Der Goldschmiedsgesell

[27] Es ist doch meine Nachbarin

Ein allerliebstes Mädchen!

Wie früh ich in der Werkstatt bin,

Blick ich nach ihrem Lädchen.
[27]

Zu Ring und Kette poch ich dann

Die feinen goldnen Drähtchen.

Ach, denk ich, wann, und wieder, wann

Ist solch ein Ring für Käthchen?


Und tut sie erst die Schaltern auf,

Da kommt das ganze Städtchen

Und feilscht und wirbt mit hellem Hauf

Ums Allerlei im Lädchen.


Ich feile; wohl zerfeil ich dann

Auch manches goldne Drähtchen.

Der Meister brummt, der harte Mann!

Er merkt, es war das Lädchen.


Und flugs, wie nur der Handel still,

Gleich greift sie nach dem Rädchen.

Ich weiß wohl, was sie spinnen will:

Es hofft das liebe Mädchen.


Das kleine Füßchen tritt und tritt;

Da denk ich mir das Wädchen,

Das Strumpfhand denk ich auch wohl mit,

Ich schenkt's dem lieben Mädchen.


Und nach den Lippen führt der Schatz

Das allerfeinste Fädchen.

O wär ich doch an seinem Platz,

Wie küßt ich mir das Mädchen!
[28]

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 27-29.
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