1802

183.*


1802, 2. (oder 3. ?) Januar.


Über die Aufführung des »Ion«

Goethe hat den größten Fleiß darauf verwendet; .... auch habe ich [Schelling] ihn selten oder niemals so erfreut über einen theatralischen Erfolg, so guter Laune gesehen, als die war, in welche ihn dieser Succeß versetzt hat.[229]


184.*


1802, Anfang Januar.


Über Kotzebues »Wirrwarr«

Dem Komödienzettel seh' ich [Caroline Schlegel] es gleich an, daß das Stück von Kotzebue schlecht ist. Goethe hat eins von ihm gelobt, das auch nächstens gegeben wird: »Der Wirrwarr« – nämlich gelobt so in der Art: »wenn man nicht allzu rigoristische Forderungen macht, so kann man ihm die Beleuchtung (?) vielleicht ein klein wenig loben.«[230]


185.*


1802, 14. Februar.


Uber den Aufführungspreis des »Ion«

Das Frankfurter Theater hat gestern angefragt bei Goethe, ob es eine Abschrift des »Jon« erhalten könne und zu welchem Preis. G. wollte nun wissen, ob man Dir erst schreiben solle und Dich den Preis bestimmen lassen; da ich aber glaubte, Du würdest eben auch mit G. darüber berathschlagt haben, so konnten wir dieses ohne Zeitverlust in Deiner Seele. Er ist der Meinung, es der Direction zu überlassen, dann bekomme man am meisten.


[Nach Carolinens Brief vom 22. Februar hat Goethe doch noch 30 Ducaten verlangt.][230]


186.*


1802, 14. und 21. Februar.


Über ein von August Wilhelm Schlegel

eingesandtes Lustspiel


a.

Wie, mein Herr, Sie haben ein Intriguenstück gemacht und ich weiß nichts davon? Goethe dachte sich gar nicht anders, als daß ich es wissen müsse. ... Ich [Caroline Schlegel] nahm mich gleich zusammen und redete so zierlich unbestimmt, daß er es gar nicht gewahr wurde und ich alles erfahren, was man mir nicht hat anvertrauen wollen, da ich doch so verschwiegen bin wie der alte Herr kaum. Was Du nun aber zur Strafe nicht erfahren sollst, ist seine Meinung davon, die er doch von sich gegeben hat soviel wie möglich war, indem ich mich auf kein Detail einfassen konnte. Und zum Wahrzeichen sag' ich Dir dieses: obgleich Du gegen ihn es unentschieden gelassen, daß Du dies Stück wirklich gemacht hast, so schließe ich doch aus dem, was er darüber sagte, daß es nicht von Dir ist.


b.

Goethe giebt sich überhaupt recht viel mit dem Theater ab. Da ich nicht weiß, ob er Dir gleich schreibt, so will ich .... verrathen, was er ungefähr über das eingesandte Intriguenstück denkt. Erstlich[231] hält er es für sehr aufführbar, und er will sehen, daß er die Jagemann dazu anstellt. Es habe den Fehler, daß die Intrigue psychologisch sei, innerlich und nicht sichtbarlich vorgehe. Außerdem aber sei es leicht, grazios und lustig; kurz, er hat es recht gelobt.[232]


187.*


1802, Mitte Februar.


Mit Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

Schelling .. hat diesmal Fichtens Wünschen gemäß Goethen den ganzen Hergang von Fichtens Weggang offenbart, worüber dieser denn, bis dahin völlig unwissend, sehr erstaunt ist. Nie zwar habe er sich eingebildet, daß Fichte ohne Rückhalt handle, aber er hat selbst bis dahin geglaubt, es sei von Niethammer und Schelling die Rede, vielleicht noch von ein paar jungen Lehrern.[232]


188.*


1802, 11. März.


Über die Änderungen in Kotzebues

»Deutschen Kleinstädtern«

»Ja, ›die Kleinstädter‹ wären den Kleinstädtern sehr gefährlich gewesen,« sagte Goethe zu Schelling.[232]


189.*


1802, 8. April.


