1803

202.*


1803, April.


Mit Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

Mit den Calderon'schen Werken haben Sie mir das größte Vergnügen gemacht und mich zum wärmsten[245] Dank verpflichtet. Ich hatte gleich Gelegenheit, sie Goethe zu geben, der gegenwärtig hier [in Jena] ist. Er ist auch von dem zweiten Stück [»Über allen Zauber Liebe«] entzückt und von dem ersten aufs neue durchdrungen, von dem er sagt: keine Zunge könne aussprechen, wie gut es sei. Er erkennt die Einheit desselben Geistes in beiden und hätte nicht übel Lust, beide aufführen zu lassen, wenn nur nicht einige Veränderungen zu diesem Behuf, nur um sie auch nicht durch die äußere Wirkung zu entheiligen, besonders in Ansehung der »Andacht zu dem Kreuz« nothwendig wären.

– – – – – – – – – – – – – –

Dr. Schelver aus Halle... hat die hiesige botanische Lehrstelle erhalten ..... Er ist bereits hier und Goethe äußerst wohl mit seinen ersten Schritten und Arbeiten zufrieden.[246]


203.*


1803, August.


Mit Pius Alexander Wolff

und Christian Gottfried Grüner

Als Jüngling war Wolff... mit einem Jugendfreunde namens Grüner nach Weimar gekommen, um sich in die Schule Goethes für das Theater zu begeben. Über den Empfang der beiden jungen Männer von beiden des großen Dichters hat mir [Friedrich Schubart][246] Wolff erzählt, daß er nie wieder das erhabene Bild vergessen habe, welches ihnen Goethe von der Kunst entworfen, der sie sich widmen wollten, daß er aber, als er ihnen die Ausnahme zugesagt, mit der Bemerkung geschlossen habe: »Mit dem Gehen wollen wir anfangen!«[247]


204.*


1803, Oktober und November.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer


a.

»Wer nicht das Mechanische vom Handwerk kennt, kann nicht urtheilen: den Meister kann niemand und den Gesellen nur der Meister meistern.«


b.

»Es ist so gefährlich in die Ferne sittlich zu wirken. Spricht man mit einem Freund, so fühlt man seine Lage und mildert die Worte nach dem Augenblick; entfernt spricht man nicht recht oder trifft nicht zur rechten Zeit.«


c.

»Es geht nichts über den Genuß würdiger Kunstwerke, wenn er nicht auf Vorurtheil, sondern auf würdiger Kenntniß ruht.«[247]


d.

»Die große Nothwendigkeit erhebt, die kleine erniedrigt den Menschen.«


e.

»Fast bei allen Urtheilen (in der deutschen Literatur) waltet nur der gute oder böse Wille gegen die Poeten, und die Fratze des Parteigeistes ist mir mehr zuwider, als irgend eine andere Carricatur.«


f.

»Ein Glück ist's, daß jedem nur sein eigner Zustand zu behagen braucht.«


g.

»Wenn man nicht immer in der Welt lebt, so sieht man sie anfangs wieder mit verwunderten Augen an, und, so gut man sie kennt, machen einen die neuen Erscheinungen wieder auf kurze Zeit aufmerksam, bis man denn das alte plumpe Märchen wieder bald gewahr wird.«


h.

»Ich sehe immer mehr, daß jeder nur sein Handwerk ernsthaft treiben und das Übrige alles lustig nehmen soll. Ein paar Verse, die ich zu machen habe, interessiren mich mehr, als viel wichtigere Dinge, auf die mir kein Einfluß gestattet ist, und wenn ein jeder[248] das gleiche thut, so wird es in der Stadt und im Hause wohl stehen.«


i.

»Man ist in einem gewissen Alter an einen gewissen Ideengang gewöhnt; das Neue, was man sieht, ist nicht neu und erinnert mehr an unangenehme als angenehme Verhältnisse, und ganz vorzügliche Gegenstände begegnen einem doch selten.«


k.

»Einer Gesellschaft von Freunden harmonische Stimmung zu geben und manches aufzuregen, was bei den Zusammenkünften der besten Menschen so oft nur stockt, sollte von Rechtswegen die beste Wirkung der Poesie sein.«


l.

