[181] Auf Olympus.
Jupiter. Merkur.
MERKUR.
Greuel – Vater Jupiter – Hochverrat!
Minerva, deine Tochter,
Steht dem Rebellen bei,[181]
Hat ihm den Lebensquell eröffnet
Und seinen lettnen Hof,
Seine Welt von Ton
Um ihn belebt.
Gleich uns bewegen sie sich all
Und weben, jauchzen um ihn her,
Wie wir um dich.
O, deine Donner, Zeus!
JUPITER.
Sie sind! und werden sein!
Und sollen sein!
Über alles, was ist
Unter dem weiten Himmel,
Auf der unendlichen Erde,
Ist mein die Herrschaft.
Das Wurmgeschlecht vermehret
Die Anzahl meiner Knechte.
Wohl ihnen, wenn sie meiner Vatersleitung folgen;
Weh ihnen, wenn sie meinem Fürstenarm
Sich widersetzen.
MERKUR.
Allvater! Du Allgütiger,
Der du die Missetat vergibst Verbrechern,
Sei Liebe dir und Preis
Von aller Erd und Himmel!
O, sende mich, daß ich verkünde
Dem armen, erdgebornen Volk
Dich, Vater, deine Güte, deine Macht!
JUPITER.
Noch nicht! In neugeborner Jugendwonne
Wähnt ihre Seele sich göttergleich.
Sie werden dich nicht hören, bis sie dein
Bedürfen. Überlaß sie ihrem Leben!
MERKUR.
So weis' als gütig!
Tal am Fuße des Olympus
PROMETHEUS.
Sieh nieder, Zeus,
Auf meine Welt: sie lebt!
Ich habe sie geformt nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, weinen, zu genießen und zu freuen sich[182]
Und dein nicht zu achten
Wie ich!
Man sieht das Menschengeschlecht durchs ganze Tal verbreitet. Sie sind auf Bäume geklettert, Früchte zu brechen, sie baden sich im Wasser, sie laufen um die Wette auf der Wiese; Mädchen beschäftigen sich, Blumen zu brechen und Kränzgen zu flechten.
Ein Mann mit abgehauenen jungen Bäumen tritt zu Prometheus.
MANN.
Sieh hier die Bäume,
Wie du sie verlangtest.
PROMETHEUS.
Wie brachtest du
Sie von dem Boden?
MANN.
Mit diesem scharfen Steine hab ich sie
Glatt an der Wurzel weggerissen.
PROMETHEUS.
Erst ab die Äste! –
Dann hier rammle diesen
Schief in den Boden hier
Und diesen hier, so gegenüber;
Und oben verbinde sie! –
Dann wieder zwei hier hinten hin
Und oben einen quer darüber.
Nun die Äste herab von oben
Bis zur Erde,
Verbunden und verschlungen die,
Und Rasen ringsumher,
Die Äste drüber, mehr,
Bis daß kein Sonnenlicht,
Kein Regen, Wind durchdringe.
Hier, lieber Sohn, ein Schutz und eine Hütte!
MANN.
Dank, teurer Vater, tausend Dank!
Sag, dürfen alle meine Brüder wohnen
In meiner Hütte?
PROMETHEUS.
Nein!
Du hast sie dir gebaut und sie ist dein.
Du kannst sie teilen,
Mit wem du willst.
Wer wohnen will, der bau sich selber eine.
Prometheus ab.
[183] Zwei Männer.
ERSTER.
Du sollst kein Stück
Von meinen Ziegen nehmen,
Sie sind mir, mein!
ZWEITER.
Woher?
ERSTER.
Ich habe gestern Tag und Nacht
Auf dem Gebirg herumgeklettert,
Und mit saurem Schweiß
Lebendig sie gefangen,
Diese Nacht bewacht,
Sie eingeschlossen hier
Mit Stein und Ästen.
ZWEITER.
Nun gib mir eins!
Ich habe gestern auch eine erlegt,
Am Feuer sie gezeitigt
Und gessen mit meinen Brüdern.
Brauchst du heut mehr als eine?
Wir fangen morgen wieder.
ERSTER.
Bleib mir von meinen Schafen!
ZWEITER.
Doch!
Erster will ihn abhalten, Zweiter gibt ihm einen Stoß, daß er umstürzt, der nimmt eine Ziege und fort.
ERSTER.
Gewalt! Weh! Weh!
PROMETHEUS kommt.
Was gibt's?
MANN.
Er raubt mir meine Ziegen! –
Blut rieselt sich von meinem Haupt –.
Er schmetterte
Mich wider diesen Stein.
PROMETHEUS.
Reiß da vom Baume diesen Schwamm
Und leg ihn auf die Wunde!
MANN.
So – teurer Vater!
Schon ist es gestillt.
PROMETHEUS.
Geh, wasch dein Angesicht.
MANN.
Und meine Ziege?
PROMETHEUS.
Laß ihn!
Ist seine Hand wider jedermann,
Wird jedermanns Hand sein wider ihn.
Mann ab.
