Zweiter Auftritt


[79] Die Vorigen. Alfons.


ALFONS.

Ich suche Tasso, den ich nirgends finde,

Und treff ihn – hier sogar bei euch nicht an.

Könnt ihr von ihm mir keine Nachricht geben?

PRINZESSIN.

Ich sah ihn gestern wenig, heute nicht.[79]

ALFONS.

Es ist ein alter Fehler, daß er mehr

Die Einsamkeit als die Gesellschaft sucht.

Verzeih ich ihm, wenn er den bunten Schwarm

Der Menschen flieht, und lieber frei im Stillen

Mit seinem Geist sich unterhalten mag,

So kann ich doch nicht loben daß er selbst

Den Kreis vermeidet den die Freunde schließen.

LEONORE.

Irr ich mich nicht, so wirst du bald, o Fürst

Den Tadel in ein frohes Lob verwandeln.

Ich sah ihn heut von fern; er hielt ein Buch

Und eine Tafel, schrieb und ging und schrieb.

Ein flüchtig Wort das er mir gestern sagte

Schien mir sein Werk vollendet anzukünden.

Er sorgt nur kleine Züge zu verbessern,

Um deiner Huld, die ihm so viel gewährt,

Ein würdig Opfer endlich darzubringen.

ALFONS.

Er soll willkommen sein wenn er es bringt

Und losgesprochen sein auf lange Zeit.

So sehr ich teil an seiner Arbeit nehme,

So sehr in manchem Sinn das große Werk

Mich freut und freuen muß, so sehr vermehrt

Sich auch zuletzt die Ungeduld in mir.

Er kann nicht enden, kann nicht fertig werden,

Er ändert stets, ruckt langsam weiter vor,

Steht wieder still, er hintergeht die Hoffnung;

Unwillig sieht man den Genuß entfernt

In späte Zeit, den man so nah geglaubt.

PRINZESSIN.

Ich lobe die Bescheidenheit, die Sorge,

Womit er Schritt vor Schritt zum Ziele geht.

Nur durch die Gunst der Musen schließen sich

So viele Reime fest in eins zusammen;

Und seine Seele hegt nur diesen Trieb,

Es soll sich sein Gedicht zum Ganzen ründen.

Er will nicht Märchen über Märchen häufen,

Die reizend unterhalten und zuletzt

Wie lose Worte nur verklingend täuschen.

Laß ihn, mein Bruder! denn es ist die Zeit

Von einem guten Werke nicht das Maß;

Und wenn die Nachwelt mit genießen soll,[80]

So muß des Künstlers Mitwelt sich vergessen.

ALFONS.

Laß uns zusammen, liebe Schwester, wirken,

Wie wir zu beider Vorteil oft getan!

Wenn ich zu eifrig bin, so lindre du:

Und bist du zu gelind, so will ich treiben.

Wir sehen dann auf einmal ihn vielleicht

Am Ziel, wo wir ihn lang gewünscht zu sehn.

Dann soll das Vaterland, es soll die Welt

Erstaunen, welch ein Werk vollendet worden.

Ich nehme meinen Teil des Ruhms davon,

Und er wird in das Leben eingeführt.

Ein edler Mensch kann einem engen Kreise

Nicht seine Bildung danken. Vaterland

Und Welt muß auf ihn wirken. Ruhm und Tadel

Muß er ertragen lernen. Sich und andre

Wird er gezwungen recht zu kennen. Ihn

Wiegt nicht die Einsamkeit mehr schmeichelnd ein.

Es will der Feind – es darf der Freund nicht schonen:

Dann übt der Jüngling streitend seine Kräfte,

Fühlt was er ist und fühlt sich bald ein Mann.

LEONORE.

So wirst du, Herr, für ihn noch alles tun,

Wie du bisher für ihn schon viel getan.

Es bildet ein Talent sich in der Stille,

Sich ein Charakter in dem Strom der Welt.

O daß er sein Gemüt wie seine Kunst.

An deinen Lehren bilde! daß er nicht

Die Menschen länger meide, daß sein Argwohn

Sich nicht zuletzt in Furcht und Haß verwandle!

ALFONS.

