1816

677.*


1816, zwischen 26. Januar und 11. Februar.


Mit Johann Gottfried Schadow

Es ist nicht lange her, daß ich in Weimar war wegen dem in Rostock zu errichtenden Denkmale des Helden Blücher. – Herr v. Goethe ist mir recht liebreich und milde vorgekommen, und behandelt er Gegenstände der Kunst mit einer Aufmerksamkeit, wie sie mir auch noch nicht vorgekommen.[262]


1670.*


1816, 1. Februar.


Mit Christian Gottlob von Voigt

Herr GR. v. Goethe wird den Aufsatz schreiben über unsre Ordensfeierlichkeit und meinen Prolog nebst seiner Rede (die er »allerliebst« nennt) zu einer Beilage gebrauchen.[77]


678.*


1816, 7. Februar.


Mit Johann Gottfried Schadow

Auch für das zweite Basrelief [zum Blücherdenkmal] mußte ich eine andere Zeichnung machen und[262] damit am Mittwoch zu Herrn v. Goethe gehen. Bei dieser Gelegenheit zeigte mir derselbe Landschaften von Kniep, Entwürfe zu Theaterdecorationen; auch stellte er den Apparat auf, durch welchen man die Farbenerscheinungen wahrnahm, die für mich neu waren und an die [akustischen] Experimente des Chladni erinnerte, welche Herr v. Goethe den Parallelismus seiner Farbenlehre nannte.[263]


1671.*


1816, 18. Mai.


Mit Heinrich Meyer

Nach Ihrem [Ruckstuhl's] Verlangen habe ich den mir zugesendeten Aufsatz »Über die deutsche Sprache[77] und deren Reinigung pp.« dem Herrn Professor Luden... mitgetheilt und von demselben das Versprechen erhalten, solchen in der »Nemesis« abdrucken zu lassen ..... Goethe war zu eben der Zeit, als ich mit Luden verhandelte, in Jena und hat Ihre Schrift mit vielem Vergnügen und Lobeserhebungen gelesen; kämen Sie je wieder in unsere Gegend, so ist Ihnen gute Aufnahme von ihm sicher zu verheißen. Er sagte: der Beifall, welchen er Ihrer Schrift gebe, sei freilich ein wenig parteiisch, indem er über deutsche Sprachverbesserung gerade ebenso denke, wie Sie.[78]


679.*


1816, Mai (?).


Mit Eduard Genast

»König Lear« sollte gegeben werden, aber der Schauspieler, der gewöhnlich den Grafen Kent spielte, war krank geworden und ich mußte für ihn eintreten .... Weder Goethe noch mein Vater nahmen sich beim Studium meiner an. Ei was! dachte ich: du willst den beiden Herren beweisen, daß du ebenfalls auf eignen Füßen stehen kannst. Ich kam in die Probe, bei welcher der Meister gegenwärtig war, und hatte meine Rolle so gelernt, daß mir auch nicht ein Jota fehlte. Nach meiner Ansicht machte ich die Sache gut und erwartete ein »Nicht übel!« oder »Gut!« von des Meisters Lippen zu hören, aber weder ein »Schlecht!« noch »Gut« drang an mein Ohr. Ganz schlecht konnte meine Leistung nicht sein; das sagte mir die zufriedene Miene der Vaters. Ohne jegliche Bemerkung von Goethe[263] über mein Spiel ging die Probe vorüber, worin nur zur Belustigung aller ein kleines Intermezzo vorkam.

Der Schauspieler nämlich, welcher den Haushofmeister vorstellte [Lortzing] und eben kein Licht war, trat bei den Schmähungen, welche Kent ihm zuschleuderte, ganz entrüstet vor und sagte: »Aber Ew. Excellenz! ich kann mir doch vor dem ganzen Publikum von einem so jungen Menschen nicht solche Dinge sagen lassen.« Eine Pause entstand, in der sich alle lächelnd ansahen und die Goethe mit folgenden Worten unterbrach: »Dieser Einwurf hat allerdings, wenn man ihn vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet, etwas für sich; wir wollen es überlegen. Einstweilen fahre man fort!« Der Arme hatte wegen dieser Dummheit lange Zeit zu leiden.

