Die glücklichen Gatten

[79] Nach diesem Frühlingsregen,

Den wir so warm erfleht,

Weibchen, o sieh den Segen,

Der unsre Flur durchweht.

Nur in der blauen Trübe

Verliert sich fern der Blick;

Hier wandelt noch die Liebe,

Hier hauset noch das Glück.


Das Pärchen weißer Tauben,

Du siehst, es fliegt dorthin,

Wo um besonnte Lauben

Gefüllte Veilchen blühn.

Dort banden wir zusammen

Den allerersten Strauß

Dort schlugen unsre Flammen

Zuerst gewaltig aus.


Doch als uns vom Altare,

Nach dem beliebten Ja,

Mit manchem jungen Paare

Der Pfarrer eilen sah,[79]

Da gingen andre Sonnen

Und andre Monden auf,

Da war die Welt gewonnen

Für unsern Lebenslauf.


Und hunderttausend Siegel

Bekräftigten den Bund,

Im Wäldchen auf dem Hügel,

Im Busch am Wiesengrund,

In Höhlen, im Gemäuer

Auf des Geklüftes Höh,

Und Amor trug das Feuer

Selbst in das Rohr am See.


Wir wandelten zufrieden,

Wir glaubten uns zu zwei;

Doch anders war's beschieden,

Und sieh! wir waren drei,

Und vier und fünf und sechse,

Sie saßen um den Topf,

Und nun sind die Gewächse

Fast all uns übern Kopf.


Und dort in schöner Fläche

Das neugebaute Haus

Umschlingen Pappelbäche,

So freundlich sieht's heraus.

Wer schaffte wohl da drüben

Sich diesen frohen Sitz?

Ist es mit seiner Lieben

Nicht unser braver Fritz?


Und wo im Felsengrunde

Der eingeklemmte Fluß

Sich schäumend aus dem Schlunde

Auf Räder stürzen muß:[80]

Man spricht von Müllerinnen

Und wie so schön sie sind;

Doch immer wird gewinnen

Dort hinten unser Kind.


Doch wo das Grün so dichte

Um Kirch und Rasen steht,

Da, wo die alte Fichte

Allein zum Himmel weht,

Da ruhet unsrer Toten

Frühzeitiges Geschick

Und leitet von dem Boden

Zum Himmel unsern Blick.


Es blitzen Waffenwogen

Den Hügel schwankend ab.

Das Heer, es kommt gezogen,

Das uns den Frieden gab.

Wer mit der Ehrenbinde

Bewegt sich stolz voraus?

Es gleichet unserm Kinde!

So kommt der Karl nach Haus.


Den liebsten aller Gäste

Bewirtet nun die Braut;

Sie wird am Friedensfeste

Dem Treuen angetraut.

Und zu den Feiertänzen

Drängt jeder sich herbei;

Da schmückest du mit Kränzen

Der jüngsten Kinder drei.


Bei Flöten und Schalmeien

Erneuert sich die Zeit,

Da wir uns einst im Reihen

Als junges Paar gefreut;[81]

Und in des Jahres Laufe,

Die Wonne fühl ich schon!

Begleiten wir zur Taufe

Den Enkel und den Sohn.


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 79-82.
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