»Die Gelehrsamkeit auf dem Papier und zum Papier hat gar zu wenig Reiz für mich. Man glaubt nicht, wie viel Todtes und Tödtendes in der Wissenschaft ist, bis man mit Ernst und Trieb selbst hineinkommt, und durchaus scheint mir die eigentlich wissenschaftlichen Menschen mehr ein sophistischer als ein wahrheitsliebender Geist zu beleben. Doch, es mag jeder sein Handwerk treiben.«


m.

»Die Hausgenossenschaft hat das Eigene, daß sie wie eine Blutsverwandtschaft zum Umgang nöthigt, da[249] man gute Freunde seltner sieht, wenn man sich erst sie zu besuchen oder einzuladen entschließen soll.«[250]


205.*


1803, November (?).


Über des Grafen Reuß-Köstritz

Verlangen nach Goethes Bildnis

Ich [Charlotte Schiller] muß Ihnen [Fritz V. Stein] nur, unter uns gesagt, ein Bonmot von Goethe erzählen, worüber ich recht gelacht habe. Der Graf Reuß, der hier wohnt, hat den Einfall, alle Gelehrten, deren er nur habhaft werden kann, crayonniren zu lassen. Nun sind denn alle schon daran gewesen, nur Goethe und Schiller wollen nicht. Goethe hat es sehr übel genommen, daß der Graf den Herrn Roux von Jena so ohne Vorbereitung zu ihm geschickt hat und sagte neulich in einem Anfall von guter Laune: »Christus hat doch sagen lassen durch seine Jünger, wie er die Eselin brauchte: der Herr bedarf ihrer; aber uns läßt der Graf kein gutes Wort sagen.«[250]


206.*


1803, November und December (?).


Über »Delphine« der Baronin von Stael

Freilich wußte sie [Frau v. Stael] sehr gut, daß Goethe noch vor ihrer Ankunft [in Weimar] ihre[250] »Delphine« einmal bei einer Hoftafel mit einer ganz ungewöhnlichen Lebhaftigkeit für ein Product erklärt habe, das dem Zeitalter Ehre mache, und daß er sich selbst die Anzeige dieses Meisterwerks in der »Jenaischen Lit. Zeitung« vorbehalten habe.[251]


1469.*


1803, December.


Über Anne Germaine de Staël-Holstein

Goethe war ebenso gespannt ihre Bekanntschaft zu machen, als sie die seinige. Nach der Begegnung berichtete Goethe seinen Freunden: »Es war eine interessante Stunde. Ich bin nicht zu Worte gekommen; sie spricht gut, aber viel, sehr viel.« – Ein Damenkreis wollte inzwischen wissen, welchen Eindruck unser Apoll auf die Fremde gemacht habe. Auch sie bekannte, nicht zu Worte gekommen zu sein; »wer aber so gut spricht, dem hört man gerne zu« – soll sie geseufzt haben. Wer sprach? Wer schwieg?[275]


1470.*


1803, December (?).


