1807

287.*


1807, zu Anfang.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer


a.

»Weiber verstehen alles á la lettre oder au pied de la lettre, verlangen aber, daß man sie nicht so verstehen soll.«


b.

[157] »Ein Gott kann nur wieder durch einen Gott balancirt werden. Die Kraft soll sich selber einschränken, ist absurd. Sie wird nur wieder durch eine andere Kraft eingeschränkt. Dieses specificirte Wesen kann sich nicht selbst einschränken, sondern das Ganze, welches sich specificirt, schränkt sich eben dadurch selbst ein, aber nicht das Einzelne sich


c.

»Nur nichts als Profession getrieben! Das ist mir zuwider. Ich will alles, was ich kann, spielend treiben, was mir eben kommt und so lange die Lust daran währt. So hab' ich in meiner Jugend gespielt unbewußt; so will ich's bewußt fortsetzen durch mein übriges Leben. Nützlich? – Nutzen das ist eure Sache. Ihr mögt mich benutzen; aber ich kann mich nicht auf den Kauf oder die Nachfrage einrichten. Was ich kann und verstehe, das werdet ihr benutzen, sobald ihr wollt und Bedürfniß danach habt. Zu einem Instrument gebe ich mich nicht her; und jede Profession ist ein Instrument, oder wollt ihr es vornehmer ausgedrückt, ein Organ.«[158]


288.*


1807, 14. Januar.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»Die mathematischen Formeln außer ihrer Sphäre, d.h. dem Räumlichen, angewendet, sind völlig starr[158] und leblos, und ein solches Verfahren höchst ungeschickt. Gleichwohl herrscht in der Welt der von den Mathematikern unterhaltene Wahn, daß in der Mathematik allein das Heil zu finden sei, da sie doch, wie jedes Organ, unzulänglich gegen das All ist. Denn jedes Organ ist specifisch und für das Specifische.«[159]


289.*


1807, 19. Januar.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Abends »Der Amerikaner« [Lustspiel von Vogel]; Goethe bemerkte, daß er sich zu einer vortrefflichen Oper machen ließe.[159]


290.*


1807, 20. Januar.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Nach Goethes Bemerkung gebe ein schmarutzender Tyrann oder tyrannischer Schmarutzer ein gutes Stück.[159]


291.*


1807, 3. Februar.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Die Reflexion führt darum so leicht auf's Unrichtige, auf's Falsche, weil sie eine einzelne Erscheinung,[159] eine Einzelheit, ein Jedesmaliges zur Idee erheben möchte, aus der sie Alles ableite; mit einem Worte, weil es eine partielle Hypothese ist. Z. E. wenn man sagt: »Jeder handle aus Eigennutz.« – »Die Liebe sei nur Selbstsucht.« – Als wenn die Natur nicht so eingerichtet wäre, daß die Zwecke des Einzelnen dem Ganzen nicht widersprechen, ja sogar zu seiner Erhaltung dienen; als wenn ohne Motive etwas geschehen könnte, und als wenn diese Motive außerhalb des handelnden Wesens liegen könnten und nicht vielmehr im Innersten desselben; ja, als wenn ich die Wohlfahrt des Andern befördern könnte, ohne daß sie auf mich inundirte, keineswegs mit meinem Verlust, mit meiner Aufopferung, welche nicht immer dazu erfordert wird, und welches nur in gewissen Fällen geschehen kann.

Wäre es wahr, daß Jeder nur aus und zu seinem Vortheil handle, so würde einmal folgen, daß, wenn ich zu meinem Abbruch, Nachtheil, Detriment handelte, ich erst die Wohlfahrt des Andern beförderte, welches absurd ist. Ferner, daß, wenn ich dem Andern Schaden thäte, wenn ich in Zorn gegen ihn aufwallte und ihn schlüge oder dergl., daß ich alsdann zu meinem Vortheil, für mein Interesse handelte, welches ebenso absurd ist. Man unterscheidet hier nicht die Aufwallung, die Regung der Natur, die in jedem Einzelnen den Mittelpunkt vom Ganzen ausschlagen will.

»Außerordentliche Menschen, wie Napoleon, treten[160] aus der Moralität heraus. Sie wirken zuletzt wie physische Ursachen, wie Feuer und Wasser.«

»Ja schon Jeder, der aus der Subordination heraustritt – denn die ist das Moralische – ist insofern unmoralisch.«

»Wer von seinem Verstande zum Schaden Anderer Gebrauch macht, oder diese auch nur dadurch einschränkt, ist insofern unmoralisch.«

»Jede Tugend übt Gewalt aus, wie auch jede Idee, die in die Welt tritt, anfangs tyrannisch wirkt.«[161]


1632.*


1807, 3. Februar.


