Vierter Auftritt


[126] Leonore. Antonio.


LEONORE.

Du bringst uns Krieg statt Frieden; scheint es doch,

Du kommst aus einem Lager, einer Schlacht,

Wo die Gewalt regiert, die Faust entscheidet,

Und nicht von Rom, wo feierliche Klugheit

Die Hände segnend hebt, und eine Welt

Zu ihren Füßen sieht, die gern gehorcht.

ANTONIO.

Ich muß den Tadel, schöne Freundin, dulden,

Doch die Entschuldgung liegt nicht weit davon.

Es ist gefährlich, wenn man allzu lang

Sich klug und mäßig zeigen muß. Es lauert

Der böse Genius dir an der Seite

Und will gewaltsam auch von Zeit zu Zeit[126]

Ein Opfer haben. Leider hab ich's diesmal

Auf meiner Freunde Kosten ihm gebracht.

LEONORE.

Du hast um fremde Menschen dich so lang

Bemüht und dich nach ihrem Sinn gerichtet:

Nun, da du deine Freunde wieder siehst,

Verkennst du sie und rechtest wie mit Fremden.

ANTONIO.

Da liegt, geliebte Freundin, die Gefahr!

Mit fremden Menschen nimmt man sich zusammen,

Da merkt man auf, da sucht man seinen Zweck

In ihrer Gunst, damit sie nutzen sollen.

Allein bei Freunden läßt man frei sich gehn,

Man ruht in ihrer Liebe, man erlaubt

Sich eine Laune, ungezähmter wirkt

Die Leidenschaft, und so verletzen wir

Am ersten die, die wir am zartsten lieben.

LEONORE.

In dieser ruhigen Betrachtung find ich dich

Schon ganz, mein teurer Freund, mit Freuden wieder.

ANTONIO.

Ja, mich verdrießt – und ich bekenn es gern –

Daß ich mich heut so ohne Maß verlor.

Allein gestehe, wenn ein wackrer Mann

Mit heißer Stirn von saurer Arbeit kommt

Und spät am Abend in ersehntem Schatten

Zu neuer Mühe auszuruhen denkt,

Und findet dann von einem Müßiggänger

Den Schatten breit besessen, soll er nicht

Auch etwas Menschlichs in dem Busen fühlen?

LEONORE.

Wenn er recht menschlich ist, so wird er auch

Den Schatten gern mit einem Manne teilen,

Der ihm die Ruhe süß, die Arbeit leicht

Durch ein Gespräch, durch holde Töne macht.

Der Baum ist breit, mein Freund, der Schatten gibt,

Und keiner braucht den andern zu verdrängen.

ANTONIO.

Wir wollen uns, Eleonore, nicht

Mit einem Gleichnis hin und wider spielen.

Gar viele Dinge sind in dieser Welt,

Die man dem andern gönnt und gerne teilt;

Jedoch es ist ein Schatz, den man allein

Dem Hochverdienten gerne gönnen mag,

Ein andrer, den man mit dem Höchstverdienten[127]

Mit gutem Willen niemals teilen wird –

Und fragst du mich nach diesen beiden Schätzen;

Der Lorbeer ist es und die Gunst der Frauen.

LEONORE.

Hat jener Kranz um unsers Jünglings Haupt

Den ernsten Mann beleidigt? Hättest du

Für seine Mühe, seine schöne Dichtung

Bescheidnern Lohn doch selbst nicht finden können.

Denn ein Verdienst, das außerirdisch ist,

Das in den Lüften schwebt, in Tönen nur,

In leichten Bildern unsern Geist umgaukelt,

Es wird denn auch mit einem schönen Bilde,

Mit einem holden Zeichen nur belohnt;

Und wenn er selbst die Erde kaum berührt,

Berührt der höchste Lohn ihm kaum das Haupt.

Ein unfruchtbarer Zweig ist das Geschenk,

Das der Verehrer unfruchtbare Neigung

Ihm gerne bringt, damit sie einer Schuld

Aufs leichtste sich entlade. Du mißgönnst

Dem Bild des Märtyrers den goldnen Schein

Ums kahle Haupt wohl schwerlich; und gewiß,

Der Lorbeerkranz ist, wo er dir erscheint,

Ein Zeichen mehr des Leidens als des Glücks.