Bei Johann Heinrich Voß

Welchen herrlichen Abend hatten wir [Familie Voß] neulich durch Goethe, der um 7 Uhr kam und sich selbst zum Abendessen meldete. Er war so lebendig, theilnehmend, herzlich, wie ich [Heinrich B.] nie von ihm erwartet hatte. Auch offenherzig, selbst in unserer aller Gegenwart, wie er vielleicht seit Jahren nicht gewesen ist. Auf meinen Vater hält er gar viel. Der sagte wie im Zorne zu ihm: »Es ist doch eine Schande, daß Sie einen so herrlichen Liederalmanach herausgeben und es Ihren Freunden geheim halten.« Da dunkelten dem Goethe die Augen, er fiel meinem Vater um den Hals und konnte[275] für Freude nicht stark genug ausdrücken, daß er was producirt habe, was einem solchen Richter, wie er sagte, gefiele. Er wurde immer wärmer und sprach nun von dem, was er ausführen wollte, wenn ihn Götter und Menschen begünstigten. Auch über Schlegel sprach er; er meinte: Ansichten über Dinge wechselten wie die Tage; nun sei diese an der Ordnung, dann jene, so wie an Einem Tage Diomedes der Held sei, an einem andern Achilles u.s.w. Der Unterschied, daß jene Meinung länger dauere, jene kürzer, sei nicht anders, als wie Sommertage länger dauerten, als Wintertage. Den Unterschied, der jetzt gang und gebe ist, zwischen romantischen und classischen, verwarf er mit meinem Vater; denn alles, was vortrefflich sei, sei eo ipso classisch, zu welcher Gattung es auch gehöre. Noch eher wollte er einen Unterschied zwischen Plastischem und Romantischem gelten lassen: ein plastisches Werkstelle der Einbildungskraft des Betrachters ein Werk in einer ganz bestimmten und abgeschlossenen Form dar, ein romantisches deute vieles unbestimmt an und ließe der Einbildungskraft Spielraum zum eigenen Phantasiren – jenes sei für die geregelte Einbildungskraft, dieses für zügellose, oft auch regellose Phantasie. Zu der ersten Classe rechnete er Homer, Sophokles, Pindar, Shakespeare etc.; zu der zweiten deutete er die Subjecte nur an, und ob ich ihn gleich verstanden zu haben glaube, will ich doch meine eigne Vermuthung nicht in den Bericht von seinem Urtheil[276] einmischen; doch nannte er Klopstock. Aber unwillig über Schlegel's Vernichtungsgeist gegen solche, die ihm nicht anstehen, war er auch, wenn man Goethen anders Unwillen zuschreiben kann, den er im strengsten Sinne gegen keinen Menschen hat. Er betrachtet die Menschen als Naturproducte, und wie könnte er sich da über den Makassarischen Giftbaum ärgern. Jeden individuellen Charakter achtet er, selbst einen Kotzebue, insofern er, wenn ihm der liebe Gott nun eine eselhafte Natur gegeben hat, dieser consequent folgt und so seinen Wirkungskreis (gleichviel ob positiv oder negativ) ausfüllt. (Goethe als handelnder Mensch ist freilich ein anderer, als wenn er betrachtet und anschaut.) Schlegel's Talente weiß er wie jeder zu schätzen – aber daß er, wie Christian Schlosser vorschnell behauptete, ein unbedingter Lober von ihm sei, das ist grundfalsch. Nicht befangen durch Schlegel's Apotheose hat er sehr frei über die Gränzen seiner Verdienste gesprochen .... So stimmte er sehr ein, als Fernow über die Nichtigkeit der »Blumensträuße« sprach, der sie eine Sudelarbeit nannte.[277]


207.*


1803, Ende December (?).


Mit Karl Ferdinand Fröhlich

Man drang immer mehr in mich, daß ich mich für einen Stand erklären solle, indem es Zeit sei, einen Entschluß zu fassen, besonders wenn ich mich dem Handelsstand widme, was wohl das Beste für mich sei, da fast alle meine nähern Verwandten mit geringer Ausnahme diesem angehörten und diese Carriere mit Glück betreten hätten. Von allen Seiten gedrängt, erklärte ich endlich rund heraus, ich würde nichts anders als Schauspieler werden, wozu ich den höchsten Beruf in mir fühlte. Jetzt aber war Feuer in allen Ecken ..... Es wurde mir nun unaufhörlich von allen Seiten so zugesetzt, daß ich beschloß, der ganzen Geschichte schnell durch einen Desperationscoup ein Ende zu machen. Erst kürzlich hatte ich »Wilhelm Meisters Lehrjahre« von Goethe gelesen und wieder gelesen, mich ganz in das Buch und den Charakter Wilhelm's vernarrt und faßte nun den Entschluß, den Schöpfer desselben, mit dessen[251] Familie wir ohnehin liirt waren, aufzusuchen, in dem festen Glauben, dieser, der selbst ein so großer Verehrer der dramatischen Kunst sei, würde und müsse mich als ihren Jünger mit offenen Armen aufnehmen. Ich steckte, was mir noch von meinen Konfirmationsgeldern übrig, zu mir, setzte mich auf den Postwagen und fuhr, ohne jemand ein Wort davon zu sagen, nach Weimar ..... Zum Tage meiner Abreise hatte ich wohl überlegt das Fest des Bornheimer Lerchenherbstes... gewählt, weil da meine Abwesenheit weniger und erst spät in der Nacht bemerkt wurde. Ich fuhr unaufhaltsam über Fulda, Eisenach, Gotha und Erfurt, kam den zweiten Tag gegen Abend wohlbehalten... in Weimar an, wo, kaum im Gasthof abgestiegen, ich noch denselben Abend meinen berühmten Landsmann aufsuchte, ihn jedoch nicht traf und auf den folgenden Morgen nach zehn Uhr beschieden wurde .....