Mit Christoph Martin Wieland

Goethe hat nur allerdings am verwichnen Donnerstag einen ebenso unerwarteten, als angenehmen Nachmittagsbesuch gemacht. Wir waren mehrere Stunden vergnügt und traulich und sprachen von mancherlei, aber von allen theatralischen Abenteuern der letztvergangenen Wochen und Monate ne gry quidem. Da K[otzebu]e zufällig erwähnt wurde, sprach er im Vorbeigehen unbefangen und gut von ihm; ebenso unbefangen wurde auch Schlegel's »Jon« und meine Übersetzung des Euripidischen berührt. Überhaupt schien er sich keines Dings, das einer Apologie bedürfte, bewußt zu sein und ich glaube fast, daß dies wirklich der Fall bei ihm ist. Er schien auch gern zu hören, daß ich mich an die »Helena« des Euripides machen wollte, erklärte sie für sein Lieblingsstück und hielt es nicht für unmöglich, daß sie dereinst bonis avibus auf's Theater gebracht werden könnte.[233]


190.*


1802, 29. Mai.


Bei Aufführung von F. Schlegels »Alarcos«

Je näher der zur Aufführung des »Alarcos« anberaumte Tag herankam, desto lebhafter ward die Neugierde, das vielbesprochene und bekrittelte Stück zu sehen, und als es endlich erschien, strömte die halbe Bevölkerung von Weimar zum Theater. ...

Trotz so vieler Jahre, die seit jenem Tage über meinem Haupte hingezogen sind, sehe ich [Freifrau v. Beaulieu] doch noch jetzt in dem ungetrübten Spiegel der Erinnerung ebenso deutlich wie damals in der Wirklichkeit das überfüllte Schauspielhaus vor mir – mitten im Parterre Goethe, ernst und feierlich auf seinem hohen Armstuhle thronend. ...

Im Anfange der Vorstellung verhielten sich die Zuschauer völlig passiv; je weiter aber das Stück vorwärts schritt, desto unruhiger ward es auf der Gallerie und im Parterre. .... In der Scene, wo gemeldet wird, daß der alte König, den die auf seinen Befehl ermordete Gattin des Alarcos vor Gottes Richterstuhl citirte, »aus Furcht zu sterben, endlich gar gestorben« sei, da brach die Menge in ein tobendes Gelächter aus, sodaß das ganze Haus davon erbebte. ...

Aber nur einen Moment. Im Nu sprang Goethe auf, rief mit donnernder Stimme und drohender Bewegung:[234] »Stille! Stille!«1 und das wirkte wie eine Zauberformel ... Augenblicklich legte sich der Tumult, und der unselige »Alarcos« ging ohne weitere Störung, aber auch ohne das geringste Zeichen des Beifalls zu Ende.


1 Nach »Aus dem Tagebuche eines alten Schauspielers« hätte Goethe gerufen: »Man lache nicht!« Zwar ist dies dort von der Aufführung des »Jon« erzählt, aber in zweifelloser Verwechselung mit »Alarcos«, wie auch im folgenden Stück 191.[235]


191.*


1802, 30. Mai.


Nach Aufführung des »Alarcos«

Als ich [Anton Genast] den andern Tag meinen Rapport an Goethe überbrachte, sagte er zu mir: »Nun, ich bin zufrieden mit der gestrigen Vorstellung, und was die andern Leute dazu sagen, geht mich und Euch nichts an.« Er sprach das mit großer Gleichgültigkeit aus, aber ich fühlte recht gut heraus, daß ihn die Niederlage verstimmt hatte.[235]


1621.*


1802, Frühjahr.


Über die Brüder Schlegel

Mit dem »Alarcos« hat sich Goethe allerdings compromittirt. Es ist seine Krankheit, sich der Schlegels anzunehmen, über die er doch selbst bitterlich schimpft und schmäht.[35]


1467.*


1802, 15. Juni.


