H. F. T.

[661] Observations sur les ombres colorées, à Paris 1782.

Dieser, übrigens soviel wir wissen unbekannt gebliebene, Verfasser macht eine eigene und artige Erscheinung in der Geschichte der Wissenschaft. Ohne mit der Naturlehre überhaupt, oder auch nur mit diesem besondern Kapitel des Lichts und der Farben bekannt zu sein, fallen ihm die farbigen Schatten auf, die er denn, da er sie einmal bemerkt hat, überall gewahr wird. Mit ruhigem und geduldigen Anteil beobachtet er die mancherlei Fälle, in welchen sie erscheinen, und ordnet zuletzt in diesem Buche zweiundneunzig Erfahrungen, durch welche er der Natur dieser Erscheinungen näher zu kommen denkt. Allein alle diese Erfahrungen und sogenannten Expériences sind immer nur beobachtete Fälle, durch deren Anhäufung die Beantwortung der Frage immer mehr ins Weite gespielt wird. Der Verfasser hat keineswegs die Gabe, mehreren Fällen ihr Gemeinsames abzulernen, sie ins Enge zu bringen und in bequeme Versuche zusammenzufassen. Da dieses letztere von uns geleistet ist (E. 62–80), so läßt sich nunmehr auch leichter übersehen, was der Verfasser eigentlich mit Augen geschaut und wie er sich die Erscheinungen ausgelegt hat.

Bei der Seltenheit des Buches halten wir es für wohlgetan, einen kurzen Auszug davon, nach den Rubriken der Kapitel, zu geben.

Einleitung. Historische Nachricht, was Leonardo da Vinci, Buffon, Millot und Nollet über die farbigen Schatten hinterlassen.

Erster Teil. Was nötig sei, um farbige Schatten hervorzubringen. Nämlich zwei Lichter, oder Licht von zwei Seiten; sodann eine entschiedene Proportion der beiderseitigen Helligkeit.

Zweiter Teil. Von den verschiedenen Mitteln, farbige Schatten hervorzubringen, und von der Verschiedenheit ihrer Farben.[661]

I. Von farbigen Schatten, welche durch das direkte Licht der Sonne hervorgebracht werden. Hier werden sowohl die Schatten bei Untergang der Sonne als bei gemäßigtem Licht den Tag über beobachtet.

II. Farbige Schatten, durch den Widerschein des Sonnenlichtes hervorgebracht. Hier werden Spiegel, Mauern und andere, Licht zurückwerfende Gegenstände mit in die Erfahrung gezogen.

III. Farbige Schatten, durch das Licht der Atmosphäre hervorgebracht und erleuchtet durch die Sonne. Es werden diese seltener gesehen, weil das Sonnenlicht sehr schwach werden muß, um den von der Atmosphäre hervorgebrachten Schatten nicht völlig aufzuheben. Sie kommen daher gewöhnlich nur dann vor, wenn die Sonne schon zum Teil unter den Horizont gesunken ist.

IV. Farbige Schatten, durch das Licht der Atmosphäre allein hervorgebracht. Es muß, wo nicht von zwei Seiten, doch wenigstens übers Kreuz fallen. Diese Versuche sind eigentlich nur in Zimmern anzustellen.

V. Farbige Schatten, hervorgebracht durch künstliche Lichter. Hier bedient sich der Verfasser zweier oder mehrerer Kerzen, die er sodann mit dem Kaminfeuer in Verhältnis bringt.

VI. Farbige Schatten, hervorgebracht durch das atmosphärische Licht und ein künstliches. Dieses sind die bekanntesten Versuche mit der Kerze und dem Tageslicht, unter den mannigfaltigsten empirischen Bedingungen angestellt.

VII. Farbige Schatten, hervorgebracht durch den Mondenschein und ein künstliches Licht. Dieses ist ohne Frage die schönste und eminenteste von allen Erfahrungen.

Dritter Teil. Von der Ursache der verschiedenen Farben der Schatten. Nachdem er im Vorhergehenden das obige Erfordernis eines Doppellichtes und ein gewisses Verhältnis der beiderseitigen Helligkeit nunmehr völlig außer Zweifel gesetzt zu haben glaubt, so scheint ihm beim weitern Fortschritt[662] besonders bedenklich, warum dasselbe Gegenlicht nicht immer die Schatten gleich färbe.

I. Vom Licht und den Farben. Er hält sich vor allen Dingen an die Newtonische Lehre, kann jedoch seine farbigen Schatten nicht mit der Refraktion verbinden. Er muß sie in der Reflexion suchen, weiß aber doch nicht recht, wie er sich gebärden soll.

Er kommt auf Gauthiers System, welches ihn mehr zu begünstigen scheint, weil hier die Farben aus Licht und Schatten zusammengesetzt werden. Er gibt auch einen ziemlich umständlichen Auszug; aber auch diese Lehre will ihm so wenig als die Newtonische genügen, die farbigen Schatten zu erklären.

II. Von verschiedenen Arten der farbigen Schatten. Er bemerkt, daß diese Erscheinungen sich nicht gleich sind, indem man den einen eine gewisse Wirklichkeit, den andern nur eine gewisse Apparenz zuschreiben könne. Allein er kann sich doch, weil ihm das Wort des Rätsels fehlt, aus der Sache nicht finden. Daß die roten Schatten von der untergehenden Sonne und den sie begleitenden Wolken herkommen, ist auffallend; aber warum verwandelt sich der entgegengesetzte Schatten bei dieser Gelegenheit, aus dem Blauen ins Grüne? Daß diese Farben, wenn die Schatten auf einen wirklich gefärbten Grund geworfen werden, sich nach demselben modifizieren und mischen, zeigt er umständlich.

