Frühling übers Jahr

[509] Das Beet, schon lockert

Sich's in die Höh,

Da wanken Glöckchen

So weiß wie Schnee;

Safran entfaltet

Gewalt'ge Glut,

Smaragden keimt es

Und keimt wie Blut.
[509]

Primeln stolzieren

So naseweis,

Schalkhafte Veilchen,

Versteckt mit Fleiß;

Was auch noch alles

Da regt und webt,

Genug, der Frühling,

Er wirkt und lebt.


Doch was im Garten

Am reichsten blüht,

Das ist des Liebchens

Lieblich Gemüt.

Da glühen Blicke

Mir immerfort,

Erregend Liedchen,

Erheiternd Wort,

Ein immer offen,

Ein Blütenherz,

Im Ernste freundlich

Und rein im Scherz.

Wenn Ros und Lilie

Der Sommer bringt,

Er doch vergebens

Mit Liebchen ringt.


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 509-510.
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