Bei Vorlesung der »Mitschuldigen«

Bei Goethe war's den Abend... ganz allerliebst. Er hatte einige junge Schauspieler, die er oft bei sich declamiren läßt, um sie für ihre Kunst zu bilden, eingeladen, und las mir mit ihnen eine seiner frühesten Arbeiten, ein Stück voll Laune und Humor, ›Die Mitschuldigen‹ betitelt, vor; er hatte selbst die Rolle eines alten Gastwirts darin übernommen, was bloß mir zu Ehren geschah; sonst thut er das nicht. Ich habe nie was Ähnliches gehört; er ist ganz Feuer und Leben, wenn er declamirt; niemand hat das Ächtkomische mehr in seiner Gewalt, als er. Zwischendurch meisterte er die jungen Leute. Ein paar waren ihm zu kalt: »Seid Ihr denn gar nicht mehr verliebt?« rief er komisch erzürnt;[44] und doch war's ihm ernst. »Seid Ihr denn gar nicht verliebt, verdammtes junges Volk? Ich bin sechzig Jahr alt und ich kann's besser!«[45]


292.*


1807, 11. Februar.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Die Wahlsprüche, bemerkte Goethe, deuteten auf das, was man nicht hat, sondern wonach man strebt. Nec temere nec timide.

Richter in Göttingen hatte ebensowenig auream mediocritatem als Wieland, der sein ganzes Leben in Extremis zubrachte.[161]


293.*


1807, 22. Februar.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»Es ist ganz einerlei, auf welcher Seite Ihr zugrunde geht, auf der activen oder passiven,« erwiederte[161] Goethe scherzhaft auf die Bemerkung, daß ein kleiner, zeither wilder vorwitziger Knabe auf einmal wie geknickt und umgekehrt erscheine, ohne krank zu sein, sodaß man ihn nicht wiedererkenne.[162]


294.*


1807, 1. März.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Kotzebue sei wie ein Pagliasso: wenn er die Leute auf dem Drahte tanzen sieht, so sagt er: »Was ist denn das weiter! Das kann ich auch – nämlich auf dem Erdboden. Was soll denn das dort heißen? Warum nicht hier? Das kann Ich und noch dazu ***. Das macht mir einmal nach auf eurem Draht!«[162]


295.*


1807, 19. März.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer


a.

»Man wird sich dessen, was man hat oder nicht hat, ist oder nicht ist, erst am Gegentheile von diesem bewußt oder inne.

Darum werden so viele Menschen durch die Erscheinung eines neuen, fremden Menschen in der Gesellschaft[162] beunruhigt. Er entdeckt ihnen, was sie nicht haben, und dann hassen sie ihn, oder er entdeckt ihnen durch sein Gegentheil, was sie haben, und so verachten sie ihn wieder. Ist er besonders höflich und galant, so ist er den Groben zuwider; ist er grob, so ist er den Höflichen und im Grunde allen zuwider; und so durch alles durch.«


b.

»Die Natur kann zu allem, was sie machen will, nur in einer Folge gelangen. Sie macht keine Sprünge. Sie könnte z. E. kein Pferd machen, wenn nicht alle übrigen Thiere voraufgingen, auf denen sie wie auf einer Leiter bis zur Structur des Pferdes heransteigt. So ist immer eines um alles, alles um eines willen da, weil ja eben das Eine auch das Alles ist. Die Natur, so mannichfaltig sie erscheint, ist doch immer ein Eines, eine Einheit, und so muß, wenn sie sich theilweise manifestirt, alles Übrige diesem zur Grundlage dienen, dieses in dem Übrigen Zusammenhang haben.«[163]


296.*


1807, 24. März.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»Die Formel der Steigerung läßt sich auch im Ästhetischen und Moralischen verwenden.

[163] Die Liebe, wie sie modern erscheint, ist ein Gesteigertes. Es ist nicht mehr das erste einfache Naturbedürfniß und Naturäußerung, sondern ein in sich cohobirtes, gleichsam verdichtetes und so gesteigertes Wesen.

Es ist einfältig diese Art zu verwerfen, weil sie auch noch einfach existirt und existiren kann.

Wenn man in Küche und Keller ein Gesteigertes sucht und darauf ausgeht, warum soll man nicht auch diesen Genuß für die Darstellung oder für das unmittelbare Empfinden steigern dürfen und können?

Jeder Koch macht auf diese Weise seine Brühen und Saucen appetitlicher, daß er sie in sich cohobirt.«[164]


297.*


1807, 28. März.1


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»In dem, was der Mensch technicirt, nicht bloß in den mechanischen, auch in den plastischen Kunstproduktionen ist die Form nicht wesentlich mit dem Inhalt verbunden, die Form ist dem Stoff nur auf- oder abgedrungen. Die Produktionen der Natur erleiden zwar auch äußere Bedingungen, aber mit Gegenwirkung von innen. Kurz es ist hier ein lebendiges Wirken von außen und innen, wodurch der Stoff die Form erhält.

[164] Die Form des Leuchters ist dem flüssigen Messing aufgenöthigt. Sich selbst überlassen, hätte es sich aus sich und durch die einwirkende Luft geformt.

Man könnte einen Leuchter auch aus Salz gerinnen lassen. Hier würde sich das Salz zwar innerlich krystallisiren, aber nach außen zu wird ihm die Form des Leuchters aufgedrungen!«


1 Wohl so, statt 18. März?[165]


298.*


1807, 9. Mai.