Es schlug endlich zehn und ich eilte nun nach Goethes Wohnung, wo ich mich als einen Landsmann und guten Bekannten seiner Familie melden ließ. Ich war sofort vorgelassen, traf ihn jedoch nicht allein, sondern in Gesellschaft einer ziemlich martialisch aussehenden Dame. Ich hatte ihn nur ein paar mal und immer nur einige Augenblicke gesehen, wenn er auf Besuch in Frankfurt war ..... Bei seinem Anblick erstarrte mir das Blut fast in den Adern, und das Herz war mir, wie die Frankfurter sagen, so ziemlich in die Schuhe gefallen. Nur stotternd konnte ich[252] mein Anliegen vorbringen, bei dem sein sich verfinsternder Blick mir eiskalt durch die Adern schauerte. Ich stammelte, daß ich, seine Werke lesend, eine unwiderstehliche Neigung für die Bühne geschöpft, daß sein Wilhelm meine Liebe zur Schauspielkunst auf's höchste gesteigert habe, nannte ein Dutzend Rollen, die ich schon einstudirt, vergaß aber in der Bestürzung unglücklicherweise einige aus seinen Stücken zu nennen, obgleich ich auch den »Egmont« auswendig gelernt. Als mich der finstere Mann endlich fragte, ob ich seine Briefe an ihn mitgebracht, und ich ihm hierauf den Geniestreich, den ich gemacht, und zu dem mich hauptsächlich sein Wilhelm veranlaßt, eingestand, da legte sich seine Stirn noch mehr in Falten, nur ein kurzes »So! so!« entwischte noch seinen Lippen, und nachdem er gefragt, wo ich wohne, verabschiedete er mich, mit der Bedeutung, er würde mich das Weitere wissen lassen, ich solle mich indessen ruhig in meinem Gasthof verhalten.

Wie mißmuthig mich der gegen alle Erwartungen glaciale Empfang und die unfreundliche Aufnahme gestimmt, kann man sich denken. Mehr Antheil, so schien es, habe noch die neben meinem steifen Landsmann stehende heroische Dame an mir genommen, wenigstens schienen dies ihre Blicke zu verrathen; denn sie war während der ganzen Scene stumm ..... Als ich mit einer stummen Verbeugung aus dem Zimmer war, ward es mir wieder leichter ums Herz, und ich erkundigte mich bei einem dienstbaren Geist, wer die Dame[253] sei, die ich gesehen, worauf mir der Bescheid wurde: eine Französin, die sich Madame von Stael nenne.

– – – – – – – – – – –

Schon war ich sechs Tage daselbst, ohne daß ich weiter etwas von Goethe und Schiller gehört hätte und fing an zu glauben, daß mich ersterer ganz vergessen habe, als sich am Morgen des siebenten plötzlich meine Thür öffnete und hereintrat – mein Großoheim, der Oberpfarrer von Homburg. Er grüßte mich mit den Worten: »Du heilloser Galgenstrick, was machst Du für Streiche?« worauf noch eine lange Strafpredigt und die Erklärung folgte, ich habe mich sofort reisefertig zu machen .....

Ich sah mich verrathen und verkauft, hatte weder von Goethe noch von Schiller, noch von allen Musensöhnen Weimars und Jenas mehr etwas zu hoffen, und trat... die Heimreise.. mit meinem Oheim an... Goethe habe ich auch nie wieder gesehen, aber später erfahren, daß er mich gewissermaßen unter polizeiliche Aufsicht in meinem Gasthof hatte stellen lassen. Gleich nachdem ich ihn verlassen, hatte er an seine Mutter nach Frankfurt geschrieben und dieser meine Anwesenheit in Weimar und mein Begehren an ihn gemeldet. Frau Rath Goethe aber war nach Empfang dieses Briefs zu meinen Eltern geeilt, ihnen dessen In halt mitzutheilen.[254]


208.*


1803 (?).


Über die »Zeitung für die elegante Welt«

[Mit Bezug auf die Vignette dieser Zeitschrift, welche einen, auf einem mit Greifen bespannten Radgestelle fahrenden Flügelknaben vorstellt.]


Bei der »Eleganten Zeitung« schlug er vor, den Buben, der die Greifen zügelt, umzukehren und dem Publikum das Gesäß zeigen zu lassen.[255]


Quelle:
Goethes Gespräche. Herausgegeben von Woldemar Freiherr von Biedermann, Band 1–10, Leipzig 1889–1896, Band 1, S. 251-256.
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