Den andern Tag wurde ich zu Sr. Excellenz beschieden. »Nun, siehst Du, mein Sohn!« sagte er, »gestern hast Du mir bewiesen, daß Du Talent für das Charakterfach hast. Einen guten Liebhaber wirst Du in Deinem Leben nie abgeben; denn Dein Organ entbehrt alle Weiche die dazu gehört, aber Rollen wie Wallenstein und Götz möchten Dir, wenn Du in Deinem Fleiß und Eifer nicht ermüdest, in spätern Jahren gar nicht übel anstehen.« Er entließ mich sehr wohlwollend, und ich eilte freudig gehoben davon.[264]


1672.*


1816, 6. Juni.


An der Leiche der Gattin

Beim Tode seiner Frau – so erzählte mir [Jenny v. Pappenheim] der Leibarzt Huschke – war er weinend in die Kniee gesunken mit dem Ausruf: ›Du sollst, Du kannst mich nicht verlassen!‹[78]


1673.*


1816, 19. Juni.


Mit Wilhelm Grimm

»In Kösen hatte ich schon gehört, daß vor kurzem Goethes Frau gestorben sei, ich wußte also nicht, ob er jemand schon sehen wollte, indessen konnte er mich ja abweisen, und ich machte den Versuch. Er nahm mich aber an, und ich habe ihn nie so heiter, freundlich und wohlwollend gesehen Er sprach über vieles und wenn er in seinem Buche von der Kunst in den Rhein- und Main-Gegenden gegen den heiligen Geist, den Herrn Christus und die Heiligen eine gewisse kalte und humane Artigkeit äußert, so sprach er hier recht schön und warm über das neuerwachte religiöse Gefühl, das nicht wieder untergehen werde, weil man empfunden, daß man ohne das nicht leben könnte, und es war wohl zu sehen, daß er in jenem Buche nur aus einer gewissen Opposition so gesprochen. Gegen die neuen Bekehrer, den Herrn Adam Müller und Fried. Schlegel, sprach er sehr bestimmt, sie wollen uns nehmen, was wir uns erworben haben, und ein rechter Katholik will nichts andres als ein Protestant. Mit Vergnügen erzählte er von Prinz Anton in Sachsen, daß er durch ein Paar wildlederne Hosen seine Reitknechte zu bekehren suche, die nur ein katholischer über das[165] .Gewöhnliche erhalte und die schon manchen verführt habe.«[166]


1674.*


1816, 25. Juni.


Mit Johanna Schopenhauer

Jetzt habe ich den Plan gefaßt... nach Hanau zu gehen, wo ein Pflegesohn von mir mit Frau und Kindern lebt, den ich seit zehn Jahren nicht gesehen habe, und von dort nach Schwalbach, wo Adele [Johanna's Tochter] baden und trinken soll; hernach machen wir eine kleine Reise den Rhein herunter ; bis Köln, die ein für mich ganz neuer Genuß sein wird, und ich bin überzeugt, die Bewegung der Reise, das mildere Klima und der Anblick der schönen Natur werden mir so viel Kräfte geben, daß ich den Winter über recht gut auskommen kann. Goethe, der eben bei mir war, hat mich in diesem Entschluß noch bestärkt; er will mich auch mit Empfehlungen versehen, damit ich auch Zugang zu den Kunstschätzen finde, die jene Gegenden aufbewahren. – Seit dem Tode seiner Frau habe ich ihn heute zum ersten Male gesehen; denn es ist seine Art, jeden Schmerz ganz in der Stille austoben zu lassen und sich seinen Freunden erst wieder in völliger Fassung zu zeigen. Ich fand ihn dennoch verändert; mir scheint er recht im innerlichen Gemüth niedergeschlagen.[79]


680.*


1816, Ende Juli oder Anfang August.


