1777

32.*


1777, Februar.


Mit Christoph Martin Wieland

Wir haben hier große Freude von Ihrer [Bürger's] Ausforderung an Fritz Stolberg im Museum [December 1776] gehabt. »Wenn er klug ist,« sagt G[oethe], »so läßt er's nun dabei bewenden und zieht sich in sein Gezelt zurück.«[44]


33.*


1777, 24. März.


Mit Christoph Martin Wieland

Goethe, dem ich seinen [Merck's] Brief lesen lassen, grüßt Dich. Er ist der Meinung, Du sollst die Reise nach Weimar nicht schreiben. Er meint, es schickte sich für uns am besten, in unserm heiligen Dunkel zu bleiben – es würde nur dienen, viele boshafte, hämische Seelen hier und dort aufzuwiegeln.[45]


34.*


1777, Ende Juni.


Bei der Herzogin Amalie

»Kurz darauf, nachdem Goethe seinen Werther geschrieben hatte« – erzählte mir [Falk] der alte ehrwürdige Gleim – »kam ich nach Weimar und wollte ihn kennen lernen. Ich war Abends zu einer Gesellschaft bei der Herzogin Amalie geladen, wo es hieß, daß Goethe späterhin auch kommen würde. Als literarische Neuigkeit hatte ich den neuesten Göttinger Musenalmanach mitgebracht, aus dem ich eins und das andere der Gesellschaft mittheilte. Indem ich noch las, hatte sich auch ein junger Mann, auf den ich kaum merkte, mit Stiefeln und Sporen und einem kurzen, grünen aufgeschlagenen Jagdrocke unter die übrigen Zuhörer gemischt. Er saß[45] mir gegenüber und hörte sehr aufmerksam zu. Außer einem Paar schwarzglänzender, italienischer Augen, die er im Kopfe hatte, wüßte ich sonst nichts, das mir besonders an ihm aufgefallen wäre. Allein es war dafür gesorgt: ich sollte ihn schon näher kennen lernen. Während einer kleinen Pause nämlich, wo einige Herren und Damen über dies oder jenes Stück ihr Urtheil abgaben, eins lobten, das andere tadelten, erhob sich jener feine Jägersmann – denn dafür hatte ich ihn anfänglich gehalten – vom Stuhle, nahm das Wort und erbot sich in demselben Augenblicke, wo er sich auf eine verbindliche Weise gegen mich verneigte, daß er, wofern es mir so beliebte, im Vorlesen, damit ich nicht allzu sehr ermüdete, von Zeit zu Zeit mit mir abwechseln wollte. Ich konnte nicht umhin, diesen höflichen Vorschlag anzunehmen und reichte ihm auf der Stelle das Buch. Aber Apollo und die neun Musen, die drei Grazien nicht zu vergessen, was habe ich da zuletzt hören müssen! Anfangs ging es zwar ganz leidlich:


Die Zephyr'n lauschten,

Die Bäche rauschten,

Die Sonne

Verbreitet' ihr Licht mit Wonne.


Auch die etwas kräftigere Kost von Voß, Leopold Stolberg, Bürger wurde so vorgetragen, daß sich keiner darüber zu beschweren hatte. Auf einmal aber war es, als ob den Vorleser der Satan des Übermuthes beim Schopfe nähme, und ich glaubte, den wilden Jäger in[46] leibhaftiger Gestalt vor mir zu sehen. Er las Gedichte, die gar nicht im Almanach standen, er wich in alle nur mögliche Tonarten und Weisen aus. Hexameter, Jamben, Knittelverse und wie es nur immer gehen wollte, alles unter- und durcheinander, wie wenn er es nur so herausschüttelte.

Was hat er nicht alles mit seinem Humor an diesem Abend zusammenphantasirt! Mitunter kamen so prächtige, wiewohl nur ebenso flüchtig hingeworfene, als abgerissene Gedanken, daß die Autoren, denen er sie unterlegte, Gott auf den Knien dafür hätten danken müssen, wenn sie ihnen vor ihrem Schreibpulte eingefallen wären. Sobald man hinter den Scherz kam, verbreitete sich eine allgemeine Fröhlichkeit durch den Saal. Er versetzte allen Anwesenden irgendetwas. Auch meiner Mäcenschaft, die ich von jeher gegen junge Gelehrte, Dichter und Künstler für eine Pflicht gehalten habe – so sehr er sie auf der einen Seite belobt – so vergaß er doch nicht auf der andern Seite mir einen kleinen Stich dafür beizubringen, daß ich mich zuweilen bei den Individuen, denen ich diese Unterstützung zutheil werden ließ, vergriffe. Deshalb verglich er mich witzig genug in einer kleinen ex tempore gedichteten Fabel mit einem frommen und dabei überdiemaßen geduldigen Truthahn[!], der eigene und fremde Eier in großer Menge und mit großer Geduld besitzt und ausbrütet, dem es aber en passant wohl auch einmal begegnet, und der es nicht übelnimmt, wenn man[47] ihm ein Ei von Kreide statt eines wirklichen unterlegt.