ANTONIO.

Will etwa mich dein liebenswürdger Mund

Die Eitelkeit der Welt verachten lehren?

LEONORE.

Ein jedes Gut nach seinem Wert zu schätzen

Brauch ich dich nicht zu lehren. Aber doch,

Es scheint, von Zeit zu Zeit bedarf der Weise,

So sehr wie andre, daß man ihm die Güter,

Die er besitzt, im rechten Lichte zeige.

Du, edler Mann, du wirst an ein Phantom

Von Gunst und Ehre keinen Anspruch machen.

Der Dienst, mit dem du deinem Fürsten dich,

Mit dem du deine Freunde dir verbindest,

Ist wirkend, ist lebendig, und so muß

Der Lohn auch wirklich und lebendig sein.

Dein Lorbeer ist das fürstliche Vertraun,

Das auf den Schultern dir, als liebe Last

Gehäuft und leicht getragen ruht; es ist

Dein Ruhm das allgemeine Zutraun.[128]

ANTONIO.

Und von der Gunst der Frauen sagst du nichts,

Die willst du mir doch nicht entbehrlich schildern?

LEONORE.

Wie man es nimmt. Denn du entbehrst sie nicht

Und leichter wäre sie dir zu entbehren,

Als sie es jenem guten Mann nicht ist.

Denn sag, geläng es einer Frau, wenn sie

Nach ihrer Art für dich zu sorgen dächte,

Mit dir sich zu beschäftgen unternähme?

Bei dir ist alles Ordnung, Sicherheit;

Du sorgst für dich, wie du für andre sorgst,

Du hast was man dir geben möchte. Jener

Beschäftigt uns in unserm eignen Fache.

Ihm fehlt's an tausend Kleinigkeiten, die

Zu schaffen eine Frau sich gern bemüht.

Das schönste Leinenzeug, ein seiden Kleid

Mit etwas Stickerei, das trägt er gern.

Er sieht sich gern geputzt, vielmehr, er kann

Unedlen Stoff, der nur den Knecht bezeichnet,

An seinem Leib nicht dulden, alles soll

Ihm fein und gut und schön und edel stehn.

Und dennoch hat er kein Geschick, das alles

Sich anzuschaffen, wenn er es besitzt,

Sich zu erhalten; immer fehlt es ihm

An Geld, an Sorgsamkeit, bald läßt er da

Ein Stück, bald eines dort. Er kehret nie

Von einer Reise wieder, daß ihm nicht

Ein Dritteil seiner Sachen fehle. Bald

Bestiehlt ihn der Bediente. So, Antonio,

Hat man für ihn das ganze Jahr zu sorgen.

ANTONIO.

Und diese Sorge macht ihn lieb und lieber.

Glückselger Jüngling, dem man seine Mängel

Zur Tugend rechnet, dem so schön vergönnt ist,

Den Knaben noch als Mann zu spielen, der

Sich seiner holden Schwäche rühmen darf!

Du müßtest mir verzeihen, schöne Freundin,

Wenn ich auch hier ein wenig bitter würde.

Du sagst nicht alles, sagst nicht was er wagt,

Und daß er klüger ist, als wie man denkt.

Er rühmt sich zweier Flammen! knüpft und löst[129]

Die Knoten hin und wider, und gewinnt

Mit solchen Künsten solche Herzen! Ist's

Zu glauben?

LEONORE.

Gut! Selbst das beweist ja schon,

Daß es nur Freundschaft ist, was uns belebt.

Und wenn wir denn auch Lieb um Liebe tauschten,

Belohnten wir das schöne Herz nicht billig,

Das ganz sich selbst vergißt und hingegeben

Im holden Traum für seine Freunde lebt?

ANTONIO.

Verwöhnt ihn nur und immer mehr und mehr,

Laßt seine Selbstigkeit für Liebe gelten,

Beleidigt alle Freunde, die sich euch

Mit treuer Seele widmen! Gebt dem Stolzen

Freiwilligen Tribut, zerstöret ganz

Den schönen Kreis geselligen Vertrauns!

LEONORE.