Mit dem Improvisator Scotes

Herr Scotes .... hielt.. heute Abends eine öffentliche Akademie ..... Der Künstler gestattete sich keine der sonst gewöhnlichen Erleichterungsmittel, als: Begleitung von einem Instrument, weit hergeholte Episoden, Gemeinplätze, Einleitungen, Complimente. Nur wenige Augenblicke, nachdem die Aufgabe gesprochen ist – und ein unaufhaltsamer Strom harmonischer Reden entquillt schon seinem Innern und rauscht.. dem vorgesteckten Ziele zu. Die erste Aufgabe war: die Flucht der Musen aus Griechenland nach Italien – ein Thema, dessen überströmenden Reichthum der verständige Künstler überall sehr gut zu beherrschen und durch eine feine Anordnung lichtvoll darzustellen wußte. Durch eine Galerie der berühmtesten Dichternamen aus dem alten Griechenland und dem alten und neuen Italien, wovon jeder ein[271] charakteristisches Tableau aus seinen Gedichten beitragen mußte, führte uns der bekannte Schnellsänger – um einmal mit Herrn Campe zu reden – zu der jetzigen traurigen Lage seines, durch Krieg und Parteigeist verödeten Vaterlandes und begleitete nun die Musen, die jenen Schrecknissen entflohen, über die Alpen in das friedliche Deutschland der geistreichen und selbst als Dichterin berühmten Dame [Amalie v. Imhoff] gegenüber, die diese Aufgabe auf dringendes Bitten der Gesellschaft ausgesprochen hatte. Einigen Anwesenden schien dieser Gegenstand für einen solchen Künstler zu leicht. Der Herr Geheime Rath v. Goethe nannte also ein weit beschränkteres, aber eben darum dem wahren Künstler zum Aufgebot seiner ganzen Dichterschätze noch willkommneres Thema: das Vergnügen eines italienischen Zuschauers in einem Nationallustspiel an den vier bekannten Charaktermasken. Mit sichtbarer Freude ergriff der stets fertige Improvisator diesen Stoff fast ohne alles vorhergehende Nachdenken, und nachdem er im Eingang diesen Gegenstand sehr sinnreich mit dem vorhergehenden verknüpft und gezeigt hatte, daß jetzt nicht Zeit zur ängstlichen Wehklage, sondern zur lachenden Fröhlichkeit sei, zeigte er mit der lebendigsten Anschauung und einer treffenden Mimik alle charakteristischen Eigenschaften des Arlechino, Pantalone, Brighella und Tartaglia, indem er sie durch eine ganze Reihe komischer Situationen durchführte und mit dem ganzen unerschöpflichen Reichthum ächt[272] italienischer Lazzi, soweit sie die Sprache aufnimmt, und burlesker Einfälle ausstattete. Auch hier, wie bei jeder andern Gelegenheit, zeigte sich die, an Künstlern seiner Art besonders seltene, ihm aber ganz eigene Fertigkeit einer klaren Exposition. Erst zeichnete er jene scherzhaften Figuren nur in allgemeinen Umrissen, dann ging er sie aufs Neue mit belebender Ausführlichkeit durch.


b.

Mir [Amalie v. Imhoff] wurde die Aufgabe übertragen, dem Improvisator den Text zu geben; ich schlug vor: die Flucht der Musen aus Griechenland nach Italien. Er führte das Thema befriedigend durch, aber zu meiner Genugthuung begegnete ich mich im Urtheil mit Goethe darüber, daß Scotes sich hauptsächlich auf Details über die Dichter eingelassen hatte und das eigentlich poetische Motiv des Gegenstandes vernachlässigte.[273]


192.*


1802, 23. Juni.


Über Johann Daniel Sander und Gattin

Es würde vielleicht unterhaltend sein von Madame S[ande]r die Höflichkeiten zu vernehmen, die sie und[235] ihr Gemahl hier [in Jena] und in Weimar von Goethe genossen haben. Für uns war es nicht wenig lustig, es zum Theil mit anzusehen und zu hören, wie sie bei Goethes Ankunft in Lauchstädt schon wieder gegenwärtig waren, und er ihn beim Aussteigen empfing, von ihm aber mit der Äußerung gegen seinen Reisegefährten, daß es ein wahres Zigeunerpack sei, empfangen wurde – natürlich daß S. das nicht hörte.[236]


193.*


1802, 26. Juni.