Das ist entweder Goethe oder der Teufel! rief ich Wieland zu, der mir gegenüber am Tische saß. ›Beides‹ – gab mir dieser zur Antwort; – ›er hat heute wieder einmal den Teufel im Leibe; da ist er wie ein muthiges Füllen, das vorn und hinten ausschlägt, und man thut wohl, ihm nicht allzu nahe zu kommen.‹«

Gleim ergötzte sich ausnehmend über diesen Schwank, ebenso Wieland, aus dessen Munde ich ebenfalls die bedeutsamen Züge, wie sie hier vorkommen, zum öftern gehört und gesammelt habe.[48]


1443.*


1777, 19. September.


Mit Franz Oberthür

Warm, enthusiastisch, sowie man vom Heiligthum des Apollo kömmt, komme ich [früh halb 10 Uhr] von der Wartburg, wo Goethe wohnet, nach meinem Gasthof ›Zum Rautenkranz‹ zurücke .....

Fast eine halbe Stunde mußte ich, wie im Vorhofe des Tempels, warten, bis ich Goethen zu sehen bekam.

– – – – – – – – – – – – – – – – –

[242] Ich glaubte einen tiefdenkenden, ernsthaften, kalten Engländer, dem Kleide und der Miene nach, zu sehen; ich konnte leicht den Verfasser des ›Götzens von Berlichingen‹, der ›Leiden des jungen Werthers‹, des ›Clavigo‹ finden, und das Bild in Lavater's Physiognomik hat viel Ähnlichkeit mit dem Urbild. Aber den lustigen, launigten, auch ein wenig muthwillig – nehmen Sie dieses Wort nur in keiner üblen Bedeutung – lustigen Gesellschafter, wie man mir Goethe beschrieben, hätte ich bei diesem Besuch nie errathen.

Er hatte soeben die, seinem Fenster geradeüber stehenden zwei von der Natur gesetzten Spitzsäulen gezeichnet, die unter dem Namen des Mönchs und der Nonne bekannt sind und auch nicht lange zuvor von Wieland im ›Teutschen Merkur‹ besungen worden. Diese betrachtete ich durch ein Sehrohr, von diesem, dazu sehr bequemen Standpunkte einige Augenblicke, übersahe dann die Gegend, die Aussichten von dieser Burg hinab in die Tiefe und lobte die Wahl des Dichters, der diesen, seiner Phantasie und seiner Muse so schicklichen Ort dem Palaste des Herzogs in der Stadt vorgezogen.

Die ganze übrige Unterredung hatte den Zustand der Wissenschaften und Künste in meinem Vaterlande [Franken] zum Gegenstand, und ich muß gestehen, daß Goethe meinem Nationalstolz nicht wenig geschmeichelt; er hatte schon in seiner Vaterstadt etliche meiner Landsleute gekannt, und auch in Thüringen bekam er von[243] sicherer Hand vortheilhafte Nachrichten von Franken und unserm geschickten Hofmaler [in Würzburg]; von ihm selbst verfertigte Portraits hatte er in Erfurt gesehen, und dieses waren die Data und Gründe zu seinem Lobe über Franken und den Zustand der Wissenschaft und Künste daselbst. – Sie können wohl denken, daß ich ihm noch mehr Gutes von meinem Vaterlande gesagt, soweit es Wahrheit und Bescheidenheit litten.

Nach und nach merkte ich, daß der Dichter sich noch mehr in sich zurückzog, stille wurde, ernsthaft und kalt wie in einem Spleen dastund. Da dachte ich: vielleicht hat sich irgend ein großer Gegenstand seiner Seele bemächtigt, und Apollo heißt ihn darüber dichten und beurlaubte mich.[244]


35.*


1777, November.


Mit Christoph Martin Wieland

Lieber Hr. und Kumpan, eine große Bitte! von Goethen und mir gemeinschaftlich. Sie haben doch schon das große opus des jungen Cramers »Klopstock, in Fragmenten aus Briefen von Tellow an Elisa« ..... und wir bitten Sie nun mit aufgehobenen Händen um eine Recension desselben, aber um eine Recension, daß der König und die Königin sagen sollen: Liebes Löwchen, brülle noch einmal! – Hier ist doch wieder einmal Gelegenheit, ein Meisterstück zu machen – eine[48] Recension, die Ihnen so viel Ehre machen soll, als die beste Composition von der Welt – kurz eine Recension, wie nur Sie allein eine machen können. Goethe sagt: Sie sollen nicht bloß die Seide draus ausbrennen, sondern das Metall selbst so lange durch's Feuer gehen lassen und so lange schmelzen, scheiden und läutern, bis vom ganzen Werk nichts als der Titel »Klopstock« übrig bleibe.

– – – – – – – – – – – – –

Ich war gestern Nachmittag bei Goethen auf seinem Altan. Kein lieberes, sich wärmer an einen anlegendes, oder, wie die Schwaben sagen, ein mehr anheimelndes Plätzchen auf Gottes Boden müssen Sie nie gesehen haben .... Wenn doch nur Merck itzt bei uns wäre und das auch sehen und nießen könnte, sagte ich; das hier! – und das dort! Das wäre so was für ihn. »Sei ruhig! Er wird schon kommen,« sagte Goethe, und die Gewißheit, womit er's sagte, machte, daß ich Sie schon halb gegenwärtig fühlte.[49]


Quelle:
Goethes Gespräche. Herausgegeben von Woldemar Freiherr von Biedermann, Band 1–10, Leipzig 1889–1896, Band 1, S. 48-50.
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