1776

[11] 1584.*


1776, Ende März oder Anfang April. (?)


Mit Christian Felix Weiße

Vor kurzem sprach ich Goethen, der, wie er sagt, seine literarische Laufbahn Lenzen überlassen.[11]


27.*


1776, April.


Mit Christoph Martin Wieland

Dieser Tage stritten Goethe und ich mit einem enthusiastischen Anbeter des Griechischen Homer über das Silbenmaß, das Sie zu Ihrer Übersetzung gewählt haben. Er bestand darauf, der Hexameter würde besser gewesen sein; wir, Sie hätten Recht gehabt, den Jamben vorzuziehen. Wir sind gewiß, daß es unnöthig wäre, Ihnen die Gründe pro und contra zu sagen: ohne mindesten Zweifel haben Sie das alles längst erwogen und durchgedacht. Aber vielleicht möcht' es doch von einigem Nutzen sein, wenn Sie etwan Ihre Gründe für den jambischen Vers (nisi quid obstat) in einem kleinen Sendschreiben an Goethen oder mich im Merkur bekannt machten. Wir behaupten, Homers Versification verliere in jeder Übersetzung nothwendig, würde aber im deutschen Hexameter weit mehr verlieren, als im jambischen Vers, der unsrer Meinung nach das ächte, alte, natürliche, heroische Metrum unsrer Sprache ist.[40]


28.*


1776, Mai.


Mit Christoph Martin Wieland

Die Allevills Papiere haben diesmal [im Teutschen Merkur] soviel Platz weggenommen, daß verschiedene[40] Recensionen liegen bleiben mußten ..... Was dünkt Euch übrigens von dem Manne, der so herrliche Materialien roh verkauft, und soviel hätte daran gewinnen können, wenn er sie verarbeitet hätte? Er ist gleich einem Manne, der auf seinem Gut einen köstlichen Marmorbruch von schönem milchweißen Marmor gefunden hätte, und weil er sich nun nicht die Mühe nehmen möchte, oder es nicht erwarten könnte, ihn zu brechen und in großen Stücken auf die Ebene herabzuführen und dann zu behauen und zu glätten und Götter und Helden und Wohnungen für Götter daraus zu machen, käm' er mit Brecheisen und Hammer, schlüge alles kurz und klein zusammen, und brächt's uns schubkarrenweise angefahren.

Das Gleichniß ist, wie Ihr seht, aus Goethens Hirnkasten, und paßt wie alle seine Gleichnisse nur gar zu wohl.[41]


29.*


1776, Juli.


Mit Friedrich Wilhelm Heinrich von Trebra

Ich war nur seit wenigen Tagen erst in diesen lebensvollen [weimarer] Zirkel eingetreten, angeschwommen aus einer Region, wo naher und ferner Dienstverhältnisse wegen das Benehmen geräuschlos, sehr klüglich still und forschend aus andern eingerichtet sein[41] mußte, alle frohe Herzensergießung zurückpressend – hier war alles erlaubt. Unbewacht ausgelassen zu sein, war hier wonicht gefordert, doch nicht ungern gesehen, wohl gar gewünscht. So hatte auch ich nach vorleuchtendem hohen Beispiel bald die Überzeugung erlangt, obwohl auch bis hierher Behutsamkeit gebietende Dienstverhältnisse mich begleitet hatten; denn daß alle übrige, hoher Adel und niederer und Bürger es glaubten, bewiesen allesammt mit Händen und Beinen im Gebrauch gegen sich unter einander und gegen die Höheren. »Nicht das,« – flüsterte der Ernstere von ihnen [Goethe] mir zu, den schon vom ersten Moment der Bekanntschaft an im Auge behielt – »nur von ihren Leibern haltet Euch fern, und duldet lieber, was sie körperlich Euch zufügen, wenn sie sich zur handfälligen Lustigkeit herablassen.«

Noch manche andere solche tiefliegende Wahrheiten hatte ich ihm schon abgehorcht, wo Großes im Wirken auf Bemerkungen im Kleinen lag. »Ich will mir auch gleich die Seitenhaare am Kopfe ganz wegschneiden!« war einmal der Einfall des höhern Frohsinns. »Das kann man bald machen,« war die Entgegnung des kalten Ernstern darauf, »nicht so, sie wieder wachsen machen.«[42]


1585.*


1776, 22. August.


Mit Friederike Marie Johanna

Fürstin von Hohenlohe-Kirchberg

En arrivant à Weimar, je rencontre notre Eule, den Schardt, je descend vîte de la voiture, et il me mena, chez sa soeur [Frau v. Stein] qui fût trèsétonnée de me voir. Je trouvais chez elle le fameux Goethe qui n'a pas l'air d'un Bürger, mais d'un savant, gâté par les éloges. Malgré cet air que je n'aime pas, je l'ai pourtant trouvé assez aimable und bin ihm ganz gut geworden. Il sache de toi [Gräfin Wartensleben?] comme s'il venait de te voir et t'aime comme s'il te voyait encore; il étudit ton caractère sur ta silhouette, et il juge de ton esprit par le nez et le tout de ton visage.[11]


1586.*


1776, Anfang September.