Mit Friedrich Krug von Nidda

Ein Meerfels von der Sonne beglänzt, von Zeit und Stürmen ungebrochen, erschien er [Goethe] eines Tages in unserer Versammlung [in Tennstädt], und die Würde und Sicherheit seiner Haltung, die milde Klarheit seines Blicks, die seine geistvolle Unterhaltung begleitete, ermuthigten mich, ihm nahe zu treten, um die Vergünstigung zu erlangen, ihn auch in seinem Hause zu sehen. Er empfing mich galant, als ich ihm bald darauf meine Aufwartung machte, und leitete das Gespräch mit den Worten ein, daß es ihm lieb sei, mich kennen zu lernen – eine Phrase, die vielleicht mehr als dieses war, da meine Erschöpfung ihn unwillkürlich weich gestimmt... haben mochte .... Er rühmte die wohlthuende Stille des Badeorts wie den Gehalt seiner Quelle, kam von den physischen auf die geistigen Eigenthümlichkeiten des Lebens, wo dann die Unterhaltung vom Kreisamtmann Just, dem Brunnenarzt [Schmidt] und andern Ausgezeichneten zuletzt auch auf Novalis überging, der einst, um sich als praktischer Jurist zu bilden, bei hiesigem Justizamt hospitirte und währenddem das schöne Verhältniß mit Fräulein Sophie v. Kühn schürzte .... – Auf meine Frage: mit welcher poetischen Darstellung er während seiner Badecur sich zu beschäftigen gedenke, nannte er mir die Zusammenstellung seiner Werke, die[265] bald darauf auch in zwanzig Bänden bei Cotta erschien; und als ich ihm zu soviel Trefflichem Glück gewünscht, womit er den deutschen Parnaß bereits beschenkt, versetzte er mit Bescheidenheit des ersten Verdienstes: »Man ehrt mich zu hoch! Ich habe mit meiner Zeit gelebt und verkehrt, und einer hat sich an dem andern erhoben. Den Vorderen sind wir auf die Schultern gestiegen, sahen hierdurch vielleicht etwas weiter, als sie, und so gestaltete sich manche neue Erscheinung.« – Jetzt fiel ihm auch ein, meine Namenschiffre schon unter poetischen Versuchen gesehen und einiges nicht ohne Antheil gelesen zu haben; ja, als ich ihm meine Liebe zur Kunst gestand und meine damals neueste Arbeit (Florian's »Gonsalvo von Cordova« in deutsche Octaven umzubilden) nannte, ließ er sich meine Kühnheit gern gefallen, ihm einen Probegesang zur Durchsicht mitzutheilen, verheißend, mir sein Endurtheil auf keinen Fall verhehlen zu wollen. Nach angehender Dichte Art, ihr Liebstes stets am Herzen zu tragen, überreichte ich ihm auch sofort mein Gedicht, empfahl mich jedoch schon den nächsten Moment, nachdem mir noch die Erlaubniß zu theil geworden war, bald ungemeldet wiederzukommen, eine Vergünstigung, die ich späterhin mit wahrem poetischen Heißhunger nützte.

Ein ungemein artiger Gegenbesuch, der mich nach wenigen Tagen beglückte – wie Goethe überhaupt, weit minder förmlich, als in Weimar, fast jedem Gebildeten[266] diese Ehre erwies – gab mir noch mehr Gelegenheit, als bei der ersten Unterredung, den Dichterfürsten vom Weltmanne zu trennen, und als er mit nur zu schonendem Urtheil über meine Stanzen zuletzt mit der erhebenden Äußerung schloß: »Sie haben Octaven darunter, um die man Sie beneiden könnte« – war meiner Idee zufolge mein Glück gemacht, und rasch entschied ich mich ihm meine Arbeit zuzueignen, was einige Monate später auch geschah und mir einen schriftlichen Dank des Gefeierten einbrachte .....

Es würde mir leicht sein, aus meinem späteren Zusammensein mit Goethe noch manches Ansprechende auszuheben, wozu theils Erinnerungen seiner italienischen Reisen, Streiflichter seines geologischen und naturhistorischen Wissens und Ansichten über die Literargeschichte des Tages mehr als genügenden Vorwurf boten, sowie nicht minder manch Beherzigenswerthes über den weisen Gebrauch der Trope, zumal in der Stanzenform, mir Stoff zu weiterem Nachdenken lieh; doch um mich kurz zu fassen, sei nur das Resultat seines Wohlwollens in den einfachen Scheidegruß gefaßt, mich fernerhin den Musen zu widmen, die mich gewiß nicht verstoßen würden, sofern ich mich Ihnen ganz hingeben wolle.[267]


681.*


1816, 29. August.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»Die lieben Deutschen kenn' ich schon; erst schweigen sie, dann mäkeln sie, dann beseitigen sie, dann bestehlen und verschweigen sie.«[268]


1676.*


1816, 25. September.


