällig die Natur.[111]

MARGARETE.

Was tu' ich nicht um deinetwillen?

Es wird ihr hoffentlich nicht schaden!

FAUST.

Würd' ich sonst, Liebchen, dir es raten?

MARGARETE.

Seh' ich dich, bester Mann, nur an,

Weiß nicht, was mich nach deinem Willen treibt;

Ich habe schon so viel für dich getan,

Daß mir zu tun fast nichts mehr übrig bleibt.


Ab.

Mephistopheles tritt auf.


MEPHISTOPHELES.

Der Grasaff'! ist er weg?

FAUST.

Hast wieder spioniert?

MEPHISTOPHELES.

Ich hab's ausführlich wohl vernommen,

Herr Doktor wurden da katechisiert,

Hoff', es soll Ihnen wohl bekommen.

Die Mädels sind doch sehr interessiert,

Ob einer fromm und schlicht nach altem Brauch.

Sie denken: duckt er da, folgt er uns eben auch.

FAUST.

Du Ungeheuer siehst nicht ein,

Wie diese treue liebe Seele

Von ihrem Glauben voll,

Der ganz allein

Ihr selig machend ist, sich heilig quäle,

Daß sie den liebsten Mann verloren halten soll.

MEPHISTOPHELES.

Du übersinnlicher sinnlicher Freier,

Ein Mägdelein nasführet dich.

FAUST.

Du Spottgeburt von Dreck und Feuer!

MEPHISTOPHELES.

Und die Physiognomie versteht sie meisterlich:

In meiner Gegenwart wird's ihr, sie weiß nicht wie,

Mein Mäskchen da weissagt verborgnen Sinn;

Sie fühlt, daß ich ganz sicher ein Genie,

Vielleicht wohl gar der Teufel bin.

Nun, heute nacht –?

FAUST.

Was geht dich's an?

MEPHISTOPHELES.

Hab' ich doch meine Freude dran![112]

Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 3, Hamburg 1948 ff, S. 109-113.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Faust. Eine Tragödie
Faust I: Der Tragödie Erster Teil (Fischer Klassik)
Faust 1. Der Tragödie erster Teil.
Faust. Der Tragödie Erster Teil: Reclam XL - Text und Kontext
Faust: Der Tragödie erster und zweiter Teil. Urfaust
Faust Eine Tragödie: Erster und zweiter Teil

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Die Nächste und andere Erzählungen 1899-1900

Die Nächste und andere Erzählungen 1899-1900

Sechs Erzählungen von Arthur Schnitzler - Die Nächste - Um eine Stunde - Leutnant Gustl - Der blinde Geronimo und sein Bruder - Andreas Thameyers letzter Brief - Wohltaten Still und Rein gegeben

84 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon