1800

1461.*


1800, gegen Mitte Februar.


Über »Es ist die Rechte nicht« von Rochlitz

[Rochlitz hatte verlangt, sein Lustspiel solle ohne den Namen des Verfassers aufgeführt werden, was nicht berücksichtigt wurde. Goethe hatte darüber geäußert:]


Der Verfasser habe nicht Ursache sich zu verbergen; das Stück werde gewiß gefallen.[268]


169.*


1800, 26. Februar (?).


Mit W. G. Gotthardi

Ein glückliches Ohngefähr wollte es, daß ich die persönliche Bekanntschaft dieses Goethe zu machen gewürdigt wurde.

Ja, nicht bloß unzähligemal hab' ich ihn gesehen[209] außer und in dem Theater; er machte mich zu seinem »kleinen Freund«, wie er mich zuweilen scherzend nannte. Sie vermittelte sich, diese Freundschaft, als ich eines schönen Abends in ebendemselben Theater, wo ich außer dem »Rochus Pumpernickel« auch manche andere heitere und ernste Stücke aufführen sah, und von derselben breiten einfach breternen Brüstung der Loge des alten Herrn, auf welcher ich in der erstgenannten Posse zum ersten Mal gesessen hatte, wohlgemuth und spannungsvoll auf die Breter da vorn lugte, welche die Welt bedeuten. Es wurde, um diplomatisch zu erzählen, die Salieri'sche Oper »Tarare« (»Axur«, Text von Beaumarchais) gegeben. Da, als der zweite Act begonnen hatte, die Jagemann (Astasia) in ihrem großen verzweiflungsvollen Recitativ begriffen war und mir Thränen jammervollen Mitleids abzwang, – da plötzlich knarrt die Logenthür in den Angeln und öffnet sich ..... Goethe trat in die Loge. In so nahen Gesichtskreis war der »Geheimrath« mir noch nie gekommen ..... Goethe erblicken und zitternd zum Sprung herunter mich anschicken war eins. Da erfaßt meinen Arm eine starke Hand – die seine. Entsetzen erfaßt mich »Bleib getrost, mein Sohn! Wir beide haben Raum genug. Wer wird den andern ohne Noth verdrängen!« tönt – noch heute hör' ich sie – alsbald eine volle ruhige Stimme mir ins Ohr – die seine. .... Und als ich mich jäh umwandte, ruhete sein großes, dunkles, wundervolles Auge liebreich und[210] warm auf dem bepurpurten Antlitz des bewegten Knaben. Den Blick werde ich nie vergessen, nie jene Worte; keine hab' ich fester behalten wie sie. .... Er reichte mir sein Textbuch zum Mitnachlesen und bald entspann sich eine Unterhaltung, in deren Verlauf er, der große Mensch, dem kleinen seine winzig kleine Lebensgeschichte antheilvoll entlockte. .. Wer war glücklicher, als der Knabe? Und noch oft nahm er den Platz ein, noch oft in unmittelbarer Nähe des Eigners, der ihn, neben steter freundlicher Ansprache mit Erkundigung nach den Fortschritten in den Schulwissenschaften, auch materiell mit manch Stücklein Kuchen, hin und wieder auch einem Glas Wein aus seinem Flaschenkorb erquickte. Denn Goethe liebte es, zuweilen einen Vorrath kalter Speise und Weins in seiner Loge bereit zu halten, mehr für andere, deren – Einheimische und Fremde von Bedeutung – er nicht selten auch dort empfing.[211]


170.*


1800, erste Hälfte des Mai.


Über Schellings Zerwürfniß

mit der »Allgemeinen Literaturzeitung«

Goethe hat in Leipzig über die Sache fast nur leicht und lustig gesprochen; Ihre [Schelling's] Schrift [gegen die »Allgemeine Literaturzeitung« in der »Zeitschrift für speculative Philosophie«] hat er im Ganzen sehr gelobt, doch gemeint, manches darin fordere Leser,[211] die schon auf dem wahren Punkte ständen und sei für die Wirkung nach außen noch nicht überzeugend genug vorgetragen. Unter anderm wünschte er, die Wendung mit dem Widerwillen wäre nur einmal gebraucht worden.[212]


171.*


1800, Mai (?).


Über Heinrich Vohs

Unserm Vohs ... hatte Schiller die Rolle des Macbeth zugetheilt. Bei der ersten Theaterprobe war er seiner Aufgabe noch gar nicht so mächtig, wie man es von ihm erwarten durfte, und selbst die lauteste Hülfe des Souffleurs fruchtete nur wenig. Da aber Vohs wegen seines eminenten Talents bei Goethe und Schiller in hoher Achtung stand und man seine Reizbarkeit kannte, so machten Dichter und Director gute Miene zum bösen Spiel, und keine Rüge erfolgte ob der Nachlässigkeit. Dieser störende Übelstand trat aber auch bei der Hauptprobe hervor, und Goethe schwoll nun die Zornesader und er rief, da ich zu fungiren hatte, mit seiner mächtigen Stimme: »Herr G'nast!« (Goethe liebte es, meinen Namen zu apostrophiren), »verfügen sie sich zu mir herab!« Er, Schiller und Meyer saßen im Parterre und der zweite Act war eben zu Ende. »Was ist denn das mit diesem Herrn Vohs?« fuhr er mich an. »Der Mann kann ja kein Wort von seiner Rolle, wie will er denn den Macbeth[212] spielen? Sollen wir uns vor den höchsten Herrschaften und vor dem Publikum blamiren? Man sistire das Stück für morgen, und Sie brauchen das Warum weder vor Herrn Vohs noch dem Personal zu verschweigen.« Schiller suchte Goethes Zorn zu beschwichtigen und rühmte die künstlerische Ruhe von Vohs, seine Genialität, die ihn gewiß bei der Darstellung über diese Klippe hinwegführen würde; denn die Auffassung des Charakters sei vortrefflich. Auch ich stimmte der Ansicht Schiller's bei, und Goethe, der schon aufgestanden war, um das Theater zu verlassen, fügte sich endlich, beauftragte mich aber, Vohs im Vertrauen einen Wink zu geben.


[Hier walten Verwechslungen ob: bei den Proben zum »Macbeth« und noch bei der ersten Aufführung war Goethe in Leipzig.][213]


1462.*


1800, Frühjahr.


Mit Friedrich Schlegel

Haben Sie [Rahel Levin] das ›Athenäum‹ [III. Band] schon? Wie gefällt Ihnen die Kritik von Schmidt, Matthisson und Voß und der ›Wettgesang‹, [von A. W. Schlegel] in dem sich diese verwandten Geister vereinigen? Ist es nicht so gründlich als spaßhaft, so würdig als witzig? Papa Goethe hat sich ganz wie rasend damit gefreut. Schlegel hat es ihm dreimal de suite vorlesen müssen.[269]


172.*


1800, 14. Juli.


Mit Ludwig Tieck

Seiner [Tieck's] Meinung nach verdienten manche [Weimarer] Schauspieler nicht den Ruf, in welchem sie standen. Graff's Pathos unterschied sich wenig von dem verrufenen tragischen Gurgelton. Jetzt wohnte er an Goethes Seite einer Vorstellung der »Maria Stuart«, die soeben auf die Bühne gebracht worden war, bei. Auch diesmal konnte er nicht anderer Meinung sein. Den[213] künstlerischen Instinkt, welchen er an Fleck bewunderte, fand er hier nicht wieder. Alles war auf ein gewisses durchschnittliches Mittelmaß zurückgeführt. Ein ihm aus Berlin bekannter Schauspieler [Cordemann] gab den Leicester in so ungeschickter Weise, daß er die Bemerkung nicht unterdrücken konnte, wie dieser das Ganze entschieden störe. »Ich kann es nicht finden,« antwortete Goethe trocken; »er thut seine Schuldigkeit gleich allen andern.«[214]


173.*


1800, Anfang Juli.


Mit Friedrich Schiller

Das Mädchen von Orleans ist der Stoff, den ich bearbeite. ..... Auf das Hexenwesen werde ich mich nur wenig einlassen, und soweit ich es brauche, hoffe ich mit meiner eigenen Phantasie auszureichen. In Schriften findet man beinahe gar nichts, was nur irgend poetisch wäre; auch Goethe sagt mir, daß er zu seinem »Faust« gar keinen Trost in Büchern gefunden hätte. Es ist derselbe Fall mit der Astrologie: man erstaunt, wie platt und gemein diese Fratzen sind, womit sich die Menschen so lange beschäftigen konnten.[214]


1463.*


1800, 25. Juli.


Mit Friedrich Schlegel

Goethe ist hier [in Jena] und wird auch noch einige Zeit wenigstens hier bleiben. Gestern habe ich ein langes Gespräch mit ihm gehabt, wobei aber alle Regierungsangelegenheiten sorgfältig vermieden wurden. Es scheint, daß er zeither nicht viel gearbeitet hat, wenigstens klagte er, da ich ihn nach seiner Optik fragte, sehr über Abhaltungen. Von Schelling's Naturphilosophie spricht er immer mit besonderer Liebe.[269]


1617.*


1800, zweite Hälfte September. (?)


Über Schillers »Maria Stuart«

Goethe behandelte den kränklichen, oft launischen Dichter [Schiller] wie ein zärtlicher Liebhaber, that ihm alles zu Gefallen, schonte ihn und sorgte für die Aufführung seiner Trauerspiele. Doch manchmal brach Goethe's kräftige Natur durch, und einmal, als eben die ›Maria Stuart‹ bei Schiller besprochen war, rief Goethe beim Nachhausegehen: »Mich soll nur wundern, was das Publicum sagen wird, wenn die beiden Huren zusammenkommen und sich ihre Aventuren vorwerfen.«[32]


1618.*


1800, 21. September


Bei Johann Jakob Griesbach

Am 21. September 1800 wurde mir [Adeken] eine große Freude. Ich hatte Griesbach, in dessen Hause ich mehr und mehr heimisch geworden war, bei keinen kritischen Arbeiten für das Neue Testament einen kleinen Dienst geleistet ..... Goethe, damals in Jena verweilend, Schiller mit seiner Gattin und dem Hofrath Meyer, dem Schweizer, von Weimar herübergekommen, waren bei ihnen zu Mittag und ich wurde dazu eingeladen ..... Von dem Gespräche bei Tisch haftet nur Weniges in meinem Gedächtniß, nur daß Goethe[32] einmal des Ossian gedachte, freilich in einer andern Weise, als im »Werther«. Nach dem Essen trat die Gesellschaft auf den, die reizendste Aussicht in das Saalthal bis nach Dornburg gewährenden Balcon des Hauses, wo Goethe.. in mannigfaltigen farbigen Bändern und Blumen das Phänomen der sich gegenseitig erzeugenden physiologischen Farben sehen ließ. Da machte es mir große Freude, daß er mein sicheres Auge lobte, welches alle Erscheinungen genau auffaßte. Der Kaffee wurde im Garten getrunken, in der nach der Stadt hinsehenden Nische. Schiller hatte sich neben dem, in jener sitzenden Freunde auf dem Rasen niedergelassen; ich konnte mich nicht enthalten, wiewol in einiger Entfernung, auf demselben Rasen meinen Platz zu nehmen. Er sprach, da das Gespräch auf neuere Erscheinungen in der Literatur kam, auch von Broxtermann und mit Beifall.[33]


1787.*


1800, Ende.


Mit Johann Heinrich Voß

Wer von Goethe (wie es Bürger that) eine weichliche Hingiebigkeit erwartet, ein zärtliches, Entgegenkommen und ein herzliches Anschmiegen, der wird gewöhnlich betrogen. Ich [Heinrich Voß] kann mein eignes Beispiel anführen, da ich, als ich Schiller soeben verlassen hatte, vor drei Jahren zuerst zu Goethe kam und ihn ebenso erwartete. Ich warb zurückgestoßen durch sein Auge; ich fühlte mich zu klein, zu schwach, mit Einem Worte: es war der Eindruck einer gewaltigen Masse auf das unvorbereitete Auge. Ich verließ ihn voll Ehrfurcht, aber konnte ihn nicht lieben. Nachher sah ich ihn öfters auf Augenblicke, konnte aber nie meine Schüchternheit überwinden, noch mein reines Zutrauen erwecken. Als mich nun Goethe[206] als Lehrer der Weimarer Schule in Vorschlag brachte und mein Vater deshalb herüber [von Jena nach Weimar] reiste, sagte Goethe zu ihm: nun solle er mich einmal auf drei Tage hinüberschicken; er kenne mich freilich wol, aber doch nur oberflächlich; denn ich sei immer so schüchtern und einsilbig gegen ihn gewesen. Denke Dir meine Freude, als mein Vater mir das wiedersagte und mir hierdurch die Gewißheit gab, von nun an alle Schüchternheit fahren lassen zu dürfen.[207]


1464.*


1800, Mitte November.


Mit Friedrich Schlegel

Goethe ist hier und hat mir eine Kleinigkeit, die er zum Geburtstag der alten Herzogin gemacht –[269] »Alte und neue Zeit« – gezeigt. Er hat mich über die griechischen Namen consultirt und schien mit denen, die ich ihm vorschlug – »Paläophron und Neoterpe« – zufrieden.

Daß ein gewaltiges griechisches Trauerspiel von ihm zu erwarten ist, in Trimetern und chorähnlichen Chören, hat Dir Dorothea [Schlegel], glaube ich, schon als Resultat seines letzten Hierseins geschrieben. Er hat einigemal recht viel darüber mit mir gesprochen, indessen habe ich mich doch nicht überwinden können zu fragen nach dem Sujet.1


1 Das griechische Traumspiel ist »Helena«.[270]


1465.*


1800, etwa 9. (?) December.


Mit Friedrich Schlegel

Zu Goethe bin ich gleich gegangen, um den Effect [von »Ehrenpforte und Triumphbogen für den Theater-Präsidenten von Kotzebue« von A. W. Schlegel] recht frisch zu vernehmen. Er hat es durch alle Kategorien gelobt, am meisten das, was ich vor allem liebe, nämlich die »Reisebeschreibung«. Es ist noch vieles mündlich darüber zu reden; es sind mir ganz neue Lichter über die Komödie aufgegangen.[270]


1619.*


1800 (?).


Mit Friedrich Schiller

Hier wollen wir im nächsten Monat Goethe's »Iphigenia« auf's Theater bringen. Bei diesem Anlaß habe ich sie auf's neue mit Aufmerksamkeit gelesen, weil Goethe die Nothwendigkeit fühlt, einiges darin zu verändern. Ich habe mich sehr gewundert, daß sie auf mich den günstigen Eindruck nicht mehr gemacht hat, wie sonst, ob es gleich[33] immer ein seelenvolles Product bleibt. Sie ist aber so erstaunlich modern und ungriechisch, daß man nicht begreift, wie es möglich war, sie jemals einem griechischen Stück zu vergleichen. Sie ist ganz nur sittlich, aber die sinnliche Kraft, das Leben, die Bewegung und alles, was ein Werk zu einem ächten dramatischen specificirt, geht ihr sehr ab. Goethe hat selbst mir schon längst zweideutig davon gesprochen, aber ich hielt es nur für eine Grille, wo nicht gar für Ziererei, bei näherem Ansehen aber hat es sich mir auch so bewährt. Indessen ist dieses Product in dem Zeitmoment, wo es entstand, ein wahres Meteor gewesen, und das Zeitalter selbst, die Majorität der Stimmen, kann es auch jetzt noch nicht übersehen; auch wird es durch die allgemeinen hohen poetischen Eigenschaften, die ihm ohne Rücksicht auf seine dramatische Form zukommen, bloß als ein poetisches Geisteswerk betrachtet in allen Zeiten unschätzbar bleiben.[34]


Quelle:
Goethes Gespräche. Herausgegeben von Woldemar Freiherr von Biedermann, Band 1–10, Leipzig 1889–1896, Band 10, S. 33-35.
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