1782

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1782, Anfang (?).


Bei Weimars Liebhaberbühne

Um dieselbe Zeit wurde auch ein Liebhabertheater in Weimar eröffnet, woran Goethe, Corona Schröter, Bertuch, v. Einsiedel u. a. den lebhaftesten und thätigsten Antheil nahmen. Einst spielte man den »Eifersüchtigen Ehemann«. Die Rolle des Liebhabers in diesem Stücke war dem Herrn v. Einsiedel zugefallen. Unglücklicherweise aber überfiel diesen kurz vor der Aufführung eine Unpäßlichkeit. Die Rolle war in so kurzer Zeit nicht wieder zu besetzen und zum Verdruß aller übrigen Mitspielenden stockte nun das Ganze. Da schlug sich, mehr beherzt und gutmüthig, als in solchen Dingen gewandt, ein verwegener sächsischer Rittmeister in's[67] Mittel und übernahm die Rolle ..... Als es aber zur Aufführung kam, wurde es dem tapfern Rittmeister vor der Stirn so heiß, als sollte er an der Spitze einer Schwadron Husaren eben in den Feind einhauen. Indeß faßte er sich noch zur rechten Zeit und spielte fort bis auf die Scene, wo er mit seiner Geliebten von dem eifersüchtigen Ehemann überrascht und mit einem Dolche erstochen wird. Hier vergaß er plötzlich das Stichwort, stockte und meckerte in einem fort, und der eifersüchtige Ehemann, den Bertuch spielte, welcher schon lange mit seinem Dolche in drohender Stellung hinter den Coulissen wartend stand, konnte seiner Mordlust kein Genüge thun, weil das Stichwort noch immer nicht gefallen war. Aber wahre Seelenangst empfand er, als der rittmeisterliche Liebhaber den Kopf so gänzlich verlor, daß er seine Rolle, Stichwörter und den ganzen Plunder, wie Shakespeare sagt, wieder von vorn anfing daß sich eine Perspektive eröffnete, die den Regisseur Goethe veranlaßte, Bertuch den Rath zu geben, auf die Bühne zu springen und dem Leben seines unglücklichen Nebenbuhlers durch einen kräftigen Dolchstoß gleichsam ex tempore den Garaus zu machen. Das geschah, aber wer beschreibt die Verzweiflung des Ehemanns, als der Rittmeister trotz des extemporirten Dolchstoßes nicht fallen will! Vergebens raunt er ihm zu verschiedenen Malen in's Ohr: »In's Teufels Namen, so fallen Sie doch!« Er rührte sich nicht von der Stelle, sondern blieb wie ein von Wellen gepeitschter[68] Fels, in militärischer Haltung und kerzengerade vor seiner Geliebten stehen, indem er ihr wie dem wüthenden Ehemann ganz kaltblütig entgegnete, sein Stichwort sei noch nicht gekommen. In diesem für den Regisseur nicht minder als für die Mitspielenden, am meisten aber für die Zuschauer, die sich diese Scene gar nicht erklären konnten, peinlichen Augenblick faßte Goethe einen heldenmüthigen Entschluß, indem er mit donnernder Stimme hinter den Coulissen hervorief: »Wenn er von vorn nicht fallen will, so stich ihn von hinten durch den R[anze]n. Wir müssen ihn uns auf alle Fälle vom Halse schaffen!« Drob ermannte sich der sonst so thätige, jetzt aber völlig verstörte Bertuch. »Stirb!« rief nun auch er mit schrecklicher Stimme und führte zugleich einen so nachdrücklichen Dolchstoß in die Flanke seines Widersachers, daß derselbe, durch dies Seitenmanoeuvre... außer Fassung gebracht, diesmal glücklich zufallekam. In demselben Augenblick erschienen aber auch schon vier von Goethe abgeschickte handfeste Statisten, die ausdrückliche Ordre hatten, den Todten, er möchte wollen oder nicht, beiseite zu schaffen. Dies geschah denn auch wirklich, und zur größten Freude der Zuschauer konnte das Stück nun ungehindert fortspielen.[69]


Quelle:
Goethes Gespräche. Herausgegeben von Woldemar Freiherr von Biedermann, Band 1–10, Leipzig 1889–1896, Band 1, S. 67-70.
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