Im Schauspielhaus zu Lauchstädt

Am 20. Juni ging die Gesellschaft nach Lauchstädt, wo das neuerbaute Theater am 26. Juni mit dem Vorspiel »Was wir bringen« und der Oper »Titus« eröffnet wurde.

– – – – – – – – – – –

Goethe hatte seinen Platz auf dem Balcon genommen. Nach dem Vorspiel brachte das Publikum Goethe ein dreimaliges Hoch! indem es sich erhob und seine Blicke nach ihm richtete. Er trat vor und sprach: »Möge das, was wir bringen, einem kunstliebenden Publikum stets genügen.« Nach diesen Worten zog er sich zurück und kam auf die Bühne, um dem Personale seine Zufriedenheit mitzutheilen.[236]


1468.*


1802, Juli (?).


Bei August Lafontaine

Reichardt hatte zu Lafontaine gesagt, daß er ihm in einigen Tagen einen Kaufmann aus Hamburg zuführen werde. Wirklich kam er dann mit einem Fremden zu ihm, den er durch einige unverständliche Worte vorstellte. Man ging in den Garten bei Lafontaine's[273] Besitzung vor dem Thore. Den Fremden interessirte die lange Baumallee. Am Ende des Ganges blieb er stehen, betrachtete lange die Aussicht und sagte: selbst in Italien habe er eine solche Menge großartiger Gebäude, wie sich hier dem Blicke darstelle, nicht gesehen. Dadurch wurde das Gespräch auf Kunst und Alterthum gelenkt. Lafontaine hörte mit Erstaunen, wie voller Kenntnisse der Mann war. Das Interesse an denselben wuchs von Minute zu Minute. Lafontaine pflegte seine Besucher nicht nach ihrem Namen zu fragen, vielleicht weil die Leser seiner Romane, deren Kreisen die Besucher wohl meistens angehörten, nicht alle zum besten Publicum gehörten. Aber beim Abschied sagte er diesmal doch: »Mein Herr! Sie haben mir ein so großes Interesse eingeflößt, daß ich nicht unterlassen kann, Sie um Ihren Namen zu bitten.« – »Mein Name ist Goethe,« war die Antwort. »Mein Himmel!« rief Reichardt, »ich hab's Ihnen ja beim Eintreten gesagt.« Lafontaine erwiederte: »Was wollen Sie gesagt haben? Einen Kaufmann aus Hamburg haben Sie mir angemeldet und beim Eintreten haben Sie gar nichts gesagt, sondern nur etwas gemurmelt. Wenn Sie künftig Goethe anmelden, so sprechen Sie deutlich. Sie brauchen bloß seinen Namen zu nennen.«[274]


194.*


1802, Ende August.


Mit Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

[Hofrath Schütz, Herausgeber der »Allgemeinen Literatur-Zeitung«, hatte in Nr. 225 dieser Zeitschrift einen, Schelling gröblich verletzenden Aufsatz gebracht, dessenwegen Schelling Genugthuung nehmen wollte und sich mit W. Schlegel darüber vernahm.]


Daß mit Goethe in dieser Sache sehr wenig anzufangen war, haben Sie [W. Schlegel] sehr richtig vorausgesehen. Nicht als ob er nicht die ganze Schändlichkeit und Abscheulichkeit gefühlt, den besten Willen gezeigt hätte, sondern weil er versicherte, in der Sache keinen Erfolg versprechen zu können. Mein Ansinnen war nämlich, einen unmittelbaren Schritt der Regierung durch ihn zu bewirken. Er versicherte mich der Schwierigkeit, die er hierbei zu überwinden haben und wahrscheinlich nicht überwinden würde; er rieth von nichts ab, gab aber nur den einzigen, sich von selbst verstehenden Rath, nichts zu unternehmen, wobei man der completten Sache und des zu wünschenden Erfolgs nicht versichert sei.

