An die Unschuld

[49] Schönste Tugend einer Seele,

Reinster Quell der Zärtlichkeit!

Mehr als Biron, als Pamele

Ideal und Seltenheit!

Wenn ein andres Feuer brennet,

Flieht dein zärtlich schwaches Licht;

Dich fühlt nur, wer dich nicht kennet,

Wer dich kennt, der fühlt dich nicht.
[49]

Göttin, in dem Paradiese

Lebtest du mit uns vereint;

Noch erscheinst du mancher Wiese

Morgens, eh die Sonne scheint.

Nur der sanfte Dichter siehet

Dich im Nebelkleide ziehn;

Phöbus kömmt, der Nebel fliehet,

Und im Nebel bist du hin.


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 2, Berlin 1960 ff, S. 49-50.
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