Mit Georg Reinbeck

Ich machte ... meinen Abschiedsbesuch bei Goethe, den ich so gar liebgewonnen hatte. Er war allein. Ich mußte auf dem Sopha Platz nehmen, und er setzte sich auf einen Stuhl, mir gegenüber. Es war eine gewisse Feierlichkeit, nicht Vornehmigkeit, die ich auch wohl kannte, in seinem Benehmen und mir war's recht schwer um's Herz. Unser Gespräch betraf meine Reise und meinen Aufenthalt in Heidelberg. »Die Natur und die Vergangenheit bieten Ihnen dort viel,« sagte er, »ob aber das Leben? Ich weiß nicht, ob Sie mit dem deutschen Universitätswesen bekannt sind? Es ist nicht eben das angenehmste, und in Heidelberg besonders scheint viel Parteiwuth zu herrschen, und die Wissenschaft trennt statt zu vereinigen. Es ist wie mit der Kirche dort. Protestanten und Katholiken sind in einem[165] Gebäude unter dem nämlichen Dache vereinigt, allein in der Mitte ist zwischen beiden eine dicke Mauer. Haben Sie dort Bekannte?« Ich sagte ihm, daß ich von Dresden aus an Professor Fries und von dem guten Generalsuperintendenten (Voigt) an Heinrich Voß Briefe hätte. »Da sind Sie gut versehen,« erwiderte er, »grüßen Sie mir den Heinrich, das ist ein lieber kindlicher Mensch, und grüßen Sie auch den Alten von mir!« Unser Gespräch verbreitete sich über mehreres und auch mit Wehmuth von meiner Seite über meinen achtmonatlichen Aufenthalt in Weimar und das darin Erlebte, wobei ich es für ein wahres Glück schätzte, zu einem so langen Aufenthalt gleichsam gezwungen worden zu sein. »Was Sie an Ihrem Aufenthalt hier etwa zu tadeln finden,« versetzte er, »wird Ihnen in der Erinnerung vielleicht noch mehr Genuß gewähren, als was Sie jetzt zu loben haben. Überstandenes Ungemach hat einen eigenthümlichen Reiz.« Ich konnte das aus einer reichen Erfahrung nur bestätigen. Endlich mußte doch aber an den Aufbruch gedacht werden und ich konnte den Entschluß dazu nicht finden. Als ich zuletzt fast gewaltsam aufbrach, versagte mir das Wort. Ich stammelte einiges – ich weiß selbst nicht was. Goethe war sichtbar bewegt. Er reichte mir die Hand. »Reisen Sie glücklich,« sagte er, »und vergessen Sie uns nicht!« Nie, nie! rief ich, und man wird's natürlich finden, daß ich Wort hielt, und ich habe auch die Freude, daß ich in Weimar nicht ganz vergessen wurde.[166]


299.*


1807, 11. Mai.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Als über Tisch von Erasmus die Rede war, sagte Goethe: »Erasmus gehöre zu denen, die froh sind, daß sie selbst gescheidt sind, und keinen Beruf finden, andre gescheidt zu machen, – was man ihnen auch nicht verdenken könne.«[167]


300.*


1807, 17. Mai.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Zu Goethe. »Flucht nach Ägypten« diktirt. Goethe äußerte, er habe nie auf Despoten schimpfen hören, als die selbst Despoten gewesen, kleine oder große. Mit Beziehung auf die Jenaische Brandstätte bemerkte er: »Niemals werde ein Fürst oder großer Herr von einer Sache schlechter unterrichtet, als wenn er sich selbst dahin begebe, um sich zu unterrichten.« Ferner äußerte er: »Die Franzosen hätten keine Imagination, sonst hätten sie statt der zwanzig Häuser in Jena und Weimar, wenn sie nicht zufällig abgebrannt, sondern von ihnen angezündet sind, die Stadt an allen Ecken angezündet und mit Stumpf und Stiel abgebrannt; das hätte dann anders in die Welt hineingeklungen.«[167] – Er sagte weiter: »Die Weiber müßten nur lieben oder hassen; da wären sie ganz scharmant. Die Männer aber müßten weder lieben noch hassen. So käme alles wieder ins Gleichgewicht.« »Die Irrthümer des Menschen machen ihn eigentlich liebenswürdig.«[168]


301.*


1807, Mai.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»Die Arzneikunde ist mehr politisch als ein anderes. Man muß auf die Krankheit losgehen wie auf einen großen Herrn oder ein hübsches Mädchen, die man be- will, wie ein Diplomat den andern durch einen Pfiff, um ihr etwas abzugewinnen. Nur en tant, daß er pfiffig ist, ist er ein guter Arzt.«[168]


302.*


1807, 19. Mai.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer


a.

Gespräch über Kunst. »In der Malerei fehle schon längst die Kenntniß des Generalbasses, es fehle an einer aufgestellten approbirten Theorie, wie es in der Musik der Fall ist.«


b.

[168] Als die Rede davon war, daß Napoleon seinen Soldaten den Sold vorenthalte, sagte Goethe: da alle Welt über den Egoismus, der jetzt herrsche, Klage führe, so sei Napoleon gekommen, die Menschen uneigennützig zu machen.[169]