Das persönliche Gewicht von Goethe konnte, um etwa die jetzigen Redacteure der »Literatur-Zeitung« zu einer Zurücknahme auf die von Ihnen angegebene, auch von mir gedachte Weise zu bewegen,[237] bei der grenzenlosen und von Ihnen vielleicht selbst nicht so gewußten Unverschämtheit und Infamie des Schütz, die seitdem immer zugenommen hat, nichts fruchten, vielmehr hätte Goethe sich einzig selbst dadurch ausgesetzt.[238]


195.*


1802, Ende September.


Über Johann Gottfried Schadow

Unser [Schadow's und Franz Catel's] dritter Besuch war bei Herrn v. Goethe, wo uns Meyer gemeldet hatte. Der Bediente fragte, ob G. Schadow dabei sei; er öffnete den Saal und Meyer erschien. Man besah eine Copie Titian's von Bury, illuminirte Blätter aus der Farnesina und eine Büste der Unzelmann. Herr v. Goethe trat auf, schnellen Schrittes. »Sie wollen mir das Vergnügen Ihres Besuches geben,« sagte er und befahl, uns Stühle zu geben. Seine erste Frage war nach Zelter's Befinden, von dem ich ihm einen Brief gab, wobei das Gespräch blieb und er wenig sagte. Ich wollte auf was anderes kommen und benahm mich ungeschickt, indem ich fragte, ob er verstatten würde, mit dem Zirkel die Maße nehmend, seinen Kopf zu zeichnen? Dies sei bedenklich, sagte er; denn die Herren Berliner wären Leute, die daraus manches deuten möchten; in Weimar wäre einer gewesen, der[238] Gall's Lehren anhinge, nämlich der Dr. Froriep, der gerade verreist sei. Zugleich erschien sein Bedienter, der ihn abrief. Da er lange ausblieb, führte uns Meyer in ein anderes Zimmer, zeigte uns die von ihm gemalten Superporten und einen Medusenkopf im Fußboden. Als Herr v. Goethe wiederkam, entschuldigte er sich mit den Geschäften. Wir waren aufgestanden, das Gespräch war stehend; wir mußten zum Mittagstisch nach Jena bei Herrn von Kotzebue und empfahlen uns sogleich.

Herr v. Goethe hatte Grund, mir nicht freundlich zu sein. In den »Propyläen« hatte er das Kunsttreiben Berlins als prosaisch geschildert; in einer andern Zeitschrift [»Eunomia«] hatte ich hierüber eine andere Ansicht gegeben, und war er damals dergleichen Dreistigkeiten nicht gewohnt.

Beim Abschiede sagte er: »Sie werden doch noch einige Zeit hier bleiben.« Die Brüder [Franz und Louis] Catel meinten, ich sei mit meinem Antrage die Quere gekommen.

– – – – – – – – – – – – – –

Böttiger sagte, Herrn v. Goethe behage mein Herkommen nicht, sei es nun wegen meiner Bemerkungen über die »Propyläen«, oder weil seine Ausstellung armselig ausgefallen war. Die Aufforderung, Kunstwerke einzusenden, war von ihm ausgegangen, die Kunstfreunde in Weimar hatten geringe Geltung, und so kam die Mißernte.[239]


196.*


1802, Ende September (?).


Über Johann Gottfried Schadow

Stellen Sie [W. Schlegel] sich die Plattheit von Schadow vor, daß er Goethen gleich nach dem ersten Willkomm darum ansprach, seinen Kopf ausmessen zu dürfen. Goethe sagte davon: er habe ihn wie der Oberon den Sultan gleich um ein paar Backzähne und Haare aus seinem Bart gebeten. Nach dem Eindruck, den er auf Goethe gemacht hat, muß er gegen ihn wie ein Bierbruder sich aufgeführt haben.[240]


197.*


1802, kurz vor 13. October.


Mit Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

Warum entschließen Sie [W. Schlegel] sich nicht kurzweg, gegen Schütz und die Lit. Zeitung die Scene mit Kotzebue [durch die Schrift »Ehrenpforte und Triumphbogen für den Theater-Präsidenten v. Kotzebue«] zu erneuern? Gegen unsere, von Grundsätzen der Honnetetät ausgehenden Erörterungen wird Schütz sich immer halten können, da er den tiefsten Grund der Infamie aufzuwühlen sich nicht scheut. Gegen den Witz hält auch dieser Heroismus der Niederträchtigkeit nicht Stich.