PROMETHEUS.
Ihr seid nicht ausgeartet, meine Kinder,[184]
Seid arbeitsam und faul,
Und grausam mild,
Freigebig geizig,
Gleichet all euren Schicksalsbrüdern,
Gleichet den Tieren und den Göttern.
Pandora kommt.
PROMETHEUS.
Was hast du, meine Tochter,
Wie so bewegt?
PANDORA.
Mein Vater!
Ach, was ich sah, mein Vater,
Was ich fühlte!
PROMETHEUS.
Nun?
PANDORA.
O, meine arme Mira! –
PROMETHEUS.
Was ist ihr?
PANDORA.
Namenlose Gefühle!
Ich sah sie zu dem Waldgebüsche gehn,
Wo wir so oft uns Blumenkränze pflücken;
Ich folgt ihr nach,
Und, ach, wie ich vom Hügel komme,
Seh ich sie, im Tal auf einen Rasen hingesunken.
Zum Glück war Arbar ohngefähr im Wald.
Er hielt sie fest in seinen Armen,
Wollte sie nicht sinken lassen,
Und, ach, sank mit ihr hin.
Ihr schönes Haupt entsank,
Er küßte sie tausendmal
Und hing an ihrem Munde,
Um seinen Geist ihr einzuhauchen.
Mir ward bang, ich sprang hinzu und schrie,
Mein Schrei eröffnet ihr die Sinnen.
Arbar ließ sie; sie sprang auf,
Und, ach, mit halb gebrochnen Augen
Fiel sie mir um den Hals.
Ihr Busen schlug,
Als wollt er reißen,
Ihre Wangen glühten,
Es lechzt' ihr Mund, und tausend Tränen stürzten.
Ich fühlte wieder ihre Kniee wanken
Und hielt sie, teurer Vater,[185]
Und ihre Küsse, ihre Glut
Hat solch ein neues unbekanntes Gefühl
Durch meine Adern durchgegossen,
Daß ich verwirrt, bewegt
Und weinend endlich sie ließ
Und Wald und Feld,
Zu dir, mein Vater! Sag,
Was ist das alles, was sie erschüttert
Und mich?
PROMETHEUS.
Der Tod!
PANDORA.
Was ist das?
PROMETHEUS.
Meine Tochter,
Du hast der Freuden viel genossen.
PANDORA.
Tausendfach! Dir dank ich's all.
PROMETHEUS.
Pandora, dein Busen schlug
Der kommenden Sonne,
Dem wandlenden Mond entgegen,
Und in den Küssen deiner Gespielen
Genossest du die reinste Seligkeit.
PANDORA.
Unaussprechlich!
PROMETHEUS.
Was hub im Tanze deinen Körper
Leicht auf vom Boden?
PANDORA.
Freude!
Wie jedes Glied gerührt vom Sang und Spiel
Bewegte, regte sich, ich ganz in Melodie verschwamm.
PROMETHEUS.
Und alles löst sich endlich auf in Schlaf,
So Freud als Schmerz.
Du hast gefühlt der Sonne Glut,
Des Durstes Lechzen,
Deiner Kniee Müdigkeit,
Hast über dein verlornes Schaf geweint,
Und wie geächzt, gezittert,
Als du im Wald den Dorn dir in die Ferse tratst,
Eh ich dich heilte.
PANDORA.
Mancherlei, mein Vater, ist des Lebens Wonn
Und Weh!
PROMETHEUS.
Und du fühlst an deinem Herzen,
Daß noch der Freuden viele sind,
Noch der Schmerzen, die du nicht kennst.[186]
PANDORA.
Wohl, wohl! – Dies Herze sehnt sich oft
Ach nirgend hin und überall doch hin!
PROMETHEUS.
Da ist ein Augenblick, der alles erfüllt,
Alles, was wir gesehnt, geträumt, gehofft,
Gefürchtet, meine Beste, – das ist der Tod!
PANDORA.
Der Tod?
PROMETHEUS.
Wenn aus dem innerst tiefsten Grunde
Du ganz erschüttert alles fühlst,
Was Freud und Schmerzen jemals dir ergossen,
Im Sturm dein Herz erschwillt,
In Tränen sich erleichtern will und seine Glut vermehrt,
Und alles klingt an dir und bebt und zittert,
Und all die Sinne dir vergehn,
Und du dir zu vergehen scheinst
Und sinkst, und alles um dich her
Versinkt in Nacht, und du, in inner eigenem Gefühle,
Umfassest eine Welt:
Dann stirbt der Mensch.
PANDORA ihn umhalsend.
O, Vater, laß uns sterben!
PROMETHEUS.
Noch nicht.
PANDORA.
Und nach dem Tod?
PROMETHEUS.
Wenn alles – Begier und Freud und Schmerz –
Im stürmenden Genuß sich aufgelöst,
Dann sich erquickt in Wonneschlaf, –
Dann lebst du auf, aufs jüngste wieder auf,
Aufs neue zu fürchten, zu hoffen und zu begehren!
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Prometheus
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