Mit Charlotte Kestner, geb. Buff,

und deren Verwandten


a.

Wir fuhren.. hin [zum Mittagessen bei Goethe] und wurden unten an der Treppe von dem Sohn empfangen; im Vorsaal kam er selbst uns entgegen, doch treuer dem Bilde, was ich [Clara Kestner] durch Dich [August Kestner] von ihm hatte, als dem, was uns der gute Onkel [geheime Kammerrath Ridel] gab; denn Rührung kam nicht in sein Herz. Seine ersten Worte waren, als ob er Mutter [Charlotte Kestner] noch gestern gesehen: »Es ist doch artig von Ihnen, daß Sie es mich nicht entgelten lassen, daß ich nicht zuerst zu Ihnen kam.« Er hatte nämlich etwas Gicht im Arm. Dann sagte er: »Sie sind eine recht reisende Frau« und dergleichen gewöhnliche Dinge mehr. Mutter stellte mich ihm vor, worauf er mich einiges fragte unsre Reise betreffend und ob ich noch nie in dieser[80] Gegend gewesen sei, welches ich doch ganz unerschrocken beantwortete. Darauf gingen wir zu Tisch, wohin er Mutter führte und auch natürlich bei ihr saß, ihm gegenüber der Onkel und ich daneben, sodaß ich ihm ganz nahe war, und mir kein Wort und kein Blick von ihm entging. Leider aber waren alle Gespräche, die er führte, so gewöhnlich, so oberflächlich, daß es eine Anmaßung für mich sein würde zu sagen, ich hörte ihn sprechen, oder ich sprach ihn; denn aus seinem Innern, oder auch nur aus seinem Geiste kam nichts von dem, was er sagte. Beständig höflich war sein Betragen gegen Mutter und gegen uns alle, wie das eines Kammerherrn ..... Nach Tisch fragte ich nach einer sehr schönen Zeichnung, die immer meine Augen auf sich zog; er ließ sie mir herunternehmen und erzählte mir sehr artig die Geschichte davon. Sie war von einer Dame Julien Egloffstein; ihrer gedachte er mit großer Auszeichnung und besonders ihres Talents. Darauf ließ er eine Mappe holen und zeigte Mutter ihr, des seligen Vaters und Eurer fünf Ältesten Schattenrisse auf einem Blatt. Du siehst aus allem diesen: er wollte verbindlich sein, doch alles hatte eine so wunderbare Teinture von höfischem Wesen, so gar nichts Herzliches, daß es doch mein Innerstes oft beleidigte. Seine Zimmer sind düster und unwöhnlich eingerichtet: hier und da stehen Vasen, und die Wände sind mit Zeichnungen decorirt, worunter jedoch meiner Ansicht nach außer der genannten nichts Ausgezeichnetes[81] war ..... Nachdem wir nun alles gesehen, fuhren wir nach Haus. Er entschuldigte sich, daß er nicht ausgehen könne, indem er auch bei Hof abgesagt habe.


b.

Von dem Wiedersehen des großen Mannes habe ich [Charlotte Kestner] Euch selbst noch wol nichts gesagt; viel kann ich auch nicht darüber bemerken. Nur soviel: ich habe eine neue Bekanntschaft von einem alten Manne gemacht, welcher, wenn ich nicht wüßte, daß es Goethe wäre, und auch dennoch, keinen angenehmen Eindruck aus mich gemacht hat. Du [August Kestner] weißt, wie wenig ich mir von diesem Wiedersehen, oder vielmehr dieser neuen Bekanntschaft versprach, war daher sehr unbefangen; auch that er nach seiner steifen Art alles Mögliche, um verbindlich gegen mich zu sein. Er erinnerte sich Deiner und Theodor's mit Interesse, ließ mir seinen Sohn eine Pflanze zeigen, die ihm Theodor geschickt hatte pp. und was mich sehr freute, er sprach mit großem Interesse von Stieglitz.[82]


1677.*


1816, 28. September.