[240] Eine große That dieser Art befreit uns auf immer. Rücksichten sind hier keine mehr zu beobachten. Machen Sie gegen Schütz was Sie wollen, er wird ohnmächtig stampfen und sich wüthig anstellen, aber in die Falle des Verklagens geht er gewiß nicht mehr, gegen welches wir auch ein ganz sicheres Mittel haben, nämlich das Perhorresciren des hiesigen Forums. Von Seiten der Regierung in Weimar ist durchaus kein Schritt zu erwarten; sie hat die Maxime des gänzlichen Ignorirens angenommen und wünscht nur, von Jena gar nichts mehr zu hören – was ich aber geschrieben, ist imgrunde auch die Meinung Goethes, der eben jetzt auf einige Tage hier war. Er hatte gegen Ihre Schrift [»A. W. Schlegel an das Publikum. Rüge einer in der Allg. Lit.-Ztg. begangenen Ehrenschändung«] nichts auszusetzen, als daß sie kein radicaler Todtschlag sei.

Wenn Goethe in dieser Sache weniger thut, so ist es, weil er imgrunde ganz in derselben Lage ist, wie wir, da er in Weimar ganz allein steht und selbst seine unmittelbaren Bekannten mehr oder weniger auf beiden Achseln Wasser tragen. Soviel ich merken kann, denkt er auf eine ziemliche Zeit wegzugehen – wohin? weiß ich nicht. Sie werden seinen und aller Verständigen Beifall haben, wenn Sie mit Einem Streich alles vollführen.

Von dem spanischen Stück [»Die Andacht zum Kreuz«] kann Goethe nicht aufhören zu reden. Wenn man Guido sehe, sagt er, so meine man, daß niemand[241] besser gemalt habe – wenn Raphael, daß die Antike nicht besser sei. So mit Calderon: nicht nur Shakespeare gleich, sondern, wenn es möglich wäre, ihm noch mehr zuzugestehen! Unbegreiflicher Verstand in der Construction, Genie in der Erfindung. – Genug: diesmal kann man ihm nicht vorwerfen, daß er zu kalt lobt. Die Aufführung, meint er, sei unmöglich, da es auf die Menge doch nur durch den Stoff wirke, der als fremdartig selbst schon durch die Freiheit, womit er behandelt sei, gerade den Protestanten anstößig sei. Mit Ihrer Antwort gegen den Schwacke schien er nicht zufrieden. Sie verderben die Leute, sagte er, indem Sie sich darauf einließen, sie zu belehren, und er hätte gar zu gern gesehen, wenn Sie dem Kerl das Fell über die Ohren gezogen und dann ausgestopft ihm selbst zurückgegeben hätten.[242]


198.*


1802, 13. (?) October.


Mit Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

Ich kann nicht glauben, daß Goethe einigen Kaltsinn gegen Sie [W. Schlegel] habe. Wegen des Calderon hat er mich einmal gebeten, ihn bei Ihnen zu entschuldigen, daß er nicht gleich darüber geschrieben; habe ich es nicht gethan, so muß ich sehr um Verzeihung bitten. Ich erinnere mich, daß er es mir auftrug, nachdem ich[242] eine halbe Stunde vorher einen Brief an Sie abgeschickt hatte, worüber ich von seinem Urtheil darüber geschrieben hatte; ich sagte ihm dies und er dankte mir, es gethan zu haben.[243]


199.*


1802, Mitte October.


Über »Lacrymas« von W. von Schütz

Mit dem »Lacrymas« ist es mir [Schelling] auf eigne Weise ergangen. Ich habe ihn bisher immer nicht gelesen, weit ich nur Augenblicke dazu hatte. Nun ich ihn Goethen gegeben, schimpft dieser (unter uns!) ebenso ungemessen darauf, als er das Stück des Calderon mehr als je von ihm gehört, erhoben hat. Dadurch bin ich in der Alternative, mich auch entweder über den »Lacrymas« oder über Goethen zu ärgern, der auch keinen gesunden Bissen daran finden wollte.[243]


200.*


1802, 24. (?) November.


