Offene Gegend.

[333] WANDRER.

Ja! sie sind's, die dunkeln Linden,

Dort, in ihres Alters Kraft.

Und ich soll sie wiederfinden,

Nach so langer Wanderschaft!

Ist es doch die alte Stelle,

Jene Hütte, die mich barg,

Als die sturmerregte Welle

Mich an jene Dünen warf!

Meine Wirte möcht' ich segnen,

Hilfsbereit, ein wackres Paar,

Das, um heut mir zu begegnen,

Alt schon jener Tage war.

Ach! das waren fromme Leute!

Poch' ich? ruf' ich? – Seid gegrüßt,

Wenn gastfreundlich auch noch heute

Ihr des Wohltuns Glück genießt!

BAUCIS Mütterchen, sehr alt.

Lieber Kömmling! Leise! Leise!

Ruhe! laß den Gatten ruhn!

Langer Schlaf verleiht dem Greise

Kurzen Wachens rasches Tun.

WANDRER.

Sage, Mutter: bist du's eben,

Meinen Dank noch zu empfahn,

Was du für des Jünglings Leben

Mit dem Gatten einst getan?

Bist du Baucis, die geschäftig

Halberstorbnen Mund erquickt?


Der Gatte tritt auf.


Du Philemon, der so kräftig

Meinen Schatz der Flut entrückt?

Eure Flammen raschen Feuers,

Eures Glöckchens Silberlaut,

Jenes grausen Abenteuers

Lösung war euch anvertraut.
[333]

Und nun laßt hervor mich treten,

Schaun das grenzenlose Meer;

Laßt mich knieen, laßt mich beten,

Mich bedrängt die Brust so sehr.


Er schreitet vorwärts auf der Düne.


PHILEMON zu Baucis.

Eile nur, den Tisch zu decken,

Wo's im Gärtchen munter blüht.

Laß ihn rennen, ihn erschrecken,

Denn er glaubt nicht, was er sieht.


Neben dem Wandrer stehend.


Das Euch grimmig mißgehandelt,

Wog' auf Woge, schäumend wild,

Seht als Garten Ihr behandelt,

Seht ein paradiesisch Bild.

Älter, war ich nicht zuhanden,

Hülfreich nicht wie sonst bereit;

Und wie meine Kräfte schwanden,

War auch schon die Woge weit.

Kluger Herren kühne Knechte

Gruben Gräben, dämmten ein,

Schmälerten des Meeres Rechte,

Herrn an seiner Statt zu sein.

Schaue grünend Wies' an Wiese,

Anger, Garten, Dorf und Wald. –

Komm nun aber und genieße,

Denn die Sonne scheidet bald. –

Dort im Fernsten ziehen Segel,

Suchen nächtlich sichern Port.

Kennen doch ihr Nest die Vögel;

Denn jetzt ist der Hafen dort.

So erblickst du in der Weite

Erst des Meeres blauen Saum,

Rechts und links, in aller Breite,

Dichtgedrängt bewohnten Raum.


Am Tische zu drei, im Gärtchen.


BAUCIS.

Bleibst du stumm? und keinen Bissen

Bringst du zum verlechzten Mund?[334]

PHILEMON.

Möcht' er doch vom Wunder wissen;

Sprichst so gerne, tu's ihm kund.

BAUCIS.

Wohl! ein Wunder ist's gewesen!

Läßt mich heut noch nicht in Ruh;

Denn es ging das ganze Wesen

Nicht mit rechten Dingen zu.

PHILEMON.

Kann der Kaiser sich versünd'gen,

Der das Ufer ihm verliehn?

Tät's ein Herold nicht verkünd'gen

Schmetternd im Vorüberziehn?

Nicht entfernt von unsern Dünen

Ward der erste Fuß gefaßt,

Zelte, Hütten! – Doch im Grünen

Richtet bald sich ein Palast.

BAUCIS.

Tags umsonst die Knechte lärmten,

Hack' und Schaufel, Schlag um Schlag;

Wo die Flämmchen nächtig schwärmten,

Stand ein Damm den andern Tag.

Menschenopfer mußten bluten,

Nachts erscholl des Jammers Qual;

Meerab flossen Feuergluten,

Morgens war es ein Kanal.

Gottlos ist er, ihn gelüstet

Unsre Hütte, unser Hain;

Wie er sich als Nachbar brüstet,

Soll man untertänig sein.

PHILEMON.

Hat er uns doch angeboten

Schönes Gut im neuen Land!

BAUCIS.

Traue nicht dem Wasserboden,

Halt auf deiner Höhe stand!

PHILEMON.

Laßt uns zur Kapelle treten,

Letzten Sonnenblick zu schaun!

Laßt uns läuten, knieen, beten

Und dem alten Gott vertraun![335]

Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 3, Hamburg 1948 ff, S. 333-336.
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