Die Menschen fürchtet nur wer sie nicht kennt,

Und wer sie meidet wird sie bald verkennen.

Das ist sein Fall, und so wird nach und nach

Ein frei Gemüt verworren und gefesselt.

So ist er oft um meine Gunst besorgt

Weit mehr als es ihm ziemte; gegen viele

Hegt er ein Mißtraun, die, ich weiß es sicher,

Nicht seine Feinde sind. Begegnet ja

Daß sich ein Brief verirrt, daß ein Bedienter

Aus seinem Dienst in einen andern geht,

Daß ein Papier aus seinen Händen kommt,[81]

Gleich sieht er Absicht, sieht Verräterei

Und Tücke die sein Schicksal untergräbt.

PRINZESSIN.

Laß uns, geliebter Bruder, nicht vergessen

Daß von sich selbst der Mensch nicht scheiden kann

Und wenn ein Freund, der mit uns wandeln sollte,

Sich einen Fuß beschädigte, wir würden

Doch lieber langsam gehn und unsre Hand

Ihm gern und willig leihen?

ALFONS.

Besser wär's,

Wenn wir ihn heilen könnten, lieber gleich

Auf treuen Rat des Arztes eine Kur

Versuchten, dann mit dem Geheilten froh

Den neuen Weg des frischen Lebens gingen.

Doch hoff ich, meine Lieben, daß ich nie

Die Schuld des rauhen Arztes auf mich lade.

Ich tue was ich kann um Sicherheit

Und Zutraun seinem Busen einzuprägen.

Ich geb ihm oft in Gegenwart von vielen

Entschiedne Zeichen meiner Gunst. Beklagt

Er sich bei mir, so laß ich's untersuchen;

Wie ich es tat, als er sein Zimmer neulich

Erbrochen glaubte. Läßt sich nichts entdecken,

So zeig ich ihm gelassen wie ich's sehe;

Und da man alles üben muß, so üb ich,

Weil er's verdient, an Tasso die Geduld;

Und ihr, ich weiß es, steht mir willig bei.

Ich hab euch nun aufs Land gebracht und gehe

Heut abend nach der Stadt zurück. Ihr werdet

Auf einen Augenblick Antonio sehen,

Er kommt von Rom und holt mich ab. Wir haben

Viel auszureden, abzutun. Entschlüsse

Sind nun zu fassen, Briefe viel zu schreiben,

Das alles nötigt mich zur Stadt zurück.

PRINZESSIN.

Erlaubst du uns daß wir dich hinbegleiten

ALFONS.

Bleibt nur in Belriguardo, geht zusammen

Hinüber nach Consandoli! Genießt

Der schönen Tage ganz nach freier Lust.

PRINZESSIN.

Du kannst nicht bei uns bleiben? die Geschäfte

Nicht hier so gut als in der Stadt verrichten?[82]

LEONORE.

Du führst uns gleich Antonio hinweg,

Der uns von Rom so viel erzählen sollte?

ALFONS.

Es geht nicht an, ihr Kinder; doch ich komme

Mit ihm so bald als möglich ist, zurück:

Dann soll er euch erzählen und ihr sollt

Mir ihn belohnen helfen, der so viel

In meinem Dienst aufs neue sich bemüht.

Und haben wir uns wieder ausgesprochen,

So mag der Schwarm dann kommen, daß es lustig

In unsern Gärten werde, daß auch mir,

Wie billig, eine Schönheit in dem Kühlen

Wenn ich sie suche gern begegnen mag.

LEONORE.

Wir wollen freundlich durch die Finger sehen.

ALFONS.

Dagegen wißt ihr daß ich schonen kann.

PRINZESSIN nach der Szene gekehrt.

Schon lange seh ich Tasso kommen. Langsam

Bewegt er seine Schritte, steht bisweilen

Auf einmal still, wie unentschlossen, geht

Dann wieder schneller auf uns los, und weilt

Schon wieder.

ALFONS.

Stört ihn, wenn er denkt und dichtet,

In seinen Träumen nicht, und laßt ihn wandeln.

LEONORE.

Nein, er hat uns gesehn, er kommt hierher.


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 79-83.
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