303.*


1807, 21. Mai.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Zu Goethe. »Die neue Melusine«. Abends zu Frommanns. Über die Eitelkeit. Man mußte sich jetzt in der Gesellschaft einander die Eitelkeit auf. Dadurch gehe die Gesellschaft zu Grunde; denn nun würden die einen bloß passiv, indem sie dächten: wenn ich die angenehme Eigenschaft, die ich besitze, nicht zeigen soll, so will ich thun als hätte ich gar keine. Und nun passen sie den andern auf. Dadurch bemächtigt sich gerade der Schlechteste der Gesellschaft, der dreist genug ist. – »Im Alter schlafe man eigentlich nicht, der Schlaf ziehe sich nur über die Gegenstände des Tags wie eine Art von Flor und lasse sie durchscheinen.« So sah Goethe vorige Nacht sein Märchen von der Melusine unter einer Architektur hervorschimmern. Er hielt das im Traume für das Schöne und Rechte und wollte es festhalten; aber wie er erwachte, verschwand der Unsinn. – Die Nachtigallen, bemerkte Büffon, schlagen[169] nur so schön während der Begattungszeit. Nachher ist ihre Stimme rauh und ganz anders, so daß man einen andern Vogel zu haben glaubt. Die Griechen kannten daher die Nachtigall als zwei verschiedene Vögel unter zweierlei Namen, wie Plinius bemerkt. Die Thiere werden erst vocal in dieser Zeit, als Hirsche, Auerhähne u. dergl.[170]


304.*


1807, 22. Mai.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Elektrometer. Die Luft ist niemals elektrisch, sondern der Gegenstand in ihr wird es durch seine Position und Berührung mit einem anderen.[170]


305.*


1807, 25. Mai.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Nach 4 Uhr von Jena weggefahren. Prächtiger Morgen. Über Lenz und Moritz gesprochen. Lenz hatte einen besonderen Hang zur Intrigue, auch gegen Goethe trotz seiner Anhänglichkeit. Sie hatten zusammen in Straßburg studirt. – Moritz' italienische Reise ist gewissermaßen verdorben durch das Bestreben, es Goethe nachzuthun. Seinen Aufsatz über die Kunst ist Goethe durchgegangen.[170]


306.*


1807, 27. Mai.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»In der Jugend sieht man das Detail als Masse, die Masse als Detail; im Alter umgekehrt.«[171]


307.*


1807, etwa Juni.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer


a.

»Die Welt ist wie ein Strom, der in seinem Bette fortläuft, bald hier bald da zufällig Sandbänke ansetzt und von diesen wieder zu einem andern Wege genöthigt wird. Das geht Alles so hübsch und bequem und nach und nach; dagegen die Wasserbaumeister eine große Noth haben, wenn sie diesem Wesen entgegenarbeiten wollen.«


b.

»Man ist sehr übel dran, daß man den Aerzten nicht recht vertraut und doch ohne sie sich gar nicht zu helfen, weiß.«


c.

»Wir sind nicht daraus eingerichtet, das Leben zu verlassen, wenn es nichts mehr werth ist und da muß[171] derjenige immer noch gepriesen werden, der es als erträglich haltbar verspricht.«


d.

»Daß die Pfaffen so dumm gewesen, sich ein solches Besitzthum, wie ein Bad, ein Gesundbrunnen ist, entgehen zu lassen und keine Anlagen und Anstalten für Wunderkuren damit zu verbinden, wie beim Teich Bethesda.« – »Die Naturlehre war damals völlig getrennt von der Idee; das Ideale war bloß geistlich, christlich, und in der Natur, glaubte man, seien Zauberer, Gnomen, die alle unter dem Teufel standen. Die Welt gehörte dem Teufel, selbst bis auf Luther.«[172]


308.*


1807, 2. Juni.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»Man kann schon einen nicht, geschweige denn viele unter einen Hut bringen, denn jeder setzt ihn sich anders zurecht!« Bei Gelegenheit von einem Apophthegma im Zinkgräf.[172]


309.*


1807, 6. Juni.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»Man muß nicht auf die Sachen böse werden; denn das thut den Sachen ganz und gar nichts –[172] sagt Marc Aurel. – Also indigniren die Menschen mich dann und wann wohl, aber die Sachen finden mich immer entschlossen.«[173]


310.*


1807, 13. Juni.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Abends mit Goethe spazieren. Jugendgeschichten aus Wetzlar. Gouë, Gotter, v. Born etc. Geheime Ritterorden. Mystifikationen. Zu der Zeit, wo ganz Deutschland seinen »Götz von Berlichingen« bewunderte, befand sich Goethe in größter Verlegenheit, wie er das Papier dazu bezahlen sollte: denn er hatte mit Merck gemeinschaftlich es drucken lassen, jener den Druck, er das Papier besorgt, und hernach in Commission gegeben, aber sein Lebtag nicht einen Heller dafür eingenommen. Zinkgräf Apophth.: »Wer einen Stein nicht allein erheben mag, der soll ihn auch selbander liegen lassen.«[173]


311.*


1807,1. Juli.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Als ich in Elnbogen einiges gezeichnet hatte, rieth er mir, Everdingen's Sachen zu studiren, weil ich das Aperçu der Silhouette habe.[173]


312.*


1807, 8. Juli.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»Die Kunst stellt eigentlich nicht Begriffe dar, aber die Art, wie sie darstellt, ist ein Begreifen, ein Zusammenfassen des Gemeinsamen und Charakteristischen, d.h. der Stil.«[174]


313.*


1807, 10. Juli.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»Die Götter haben im menschlichen Körper eine unmögliche Synthese geleistet: das Thier und den Menschen zu verbinden. Die Eingeweide kommen alle übereinander zu stehen, da sie bei den Thieren hängen, in der Wampe. Sie hätten auch den Vogeltypus nehmen können; dann,« scherzte er, »legten die Weiber Eier und brüteten sie aus; dann u.s.w.«[174]


315.*


1807, 14. Juli.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»Das Stück [›Amphitryon‹ von Kleist] enthält nichts Geringeres, als eine Deutung der Fabel ins Christliche, in die Überschattung der Maria vom heiligen Geist. So ist's in der Scene zwischen Zeus und Alkmene. Das Ende ist aber klatrig: der wahre Amphitryon muß es sich gefallen lassen, daß ihm Zeus[175] diese Ehre angethan hat; sonst ist die Situation der Alkmene peinlich und die des Amphitryon zuletzt grausam.«[176]


317.*


1807, 23. Juli.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

und Friedrich Heinrich Himmel

»Vocalmusik heißt sie, weit man beim (jetzigen) Singen nur die Vocale hört.«[177]


318.*


1807, 24. Juli.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer


a.