Über Gespräche von Todesfällen

Als man an dem Todestag der guten Elise Gore mit dem Goethe von ihr sprechen und ihren Verlust bedauern wollte, so wies er das Gespräch gleich zurück und sagte, wie man sich nur von einem Märchen, das immer dasselbe wäre, unterhalten könnte.[243]


201.*


1802, November und December.


Uber die scherzhafte Besprechung

der Weimarer Kunstausstellung


a.

Mit dem Bericht von der Kunstausstellung – das war allerdings ein guter Spaß, um ihn so mitanzusehen. In Rom konnte jeder, der das Waffenhandwerk übte, auch den Triumphator insultiren, aber der gemeine Soldat zu sein, der das Organ der genommenen Satisfaction war, kann doch nicht für wünschenswerth gehalten werden. Sie [W. Schlegel] zerbrechen sich den Kopf über den Verfasser? Hier war man so ziemlich gewiß darüber: man glaubte allgemein, es sei [August] Bode, der doch in der »Gigantomachie«1 einigen Witz gezeigt hat. Was sagen Sie dazu? Daß er nichts von Kunst versteht, ist kein Beweis; wahrscheinlich haben ihm Künstler (Schadow?) geholfen. Synthetisch ist die Person auf jeden Fall. – Goethe scheint auch der Meinung gewesen zu sein, da er gesagt haben soll, es hab' es ein Lausbub gemacht, welches in unserem südlichen Dialect ein Subject bedeutet, das kein übles Ingenium hat, aber sich durch einen schäbigen Willen unnütz macht.


b.

[244] Ich [Schelling] kann Ihnen [W. Schlegel] wohl sagen, da Sie keinen weitern Gebrauch davon machen werden, daß er [Goethe] ohnlängst in einem sehr allgemeinen Gespräche von der Kunstausstellungsgeschichte etwas von Impietät sagte, wodurch er auf Urheber zu zielen schien, mit denen er in freundschaftlichen Verbindungen gestanden hatte, allein gewiß hat er dabei an keinen Ihrer unmittelbaren Freunde gedacht .... Wenn dies Wort außer der ganz allgemeinen Bedeutung – da er sich, wie Sie wissen, gern die Ansprüche des Alters giebt – eine nähere Beziehung hatte, was ich nicht glaube, so möchte es auf Hartmann zielen, der jetzt allgemeiner für den Verfasser gehalten wird, wie ich gleichfalls von Tieck erfahren habe. Über die2 letzteren Arbeiten hat er sich in der besten Laune mit wahrhafter Theilnahme und Billigung geäußert, so daß ich nicht begreife, wie Tieck einigen Grund haben konnte, eine minder gute Stimmung gegen sich bei Goethe vorauszusetzen.


1 Leipzig, W. Rein, 1800.


2 des?[245]


1788.*


1802, Ende.


Über Calderons »Andacht zum Kreuz«

Goethe's Aufsatz über den Calderon ist bei aller Einseitigkeit, die diesmal in seinem Plane lag, höchst trefflich. Nur in Einem Punkte hat Goethe unrecht. Wie kommt er dazu, »Die Andacht zum Kreuze« unter die (ich will der Kürze wegen sagen) papistischen Stücke zu zählen? Ich [H. Voß] habe sie vonneuem gelesen und sie inderthat höchst unschuldig gefunden. Es wird darin gar kein dogmatischer Glaube in Anspruch genommen, sondern bloß ein poetischer wie bei Macbeth's Hexen. Ich weiß auch bestimmt, daß Goethe ehemals ganz anders über das Stück dachte und Schiller mit ihm.[207]


Quelle:
Goethes Gespräche. Herausgegeben von Woldemar Freiherr von Biedermann, Band 1–10, Leipzig 1889–1896, Band 10, S. 207-208.
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