Mit Christoph Martin Wieland

Von Eurem Erbprinzen [Ludwig von Hessen-Darmstadt] kann und soll ich viel Gutes melden. Er ist vom Herzog und allen seinen kleinen parties de plaisir unzertrennlich gewesen, hat Goethen liebgewonnen und Goethe ist auch ihm gut. Sein hiesiger Aufenthalt ist ihm im ganzen vortheilhaft gewesen, denken wir, und Ihr, lieber Herr und Freund, werdet's spüren, wenn er wieder nach Darmstadt kommt. Goethe bittet Sie nur, etwas von Ihrer gewöhnlichen Reserve mit den Fürsten bei ihm nachzulassen und so offen und natürlich mit ihm zu sein, als er seinesorts Sie durch sein Betragen dazu einladen wird. Er hat starke Eindrücke bekommen, was ein Mann wie Ihr werth ist.[12]


30.*


1776, 29. September.


Mit Christoph Martin Wieland

Herr Kaufmann ist seit acht Tagen hier [in Weimar]. Er kam den zweiten Tag nach seiner Ankunft nachmittags mit Klingern in meinen Garten und blieb ungefähr eine halbe Stunde. Den folgenden Morgen fand ich ihn bei Goethe. Der Mann hatte ungeachtet seiner um sich gezogenen Nebelkappe was Anziehendes für mich. Ich näherte mich ihm voll Gutwilligkeit und vielleicht nach meiner Art etwas zu schnell; er zog sich aber ganz in seine Schale hinein, und so haben wir's denn dabei bewenden lassen ..... Goethe war gestern Morgens bei mir und erklärte mir alles: die Schuld, warum die Enthusiasten nicht mit mir und ich nicht mit ihnen leben können, liegt weder an ihnen, noch mir, sondern an den Göttern, die uns so gemacht haben. Ich habe das Unglück, unter die Leute zu gehören, die von den Warmen und Kalten ausgespieen werden. Leute, die lange mit mir gelebt haben, finden, daß ich mit allen meinen Launen und Ungleichheiten ein guter Mensch bin, aber die andern sehen das nicht und können nicht aus mir klug wer den, sagt man.[43]


1587.*


1776, Ende September oder Anfang October.


Mit Christoph Martin Wieland

Freuen Sie [Merck] Sich nicht auch mit mir und über mich, daß ich Goethen endlich Hand in Hand versprochen habe, keine Noten noch postfacen mehr zu andrer Leute Aufsätzen zu machen. Die postface zu Herder's »Hutten« thut mir jetzt weh, nachdem ich den herrlichen Mann von Angesicht gesehen habe, und doch glaubt' ich, da ich sie schrieb, recht daran zu thun, und[12] fühle noch immer, daß ich recht habe und kann es noch immer nicht geruhig ertragen, daß Erasmus um Hutten's oder eines Menschen willen so übel tractirt werden soll.[13]


31.*


1776, 3. December.


Mit Friedrich Samuel Kretschmar

Ich [Fürst Franz von Dessau] hatte befohlen einen Jagdwagen bereit zu halten, der Goethen, welcher zu einer genau bestimmten Stunde in Dessau ankommen würde, sofort nach Wörlitz bringen solle. Auch sollte [der Leibarzt] Kretschmar benachrichtigt werden, sich bei Zeiten auf dem Schlosse einzufinden, um mitzufahren. Beide kannten sich noch nicht und der Hofmarschall hatte versäumt, sie einander vorzustellen. Eine zeitlang saßen sie, Goethe gerade, feierlich wie ein Licht, Kretschmar leicht und beweglich wie ein junger Rehbock neben einander. Endlich dreht Goethe einwenig den Kopf nach Kretschmar'n und frägt über die Schulter: »Wer ist Er?« Schnell und barsch, Goethe'n den Rücken zukehrend, erwiedert Kretschmar: »Und wer ist Er?«[44]


1549.*


Etwa 1776.


Mit Christoph Martin Wieland

Dem ihm etwa zwanzig Jahre später besuchenden Gräter erzählte Wieland: Es sei wahrhaft bewunderungswürdig gewesen, wie Goethes Genie sich damals bei jeder Gelegenheit offenbart habe; er habe nicht nur die schönsten Gedichte, sondern ganze Dramen improvisirt. Namentlich erinnere er sich, wie sie eines Tages davon gesprochen, welch herrliches Stück Cäsar geben könne. Goethe habe sofort angefangen, die Personen zu charakterisiren und eine Scene des Stücks nach der andern vom Anfange bis zu Ende des Dramas vorgetragen.[393]


1588.*


1776 (?).


Mit Christoph Martin Wieland

Dem, ihn zwanzig Jahre später besuchenden Gräter erzählte Wieland, es sei wahrhaft bewunderungswürdig gewesen, wie Goethe's Genie sich damals bei jeder Gelegenheit offenbart habe. Er habe nicht nur die schönsten Gedichte, sondern ganze Dramen improvisirt. Namentlich erinnere er sich, wie sie eines Tages davon gesprochen, welch herrliches Stück Cäsar geben könne. Goethe habe sofort angefangen, die Personen zu charakterisiren, und eine Scene des Stücks nach der andern vom Anfange bis zu Ende des Dramas vorzutragen. Wenn man die Stücke, die er so improvisirt, hätte aufschreiben können, würde die Welt einige erhalten haben, die noch bewundernswürdiger wären, als seine bekannten.[13]


Quelle:
Goethes Gespräche. Herausgegeben von Woldemar Freiherr von Biedermann, Band 1–10, Leipzig 1889–1896, Band 10, S. 13-14.
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