Erster Auftritt


[132] Zimmer.


TASSO allein.

Bist du aus einem Traum erwacht und hat

Der schöne Trug auf einmal dich verlassen?

Hat dich nach einem Tag der höchsten Lust

Ein Schlaf gebändigt, hält und ängstet nun

Mit schweren Fesseln deine Seele? Ja,

Du wachst und träumst. Wo sind die Stunden hin,

Die um dein Haupt mit Blumenkränzen spielten?

Die Tage, wo dein Geist mit freier Sehnsucht

Des Himmels ausgespanntes Blau durchdrang?

Und dennoch lebst du noch und fühlst dich an,

Du fühlst dich an und weißt nicht ob du lebst.[132]

Ist's meine Schuld, ist's eines andern Schuld,

Daß ich mich nun als schuldig hier befinde?

Hab ich verbrochen, daß ich leiden soll?

Ist nicht mein ganzer Fehler ein Verdienst?

Ich sah ihn an und ward vom guten Willen,

Vom Hoffnungswahn des Herzens übereilt:

Der sei ein Mensch, der menschlich Ansehn trägt.

Ich ging mit offnen Armen auf ihn los,

Und fühlte Schloß und Riegel, keine Brust.

O hatt ich doch so klug mir ausgedacht,

Wie ich den Mann empfangen wollte, der

Von alten Zeiten mir verdächtig war!

Allein was immer dir begegnet sei,

So halte dich an der Gewißheit fest:

Ich habe sie gesehn! Sie stand vor mir!

Sie sprach zu mir, ich habe sie vernommen!

Der Blick, der Ton, der Worte holder Sinn,

Sie sind auf ewig mein, es raubt sie nicht

Die Zeit, das Schicksal, noch das wilde Glück.

Und hob mein Geist sich da zu schnell empor,

Und ließ ich allzurasch in meinem Busen

Der Flamme Luft, die mich nun ganz verzehrt,

So kann mich's nicht gereun, und wäre selbst

Auf ewig das Geschick des Lebens hin.

Ich widmete mich ihr und folgte froh

Dem Winke, der mich ins Verderben rief.

Es sei! So hab ich mich doch wert gezeigt

Des köstlichen Vertrauns, das mich erquickt,

In dieser Stunde selbst erquickt, die mir

Die schwarze Pforte langer Trauerzeit

Gewaltsam öffnet. – Ja, nun ist's getan!

Es geht die Sonne mir der schönsten Gunst

Auf einmal unter; seinen holden Blick

Entziehet mir der Fürst, und läßt mich hier

Auf düstrem, schmalen Pfad verloren stehn.

Das häßliche zweideutige Geflügel,

Das leidige Gefolg der alten Nacht,

Es schwärmt hervor und schwirrt mir um das Haupt.

Wohin, wohin beweg ich meinen Schritt?[133]

Dem Ekel zu entfliehn, der mich umsaust,

Dem Abgrund zu entgehn, der vor mir liegt?


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 132-134.
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