»Die Bildung wird zwar von einem Wege (in's Holz) angefangen, aber auf ihm nicht vollendet. Einseitige Bildung ist keine Bildung. Man muß zwar von Einem Punkte aus-, aber nach mehreren Seiten hingehen. Es mag gleichviel sein, ob man seine Bildung von der mathematischen, oder philologischen oder künstlerischen Seite her hat, wenn man sie nur hat; sie kann aber in diesen Wissenschaften allein nicht bestehen. Die Wissenschaften einzeln sind gleichsam nur die Sinne, mit denen wir den Gegenständen Face machen; die Philosophie ober die Wissenschaft der Wissenschaften ist der sensus communis. Aber so wie es lächerlich wäre,[177] wenn einer das Sehen durch das Hören, das Hören durch das Sehen compensiren und ersetzen wollte, sich bemühte, die Töne zu sehen statt zu hören: so ist es lächerlich, durch Mathematik die übrigen Erkenntnißarten zu compensiren und vice versa, so in allen übrigen; oder es wird eine Phantasterei. Daher giebt es jetzt so manche Phantasten, die ohne positive Kenntnisse durch phantastische Combination dessen, was von jenen öffentlich verlautet, sich das Ansehen tiefer Einsicht in das Wesen einer jeden zu geben wissen. Exempla sunt odiosa.«


b.

»Die stoische Philosophie ist – wie ich schon sonst bemerkte – eine Philosophie für die Armen, nämlich beruhend auf dem Abweisen des Objects als in nostra potestate non situm.«[178]


319.*


1807, 30. Juli.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Bei Gelegenheit einer [Adam] Müller'schen Vorlesung über das spanische Drama: »Alles Spinozistische in der poetischen Produktion (oder: Was in der poetischen Produktion Spinozismus ist wird in der kritischen Reflexion Machiavellismus.)«[178]


320.*


1807, 1. August.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Bei Gelegenheit eines geistreichen, wiewohl malitiösen Urtheils über »Corinna« [der Stael] von Reinhard: Goethe ist einer von den gutwilligen Lesern, die das Brod des Autors mit der Butter guten Willens überstreichen und so die Lücken zukleben, wenn sie nicht gar zu groß sind: »R. ißt das Brod trocken, und da kann er freilich sonderbare Dinge erzählen von dem, wie es ihm geschmeckt.«[179]


321.*


1807, 2. August.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer


a.

Fernow hatte das Bouterweck'sche Buch über die französische Literatur schon gestern den 1. August gebracht, worin der lustige Vorschlag zu einer Tragödie: daß man einer Dame das Herz ihres Geliebten zu essen giebt. Mittags nach Tische über Bouterwecks Vorschlag uns lustig gemacht und das Trauerstiel schematisiert. Zu einer romantischen Tragödie, worin man das Herz eines Liebhabers der Geliebten zu essen giebt, entwarf Goethe das Scenario.


b.

[179] »Alle Philosophie über die Natur bleibt doch nur Anthropomorphismus, d.h. der Mensch, eins mit sich selbst, theilt allem, was er nicht ist, diese Einheit mit, zieht es in die seinige herein, macht es mit sich selbst eins.

Um die Natur zu erkennen, müßte er sie selbst sein. Was er von der Natur ausspricht, das ist etwas, d.h. es ist etwas Reales, es ist ein Wirkliches, nämlich in Bezug auf ihn. Aber was er ausspricht, das ist nicht alles, es ist nicht die ganze Natur, er spricht nicht die Totalität derselben aus.

Wir mögen an der Natur beobachten, messen, rechnen, wägen etc. wie wir wollen, es ist doch nur unser Maß und Gewicht, wie der Mensch das Maß der Dinge ist. Das Maß könnte größer oder kleiner sein, es ließe sich mehr oder weniger damit abmessen, aber das Stück, das Gewebe, bleibt nach wie vor, was es ist, und nichts weiter von ihm als seine Ausdehnung in Bezug auf den Menschen ist durch jene Operation ausgesprochen. Mit Duodecimal- oder Decimalmaß wird nichts von der sonstigen anderweitigen Natur des Dinges ausgesprochen und verrathen.