Wir sind nicht so parteiisch wie du glaubst,

Ermahnen unsern Freund in manchen Fällen;

Wir wünschen ihn zu bilden, daß er mehr

Sich selbst genieße, mehr sich zu genießen

Den andern geben könne. Was an ihm

Zu tadeln ist, das bleibt uns nicht verborgen.

ANTONIO.

Doch lobt ihr vieles was zu tadeln wäre.

Ich kenn ihn lang, er ist so leicht zu kennen,

Und ist zu stolz sich zu verbergen. Bald

Versinkt er in sich selbst, als wäre ganz

Die Welt in seinem Busen, er sich ganz

In seiner Welt genug, und alles rings

Umher verschwindet ihm. Er läßt es gehn,

Läßt's fallen, stößt's hinweg und ruht in sich –

Auf einmal, wie ein unbemerkter Funke

Die Mine zündet, sei es Freude, Leid,

Zorn oder Grille, heftig bricht er aus:

Dann will er alles fassen, alles halten,

Dann soll geschehn was er sich denken mag;

In einem Augenblicke soll entstehn,

Was Jahre lang bereitet werden sollte,

In einem Augenblick gehoben sein,

Was Mühe kaum in Jahren lösen könnte.

Er fordert das Unmögliche von sich,[130]

Damit er es von andern fordern dürfe,

Die letzten Enden aller Dinge will

Sein Geist zusammen fassen; das gelingt

Kaum einem unter Millionen Menschen,

Und er ist nicht der Mann: er fällt zuletzt,

Um nichts gebessert, in sich selbst zurück.

LEONORE.

Er schadet andern nicht, er schadet sich.

ANTONIO.

Und doch verletzt er andre nur zu sehr.

Kannst du es leugnen, daß im Augenblick

Der Leidenschaft, die ihn behend ergreift,

Er auf den Fürsten, auf die Fürstin selbst,

Auf wen es sei, zu schmähn, zu lästern wagt?

Zwar augenblicklich nur, allein genug,

Der Augenblick kommt wieder: er beherrscht

So wenig seinen Mund als seine Brust.

LEONORE.

Ich sollte denken, wenn er sich von hier

Auf eine kurze Zeit entfernte, sollt

Es wohl für ihn und andre nützlich sein.

ANTONIO.

Vielleicht, vielleicht auch nicht. Doch eben jetzt

Ist nicht daran zu denken. Denn ich will

Den Fehler nicht auf meine Schultern laden,

Es könnte scheinen, daß ich ihn vertreibe,

Und ich vertreib ihn nicht. Um meinetwillen

Kann er an unserm Hofe ruhig bleiben;

Und wenn er sich mit mir versöhnen will,

Und wenn er meinen Rat befolgen kann,

So werden wir ganz leidlich leben können.

LEONORE.

Nun hoffst du selbst auf ein Gemüt zu wirken,

Das dir vor kurzem noch verloren schien.

ANTONIO.

Wir hoffen immer, und in allen Dingen

Ist besser hoffen als verzweifeln. Denn

Wer kann das Mögliche berechnen? Er

Ist unserm Fürsten wert. Er muß uns bleiben.

Und bilden wir dann auch umsonst an ihm,

So ist er nicht der einzge den wir dulden.

LEONORE.

So ohne Leidenschaft, so unparteiisch

Glaubt ich dich nicht. Du hast dich schnell bekehrt.

ANTONIO.

Das Alter muß doch einen Vorzug haben,

Daß wenn es auch dem Irrtum nicht entgeht,[131]

Es doch sich auf der Stelle fassen kann.

Du warst, mich deinem Freunde zu versöhnen,

Zuerst bemüht. Nun bitt ich es von dir.

Tu was du kannst, daß dieser Mann sich finde,

Und alles wieder bald im gleichen sei.

Ich gehe selbst zu ihm, sobald ich nur

Von dir erfahre, daß er ruhig ist,

Sobald du glaubst, daß meine Gegenwart

Das Übel nicht vermehrt. Doch was du tust,

Das tu in dieser Stunde; denn es geht

Alfons heut abend noch zurück, und ich

Werd ihn begleiten. Leb indessen wohl.


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 126-132.
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