Mit Friedrich Wilken

Am 28. September kamen sie in Weimar an. Von dort schreibt Wilken dann selbst am 29. an seine Frau: »Mein[82] alter Reisegefährte [Zelter] hat mir die Reise gar angenehm gemacht; ich weiß nicht, wie die sechs Tage, die wir bis hierher gebraucht haben, verflossen sind: seine Heiterkeit und gute Laune ist unverwüstlich. Goethe hat mich sehr freundlich aufgenommen; wir kamen gestern früh kurz vor zwölf Uhr hier an und aßen gleich den Mittag oben bei ihm. Er wurde selbst sehr bald vertraulich und den Abend, den ich mit ihm in der Komödie war, bin ich fast nicht aus dem Lachen gekommen über die Schwänke und Possen, die er vorbrachte. Leider hatte aber Goethe mir gleich eine gar traurige Nachricht für meinen guten alten Zelter mitzutheilen und ging mit mir zu Rath über die beste Weise, sie ihm beizubringen. Man hatte Goethe um diesen traurigen Dienst gebeten. Seine jüngste Tochter nämlich, ein Mädchen von siebzehn Jahren, sein Liebling ist vor wenigen Tagen gestorben; er hat nicht die leiseste Ahnung nur davon, daß sie krank war. Er erzählte mir auf der Reise gar viel von dieser Tochter und von seiner Sehnsucht, sie Wiederzusehen ..... Goethe hat ihn fast mit Gewalt gezwungen, heute zu ihm zu ziehen, er will ihm dann die Trauerbotschaft auf die beste Weise beibringen und ihn so lange bei sich behalten, als es nur irgend möglich ist. Wahrscheinlich werde ich also ohne ihn nach Berlin gehen.«

Den Seinigen hat Wilken später dann erzählt, daß Goethe's warme herzliche Theilnahme für den unglücklichen Vater wahrhaft ergreifend gewesen sei. Einige[83] Stunden war Wilken auch mit Goethe allein, und während derselben ward viel über orientalische Literatur gesprochen; für diese interessirte sich Goethe damals umsomehr, als er von 1814-1818 seinen »Westöstlichen Diwan« dichtete. Am Abend habe Goethe, so erzählte Wilke weiter, in der Loge des Theaters, in dem Körner's Trauerspiel »Rosamunde« gegeben wurde, geistigen Getränken sehr lebhaft zugesprochen und sei sehr ausgelassen in seinen Reden geworden.[84]


682.*


1816, September und später.


Mit Heinrich Franke u.a.

Bald nach Wiedereröffnung der Bühne war mir das Glück zutheil geworden, Goethe durch Vulpius, und zwar auf dem Theater vorgestellt zu werden. Nachdem er mich jungen, im siebzehnten Lebensjahre stehenden Menschen einige Secunden stillschweigend betrachtet hatte, sagte er mit wohlwollender Miene: »Hm, hm! wir sind noch sehr jung und müssen noch viel lernen. Es ist ein schwerer Beruf, den Sie sich wählen, das junge Volk begreift das aber nicht. Nun, wir wollen sehen, wie die Sache sich macht.«

Bald darauf theilte in seinem Auftrage der Regisseur Genast mir mit: Excellenz wünsche, daß ich neben meinen rhetorischen und mimischen Studien mich auch im Tanzen und Fechten fortbilden, den Proben und Vorstellungen aber zunächst nur als Zuschauer beiwohnen, die Bühne später erst als Statist, dann aber, wenn ich einigermaßen an das Lampenlicht gewöhnt sei, in kleineren Rollen betreten solle.

[268] So fehlte ich denn von jetzt an in keiner Probe, die zwar von Goethe nicht immer, aber doch häufig geleitet wurden .... Ein namhafter Theil der Bühnenmitglieder war in der Goethe'schen Schule aufgewachsen oder unter seiner Leitung schon so lange thätig, daß er mit jener sich vertraut gemacht hatte: daher richteten sich Goethes Bemerkungen über Auffassungen, Betonungen und Gesten meist an die jüngeren Elemente, ohne indeß gegebenen Falles Anstand zu nehmen, auch die älteren zu Wiederholungen und Änderungen zu veranlassen, dann aber immer in einer sehr schonenden Form. Besonders lenkte er seine Aufmerksamkeit auf ein gutes Ensemble und eine der Situation entsprechende Gruppirung. »Das ist ein Durcheinander, aber kein Bild!« äußerte er manchmal.[269]


683.*


1816, 8. October.