Dies zur Verständigung und Vereinigung mit denen, welche noch von Dingen an sich sprechen. Ob sie gleich von den Dingen an sich nichts sagen können, eben weit es Dinge an sich, das heißt außer Bezug auf uns und[180] wir auf sie sind, und sie alles, was wir von den Dingen sagen, für unsere Vorstellungsart halten (wobei nur zu bemerken ist, daß es nicht bloße Vorstellungsart sein kann, sondern das Ding in unserer Vorstellungsart, von ihr bekleidet), so leuchtet doch daraus soviel ein, daß sie mit uns darin einig sind, daß, was der Mensch von den Dingen aussagt, nicht ihre ganze Natur erschöpft, daß Sie dieses Ausgesagte nicht nur allein, einzig, sondern noch viel mehr und anderes sind. Und das ist doch wahr; denn man entdeckt täglich mehr Relationen der Dinge zu uns, empfindet ihnen noch immer etwas ab. Das heißt die Dinge sind unendlich. Das wissen wir ja. Mit einem Worte: der Mensch spricht das Objekt nicht ganz aus. Aber was er davon ausspricht, das ist ein reales, wäre es auch nur seine Idiosyncrasie, das heißt der Bezug, den es auf ihn allein hat. Wäre das nicht, wer sollte den Bezug aussprechen? Der Mensch ist in dem Augenblicke, als er das Objekt ausspricht, unter und über ihm, Mensch und Gott in einer Natur vermittelt. Wir sollten nicht von Dingen an sich reden, sondern von dem Einen an sich. Dinge sind nur nach menschlicher Ansicht, die ein verschiedenes und mehreres setzt. Es ist alles nur Eins; aber von diesem Einen an sich zu reden, wer vermag es?

Dinge sind ja selbst nur Verschiedenheiten, durch den Menschen gesetzt und gemacht; und die Verschiedenheiten, die er setzt und macht, wird er ja wohl auch[181] als solche Verschiedenheiten, nämlich als das wofür er sie erkennt, als verschieden aussprechen können!«


c.

Über Tisch: Betrachtungen über die Natur, welche, immer dieselbe, zu verschiedenen Sinnen anders rede. »Die Farbe ist für's Auge, aber sie ist nicht bloß für's Auge. Das Blaue z.B. ist etwas, kein bloßer Name; es ist ein Chemisches, es beruht auf der Natur des Körpers. Daher die Farben auch zu fühlen sein müssen etc.«[182]


322.*


1807, 3. August.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Goethe bemerkte bei der Müller'schen Vorlesung über die spanische Poesie und seinem Lobe von Schlegels Übersetzung des Calderon: »Sie sei denn doch nur ein ausgestopfter Fasan gegen einen wirklichen, aber ein gut ausgestopfter.« Es ist dies ein treffender Vergleich für die Wirkung der Übersetzung gegen das Original, zumal der modernen. Bei Voß paßt es nun ausdrücklich; wo es noch die Federn des Alten sind, dieselbe Epidermis (im Silbenfall).[182]


323.*


1807, 8. August.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer


a.

»Es sind zwei Formeln, in denen sich die sämmtliche Opposition gegen Napoleon befassen und aussprechen läßt, nämlich: Afterredung (aus Besserwissenwollen) und Hypochondrie.«


b.

»Wenn ein Weib einmal vom rechten Wege ab ist, dann geht es auch blindlings und rücksichtslos auf dem bösen fort, und der Mann ist nichts dagegen, wenn er auf bösen Wegen wandelt; bei ihr aber wirkt dann die bloße Natur.«[183]


324.*


1807, August.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer


a.

»Die Phänomene, wenn man sie auch gut apercevirt hat, werden immer wieder dadurch entstellt und zu Grunde gerichtet, daß man sie aus der jedesmaligen Philosophie zu erklären und dieser zu subsummiren sucht, so wie umgekehrt die herrschende Philosophie sich[183] wieder solche physische Vorstellungsarten aneignet, die in ihren Kram dienen, z.B. die Naturphilosophie die Newton'sche Lehre, damit sie auch hier alles aus dem Lichte ableiten können.«


b.

»Der Mann soll gehorchen, das Weib soll dienen. Beide streben nach der Herrschaft. Jener erreicht sie durch Gehorchen, diese durch Dienen. Gehorchen ist dicto audientem esse; dienen heißt zuvorkommen. Jedes Geschlecht verlangt vom dem andern, was es selbst leistet, und erfreut sich dann erst: der Mann, wenn ihm das Weib gehorcht (was er selbst thut und thun muß); das Weib, wenn ihr der Mann dient, zuvorkommt, aufmerksam, galant und wie es heißen mag ist. So tauschen sie in der Liebe ihre Rollen um; der Mann dient, um zu herrschen, das Weib gehorcht, um zu herrschen.«[184]


325.*


1807, 13. August


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»Die femmes auteurs (und wohl überhaupt) fassen die Männer nur unter der Form des Liebhabers auf und stellen sie dar; daher alle Helden in weiblichen Schriften die Gartenmanns-Figur machen.« – Goethe äußerte: Coquetterie ist Egoismus in der Form der[184] Schönheit. Die Weiber sind rechte Egoisten, indem man nur in ihr Interesse fällt, sofern sie uns lieben oder wir ihre Liebhaber machen, oder sie uns zu Liebhaber wünschen. Eine ruhige, freie, absichtslose Theilnahme und Beurtheilung fällt ganz außer ihrer Fähigkeit. Sie sehen alles nicht etwa nur aus ihrem Standpunkt, sondern in persönlichem Bezug auf sich. Die Weiber bestreben sich innerlich und äußerlich anmuthig liebenswürdig zu erscheinen, zu gefallen mit Einem Worte, und wenn wir dieselbe thun, so nennen sie uns eitel.[185]