III. Über die Farbe der Luft. Enthält die konfusen und dunkeln Meinungen der Naturforscher über ein so leicht zu erklärendes Phänomen (E. 151).

IV. Bemerkungen über die Hervorbringung der farbigen Schatten. Die Bedenklichkeiten und Schwierigkeiten, auf diesem Wege die farbigen Schatten zu erklären, vermehren sich nur. Der Verfasser nähert sich jedoch dem Rechten, indem er folgert: die Farben dieser Schatten sei man sowohl dem Lichte schuldig, welches den Schatten verursacht, als demjenigen, das ihn erleuchtet.

Der Verfasser beobachtet so genau und wendet die Sache[663] so oft hin und wider, daß er immer sogleich auf Widersprüche stößt, sobald er einmal etwas festgesetzt hat. Er sieht wohl, daß das früher von ihm aufgestellte Erfordernis einer gewissen Proportion der Lichter gegeneinander nicht hinreicht; er sucht es nun in gewissen Eigenschaften der leuchtenden Körper, besonders der Flammen, und berührt auch den Umstand, daß verschiedene Lichter nicht einerlei gleiche Farben verbreiten.

V. Beobachtungen über die Ursachen der verschiedenen Schattenfarben. Er vermannigfaltigt die Versuche abermals, besonders um zu erkennen, auf welchem Wege eine Schattenfarbe in die andere übergeht, und ob dieser Übergang nach einer gewissen Ordnung geschehe. Dabei beharrt er immer auf dem Begriff von der verschiedenen Intensität des Lichts und sucht sich damit durchzuhelfen, ob es gleich nur kümmerlich gelingt. Und weil er durchaus redlich zu Werke geht, begegnen ihm immer neue Widersprüche, die er eingesteht und dann wieder mit dem, was er schon festgesetzt, zu vereinigen sucht. Seine letzten Resultate sind folgende:

Farbige Schatten entspringen:

1. durch das stärkere oder schwächere Licht, das die Schatten empfangen.

2. durch die größere oder geringere Klarheit des Lichts, welches die Schatten hervorbringt.

3. durch die größere oder kleinere Entfernung der Lichter von den Schatten.

4. von der größern oder geringern Entfernung der schattenwerfenden Körper von dem Grunde, der sie empfängt.

5. von der größern oder geringern Inzidenz, sowohl der Schatten als des Lichtes, das sie erleuchtet, gegen den Grund, der sie aufnimmt.

6. Man könnte noch sagen von der Farbe des Grundes, welcher die Schatten aufnimmt.

Auf diese Weise beschließt der Verfasser seine Arbeit, die ich um so besser beurteilen kann, als ich, ohne seine Bemühungen zu kennen, früher auf demselbigen Wege gewesen;[664] aus welcher Zeit ich noch eine kleine in diesem Sinne geschriebene Abhandlung besitze.

An Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit fehlt es diesem ruhig teilnehmenden Beobachter nicht. Die geringsten Umstände zeigt er an: das Jahr, die Jahreszeit, den Tag, die Stunde; die Höhen der himmlischen, die Stellung der künstlichen Lichter; die größere oder geringere Klarheit der Atmosphäre; Entfernung und alle Arten von Bezug: aber gerade die Hauptsache bleibt ihm verborgen, daß das eine Licht den weißen Grund, worauf es fällt und den Schatten projiziert, einigermaßen färben müsse. So entgeht ihm, daß die sinkende Sonne das Papier gelb und sodann rot färbt, wodurch im ersten Fall der blaue, sodann der grüne Schatten entsteht. Ihm entgeht, daß bei einem von Mauern zurückstrahlenden Lichte leicht ein gelblicher Schein auf einen weißen Grund geworfen und daselbst ein violetter Schatten erzeugt wird; daß die dem Tageslicht entgegengesetzte Kerze dem Papier gleichfalls einen gelblich roten Schein mitteilt, wodurch der blaue Schatten gefordert wird. Er übersieht, daß wenn er ein atmosphärisches Licht von zwei Seiten in sein Zimmer fallen läßt, von einem benachbarten Hause abermals ein gelblicher Schein sich hereinmischen kann. So darf, selbst wenn bei Nachtzeit mit zwei Kerzen operiert wird, die eine nur näher als die andere an einer gelblichen Wand stehen. So ist ein Kaminfeuer nicht sowohl stärker und mächtiger als eine Kerze, sondern es bringt, besonders wenn viele glühende Kohlen sich dabei befinden, sogar einen roten Schein hervor; deswegen, wie beim Untergang der Sonne, leicht grüne Schatten entstehen. Das Mondlicht färbt jede weiße Fläche mit einem entschieden gelben Schein; und so entspringen alle die Widersprüche, die dem Verfasser begegnen, bloß daher, daß er die Nebenumstände aufs genaueste beachtet, ohne daß ihm die Hauptbedingung deutlich geworden wäre.

Daß indessen schwach wirkende Lichter selbst schon als farbig und färbend anzusehen, darauf haben wir auch schon[665] hingedeutet (E. 81 ff.). Daß sich also, in einem gewissen Sinne, die mehr oder mindere Intensität des Lichts an die Erscheinung der farbigen Schatten anschließe, wollen wir nicht in Abrede sein; nur wirkt sie nicht als eine solche, sondern als eine gefärbte und färbende. Wie man denn überhaupt das Schattenhafte und Schattenverwandte der Farbe, unter welchen Bedingungen sie auch erscheinen mag, hier recht zu beherzigen abermals aufgefordert wird.

Quelle:
Johann Wolfgang Goethe. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Band 1–24 und Erg.-Bände 1–3, Band 16, Zürich 1948 ff, S. 661-666.
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