Über Moritz Graf O'Donell

Goethe sagt... von ihm, daß er keinen liebenswürdigeren Menschen kenne.[269]


684.*


1816, 25. October.


Mit Georg Ticknor und Edward Everett

Wesent our letters to Goethe this morning, and he returned for answer the message that he would[269] be happy to see us at eleven o'clock. We went punctually, and he was ready to receive us. He is something above the middle size, large but not gross, with gray hair, a dark, ruddy complexion, and full, rich, black eyes, which, though dimmed by age, are still very expressive. His whole countenance is old; and though his features are quiet and composed they bear decided traces of the tumult of early feeling and passion. Taken together, his person is not only respectable, but imposing. In his manners, he is simple. He received us without ceremony, but with care and elegance, and made no German compliments. The conversation, of course, rested in his bands, and was various. He spoke naturally of Wolf, as one of our letters was from him, – said, he was a very great man, had delivered thirtysix different courses of lectures on different subjects connected with the study of antiquity, possessed the most remarkable memory he had ever known, and in genius and critical skill surpassed all the scholars of his time. In alluding to his last publication he said he had written his »Life of Bentley« with uncommon talent, because in doing it he had exhibited and defended his own character, and in all he said showed that he had high admiration and regard for him.

Of Lord Byron, he spoke with interest and discrimination, – said that his poetry showed great[270] knowledge of human nature and great talent in description; »Lara«, he thougt, »bordered on the kingdom of spectres; and of his late separation from his wife, that, in its circumstances and the mistery in which it is involved, it is so poetical, that if Lord Byron had invented it he could hardly have had a more fortunate subject for his genius.« All this he said in a quiet, simple manner, which would have surprised me much, if I had known him only through his books; and it made me feel how bitter must have been Jean Paul's disappointment, who came to him expecting to find in his conversation the characteristics of »Werther« and »Faust«. Once his genius kindled, and in spite of himself he grew almost fervent as he deplored the want of extemporary eloquence in Germany, and said what I never heard before, but which is eminently true, that the English is kept a much more living language by its influence. »Here«, he said, »we have no eloquence – our preaching is a monotonous, middling declamation, – public debate we have not at all, and if a little inspiration sometimes comes to us in our lecture-rooms, it is out of place, for eloquence does not teach.« We remained with him nearly an hour, and when we came away he accompanied us as far as the parlor door with the same simplicity with which he received us, without any German congratulations.[271]


685.*


1816, 30. November.


Mit Friedrich von Müller

und Heinrich Meyer

Ich [v. Müller] traf Goethe sehr heiter, ruhig und gemüthlich. Eben waren die Monatstabellen der Zeichenakademie eingegangen, was Gelegenheit gab, über die Wichtigkeit periodisch wiederkehrender Übersichten zu sprechen. Goethe fand einen Knaben wegen Unarten ausgestrichen, Meyer erläuterte den Sachverhalt; er selbst habe den Unterlehrern in Goethens Namen nachgelassen, ein halbes Dutzend todt zu schlagen. Bei Anpreisung der Vortheile, die jedem gebildeten Menschen das Zeichnen gewähre, sprach Goethe das gewichtige und doch sehr einfache Wort: »Es entwickelt und nöthigt zur Aufmerksamkeit und das ist ja doch das Höchste aller Fertigkeiten und Tugenden.« Er erzählte, daß er täglich um 7 Uhr aus dem Bette zu dictiren anfange, erst Briefe, dann nach dem Aufstehen aus seinem Leben. So halte ich mich von der Welt zurückgezogen, um gesund zu bleiben und finde mich so meinen Obliegenheiten noch gewachsen.[272]


686.*


1816, 26. December.


Mit Friedrich von Müller

Auf kurze Zeit besuche ich Goethen, der heute schlaffer als sonst war. Die Preßvergehen wollte er bloß polizeilich geahndet haben.[272]


Quelle:
Goethes Gespräche. Herausgegeben von Woldemar Freiherr von Biedermann, Band 1–10, Leipzig 1889–1896, Band 3, S. 268-274.
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