326.*


1807, 18. August.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»Der Philister negirt nicht nur andere Zustände, als der seinige ist, er will auch, daß alle übrigen Menschen auf seine Weise existiren sollen. Er geht zu Fuß und ist sein Lebenlang zu Fuß gegangen. Nun sieht er jemand in einem Wagen fahren. Was das für eine Narrheit ist, ruft er aus, zu fahren, sich dahin schleppen lassen von Pferden! Hat der Kerl nicht Beine! wozu sind denn die Beine anders als zum Gehen? Wenn wir fahren sollten, würde uns Gott keine Beine gegeben haben! – Was ist es denn aber auch weiter! Wenn ich mich auf einen Stuhl setze und Räder unten anbringe und Pferde vorspanne, so kann[185] ich auch fahren so gut wie jener. Das ist keine Kunst!

Man wird in philisterhaften Äußerungen immer finden, daß der Kerl immer zugleich seinen eignen Zustand ausspricht, indem er den fremden negirt, und daß er also den seinigen als allgemein sein sollend verlangt. Es ist der blindeste Egoismus, der von sich selbst nichts weiß, und nicht weiß, daß der der andern ebensoviel Recht hätte, den seinigen auszuschließen, als der seinige hat, den der andern.«[186]


327.*


1807, 28. August.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer


a.

»Der böse Wille, der den Ruf eines bedeutenden Mannes gern vernichten möchte, bringt sehr oft das Entgegengesetzte hervor: er macht die Welt aufmerksam auf eine Persönlichkeit, und da die Welt, wonicht gerecht, doch gleichgültig ist, so läßt sie sich's gefallen nach und nach die guten Eigenschaften desjenigen gewahr zu werden, den man ihr auf das schlimmste zu zeigen Lust hatte. Ja, es ist sogar im Publikum ein Geist des Widerspruchs, der sich dem Tadel wie dem Lobe entgegensetzt, und im ganzen braucht man nur nach Möglichkeit zu sein, um gelegentlich zu seinem Vortheil zu[186] erscheinen; wobei es dann hauptsächlich darauf ankommt, daß die Augenblicke nicht allzu kritisch werden und der böse Wille nicht die Oberhand habe zur Zeit, wo er vernichten kann.«


b.

Zu Bolza; [Gasthofsbesitzer in Karlsbad] ... erzählte Goethe vom Dichter Zachariä, mit dem er in Leipzig, noch als Student gegessen, und der sie junge Leute dort recht lieb gehabt.[187]


1491.*


1807, Ende August oder Anfang September.


Mit Anton Genast

Als wir [vom Leipziger Gesammtgastspiel] nach Weimar zurückgekehrt waren, ging ich zu Goethe, um ihm über alle Vorkommnisse Rapport abzustatten. Er empfing mich mit den Worten: »Nun, Ihr habt euch ja recht wacker gehalten, und unsere Gesellschaft hat, wie ich von allen Seiten höre, Ehre eingelegt; besonders hat Mahlmann gewichtige Worte über unser Streben gesprochen.1 Der Mann hat vollkommen recht: Virtuosität muß von der dramatischen Kunst ferngehalten werden, keine einzelne Stimme darf sich geltend machen, Harmonie muß das Ganze beherrschen, wenn man das Höchste erreichen will. Darum laßt uns in unserem Streben so fortfahren; denn manches findet sich noch, was, besser in's Auge gefaßt, zu größerer Geltung gebracht werden kann. An Ausdauer von[297] meiner Seite, gutem Willen und Fleiß vonseiten des Personals fehlt es nicht, und so ist mit der Zeit das Beste zu erwarten.«


1 In der »Zeitung für die elegante Welt.«[298]


328.*


1807, 3. September.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Gespräch über Einrichtungen des Lebens und Verfahrens bei jetzigen politischen Umständen; was ein junger Mensch zu thun habe. Es ist weiter nichts, als das gesellschaftliche Betragen, ausgedehnt auf eine größere Gesellschaft, auf Franzosen u.s.w.[187]


330.*


1807, 26. September.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»Vernunftkultur hätten am Ende einzig nur die Frommen; bei den andern (Jakobi etc.)gewinnt zuletzt der Verstand doch die Überhand, daß man das höchste zu irdischen Zwecken benutzt. So eine sinnlich verständige Kultur, wie z. E. Wegwoods, sei auch schätzbar, und schätzbarer als diese. Es seien zu allen Zeiten nur die Individuen, welche für die Wissenschaft gewirkt. Nicht das Zeitalter. Das Zeitalter war's, das den Sokrates durch Gift hinrichtete, das Zeitalter, das Huß verbrannt; die Zeitatler sind immer sich gleich geblieben.«[188]


331.*


1807,1. October.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer


a.

Mit Goethe im Garten; über Motive und über Geschichte der Philosophie. »Die Wissenschaften bilden sich auch aus und im Gegensatze. Das Zeitalter der Sophisten forderte den natürlichen Menschenverstand und das rechtliche Gefühl des Sokrates. Das Zeitalter der Scholastiker einerseits das Sittliche des Petrarca und in der Physik den Forschungsgeist des Roger Baco u.s.w.«


b.

