Ritter Kurts Brautfahrt

[122] Mit des Bräutigams Behagen

Schwingt sich Ritter Kurt aufs Roß;

Zu der Trauung soll's ihn tragen,

Auf der edlen Liebsten Schloß:

Als am öden Felsenorte

Drohend sich ein Gegner naht;

Ohne Zögern, ohne Worte

Schreiten sie zu rascher Tat.


Lange schwankt des Kampfes Welle,

Bis sich Kurt im Siege freut;

Er entfernt sich von der Stelle,

Überwinder und gebleut.

Aber was er bald gewahret

In des Busches Zitterschein!

Mit dem Säugling still gepaaret

Schleicht ein Liebchen durch den Hain.


Und sie winkt ihm auf das Plätzchen:

»Lieber Herr, nicht so geschwind!

Habt Ihr nichts an Euer Schätzchen,

Habt Ihr nichts für Euer Kind?«

Ihn durchglühet süße Flamme,

Daß er nicht vorbeibegehrt,

Und er findet nun die Amme,

Wie die Jungfrau, liebenswert.


Doch er hört die Diener blasen,

Denket nun der hohen Braut,

Und nun wird auf seinen Straßen

Jahresfest und Markt so laut,

Und er wählet in den Buden

Manches Pfand zu Lieb und Huld;

Aber ach! da kommen Juden

Mit dem Schein vertagter Schuld.
[122]

Und nun halten die Gerichte

Den behenden Ritter auf.

O verteufelte Geschichte!

Heldenhafter Lebenslauf!

Soll ich heute mich gedulden?

Die Verlegenheit ist groß.

Widersacher, Weiber, Schulden,

Ach! kein Ritter wird sie los.


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 122-123.
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