Der Bräutigam

[103] Um Mitternacht – ich schlief, im Busen wachte

Das liebevolle Herz, als wär es Tag;

Der Tag erschien, mir war, als ob es nachte –

Was ist es mir, soviel er bringen mag.


Sie fehlte ja, mein emsig Tun und Streben,

Für sie allein ertrug ich's durch die Glut

Der heißen Stunde; welch erquicktes Leben

Am kühlen Abend! lohnend war's und gut.
[103]

Die Sonne sank, und Hand in Hand verpflichtet

Begrüßten wir den letzten Segensblick,

Und Auge sprach, ins Auge klar gerichtet:

Von Osten, hoffe nur, sie kommt zurück.


Um Mitternacht – der Sterne Glanz geleitet

Im holden Traum zur Schwelle, wo sie ruht.

O sei auch mir dort auszuruhn bereitet,

Wie es auch sei, das Leben, es ist gut.
[104]

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 2, Berlin 1960 ff, S. 103-105.
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