»Die norddeutschen Poesien, insonderheit die moralischen Lieder, kommen mir vor wie die reformirten Kirchen, die auch ohne Bilder sind.«[189]


332.*


1807, 7. October.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Bei Gelegenheit von Görres dummem Urtheil über Goethe, und daß Tieck, Runge und Jean Paul die einzigen Dichter seien: »So lieb' ich sie aber!« sagte G. Noch ward bemerkt, daß einzelne Menschen einzelne[189] Organe constituiren und ausmachen: Gehör, Auge, Verstand, Gedächtniß u.s.w.[190]


333.*


1807, 13. October.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Früh zu Goethe. Geschrieben über Baco u. Verulam, das Haupt aller Philister, und darum ihnen so auch zu Rechte.[190]


334:*


1807, 21. October.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»Die Geschichte der Wissenschaften ist eine große Fuge, in der die Stimmen der Völker nach und nach zum Vorschein kommen.«[190]


335.*


1807, October und November.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»Der Mensch ist wie eine Republik oder vielmehr wie ein Kriegsheer: Hand, Fuß und alle Gliedmaßen dienen und helfen zu dem Zwecke, den sich das Haupt vorgesetzt hat, und ermüden nicht, beseelt von der Vorstellung[190] des Zwecks; darum nennen es auch die Alten das hêgemonikon.

Aber das hêgemonikon muß auch die Einsicht haben, und den Soldaten die gehörige Erholung lassen.

An den Franzosen sieht man recht die Zusammenwirkung von Geist und Leib, die ganze Armee ist ein Mensch, der keine Anstrengung, keine Ermattung und nichts scheut.

Das Ganze ist ein großer Riese, dem vielleicht hie und da ein Finger oder eine Hand verloren geht, oder ein Bein u.s.w. abgeschossen wird, das er wie der Fierabras ersetzt, aber den Kopf verliert er nie.«[191]


336.*


1807, 11. November.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Goethe trug mir eines Morgens, den 11. November 1807 auf der Reise nach Jena, die ganze Idee und Tendenz seines Gedichts [»Pandora«] so umständlich und ausführlich vor, daß es mir leid that, sie nicht auf der Stelle niederschreiben zu können, sowohl um ihn künftig daran zu erinnern, als auch um die kleinen anmuthigen Züge und Ausschmückungen nicht zu verlieren, die einen augenblicklich improvisirten Vortrag vor dem mit Reflexion und Bedenklichkeit abgefaßten auszeichnen.[191]


337.*


1807, 24. November.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Goethes Aperçu über die Alchymisten, welche die drei Ideen – Gott, Tugend und Unsterblichkeit – in der Empirie darstellen wollen durch den Stein der Weisen als die prima materia, nämlich vis-á-vis von

Gott,Gold,

Tugend,Gesundheit,

Unsterblichkeit,ewiges Leben,

als die Allmacht: Sana mens in corpore sano.



338.*


1807, 25. November.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»Was die Menschen bei ihren Unternehmungen nicht in Anschlag bringen und nicht bringen können, und was da, wo ihre Größe am herrlichsten erscheinen sollte, am auffallendsten waltet – der Zufall nachher von ihnen genannt, – das ist eben Gott, der hier unmittelbar mit seiner Allmacht eintritt und sich durch das Geringfügigste verherrlicht.«[192]


339.*


1807, 26. November.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Goethes Vorschlag (wahrscheinlich scherzhaft), die Weiber in gewissen Fächern des Finanz- und Kammerwesens zu brauchen, wurde von mir verworfen.[193]


340.*


1807, 6. December.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»So wie etwas ausgesprochen wird, sogleich wird ihm auch widersprochen, wie der Ton gleich sein Echo hat.

Seitdem man die dunkeln Empfindungen und Ahnungen des unendlichen Zusammenhangs der Geister- und Körperwelt (Mystik) allgemeiner und öffentlich auszusprechen anfängt, ist Keiner, der nicht das in Worten bestritte, was er in Empfindung und Ahnung gelebt und geleistet hat.

Die sublimirten Gefühle der Liebe ausgesprochen erregen den Widerspruch aller nicht so Gesinnten. ›Das ist Überspannung, krankhaftes Wesen‹ – heißt es da. Als wenn Überspannung, Krankheit nicht auch ein Zustand der Natur wäre! Die sogenannte Gesundheit kann nur im Gleichgewicht entgegengesetzter Kräfte bestehen,[193] wie das Aufheben derselben entsteht und besteht nur aus einem Vorwalten der einen über die andern, so daß der Zustand hypersthenisch und asthenisch heißen würde, wenn man sthenisch als das Harmonische (als die Indifferenz) setzen wollte.«[194]


341.*


1807, 7. December.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

Äußerte Goethe: »Jean Paul ist das personificirte Alpdrücken der Zeit.«[194]


1492.*


1807, Ende (?).


Mit Friedrich Theodor Kräuter

[Als Goethe einen Abguß seiner von Weißer gefertigten Gesichtsmaske bei Kräuter sah, sagte er:]


»Glaubt mir, guter Kräuter! es ist keine Kleinigkeit, sich solchen nassen Dreck auf das Gesicht schmieren zu lassen.«[298]


Quelle:
Goethes Gespräche. Herausgegeben von Woldemar Freiherr von Biedermann, Band 1–10, Leipzig 1889–1896, Band 8, S. 298-299.
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